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Landtag, 27. Sitzung vom 25.09.2013, Wörtliches Protokoll  -  Seite 6 von 63

 

kungsbereiches der Gemeinde, und zwar sowohl auf die hoheitliche Verwaltung als auch auf die Privatwirtschaftsverwaltung der Gemeinde. Es bezieht sich jedoch nicht auf die Tätigkeit ausgegliederter Rechtsträger mit eigener Rechtspersönlichkeit. Zur Wiener Stadtwerke Holding AG (Wiengas, Wienstrom, Wiener Linien, Bestattung Wien, et cetera) besteht keine Möglichkeit, Fragen zu stellen, außer im Unterausschuss des Finanzausschusses. Zur Wien Holding GmbH (Stadthalle, Vereinigte Bühnen Wien, EBS, Wiener Hafen, et cetera), zur Wirtschaftsagentur, zum Fonds Soziales Wien oder zum Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser unter anderem besteht überhaupt kein Fragerecht. Dies obwohl die genannten Unternehmen und Einrichtungen der Stadt Wien eminent bedeutende kommunale Aufgaben wahrnehmen und der Gemeinderat gemäß § 81 WStV die Oberaufsicht über die Geschäftsführung in allen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, und zwar sowohl hinsichtlich der hoheitlichen Verwaltung als auch hinsichtlich der Privatwirtschaftsverwaltung, hat. Ein Aufsichtsrecht ohne Fragerecht sollte nicht länger hingenommen werden. Werden Sie sich daher dafür einsetzen, dass auf Grund einer Reform des Wiener Interpellationsrechtes Anfragen der Gemeinderatsmitglieder zu allen Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde bzw. den Tätigkeiten der kommunalen Daseinsvorsorge, unabhängig von der Organisationsform, in deren Rahmen sie erledigt werden, möglich werden?]

 

Bitte, Herr Landeshauptmann.

 

Lhptm Dr Michael Häupl: Sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter!

 

Einleitend bringe ich den selbstverständlichen Satz: Selbstverständlich befürworte ich größtmögliche Transparenz des Verwaltungshandelns vor allem auch für die Öffentlichkeit und somit für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Wien.

 

Das Interpellationsrecht ist ein Instrument der Kontrolle der Verwaltung. Hinsichtlich der Reichweite des Interpellationsrechtes ergibt sich eine Einschränkung aus dem allgemeinen Grundsatz, dass Kontrolle notwendigerweise mit der Möglichkeit zur Ingerenz verbunden ist. Zweck des Interpellationsrechtes ist somit die Kontrolle der Vollziehung, soweit sie durch die Verwaltungsorgane zu verantworten ist.

 

Diesbezüglich möchte ich auch in Erinnerung rufen, dass der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde bundesverfassungsrechtlich abschließend geregelt ist. Eine Erweiterung des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde durch den Landesgesetzgeber ist nicht möglich. Eine Ausdehnung der Verantwortlichkeit der Gemeindeorgane gegenüber dem Gemeinderat über den eigenen Wirkungsbereich hinaus ist verfassungsrechtlich nicht zulässig.

 

Soweit nun die Aufgabenwahrnehmung durch ausgegliederte Rechtsträger selbständig erfolgt, kann die politische Kontrolle der Interpellation kaum mehr greifen. Es liegt nämlich keine für eine solche Kontrolle erforderliche Verwaltungstätigkeit im Sinne der Bundesverfassung vor, wenn ein selbständiger Rechtsträger in privatrechtlichen Formen handelt. – Soweit die juristische Auskunft.

 

Ich mache nun von der Möglichkeit Gebrauch, Ihnen auch meine persönliche Meinung dazu zu sagen: Fraglos ist seit der Einführung dieses Rechtswerks und dieser Rechtsbestimmungen eine Menge Zeit vergangen, insbesondere auch vor den Hintergrund der entsprechenden Veränderungen im Verwaltungsbereich. Aus meiner Sicht durchaus richtige Veränderungen wie beispielsweise Ausgliederungen, Verselbstständigungen und ähnliche Dinge halten aus meiner Sicht mit diesen Rechtsbestimmungen nicht mehr Schritt.

 

Ich bin der Auffassung, dass hier ein nahezu systemischer Webfehler vorhanden ist, und ich denke daher, dass wir sehr ernsthaft und gemeinsam darüber reden sollten, wie wir dies korrigieren können, und zwar nicht allein wir: Ähnliches trifft natürlich auch auf die Bundesverfassung – ich habe darauf hingewiesen – und auf das Interpellationsrecht auf Ebene des Nationalrats zu. Der Unterschied besteht in der Tat darin, dass Gemeinden andere, auch privatrechtliche Wirkungen im wirtschaftlichen Bereich entfalten als etwa der Bund. Das wird man bei der unterschiedlichen Lösung der Aufgabenstellungen durch die Gemeinden, durch die Bundesländer und durch die Bundesverwaltung berücksichtigen müssen. Aber wenn der gute Wille dazu besteht, kann ich Ihnen unter dem Aspekt, dass man meinen Einleitungssatz tatsächlich ernst nimmt und diesem Rechnung trägt, zusagen, dass ich bereit bin, mich sehr ernsthaft darüber zu unterhalten, wie wir diesen systemischen Webfehler in Zukunft einigermaßen einschränken können.

 

Präsident Prof Harry Kopietz: Danke. Die 1. Zusatzfrage stellt Herr Abg Dr Ulm. – Bitte, Herr Abgeordneter.

 

9.22.15

Abg Dr Wolfgang Ulm (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!

 

Mit der Bezeichnung „systemischer Webfehler“ haben Sie eigentlich sehr viel gesagt, und Sie haben mich mit Ihrer Antwort angenehm überrascht, denn somit sind wir einer Meinung, dass im Lauf der letzten Jahre und Jahrzehnte der Gemeinderat und die Mitglieder des Gemeinderates Kontrollmöglichkeiten verloren haben, was schade ist und was man nicht so belassen kann, weil es dem Geist und dem Wort der Wiener Stadtverfassung widerspricht.

 

Ich darf in diesem Zusammenhang auf zwei Sätze der Wiener Stadtverfassung hinweisen. Nach wie vor heißt es im § 83: „Der Gemeinderat ist befugt, die Geschäftsführung aller Gemeindebetriebe und Gemeindeanstalten zu untersuchen beziehungsweise untersuchen zu lassen, die Vorlage aller einschlägigen Akten, Urkunden, Rechnungen, Schriften und Berichte zu verlangen und sich in einzelnen Fällen von besonderer Wichtigkeit die Genehmigung vorzubehalten.“ Im § 84, in welchem es darum geht, dass dem Gemeinderat besonders die Kontrolle des Gemeindevermögens und des Gemeindegutes anvertraut ist, heißt es: „Der Gemeinderat hat dafür zu sorgen, dass das gesamte erträgnisfähige Vermögen der Gemeinde die tunlichst größte Rente abwirft.“

 

Wie sollen das die Mitglieder des Gemeinderates denn schaffen, wenn Sie nicht einmal ein Fragerecht in

 

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