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Landtag, 14. Sitzung vom 24.04.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 28 von 83

 

sowie Dänemarks, Irlands und der Niederlande, Wachstum, Innovation und neue Arbeitsplätze und damit soziale Sicherheit zu schaffen, weitgehend mit der Qualität des sozialen Dialogs im Wandel zusammenhängt, die ein solches System bietet. Nicht von ungefähr, so denke ich, haben gegenwärtig zwei Proponenten des österreichischen sozialen Dialogs Spitzenfunktionen auf europäischer Ebene: Der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich ist gegenwärtig auch Präsident von Eurochambres, der Vereinigung der europäischen Industrie- und Handelskammern, und der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes ist bereits seit längerer Zeit auch Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes.

 

Meine Damen und Herren! Europa hat aus seiner Geschichte eine spezielle Verantwortung, sein Gesellschaftsmodell weiterzuentwickeln, es an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit seinen neuen Arbeitsverhältnissen, die mit den technologischen Entwicklungen einhergehen, anzupassen. Europa hat aber vor allem die Verantwortung, sein Gesellschaftsmodell und seine grundlegenden Ideen und Prinzipien in der öffentlichen globalen Debatte zu positionieren.

 

Der Europäische Rat von Lissabon im März 2000 hat der Europäischen Union das Ziel gesetzt, dass sich die Union innerhalb der folgenden zehn Jahre zum wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum entwickeln soll, der gleichzeitig fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen. Damit wurde erstmals eine umfassende und kohärente Gesamtstrategie für die Entwicklung des originär europäischen Modells entwickelt, das den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs ebenso gerecht werden soll wie den Herausforderungen einer wissensbasierten Gesellschaft und das gleichzeitig die Sicherung der Sozial- und Transfersysteme auf hohem Niveau ermöglicht. Bedauerlich ist, dass besonders der zweite Aspekt dieser so genannten Lissabon-Strategie in der öffentlichen Debatte vernachlässigt wird.

 

Europas Chance und Herausforderung, sich als "Global Player" zu positionieren, liegt darin zu zeigen, dass es möglich ist, Wirtschafts- und Sozialpolitik zu integrieren, sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen zu erreichen. Dies ist zweifelsohne eine große Herausforderung angesichts des vorherrschenden Zeitgeists und dies macht gleichzeitig die Attraktivität des europäischen Gesellschaftsmodells aus - nicht zuletzt auch in den Vereinigten Staaten.

 

Die Attraktivität des europäischen Gesellschaftsmodells, des europäischen Einigungswerks liegt somit sowohl in der Schaffung und Aufrechterhaltung des Friedens zwischen Staaten als auch in der inneren Friedenssicherung durch sozialen Zusammenhalt. Will die Europäische Union global einen Unterschied machen, so ist es daher höchst an der Zeit, auch die Schaffung einer Sozialunion und damit die Europäisierung der sozialen Sicherheit vorzunehmen. Dies ist auch ein Anliegen, das von Wien in den laufenden Diskussionen zur Schaffung einer europäischen Verfassung zu unterstützen ist und unterstützt wird. Die Diskussionen im EU-Konvent zeigen bisher, dass weitgehend Konsens darüber besteht, neben der Wirtschafts- und Währungsunion auch das Ziel der Verwirklichung einer Sozialunion in die künftige europäische Verfassung aufzunehmen. Und auch der Jungendkonvent hat im Juli 2002 sehr deutlich gemacht, dass den jüngeren Menschen, den Jugendlichen in Europa die soziale Dimension besonders am Herzen liegt, sowohl in Europa, aber vor allem auch im Prozess der so genannten Globalisierung.

 

Die Formierung der Zivilgesellschaft in Europa und der Widerstand und das Unbehagen der Bürgerinnen und Bürger Europas gegen eine schrankenlose, einzig an Gewinnmaximierung orientierte Liberalisierung ohne Berücksichtigung sozialer und ökologischer Faktoren legt den Schluss nahe, dass die Zukunft der sozialen Entwicklung in Europa ausgetragen wird. Viel steht dabei auf dem Spiel, denn ich fürchte, dass wir Europäer und Europäerinnen vielfach noch nicht realisiert haben, dass sich Europa hier in einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die künftige Ausrichtung der europäischen Gesellschaft befindet. Viele politische Entscheidungsträger in Europa haben die neoliberalen Dogmen nahezu widerspruchslos übernommen und sind dabei, die eigenen Prinzipien - allen voran jene des sozialen Ausgleichs, der sozialen Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts - aufzugeben.

 

Darüber hinaus, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es wichtig, auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik neuerlich ernsthaft anzugehen, wie dies auch eine Mehrheit der europäischen Bevölkerung wünscht, auch wenn dies im Gefolge des Ringens um eine europäische Haltung zum Irak-Krieg deutlich schwieriger geworden ist. Österreich hat dabei seine Haltung an der Seite des europäischen Friedensmodells zu betonen. Die Herausforderung für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik besteht dabei allerdings nicht nur in der Überwindung nationalstaatlicher Interessen, sondern vor allem auch darin, auf die Konstruktion von Feindbildern zu verzichten und stattdessen Konflikte durch Prävention und Kooperation zu minimieren, wie dies etwa in den Petersberger Aufgaben enthalten ist. Die Übernahme der Friedensmission in Mazedonien vor wenigen Tagen ist in diesem Zusammenhang für die Union ein kleiner, aber wichtiger erster historischer Schritt.

 

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung zur Erweiterung machen; vor wenigen Tagen wurden ja feierlich die Beitrittsverträge in Athen symbolhaft auf der Akropolis unterzeichnet. Ich möchte dabei nicht noch einmal auf die Chancen, die sich für Wien und für Österreich daraus ergeben, hinweisen - davon zu sprechen, dafür war schon mehrfach Gelegenheit, auch an diesem Ort. Hervorheben möchte ich jedoch kurz unsere Bemühungen, gemeinsam mit Niederösterreich und dem Burgenland

 

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