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Gemeinderat, 39. Sitzung vom 27.06.2018, Wörtliches Protokoll  -  Seite 64 von 85

 

die jugendliche Asylwerbende hier ergreifen können. Was ist die Voraussetzung dafür? Die Voraussetzung ist, dass man einen Ausbildungsbetrieb braucht. Dieser Ausbildungsbetrieb geht dann zum AMS für AusländerInnenbeschäftigung, und dort muss das einmal bewilligt werden.

 

Österreichweit sind derzeit an die 800 Betriebe dazu bereit - beziehungsweise 800 Jugendliche, wahrscheinlich sind es ein bisschen weniger Betriebe -, weil sie, und das ist jetzt ganz essenziell, einen Lehrlingsmangel haben. Das ist natürlich in Wien ein bisschen anders, aber trotzdem, Betriebe suchen händeringend nach Lehrlingen. (Ruf bei der FPÖ: Warum ist das so?) Die Wirtschaft schreit, ich höre es hier immer wieder: „Wir haben einen Fachkräftemangel!“ Also da kommen zwei Seiten auf wunderbare Weise zusammen: Auf der einen Seite die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Fachkräfte brauchen, und auf der anderen Seite Jugendliche, die eine Perspektive wollen, die eine Ausbildung wollen und die das auch machen wollen. Es ist ja nicht so, dass sie irgendwem etwas wegnehmen. Nein, hier gibt es etwas, das hervorragend zusammenpasst.

 

Jetzt droht österreichweit einem Drittel der asylwerbenden Lehrlinge ein negativer Asylbescheid. In Wien, stimmt, haben wir deutlich weniger, aber auch über diesen knapp 50 Jugendlichen und über deren Betrieben hängt permanent das Damoklesschwert, dass es von heute auf morgen aus ist. Nun können Sie sich vorstellen, was das für einen Jugendlichen bedeutet und was das für einen Betrieb bedeutet. Der Betrieb geht ja ein Risiko ein. Da wird ein Ausbildungsvertrag geschlossen, da wird investiert.

 

Die Johannes Kepler Universität hat das errechnet - wie hoch die Kosten sind beziehungsweise wie hoch der Nutzen ist, wenn ein jugendlicher Asylwerber/eine jugendliche Asylwerberin eine Lehrstelle macht beziehungsweise nicht machen kann. Was glauben Sie, wie hoch die Kosten sind? Der volkswirtschaftliche wie betriebswirtschaftliche Nutzen betragen 100.000 EUR pro Auszubildenden. Entweder man nimmt das Geld oder man verliert es. Es gebietet also nicht nur die Menschlichkeit, es gebietet auch die Wirtschaftlichkeit. Jetzt schaue ich ganz besonders auf die Seite der ÖVP, die sich ja hier ... (GR Dr. Kurt Stürzenbecher: Seit wann hat die ÖVP etwas mit Wirtschaft zu tun? - Heiterkeit der Rednerin.) Sie haben vollkommen recht, Herr Kollege. (Ruf bei der ÖVP: Da redet gerade der Richtige! - Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ich soll diese Mär gar nicht nähren.

 

Also, es gebieten die Menschlichkeit, die Wirtschaftlichkeit, die Sicherheit, die Vernunft (GR Armin Blind: Die Gerechtigkeit!), die Gerechtigkeit, danke für dieses wichtige Stichwort, dass hier sowohl den Lehrherren und Lehrfrauen wie auch den Lehrlingen eine Ausbildungssicherheit gewährleistet wird. Es gebietet auch die Vernunft, dass man sagt: Wenn die Ausbildung dann fertig ist, gibt es zwei Jahre Berufserfahrung, und dann schaut man, wie das Asylverfahren weitergeht. (Zwischenrufe bei FPÖ und ÖVP.) Denn im Gegensatz zu dem, was Frau Schwarz gemeint hat oder was hier im Raum steht, wird nach dem deutschen Modell das Asylverfahren nicht unterbrochen, es wird nur einmal gehemmt. (GR Armin Blind: Na dann!) Und wie es dann weitergeht, hängt natürlich davon ab. Aber auch Jugendliche, die mit einer fertigen Ausbildung in ihre Heimat, in ihr Ursprungsland rückkehren müssen auf Grund eines negativen Bescheides, haben dort deutlich besser Aussichten als ohne. Also wenn dem jemand nicht zustimmen kann, dann weiß ich wirklich nicht, in welcher Welt er lebt. Es ist also eine grundvernünftige Maßnahme, um einem Problem zu begegnen, über das die Wirtschaft klagt.

 

Sehr geehrte Damen und Herren von ÖVP und FPÖ, Sie hören ja auch sonst, etwa beim Thema 12-Stunden-Tag, gerne auf die Wirtschaftskammer und auf die Industriellenvereinigung. Genau diese zwei Arbeitgeberseiten unterstützen dieses Modell, die wollen das. Hören Sie bitte auch in diesem Fall auf sie! Aber auch ganz, ganz viele andere Menschen aus den Bereichen Politik, Kunst und Kultur, viele, viele andere Menschen erachten das für sinnvoll. Auch viele Gemeinden, Bezirke und andere Landtage halten es mittlerweile für sehr sinnvoll, dass da auf Bundesebene endlich eine sinnvolle Lösung geschaffen wird. Und was in diesem Fall sinnvoll wäre, haben wir in Deutschland gesehen: das 3+2-Modell. In diesem Rahmen können Jugendliche ihre Ausbildung fertig machen, und der Ausbildungsbetrieb kann sich sicher sein, dass dieses Geld, das da in die Jugend investiert wird, gut angelegt ist, weil er dann eine Fachfrau, einen Fachmann mit im Betrieb hat und hier für den Wirtschaftsstandort Österreich beziehungsweise für den Wirtschaftsstandort Wien - ich verwende einmal dieses Wording - etwas sehr Sinnvolles tun kann.

 

Dementsprechend haben wir auch von Wiener Seite einen gemeinsamen Antrag von Rot, Grün und NEOS - danke, NEOS - formuliert, der sich hier an die Bundesregierung richtet, dass Jugendlichen, die eine Lehre in einem Mangellehrberuf absolvieren, eine Ausbildungssicherheit geboten wird, dass für die Ausbildungsbetriebe eine Sicherheit geschaffen wird und generell für alle, damit eine integrationspolitisch sinnvolle Perspektive geschaffen wird. Wir können nicht zulassen, sehr geehrte Damen und Herren, dass dieses sinnvolle Modell Lehrmöglichkeit in einem Mangellehrberuf - mir persönlich wäre es lieber, wenn das in jedem Lehrberuf möglich wäre, aber sei’s drum -, in diesen 38 Mangellehrberufen in Gefahr ist! Und es ist derzeit in Gefahr. Wie gesagt, ein Drittel der Lehrlinge von den 800 sind davon bedroht, abgeschoben zu werden. Das ist für 800 Unternehmen de facto eine ziemlich ungute und risikoreiche Situation.

 

Ich appelliere daher an Sie in der ÖVP und der FPÖ, dass Sie mit Ihren Kolleginnen auf Bundesebene noch einmal darüber nachdenken, ob auf dieser Ebene nicht eine wirklich sinnvolle integrationspolitische Maßnahme geschaffen werden kann. Es ist einfach sinnvoll, denn die Lehrlinge lernen die Sprache, sie haben Freunde im Betrieb, sie lernen, wie es hier geht, all das, was, wie Sie immer sagen, Integration ausmacht. (GR Ing. Udo Guggenbichler, MSc: Ja, aber was hat das mit dem zu tun? Sie vermischen da!) Es wäre wirklich zu schade, dieses Modell zu gefährden.

 

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