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Gemeinderat, 21. Sitzung vom 29.03.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 30 von 97

 

ausgehen, dass es ab 2013 keine Finanztransaktionssteuer geben wird. (GR Mag Wolfgang Jung: Ob das die Brauner weiß?) StRin Brauner weiß das sicher, davon bin ich überzeugt! Wir brauchen keine Nachhilfe von Ihnen! (GR Mag Wolfgang Jung: Dann hat sie aber keine Durchsetzungsfähigkeit beim Kanzler!)

 

Die Problematik dahinter ist allein der Wegfall der Finanztransaktionssteuer mit einem geschätzten Einnahmenvolumen von 1,5 Milliarden EUR. Das kostet die Stadt Wien bis 2016 100 Millionen. Und da sagt der Bund nicht, das kompensieren wir selbstverständlich! Das verstehe ich auch, denn der Bund hat ja auch nicht mehr Geld, außer er würde Mehreinnahmen schaffen und kreieren. Er hätte dazu die steuerpolitische Kompetenz, die Wien nicht hat. Das sagt der Bund aber nicht, sondern der Bund sagt, wir nehmen das zur Kenntnis. Und es wird auch zur Kenntnis genommen, dass das Wirtschaftswachstum nicht wie noch 2007 und 2008, vor der Krise 2008 prognostiziert, etwa plus 2 Prozent beträgt, sondern, wie es gegenwärtig aussieht, nur 0,9 bis 1 Prozent. Auch das wird zur Kenntnis genommen, ohne dass den Ländern und Gemeinden etwas kompensiert wird.

 

Das zieht aber natürlich massive Einnahmenverluste bei den Ländern und Gemeinden und gleichzeitig höhere Ausgaben nach sich. Wir alle würden uns wünschen, dass wir echte Vollbeschäftigung mit einem hohen Lohnniveau haben, die Wirtschaft gut lebt, die Steuern bezahlt werden und wir kaum irgendwelche Mittel im Bereich Arbeitslosengeld und im Bereich Mindestsicherung aufzuwenden haben, weil es der Gesellschaft gut geht. Das würden wir uns doch hoffentlich alle wünschen!

 

Die Situation ist aber leider umgekehrt! Wenn in Summe das Wirtschaftswachstum gering ist, dann steigt die Anzahl der Menschen, die arbeitslos sind. Das Problem ist – und das zeigt sich in allen Gesellschaften –: In dem Moment, in dem die Arbeitslosigkeit steigt, kommt es zu keinen Reallohngewinnen mehr. Das hängt ursächlich miteinander zusammen, weil hier – traurigerweise, wie ich sage – das Marktprinzip beinhart funktioniert. Wenn viele arbeitslose Menschen zur Verfügung stehen, sinkt in der Regel das Lohnniveau. Wenn wenig arbeitslose Menschen zur Verfügung stehen, weil wir uns im Bereich der Vollbeschäftigung befinden, dann steigt das Lohnniveau.

 

Diesbezüglich besteht auch ein Unterschied zwischen Mikroökonomie und Makroökonomie: Betriebswirtschaftlich mag es für jeden einzelnen Unternehmer durchaus sinnvoll sein, wenn seine eigenen Lohnkosten sinken. Das mag betriebswirtschaftlich für jeden einzelnen Unternehmer sinnvoll sein. Volkswirtschaftlich hat das jedoch katastrophale Auswirkungen. Und genau mit diesem Widerspruch müssen wir leben. (Zwischenruf von GR Dkfm Dr Fritz Aichinger.)

 

Kollege Aichinger! Es wäre manchmal sinnvoll, solche einfachen Zusammenhänge nicht nur zu kennen – ich bin überzeugt davon, dass Sie diese kennen! –, sondern auch für die politische Arbeit zu verwenden. Ich habe es heute schon in der Aktuellen Stunde gesagt: Die Quadratur des Kreises ist ein ungelöstes Problem und wird voraussichtlich auch ungelöst bleiben. Die Welt lebt mit Widersprüchen. Das ist so.

 

Mir wird immer vorgeworfen, ich sei leistungsfeindlich. – Nein! Überhaupt nicht. Ich meine aber, dass Menschen, die eine Leistung erbringen, auch leistungsgerecht bezahlt werden müssen. Die breite Masse der Menschen wird aber nicht leistungsgerecht für die Leistung entlohnt, die sie erbringen. Oder sind Sie der Meinung, dass eine Verkäuferin, die 40 Stunden irgendwo arbeitet und 1 300 EUR brutto verdient, leistungsgerecht entlohnt wird?

 

Oder umgekehrt: Sind wir leistungsgerecht entlohnt? Ich will jetzt überhaupt nicht werten, aber wir wissen genau, dass wir alle unterschiedlich arbeiten: Manche arbeiten ein bisschen mehr, manche arbeiten ein bisschen weniger, manche haben einen Nebenjob neben dem Gemeinderat, manche haben sogar zwei Nebenjobs neben dem Gemeinderatsjob, manche hauptberuflich, manche nebenberuflich. Sind insbesondere diejenigen, die zwei Nebenjobs haben, auch leistungsgerecht bezahlt, so wie die, die Vollzeit arbeiten? – Dieser Leistungsbegriff, mit dem hier gerne argumentiert wird, ist tatsächlich zu hinterfragen.

 

Ich sage: Jede Kindergärtnerin bringt eine super tolle Leistung, jeder Lehrer und jede Lehrerin bringen eine super tolle Leistung im Rahmen seiner beziehungsweise ihrer Möglichkeiten. Seien wir froh, dass es in Wien die MA 48 gibt! Ohne die MA 48 würde es hier möglicherweise aussehen wie zeitweise in Neapel! Erbringen diese Menschen ihre Leistung? Ja. Sind sie leistungsgerecht bezahlt? Nach welcher Definition? – Nach der Definition von Arbeitszeit bestimmt nicht, denn die unterschiedlichsten Menschen arbeiten unterschiedlich viel, und gerade in den höheren Bereichen korrespondiert doch das Einkommen absolut nicht mehr mit der Arbeitszeit!

 

Das heißt, wenn wir über Leistung sprechen: Ja zur Leistung. Ja zur Leistung von Unternehmen. Man sollte auch nicht vergessen, und es ist auch richtig, dass es Wirtschaftsförderungsmaßnahmen gibt und viele Unternehmer auch zur Wirtschaftsagentur kommen können – ob wegen einer Neugründung oder Zwischendurchförderung – und unterstützt werden. Und es geht auch gar nicht darum, die einzelnen Unternehmen mehr zu belasten. Aber es geht darum, sich am Ende des Tages die Gehälter anzusehen, ganz gleich, ob es sich um Einzelunternehmer, Arbeitnehmer, Arbeitnehmerinnen oder Manager handelt. Man muss sich die Gehälter und die daraus entstehenden Vermögen ansehen, um von großen Vermögen einen Beitrag für unsere Gesellschaft heranzuziehen, denn dann können wir auch den Kommunen, den Ländern und der öffentlichen Hand in Summe mehr Geld zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stellen.

 

Das ist notwendig, und ich stehe dazu. Ich will keine Planwirtschaft oder so etwas. Das will ich überhaupt nicht. Das sage ich jetzt, weil immer wieder der Vorwurf des Kommunismus kommt, nur wenn man davon spricht, dass man eine gerechtere Gesellschaft will! Ich will eine öffentliche Hand, die ihren Aufgaben auch wirklich nach

 

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