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Landtag, 28. Sitzung vom 06.04.2005, Wörtliches Protokoll  -  Seite 4 von 10

 

weitgehend zerstört wurde, war eine sehr erfolgreiche Leistung österreichischer Patrioten, an der Spitze Major Carl Szokoll beziehungsweise Oberfeldwebel Ferdinand Käs. Obwohl die Nazis damals schon sehr genau wussten, dass ihre Zeit vorbei war, wüteten sie in den ersten Befreiungstagen noch grauenhaft. So wurden drei bedeutende Personen der Widerstandsbewegung, die österreichischen Patrioten Biedermann, Huth und Raschke verhaftet und auf Masten in Floridsdorf öffentlich gehängt.

 

Am 7. April kam es zum vorletzten großen Naziterrorakt in Wien. Etwa 70 politische Häftlinge aus dem Wiener Landesgericht wurden in einem grauenhaften Fußmarsch, bei dem ein Teil von ihnen mit Ketten gefesselt war, ins Zuchthaus Stein - im wahrsten Sinne des Wortes - getrieben. 386 politische Häftlinge von Stein waren am 6. April bereits in einem Massaker erschossen worden. Die Häftlinge aus Wien erlitten wenige Tage später das gleiche Schicksal.

 

Am 12. April kam es zum letzten unfassbaren Terrorakt der Nazis in Wien. Neun jüdische Mitbürger, die in einem Haus versteckt waren und die Schrecknisse seit Jahren überleben konnten und die nicht erwischt wurden und daher auch nicht deportiert werden konnten, wurden von SS-Leuten in einen Bombentrichter getrieben und umgebracht, erschossen.

 

Am 13. April verließen die letzten deutschen Truppen die Stadt, ihre Wut gegenüber den Wienerinnen und Wienern zeigten sie deutlich, die Stadt wurde grauenhaft beschossen. Es gab aber dennoch die Zeichen des Neuerstehens. Am 15. April gab es die erste Zeitung im befreiten Wien, zugegebenermaßen herausgegeben von der Roten Armee, die so genannte "Österreichische Zeitung". Gleichzeitig fand die Wiedererrichtung des politischen Lebens statt und 21 Bezirksbürgermeister, es galten ja die Stadtgrenzen von 1937, begannen ihre Tätigkeiten. Die Parteien gründeten sich, die Organisationen gründeten sich und die demokratische Stadtverwaltung wurde gebildet. Man ging daran, – im wahrsten Sinne des Wortes – Schutt wegzuräumen und wieder das öffentliche Leben in Schwung zu bringen, besonders problematisch war die Versorgung der Bevölkerung, der Kinder.

 

Immer deutlicher wurde aber in diesen Tagen auch die Schreckensbilanz der siebenjährigen NS-Herrschaft. Nicht nur die Zahlen der Kriegsopfer und Vermissten gaben die Schreckensmeldungen wieder, sondern vor allem die Zahl der gemordeten Wienerinnen und Wiener, weil sie Österreicher und nicht Faschisten waren, erschreckte. Wir dürfen aber all die vielen Zehntausenden Toten, die der so genannten Endlösung, das waren die Wiener Juden, zugeführt wurden, nicht übersehen. Das sind bittere Beweise einer unmenschlichen Zeit, von der sehr sehr viele wussten, es aber nicht wahrhaben wollten.

 

Hohe Festversammlung! Heute sind wir stolz auf den Aufstieg unserer Stadt, unseres Bundeslandes, unserer Republik. Es wäre aber sicher ohne das Zusammenwirken und die Bereitschaft aller politischen Bewegungen in der Geschichte der Zweiten Republik nicht möglich gewesen. Und es steht uns gut an, nicht nur in Dankbarkeit der Opfer zu gedenken, sondern auch jenen Frauen und Männern zu danken, die die ersten Aufbauleistungen gemacht haben.

 

Ich darf heute auch auf die erste Sitzung des Wiener Landtages in der Zweiten Republik im Dezember 1945 erinnern. Eröffnet wurde diese Sitzung damals durch den Abg Leopold Kunschak, der als ältester Abgeordneter entsprechend den Bestimmungen diese Funktion wahrnahm. Damals wurde Abg Dr Johann Neubauer zum Ersten Präsidenten des Landtages gewählt. Es ist bezeichnend, er war auch der letzte Präsident des frei gewählten Wiener Landtages vor 1938. In der ersten Rede nach der Wahl erinnerte er an die Verbrechen vor 1945 und in der gleichen Sitzung wurde aber auch der früheren Abgeordneten gedacht, die nicht mehr teilnehmen konnten, weil sie Opfer waren, weil sie umgebracht wurden.

 

Lassen Sie mich, bevor ich diese Eröffnungsrede beende, noch etwas mir sehr Wichtiges, Persönliches feststellen. Wir haben manches aus der Zeit ohne Gnade in diesen sechs Jahrzehnten aufgearbeitet. Das ist gut so. Es gibt aber noch immer, und wir sollen das nicht verschweigen, manches in offenen Bereichen, die wir noch nicht aufgearbeitet haben, weil wir es entweder nicht wahr haben wollen oder nicht mutig genug sind, dies zu tun. Das ist schlecht, das sollten wir ändern, raschest. Zur wahren Geschichte eines Landes und eines Volkes gehört auch die Kraft zur Ehrlichkeit und an der werden wir gemessen. Wenn wir in dieser Zeit unser Österreich als Opfer darstellen, so hat es seine Richtigkeit. Aber verschweigen wir nicht, auch in diesem Österreich gab es viele überzeugte Täter. Dies zu verschweigen oder zu verniedlichen, wäre unwürdig. Faschismus zu verhindern, heißt meiner Meinung nach korrekter Umgang mit der Geschichte und den Tatsachen. Bleiben wir ganz einfach auch in Zukunft dabei. Trotz aller politischer Unterschiedlichkeiten gibt es vieles, für das wir gemeinsam stehen. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, nie wieder totalitäre Systeme – alles für Freiheit und Demokratie, für unsere Wienerinnen und Wiener, vor allem für unsere kommenden Generationen. Ich danke Ihnen. (Allgemeiner Beifall.)

 

(Streichquartett von Erwin Schulhoff wird gespielt.)

 

(Allgemeiner Beifall.)

 

Ich darf nun die Frau Präsidentin Dkfm Dr Maria Schaumayer bitten, zur Festansprache das Wort zu ergreifen.

 

Präsidentin Dkfm Dr Maria Schaumayer: Herr Präsident, ich danke für die Erteilung des Wortes.

 

Herr Bundespräsident! Herr Landeshauptmann! Werte Mitglieder der Landesregierung! Hohe Fest- und Ehrengäste! Liebe ehemalige und heutige Kolleginnen und Kollegen dieses Hohen Landtages!

 

Ich danke für die Auszeichnung, dass ich als Ehrenbürgerin dieser Stadt und als ehemaliges Mitglied der Wiener Landesregierung bei dieser Festsitzung des Wiener Landtages das Wort ergreifen darf.

 

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