Zusatztafel für historisch belastete Straßennamen

Eine Kommission aus Historikerinnen und Historikern stufte an die 170 Straßennamen in Wien als historisch belastet ein. Für 28 davon wurden Zusatztafeln erstellt.

Straßenschild am Dr. Karl Lueger-Platz

2013 präsentierte die von der Stadt Wien beauftragte Kommission aus Historikerinnen und Historikern unter der Leitung des Zeithistorikers Oliver Rathkolb ihre kritische Untersuchung von 4.300 personenbezogenen Wiener Straßennamen.

Das Ergebnis dieses Berichts: Die Kommission stufte an die 170 Straßennamen als problematisch ein, 28 davon als Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf. Für diese hat die Stadt Textvorschläge für Zusatztafeln erarbeiten lassen, die historisch korrekt, einheitlich und verständlich sind.

Texte der Zusatztafeln

  • 1., Wiesingerstraße
    Dr. Albert Wiesinger (1830 bis 1896)
    Seelsorger, Chefredakteur der "Wiener Kirchenzeitung" und Pionier des katholischen Journalismus. Jedoch bahnten Wiesingers scharfe antijüdische Polemiken dem Rassenantisemitismus den Weg. Er distanzierte sich allerdings später davon.
  • 1., Dr.-Karl-Lueger-Platz und 14., Dr.-Karl-Lueger-Brücke
    Dr. Karl Lueger (1844 bis 1910)
    Gründer der Christlich-Sozialen Partei. 1897 bis 1910 Bürgermeister. Mitgestalter Wiens zu einer modernen Großstadt. Kritisch bewertet werden muss sein populistischer Antisemitismus, der ein politisches Klima förderte, welches die Verbreitung des Nationalsozialismus begünstigte.
  • 3., Stelzhamergasse
    Franz Stelzhamer (1802 bis 1874)
    Mundartdichter, Lyriker und Autor von Novellen. Verfasser der oberösterreichischen Landeshymne. Viele seiner Texte sind geprägt von antisemitischen Stereotypen.
  • 10., Dr.-Eberle-Gasse
    Dr. Konrad Eberle (1903 bis 1961)
    Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Mitbegründer der "Vereinigung Österreichischer Ärzte" und Wiener Gemeinderat. Er denunzierte mehrfach mit antisemitischen Argumenten einen Berufskollegen.
  • 10., Saßmanngasse
    Hanns Saßmann (1882 bis 1944)
    Literatur- und Theaterkritiker, Schriftsteller. Schrieb historische Dramen, Komödien und Schwänke. Verfasste Filmdrehbücher, die stark von nationalsozialistischem Gedankengut beeinflusst waren.
  • 10., Weldengasse
    Franz Ludwig von Welden (1780 bis 1853)
    Offizier, Militärschriftsteller und Direktor des Topographischen Büros. 1848 bis 1851 Gouverneur im nachrevolutionären Wien. Maßgeblich verantwortlich für die rigorose Verfolgung von Oppositionellen.
  • 12., Dr.-Boehringer-Gasse
    Dr. Ernst Boehringer (1896 bis 1965)
    Miteigentümer und Co-Geschäftsführer von C.H. Boehringer Sohn und Förderer der pharmakologischen Forschung in Österreich. Mitbegründer des Pharmastandortes Wien. War ab 1933 in der SA und 1936 Mitglied der NSDAP; später jedoch Distanz zum NS-Regime.
  • 13., Josef-Pommer-Gasse
    Josef Pommer (1845 bis 1918)
    Mitbegründer des Phonogrammarchivs der Akademie der Wissenschaften und ab 1904 Leiter des Österreichischen Volksliedwerkes. Gemeinderats- und Reichsratsabgeordneter der Deutschen Volkspartei. Er vertrat offensiv antisemitische Positionen.
  • 13., Sebastian-Brunner-Gasse
    Sebastian Brunner (1814 bis 1893)
    Katholischer Priester, Schriftsteller, Satiriker und Gründer der "Wiener Kirchenzeitung". Protagonist des österreichischen katholischen Antijudaismus beziehungsweise Antisemitismus.
  • 14., Müller-Guttenbrunn-Straße
    Dr. Adam Müller-Guttenbrunn (1852 bis 1923)
    Dramatiker, Romanschriftsteller und Feuilletonist. Erster Direktor des Raimundtheaters und des Kaiser-Jubiläums-Stadttheaters (heute Volksoper). Förderte die Aufführung von Wiener Volksstücken. Kritisch betrachtet werden müssen jedoch seine antisemitisch gestalteten Spielpläne.
  • 14., Josef-Schlesinger-Straße
    Dr. Josef Schlesinger (1831 bis 1901)
    Mathematiker, Naturphilosoph und Rektor der Hochschule für Bodenkultur. Schlesinger erwarb sich Verdienste um die Neuordnung des Geodäsieunterrichts. Problematisch in seiner Biografie ist, dass er sich als christlich-sozialer Politiker einer aggressiven antisemitischen Rhetorik bediente.
  • 16., Josef-Weinheber-Platz
    Josef Weinheber (1892 bis 1945)
    Schriftsteller (Dialektgedichte, zum Beispiel "Wien wörtlich"), 1910 bis 1927 in Ottakring lebend, frühes NSDAP-Mitglied, hohe Ehrungen in der NS-Zeit und danach
  • 16., Pschorngasse
    Karl Pschorn (1885 bis 1945)
    Hauptschuldirektor und Mundartdichter. Erhielt 1931 den Österreichischen Lyrikerpreis. Seit 1932 NSDAP-Mitglied. Fachberater für das Mundartschrifttum der NS-Reichsschrifttumskammer.
  • 17., Leopold-Kunschak-Platz
    Leopold Kunschak (1871 bis 1953)
    Begründer der christlichsozialen Arbeiterbewegung, Mitbegründer der ÖVP und erster Nationalratspräsident der Zweiten Republik. Innenpolitisch Vertreter einer auf Ausgleich gerichteten Linie, trotzdem zeitlebens ausgeprägter Antisemit.
  • 21., Robert-Lach-Gasse
    Univ.-Prof. Dr. Robert Lach (1874 bis 1958)
    Musikwissenschaftler, Komponist und Musikethnologe. Betrieb vergleichende Forschungen zu inner- und außereuropäischer Musikrichtungen. Problematisch in seiner Biografie sind seine NSDAP-Mitgliedschaft seit 1933 und sein extremer Antisemitismus.
  • 21., Spundagasse
    Prof. Dr. Franz Spunda (1890 bis 1963)
    Lehrer, Schriftsteller und Petrarca-Übersetzer. Publizierte zahlreiche historische Romane zu Themen des Okkultismus. Kritisch bewertet werden müssen seine Mitgliedschaft bei der NSDAP und beim "Bund deutscher Schriftsteller Österreichs", einer NS-Tarnorganisation.
  • 22., Chvostekgasse
    Franz Chvostek (1864 bis 1944)
    Internist und Neurologe, nach dem die "Chvosteksche Anämie" benannt ist. Mitbegründer der Konstitutionspathologie. 1913 bis 1933 Leiter der III. Medizinischen Universitätsklinik. Erklärter Gegner des Frauenstudiums und Rassenhygieniker.
  • 22., Dusikagasse
    Franz "Ferry" Dusika (1908 bis 1984)
    Radrennfahrer, Sportidol und Radsportveranstalter. In den 1930er Jahren Gewinner zahlreicher internationaler Preise im Radsport. Als NSDAP-Mitglied Profiteur der "Arisierung" eines Fahrradgeschäftes.
  • 22., Haberlandtgasse
    Michael Haberlandt (1860 bis 1940)
    Volkskundler und Indologe. Begründer und Direktor des "Volkskundemuseums" und Mitbegründer des Hugo-Wolf-Vereins. Das Volkskundemuseum wurde unter seiner Leitung zum Treffpunkt illegaler Nationalsozialisten.
  • 22., Häußlergasse
    Franz Häußler (1899 bis 1958)
    Pädagoge und Autor von Lehrbüchern der Psychologie und Philosophie. Gründete 1934 die Bildungseinrichtung "Jung-Urania". Sie galt bald als Tarnorganisation für die verbotene NS-Jugendorganisation und wurde nach dem "Anschluss" 1938 in die Hitlerjugend übergeführt.
  • 22., Kasparekgasse
    Fritz Kasparek (1910 bis 1954)
    Alpinist. War in den 1930er und 1940er Jahren einer der erfolgreichsten Felskletterer. Im Sommer 1938 bezwang er mit 3 anderen Bergsteigern als erster die Eiger-Nordwand. Seit den 1930er Jahren Mitglied der SS.
  • 22., Kloepferstraße
    Hans Kloepfer (1867 bis 1944)
    Werkarzt der Alpine-Montangesellschaft und Mundartdichter. Euphorischer NS-Sympathisant, seit 1938 NSDAP-Mitglied. Vom NS-Regime geförderter und ausgezeichneter Schriftsteller.
  • 22., Seefeldergasse
    Richard Seefelder (1875 bis 1949)
    Universitätsprofessor für Augenheilkunde und Rektor der Universität Innsbruck. Seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SS.
  • 23., Manowardagasse
    Josef von Manowarda (1890 bis 1942)
    Opern- und Konzertsänger, Professor an der Akademie für Musik und darstellende Kunst. Große Erfolge in Opernaufführungen von Wagner, Strauss und Mozart. Problematisch in seiner Biografie ist seine aktive nationalsozialistische Betätigung ab 1933.
  • 23., Maria-Grengg-Gasse
    Maria Grengg (1888 bis 1963)
    Malerin und Verfasserin von Heimatromanen und Märchen, die sie auch selbst illustrierte. Erhielt 1936 den österreichischen Staatspreis für Literatur. Problematisch in ihrer Biografie sind ihre Mitgliedschaft in der NSDAP und ihr offener Rassismus.
  • 23., Pfitznergasse
    Hans Pfitzner (1869 bis 1949)
    Deutscher Dirigent, Opernregisseur, Pianist und Komponist mit Wahlheimat in Wien und Salzburg. Problematisch in seiner Biografie ist, dass er zeitlebens ausgeprägter Antisemit und Verharmloser von Nazi-Verbrechen war.
  • 23., Porschestraße
    Prof. Dr. Ferdinand Porsche (1875 bis 1951)
    "Vater des Volkswagens" und des "Porsche". Er beeinflusste durch zahlreiche Erfindungen die Geschichte des Autos. Problematisch in seiner Biografie sind seine Mitgliedschaft bei NSDAP und SS, die Beschäftigung von ZwangsarbeiterInnen sowie seine Tätigkeit in der NS-Rüstungsindustrie.
Verantwortlich für diese Seite:
wien.gv.at-Redaktion
Kontaktformular