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Landtag, 13. Sitzung vom 21.06.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 12 von 35

 

Denn eines ist besonders wichtig: Wir dürfen und sollen Menschen besonders unterstützen, dass sie ihr Wahlrecht nutzen können und dass sie die Staatsbürgerschaft bekommen. Es darf nie wieder vorkommen, dass der Europäische Gerichtshof wie im Fall EuGH-Urteil C-118/20 gegen die MA 35 Entscheidungen trifft.

 

Wien als Menschenrechtsstadt sollte entsprechend versuchen, den Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ernst zu nehmen: Jeder und jede haben das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Niemand darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen oder das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln. Das ist wichtig, und das sollten wir als Menschenrecht in einer Menschenrechtsstadt Wien immer beachten. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Deswegen habe ich meinen Antrag auch so formuliert. Wir müssen die Bevölkerung über Vorteile und Sinnhaftigkeit informieren. Auch wenn die MA 35, und das ist ja durchaus positiv, 2021 die höchste Zahl aller in Österreich stattgefundenen Einbürgerungen durchgeführt hat - 42 Prozent aller Einbürgerungen fanden hier statt - liegt das auch an der Zahl der Anträge.

 

Ausnahmsweise bin ich jetzt einmal dafür, die gute alte Zeit zu betonen, die ja hier immer wieder beschworen wird: In der Habsburger Monarchie wurde in den 22 Jahren von 1811 bis 1833 jeder niedergelassene Fremde automatisch und ohne eigene Einwilligung oder Zustimmung des Herkunftsstaates per kaiserlichen Dekret eingebürgert. Es wäre schön, wenn wir das heute in diesem Punkt noch immer so hätten. Solche Praktiken wurden jedoch gerade von den Herkunftsländern leider auch in vielen Punkten bekämpft.

 

Bis in die 70er Jahre war es auch in liberalen Demokratien üblich, dass zum Beispiel Frauen mit der Heirat automatisch die Staatsbürgerschaft ihres Ehemannes erhielten - oder annehmen mussten - und damit gleichzeitig ihre bisherige Staatsbürgerschaft verloren haben. Diese Regel gilt übrigens nur mehr in ganz wenigen Staaten der Welt noch immer. In Österreich haben bis 1983, also noch nicht so lange her, ehelich geborene Kinder ausschließlich die Staatsbürgerschaft des Vaters erhalten. Österreichischen Frauen wurde damit versagt, ihre österreichische Staatsbürgerschaft an ihre eigenen Kinder weiterzugeben. Das war nur dem Vater erlaubt. (Abg. Stefan Berger: Das finden Sie toll?) Das finde ich gar nicht toll, und ich finde, dass genau das geändert werden soll.

 

Ich hätte dazu auch heute einen Antrag eingebracht. Diesen Antrag werden wir jetzt nicht einbringen - wir haben ihn zurückgezogen -, sondern wir werden ihn dann in der Menschenrechtsgruppe, wie mit der SPÖ und mit den NEOS besprochen, zusammen mit dem Leiter der MA 35 Georg Hufgard-Leitner als Fachexperten auch entsprechend behandeln und bearbeiten. Es zeigt aber, wie absurd es ist, dass wir vor 49 Jahren noch immer dieses Gesetz hatten.

 

In ihrem Buch „Migration und Staatsbürgerschaft“ - das ich übrigens jedem zu lesen empfehlen würde, um zu wissen, was es zu Staatsbürgerschaften tatsächlich zu sagen gibt, und sich dann auch manche, die da Irrtümern unterliegen, zum Beispiel im Bildungsbereich, näher informieren könnten - schreiben Gerd Valchars und Rainer Bauböck, dass die Toleranz von Mehrfachstaatsangehörigkeit erhöht werden sollte, und zwar nicht nur, wenn diese bei Geburt entsteht, weil die Eltern mehrere unterschiedliche Staatsbürgerschaften haben, sondern auch bei Einbürgerung.

 

Irland war schon 1935 einer der ersten Staaten Europas, und mit zeitlichem Abstand kamen schlussendlich dann auch andere Staaten dazu: Tschechien, Dänemark und Norwegen 2020, um nur einige Beispiele zu nennen. Mehr und mehr Staaten akzeptieren diese Doppel- und Mehrfachstaatsbürgerschaften, und wir werden uns bemühen müssen, dass da etwas weitergeht. Dieser deutliche Trend der letzten Jahre zeigt sich nicht nur in Europa, sondern ist weltweit zu beobachten. Weltweit sehen wir, welche Vorteile das auch bringt.

 

Österreich hingegen verweigert sich diesem deutlichen Trend noch und gehört zu jenen mittlerweile lediglich 22 Prozent der Staaten weltweit, die Doppelstaatsbürgerschaften weder bei Einbürgerungen im Inland noch bei Einbürgerung der eigenen Staatsbürgerschaft im Ausland akzeptieren. Auch bei den Ausnahmen scheint Österreich strenger zu sein, wie Bauböck und Valchars erarbeiten konnten.

 

Deutschland und die Niederlande beispielsweise halten wie Österreich prinzipiell an der Vermeidung von DoppelstaatsbürgerInnenschaft bei der Einbürgerung fest. Sie sagen aber, anders als in Österreich, wo die Ausnahmeregelungen sehr eingeschränkt sind, möglicherweise sind nicht alle Netrebkos oder SpitzensportlerInnen, die die Staatsbürgerschaft dann aus besonderen Gründen erhalten, dass diese aber trotzdem eingegrenzt und zurückhaltend Anwendung finden.

 

In Deutschland und in anderen Staaten wurden 60 Prozent aller Einbürgerungen mit Doppelstaatsbürgerschaft in Deutschland und den Niederlanden akzeptiert. Akzeptanz auch mehrfacher Staatsbürgerschaften heißt einerseits, dass ein größerer Teil der Wohnbevölkerung auch die Staatsbürgerschaft besitzt und daher demokratisch mitbestimmen kann, andererseits erhöht es auch die Diskrepanz, wenn im Ausland Niedergelassene die Staatsbürgerschaft behalten und weitervererben können.

 

Das bedeutet dann, dass wir viel weniger Arbeit hätten, gerade das, was momentan in der MA 35 ein eigener Schwerpunkt ist, nämlich den Nachfolgern von Opfern der NS-Diktatur zu entsprechen. Für Mehrfachstaatsbürgerschaften öffnen sich dadurch auch die individuellen Korridore der Freizügigkeit zwischen jenen Staaten, deren Pässe sie besitzen.

 

Meine Damen und Herren, ich halte es für ganz wichtig, dass wir uns darum kümmern, die Staatsbürgerschaft zu erweitern und sie möglichst offen zu gestalten. Ich halte das nicht als eine Frage von Links- oder Rechtsblock oder sonst eines Blocks - ich halte diese Begrifflichkeit für unerträglich -, ich halte schon gar nichts von einer Diskussion darüber, welchen Bildungsgrad diese Bürgerinnen und Bürger haben, sondern ich halte es für notwendig, um allen gleiche Chancen zu geben.

 

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