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Gemeinderat, 25. Sitzung vom 28.06.2022, Wörtliches Protokoll  -  Seite 61 von 106

 

Ich war gerade letzte Woche mit dem Nachtzug in Paris. Und hier wird oft gesagt: Die dort sind ja viel weiter hinten. - Ja. Paris hat noch sehr viel Luft nach oben. Was dort aber wirklich beeindruckend ist und was man dort spüren kann, ist der Wille zur Veränderung, der Wille, die großen Hebel zu bedienen und die Stadt rasch und von der Geschwindigkeit her so, wie es notwendig ist, anzupassen. An vielen Ecken sieht man dort alte Pop-up-Radwege, wie Sie sie verteufelt haben, die jetzt zu ordentlichen Radwegen umgebaut wurden. Die Bürgermeisterin ist dort mit dem Versprechen angetreten, Parkplätze rückzubauen und zum Gehen, zum Radfahren und vor allem für Begrünung umzunutzen. Bei Straßen wird wirklich umverteilt. Das ist genau das, was wir fordern. Da ist eine Autospur, dort kommt ein Fahrbahnteiler hin, und plötzlich ist es ein Radweg. Das geht schnell, kostet wenig und bringt schnell viele Kilometer sichere Radwege. Oder auch in Erinnerung an ein grünes Projekt, Brunner Straße, sage ich nur: Straße raus, Park rein. - Auch das passiert in Paris, und in diesem Zusammenhang fehlen mir leider Gottes momentan in Wien die Geschwindigkeit und der Mut. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Was haben wir hier in Wien erleben müssen? - Ich nenne nur ganz kurz die Highlights beziehungsweise aus unserer Sicht eigentlich die Lowlights. 2021 war das Jahr des Feldzugs der Stadträtin gegen KlimaschützerInnen, aber auch gegen die Klimaschutzministerin sowie gegen Minderjährige, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, Bürgerinitiativen und NGOs. All jene wurden mit Klagsdrohungen belegt. Man hatte einige Zeit den Eindruck, dass sich die Frau Stadträtin mehr mit der Realisierung des Lobau-Tunnels und der Stadtautobahn beschäftigt als mit der Mobilitätswende in dieser Stadt.

 

Sie haben die Reform des Parkpickerls abgesagt und stattdessen ein 30 Jahre altes Modell auf alle Bezirke ausgedehnt. Sie haben den Umbau der Praterstraße zuerst gestoppt und dann zurückgestutzt. Sie haben das Zu-Fuß-Grätzl beim Ikea abgesagt und dann verschoben. Sie haben die Verkehrsberuhigung in der Märzstraße verhindert. Dort ist ein Hot Spot vor allem für Rennmotorräder, und der Bezirksvorsteher - Ihr eigener Parteifreund - wollte hier konsequent verkehrsberuhigen. Doch es kam ein „Njet!“ aus dem Büro der Stadträtin.

 

Mit der erfolgsreichsten BürgerInneninitiative für nachhaltige Mobilität, die diese Stadt jemals gesehen hat, sind Sie ähnlich verfahren. Bei dieser BürgerInneninitiative wurden mehr Unterschriften gesammelt, als der kleinere Koalitionspartner NEOS bei der Wahl erreicht hat. Sie haben das im Petitionsausschuss verräumt. Zuerst hat es keine Antwort gegeben, dann kam eine Copy-paste-Antwort aus den Bezirken. Und zuletzt gab es die Empfehlung aus dem Petitionsausschuss, der gestern hier mit so großen Worten gelobt wurde: Weiter wie bisher!

 

41 km Radwege pro Jahr haben Sie versprochen. Ich habe es schon gesagt. 5 oder 8 km sind es dieses Jahr, und letztes Jahr haben Sie nicht einmal ein Achtel Ihrer Versprechungen auf die Straße gebracht. Beim Radwegebudget sehe ich leider Gottes ein „race to the bottom“. Vielleicht kann das ein Vertreter der Koalition aufklären: Dieses wird nämlich immer kleiner. Zuerst sprechen Sie von einer Vervierfachung, dann von einem Plus auf 26 Millionen, und in jüngsten Aussagen sind es überhaupt nur noch 20 Millionen. Wenn die Schrumpfung in dieser Geschwindigkeit weitergeht, dann bleibt von dem „Offensivchen“ bald gar nichts mehr übrig.

 

Etwas sei noch dazugesagt. Expertinnen und Experten rechnen, dass es, um Ihre eigenen Versprechungen und die Ziele der Stadt Wien, die in diesem Haus von diesem Gremium beschlossen wurden, zu erreichen, 60 Millionen bräuchte. Und wir gehen auf der Streichtour einen Schritt weiter: Sie haben Tempo 30 in der Innenstadt, also innerhalb des Gürtels, abgesagt, es wurde aber auch der Abbiegeassistent gestoppt. Man hat den Eindruck, wenn man die Medien verfolgt, dass man sich von der „Vision Zero: Null Verkehrstote“, die diese Stadt seit der Jahrtausendwende verfolgt, offenbar verabschiedet hat, weil in dieser Stadt ein Verkehrssicherheitsprojekt nach dem anderen zurückgestutzt wird.

 

Zum Thema Transparenz und BürgerInnenbeteiligung: Die Superblock-Studie zum Supergrätzl Volkertviertel wurde in die Schublade gelegt. Stattdessen hat man jetzt mit zwei Jahren Verspätung mit dem Supergrätzl im Zehnten angefangen. Ich habe mir das ein bisschen angeschaut. Dort gibt es wirklich noch sehr viel zum Nachbessern in Sachen Attraktivität, Begrünung und Verkehrsberuhigung. Aber Sie haben ja noch die Chance nachzulegen, und dazu wünsche ich auf jeden Fall viel Erfolg!

 

Aber auch für das Zufußgehen haben Sie leider wenig übrig. Vielleicht haben Sie sich das angesehen. Teil dieses Rechnungsabschlusses ist auch eine Flächenbilanz, und das ist Teil des Gender Budgetings. Warum? - Weil vor allem Frauen mehr zu Fuß gehen. Man kann die Zahlen zwar nicht ganz vergleichen, aber man stellt auch hier einen Rückbau bei den Gehwegen fest, und zwar nicht nur in der Gesamtstatistik, sondern auch, wenn man sich die einzelnen Projekte anschaut. Auch meine Vorrednerin hat sie aufgezählt, etwa Wagramer Straße, Linke Wienzeile oder auch Projekte im 4. und 5. Bezirk, Projekte, wo zu Gunsten anderer Verkehrsträger Gehwege rückgebaut oder überhaupt gestrichen werden. - Wenn also 2021 die Zahl der Gehwege insgesamt abgenommen und der Verkehrsflächen zugenommen hat, dann ist ganz einfach evident, dass wir auf dem falschen Weg sind. (Beifall bei den GRÜNEN.) Danke.

 

Was brauchen wir stattdessen? - Ganz klar: Ein Hinaus aus dem alten Denken und ein Umdenken, einen Stopp der autogerechten Stadt und konsequente Schritte zur menschengerechten Stadt. Nicht nur für das Klima, sondern auch aus sozialer Perspektive, aus Frauenperspektive, aus der Perspektive von Barrierefreiheit und aus der Perspektive von älteren Menschen braucht es diese Verkehrswende. Es geht um mehr Platz für Menschen und um weniger Platz für den motorisierten Individualverkehr. Und wir brauchen mehr Bäume, Bäume, Bäume. 42 Prozent der Emissionen in dieser Stadt kommen immer noch aus dem Verkehr, und dieser Anteil steigt immer noch. Das heißt, wir müssen hier ganz rasch die Trendwende einleiten. Insofern werden wir

 

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