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Landtag, 26. Sitzung vom 27.06.2013, Wörtliches Protokoll  -  Seite 51 von 75

 

gerade in diese Finanzkrise hineingeritten haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir führen schon seit langen, langen Jahren, seitdem wir der Europäischen Union beigetreten sind, Diskussionen über Europa, über Erweiterungsprozesse, über die Vertiefung, über Arbeitsmarktzugänge, aber seit dem Ausbruch der Finanzkrise hat die Auseinandersetzung um Europa eine neue Dimension bekommen, denn diese Finanzkrise hat sich schnell zu einer Wirtschaftskrise ausgebreitet.

 

Heute ist die Europäische Union zu einem Krisenherd der Welt mutiert, und viele Menschen fragen sich: Was ist in Europa schiefgelaufen? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Und wie kann es überhaupt sein, dass andere Kontinente und Regionen und Länder sich von der Krise erholen, während wir in Europa in eine immer tiefere Rezession schlittern? Irgendwie ist das Ganze nicht zu glauben, denn zu Europa hat die ganze Welt immer aufgeschaut. Man hat Europa um den Mut und den Integrationswillen der EuropäerInnen beneidet. So zusammenzuwachsen, das hätten sich viele Regionen der Welt gewünscht, in der Lage zu sein, eine derartige Union zu bilden. Und was Europa vor allem ausgezeichnet hat, so besonders gemacht hat, von vielen anderen unterschieden hat und worum uns die ganze Welt beneidet hat, war stets der europäische Wohlfahrtsstaat. Überall, wohin man in der Welt gekommen ist, hat man nicht aufgehört, mit Stolz zu erwähnen, welche sozialstaatlichen Einrichtungen es in Europa gibt, welche soziale Sicherheit die Menschen in Europa genießen. Es hat irgendwie so eine Art von zwei Gegenpolen gegeben: auf der einen Seite die Vereinigten Staaten mit einer total freien Marktwirtschaft, wo Menschen sich verschulden mussten oder sogar den Privatkonkurs anmelden mussten, wenn ihnen plötzlich eine Operation bevorstand, wo Menschen mehrere Jobs annehmen mussten, um über die Runden zu kommen, wo es nur zwei Wochen Urlaub gibt, wo es überfüllte Gefängnisse gibt, und auf der anderen Seite Europa und die Europäische Union mit einer sozialen Marktwirtschaft, wo Menschen sozialversichert sind, wo Menschen im Alter gesichert sind, wo es einen Zugang zu Gesundheit gibt, einen freien Zugang zu Bildung, eine soziale Sicherheit beim Verlust des Arbeitsplatzes.

 

Und wie, werte Kollegen und Kolleginnen, schaut Europa heute aus, fünf Jahre nach der Krise? Man erkennt es kaum wieder: Menschen, die in Griechenland zu Hunderttausenden auf Suppenküchen angewiesen sind, massenhafte Zwangsräumungen in Spanien trotz leerstehender Wohnungen, steigende Kinderarmut, 26 Millionen Arbeitslose in der Europäischen Union.

 

Und wieder schaut die Welt auf Europa, aber diesmal anders. Man denkt sich, die Europäer sind mit sich selbst beschäftigt, es geht wirtschaftlich bergab in Europa, die Europäer haben nicht einmal das Geld, sich außenpolitisch und entwicklungspolitisch zu engagieren in der Welt, denn sie haben gar kein Geld mehr. Und während Menschen aus Lateinamerika immer nach Spanien ausgewandert sind, wandern heute Spanier nach Lateinamerika aus.

 

Und jetzt kommt die große Frage, werte Kollegen und Kolleginnen: Warum aber? Warum schlittern wir immer mehr in eine Krise hinein? Das können doch nicht alles allein nur die Folgen der Finanzkrise sein. Warum meistern andere Staaten und Länder die Krise, man hört dort nichts mehr von Krise, und wir stehen plötzlich im Fokus der Krise?

 

Nicht auf Grund eines Zufalls, sondern es sind die falschen Antworten der Europäischen Union in der Person Merkel und der konservativen Entscheidungsträger auf die Wirtschaftskrise. Es ist die falsche Politik der EU-Troika, bestehend aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds, die da heißt: Kürzen, kürzen und nochmals kürzen! Wir lehnen das entschieden ab. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Spardiktate, die die südeuropäischen Staaten in die Knie gezwungen haben, Kürzungen von Reallöhnen und Pensionen über die Hälfte, die für uns unvorstellbar sind, Eingriffe in Kollektivverträge: Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe andere Vorstellungen von Demokratie, als dass nicht gewählte oder nicht demokratisch legitimierte Institutionen wie die EU-Kommission mir nichts dir nichts einfach Verfassungsbestimmungen, Gesetze und Kollektivverträge aushebeln können in Südeuropa.

 

Spätestens dann, wenn man sieht, wie diese zwangsverordnete Politik die Staaten in Südeuropa zugrunde richtet, müssen Gewerkschaften aufmerksam werden und werden Gewerkschaften auch aufmerksam. Die Frage ist nämlich: Wie soll das Ganze gut ausgehen und wie soll die Wirtschaft wachsen, wenn Menschen immer weniger haben und wenn Städte und Kommunen gezwungen werden, immer weniger auszugeben? Mit diesem Sparzwang werden notwendige und wichtige Investitionen abgewürgt, und das lehnen wir entschieden ab. (Beifall bei SPÖ und GRÜNEN.)

 

Wer glaubt, dass wir nicht betroffen sind, weil das Ganze nur die südeuropäischen Staaten betrifft und das kann uns egal sein – und dann gibt es daneben Forderungen von Populisten, die überhaupt dafür sind, dass die südeuropäischen Staaten abgekoppelt werden sollen –, der irrt, der irrt vehement! Denn wenn so eine Politik einmal zum System wird, dann ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis die restlichen Mitgliedsstaaten den gleichen Spardiktaten unterworfen werden.

 

Und man sieht bereits jetzt schon: Nicht genug mit dem Spardiktat von Seiten der EU-Troika, von Seiten der konservativen Entscheidungs- und Regierungsvertreter, nein, es gibt gar keine Einsicht zu dieser fehlgeleiteten Politik. Ganz im Gegenteil! Man versucht, diese schädliche Kürzungspolitik, diese Austeritätspolitik, die die Sozialdemokratie vehement ablehnt, nun weiter zu verschärfen, nämlich auf alle Mitgliedsstaaten verpflichtend auszuweiten. Unter dem Deckmantel des sogenannten Wettbewerbspaktes sollen unter Umgehung der einzigen demokratisch legitimierten Institution, nämlich des Europäischen Parlaments, alle EU-Staaten zu sogenannten Strukturreformen verpflichtet werden. Und das ist ein Angriff auf die Pensionen und die Löhne, sehr geehrte Damen und Herren.

 

Und jetzt schließt sich auch der Kreis zum Beginn

 

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