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Gemeinderat, 3. Sitzung vom 16.12.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 85 von 101

 

Vorsitzende GRin Dipl.-Ing. Elisabeth Olischar, BSc: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau GRin Mag. Berner. Ich erteile Ihnen das Wort.

 

18.26.39

GRin Mag. Ursula Berner, MA (GRÜNE)|: Zum Thema Harmonie: Mir ist es schon wichtig, noch etwas zum Amerlinghaus zu sagen, deshalb stelle ich das meiner Rede voraus, obwohl ich eigentlich zur außerschulischen Jugendarbeit reden wollte.

 

Liebe Frau Hungerländer, ich weiß jetzt gar nicht, ob Sie da sind - ich sehe sie gerade nicht, aber vielleicht hört sie es ja trotzdem -: Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, dass das Amerlinghaus ganz viele Gesichter hat. Im Moment sind dort 80 Vereine tätig, das heißt, Sie haben viele Chancen, ganz unterschiedliche Leute im Amerlinghaus zu treffen. Sie alle treffen sich, viele verschiedene Leute reden dort miteinander, es ist ein Ort, wo Fremde einander kennen lernen können und wo man auch als Mensch, der nicht im Verein organisiert ist, im Hof einen gemütlichen Kaffee trinken kann.

 

Probieren Sie es einmal aus, es ist gar nicht so schlimm, dort zu sein. Außerdem möchte ich Sie daran erinnern, dass das Amerlinghaus übrigens einer der frühen Orte der sozusagen außerschulischen Jugendarbeit war, weil junge Menschen das Amerlinghaus besetzt haben und dann in einem damals sehr heruntergekommenen 7. Bezirk - das Spittelberg-Gelände war damals ein nur von geringverdienenden Arbeitern bewohntes Gebiet - mit den Jugendlichen vor Ort gearbeitet haben.

 

Nicht nur, es gab auch Fraueninitiativen und es gab auch andere Dinge, aber das war ganz basale Jugendarbeit in den Siebzigern, als das Amerlinghaus entstanden ist - nur damit Sie ungefähr wissen, warum das alles zum Thema gehört.

 

Ich möchte Ihnen auch noch dazusagen, dass ich einige Jahre lang ehrenamtliche Direktorin des Bezirksmuseums Neubau war und das ist auch im Amerlinghaus. Dort hat mich einmal eine Frau angerufen, weil man das Bezirksmuseum nicht so einfach findet, das ist in den Pawlatschen im 1. Stock und man weiß nie genau, wie man hinkommt.

 

Viele Leute rufen an, unter anderem auch diese Frau, die gesagt hat, ah, ihr seid im Amerlinghaus, das kenne ich ja gut, denn das war meine erste Anlaufstelle in Wien. Aha, sage ich, weil die Frauenintegration, das war der Ort, wo die ersten Deutschkurse angeboten worden sind, und zwar waren die so innovativ, dass sie schon in den Neunzigern Deutschkurse mit Kinderbetreuung angeboten haben. Das machen sie bis heute, und deshalb ist es gut, dass wir diesen Antrag heute auf der Tagesordnung haben und dass wir sie auch weiter unterstützen.

 

Nach wie vor haben sie nämlich die Rahmenbedingung zur Verfügung gestellt, damit Mütter, Großmütter, große Schwestern in der Lage sind, überhaupt Deutsch zu lernen. Integration beginnt nämlich dort, dass man die richtigen Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt, nicht, dass man Sozialleistungen kürzt, um Leute zu zwingen, Deutsch zu lernen, sondern dass sie Rahmenbedingungen haben, um sich der Sprache überhaupt annähern zu können.

 

Das macht der Verein Frauenintegration bis heute, und ich finde, da können wir stolz darauf sein, dass wir so einen tollen Verein seit über 20 Jahren betreuen. Eigentlich geht es aber jetzt auch um Jugendarbeit. Dort sind nicht nur junge Frauen bei der Frauenintegration, mir geht es besonders um Jugendarbeit und Corona.

 

Eine Betreuerin, die mit Jugendlichen arbeitet, sagt mir, im ersten Lockdown haben die Jugendlichen noch eine schwarze Wand vor sich gesehen, aber mittlerweile im zweiten Lockdown berichten sie, es ist einfach nur noch ein Nichts da. Sie sehen nichts, sie sehen keine Perspektive, keine Zukunft, sie wissen einfach nicht mehr, wohin sie sollen.

 

Das ist ein dramatischer Befund, und ich sage noch etwas: Diese Einschätzung kommt nicht von einzelnen Personen, die mit Jugendlichen sprechen, sondern auch die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit kommt zu einer ähnlichen Conclusio, dass nämlich die aktuelle Gesundheitskrise für viele Kinder und Jugendliche eine große psychische Belastung ist.

 

Die Ergebnisse der im Ligabericht präsentierten Umfrage aus dem ersten Lockdown zeigen, dass Jugendliche und Kinder vor allem unter Kontaktbeschränkungen leiden, dass sie über mehrere Wochen keinen direkten Austausch mit ihrer sozialen Gruppe, mit ihren Peers haben, aber auch nicht mit Großeltern und Freunden. Insbesonders Kinder aus bildungsärmeren Schichten verlieren nicht nur den schulischen Anschluss, Jugendliche erhalten schwerer Lehrstellen, Gewalt in Familien und psychische Probleme sind deutlich angestiegen, und fast alle medizinischen und therapeutischen Angebote vor allem für Kinder mit Beeinträchtigungen waren über Monate schwer zugänglich, wichtige Therapiefenster blieben ungenützt.

 

Das alles haben wir in Wien erlebt, und gerade in diesem Fall ist die außerschulische Jugendarbeit ein wesentlicher Faktor, ein wesentlicher Ansprechpartner, der außerhalb von Familie und außerhalb der Schule ist, also ein sicherer Ort, wo man sich hinwenden kann. Schon ohne Lockdown sind Jugendzentren und Vereine sichere Orte, um sich auszutauschen, um sich Hilfe zu holen oder sich auch mit Wünschen und Ängsten dort hinzuwenden.

 

Jetzt, nach dem ersten Lockdown, waren das noch wichtigere Orte. Trotzdem haben wir aus den Berichten der Vereine erfahren, dass leider 40 Prozent der Jugendlichen, die sich sonst dort melden, die sich sonst dort aufhalten, über die Online-Zugänge, die es gegeben hat, nicht mehr erreicht werden konnten. Die Vereine haben sich sehr bemüht, aber die Kinder und Jugendliche konnten den Kontakt aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht halten. Daran müssen wir in der Zukunft arbeiten. Es braucht in der Zukunft mehr Streetwork und mehr aufsuchende Arbeit.

 

Wir werden davon ausgehen, dass im Frühjahr wohl auch ein Lockdown sein wird oder zumindest schwierige Einschränkungen. Wir werden das nicht so schnell überstehen, deshalb ist es wichtig, jetzt schon die Grundlage zu schaffen, dass aufsuchende Arbeit weiter möglich ist, dass diese sicheren Orte, die die Jugendzentren bieten,

 

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