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Landtag, 33. Sitzung vom 26.09.2014, Wörtliches Protokoll  -  Seite 48 von 55

 

Habe ich 20 Minuten? Ich sehe es hier nämlich nicht. Es ist immer günstig, wenn ich es sehe, denn ich neige dazu, manchmal die Zeit auszuschöpfen.

 

Danke, Herr Ulm! Das sage ich selten, aber ich habe - immerhin trotzdem, auch wenn ich Teil des Witzes war - so viel lachen müssen, dass ich froh war, dass ich nicht gleich danach reden musste, weil ich mir zuerst die Tränen trocknen musste. Es ist allerdings nicht nur spaßig, über das Wahlrecht zu reden und darüber, wie fair oder nicht fair es in Wien ist. Ich sage dann auch noch ein paar Sätze zum Mehrheitswahlrecht, das ja immer wieder aufdräut, für gewöhnlich immer von großen Fraktionen - deswegen hat man davon in der ÖVP in letzter Zeit etwas weniger gehört als früher. Aber immer wenn man glaubt, es nützt einem etwas, kommt die Diskussion öfter hoch. Wir reden aber tatsächlich über etwas anderes.

 

Ich möchte aber trotzdem die Gelegenheit nutzen, um einen minimalen Abriss der Geschichte des Wahlrechts zu geben: Wir haben ja nicht immer wählen dürfen. Und was ist in der Entstehungsgeschichte des Wahlrechts überhaupt ein faires Wahlrecht?

 

Überhaupt begonnen hat es mit der Revolution 1848. Lange Zeit war das Wahlrecht ein Kurienwahlrecht - und irgendwann hat man beim Kurienwahlrecht den Fünf-Gulden-Mann erfunden; das waren dann die, die eine Steuerleistung von fünf Gulden erbrachten. Beim Kurienwahlrecht war das Wahlrecht der einzelnen Menschen unterschiedlich stark, wobei die armen Menschen nicht so viel gezählt haben. Da haben zum Beispiel 1 000 Arme, die gewählt haben, 10 Abgeordnete gewählt, und 1 000 Reiche haben 50 Abgeordnete gewählt. All diese Positionen wurden dann aufgeweicht, aus verschiedenen guten Gründen. Nach dem Fünf-Gulden-Mann ist dann die fünfte Kurie gekommen, wo alle Männer mitstimmen durften, und von den Frauen durften nur jene wählen, die reich waren. Später waren die Frauen ganz draußen. Dann kam 1918 die Wahlordnung mit Frauenwahlrecht - immer auch vorangetrieben von den progressiven Kräften, die immer wieder für eine Ausweitung des Wahlrechts gekämpft haben. In der weiteren Folge: Abschaffung des Wahlrechts, Ständestaat, Faschismus. Nachher geht es wieder los mit dem allgemeinen Wahlrecht für Männer und Frauen, wobei das Wahlalter abgesenkt wurde. Das lag irgendwann einmal bei 24 Jahren, dann war es 21 Jahre, dann war es 20, dann hat man es rund um die 68er auf 19 gesenkt - immer wieder waren die progressiven Kräfte dahinter, dass genau das alles passiert -, bis hin zur letzten Änderung, wonach mittlerweile auch 16-Jährige wählen dürfen, und zwar seit dem Jahr 2000, glaube ich, als das Burgenland und Kärnten mit ihrem Wahlrecht zum Landtag diesbezüglich die Ersten waren, und in der Folge haben das immer mehr Bereiche übernommen.

 

Das Wahlrecht wurde also ausgeweitet: Während zu Beginn nur ein paar Reiche wählen durften, sind es heute alle über 16 mit einem österreichischen Pass – das ist heute die große Einschränkung und wird irgendwann ein großes Problem für eine Demokratie insgesamt. In Wien dürfen 300 000 Leute nicht mitstimmen. Die wohnen da, die arbeiten da und dürfen nicht mitstimmen. Ich weiß natürlich, dass das Teil der Bundesverfassung ist. Würden aber mehr Parteien glauben, dass es gescheit wäre, dass man das ändert, würde die ÖVP einsteigen in den Diskurs, dass man das zum Beispiel den Bundesländern freistellt, vielleicht würden wir dann diesbezüglich eine Änderung zustande bringen. Aber Sie wehren sich ja dagegen. Deswegen habe ich schon ein Problem damit, dass man ein Wahlrecht, ein demokratisches, ein faires Wahlrecht ausschließlich anhand eines einzigen Punktes diskutiert, nämlich anhand des Faktors, der in Wien tatsächlich das Wahlrecht verzerrt, und zwar zu Gunsten der stärksten Partei, also aktuell, und sicher auch in absehbarer Zukunft, der Sozialdemokratie.

 

Es ist vorhin viel vorgerechnet worden, und diese Rechnungen habe ich natürlich alle auch selber angestellt. Wir sind dagesessen und ich habe gesagt, jetzt kommt die nächste Zahl, als ob ich es Ihnen gegeben hätte, oder Sie mir. Aber ich glaube, es können alle selber auch durchrechnen. Der Faktor bedeutet für uns am Schluss: Wenn vier Leute SPÖ wählen, brauchen die GRÜNEN fünf Leute, und dann ist es gleich viel wert. Das ist ein bisschen so, wie eben früher Frauen nicht wählen durften, und die Armen nicht, und so weiter. Es führt schon zu einer Verzerrung, die vom Ergebnis her nicht so leicht zu verstehen ist. Aber so ist es nun einmal.

 

Die große Sozialdemokratie hat sich in ihrer eigenen Tradition immer dafür eingesetzt, dass das Wahlrecht jenen Gruppen, die es vorher nicht hatten, zukommt. Das war immer der Stand der Dinge: Frauenwahlrecht, Alterssenkungen, Wahlrecht für EU-BürgerInnen - Letzteres haben wir ja 2002 hier gemeinsam beschlossen. Es hat leider nicht gehalten, aber dass EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörige wählen dürfen, ist Position der Sozialdemokratie, ist Position der GRÜNEN - leider nicht mehr. Dazu brauchen wir eine Verfassungsänderung, und diese werden wir offensichtlich in absehbarer Zeit nicht bekommen - vielleicht noch eher für die EU-Angehörigen. Für die Drittstaatsangehörigen wird es dann wahrscheinlich noch einmal mehrere Jahre dauern, sofern nicht andere, neue Zweidrittelmehrheiten aufkommen.

 

Dass das eine schwierige Frage ist zwischen SPÖ und GRÜNEN in der Stadt, das hat uns nicht nur Herr Ulm hier vorgeführt, sondern das wissen wir; das weiß die SPÖ, und das wissen die GRÜNEN. Nur, Koalitionen sind leicht zu führen, wie alle Arten von Übereinkommen, an den sonnigen Tagen, wo alles leicht ist: Wie viele Schulen soll man neu bauen? Na ja, so viele, wie wir halt zusammenbringen. Wie sollen die ausschauen, qualitativ? Na ja, so, wie wir uns das vorstellen. - An den leichten Sachen zerbrechen Koalitionen nicht, an den leichten Sachen zerbrechen keine Partnerschaften. Beweisen tut sich die Qualität dann, wenn es ein bisschen enger wird und wenn man unterschiedliche Positionen hat. Es ist ja nicht das erste Mal in dieser Koalition, dass SPÖ und GRÜNE nicht schon am ersten Tag punktgenau die gleiche Position haben.

 

Die Zielvorgabe mit 2012, darüber brauchen wir nicht mehr zu reden, das ist jetzt tatsächlich verschüttete

 

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