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Gemeinderat, 44. Sitzung vom 25.10.2013, Wörtliches Protokoll  -  Seite 26 von 63

 

hat.

 

Nach dem Übergang von der Monarchie zur Ersten Republik wurden nationale Sprachen definiert und Minderheitssprachen definiert. Das war eine der wichtigsten Etappen für die Sprachpolitik in Österreich. Eine weitere wichtige Etappe war die NS-Zeit und die Auseinandersetzung aus der Perspektive, welche Sprachpolitik in der NS-Zeit geherrscht hat und welche Sprachenvielfalt in der NS-Zeit verloren gegangen ist. Auch das ist aus der heutigen Perspektive sehr wichtig. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Entwicklung der Sprachpolitik in der Zweiten Republik und nicht zuletzt auch die Entwicklungen auf Grund des EU-Beitritts Österreichs. Auch in diesem Zusammenhang gab es sprachliche Veränderungen.

 

In der aktuellen Situation in Österreich haben 8,6 Prozent der hier lebenden Menschen eine andere Muttersprache als die deutsche Sprache, und in Wien haben 56 Prozent der Kinder und Jugendlichen eine andere Erstsprache beziehungsweise Muttersprache als die deutsche Sprache. – Eine entsprechende historische Aufarbeitung der Geschichte ist wegweisend für die Zukunft, ebenso auch eine Beschäftigung damit, wie wir mit dieser Vielfalt innerhalb Europas beziehungsweise innerhalb unserer Gesellschaft umgehen werden. Die Mehrsprachigkeitsdebatte ist eine Debatte, die von sehr vielen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen geführt wird, die auch Eingang in den Forschungskindergarten gefunden hat, der zwischen 2009 und 2011 im 15. Bezirk betrieben wurde. Die entsprechenden Empfehlungen sind durchaus wegweisend.

 

Von wem sprechen wir, wenn wir von Mehrsprachigkeit sprechen? – Es geht dabei nicht nur um Zuwanderer und Zuwanderinnen, die mit unterschiedlichen Sprachen nach Österreich kommen. Nein! Vielmehr ist das eine Frage, von der über 500 Millionen Europäer und Europäerinnen betroffen sind. Auch in den Nationalstaaten wird darauf geachtet, dass trotz EU-Mitgliedschaft in den jeweiligen Prozessen der Mobilität die Muttersprachen der eigenen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen nicht verloren gehen. Zum Beispiel hat die deutsche Regierung in Zusammenarbeit mit der deutschen Botschaft in Slowenien bewirkt, dass gemeinsam mit den Leuten, die nach Slowenien der Arbeit wegen ausgewandert sind, auch ein Verein errichtet wird, wo die Muttersprache beziehungsweise Erstsprache genützt wird.

 

Die Komplexität der globalen Entwicklung beziehungsweise der Europäischen Union macht es nötig, dass die Gleichwertigkeit der Sprachen gewährleistet wird. Im Bewusstsein dessen hat die Europäische Union in der Charta der Grundrechte die Nichtdiskriminierung aller Sprachen beschlossen. In dieser Charta der Grundrechte ist festgehalten, dass innerhalb der Europäischen Union keine einzige Sprache, inklusive der deutschen Sprache in den anderen Ländern, diskriminiert werden darf.

 

Was aber geschieht mit den Sprachen, die nicht als autochthone Sprachen beziehungsweise als offizielle Minderheitensprachen anerkannt sind? – In Österreich sprechen sehr viele Menschen Türkisch oder BKS oder ähnliche Sprachen. Was tun wir mit den Potenzialen dieser Kinder? Was bedeutet es für ein Kind, mit einer anderen Muttersprache aufzuwachsen als jener, die in der normalen Gesellschaft die Umgangssprache beziehungsweise Amtssprache ist?

 

Ich glaube, eine zukunftsweisende Sprachpolitik muss sich diesen Fragen und dieser Herausforderung stellen, und das bedeutet unter anderem eine historische Auseinandersetzung damit, Frau Anger-Koch! Und das, was die „Initiative Minderheiten“ mit diesem Projekt aufstellen will, beinhaltet eine Arbeit von sechs Monaten, bei der eine fundierte, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema angestrebt wird. Daher meine ich, dass 18 000 EUR dafür nicht ausreichend sind. Man hat dort penibel gerechnet und auf den Cent genau ausgerechnet, wofür die Gelder jeweils ausgegeben werden, und ich glaube, dass das ein sehr wichtiges Projekt ist, das unsere Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung verlangt.

 

Zur Mehrsprachigkeit: Frau Anger-Koch! Sie haben aus dem Integrationsbericht zitiert. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang auch aus dem Integrationsbericht zitieren. – Hier ist davon die Rede, dass auch der Staatssekretär und sein Beraterteam erkannt haben, dass die Mehrsprachigkeit nicht der deutschen Sprache gegenübergestellt werden kann. Sie halten fest: „Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit gelten als Priorität und notwendige Voraussetzung für alle in Österreich lebenden Menschen. Ein wichtiges Fundament hierzu stellt die Sprache dar, die Zugang zu Bildung ermöglicht. Daher ist besonders der Erwerb der deutschen Sprache, wie auch die – eventuell schon – mitgebrachte Mehrsprachigkeit derart zu fördern, dass Ausbildungen erfolgreich absolviert werden können. Dieses Ziel gilt für alle Altersgruppen sowie unterschiedliche gesellschaftliche und soziale Schichten.“

 

Dieses Projekt der Initiative Minderheiten wirft auch aus dieser Perspektive einen Blick auf die Geschichte. Es wird hinterfragt: Gibt es eine Sprachengerechtigkeit? Gibt es einen Zugang, gemäß welchem alle Sprachen als gleichwertig betrachtet werden? – Ich glaube, diesbezüglich sind in der Geschichte sehr viele politische Fehler begangen worden, die heute dadurch zum Ausdruck kommen, dass man die deutsche Sprache als die einzige Sprache in diesem Land in den Mittelpunkt stellt. Ich glaube aber, das ist keine Lösung für eine mehrsprachige Gesellschaft und das ist auch keine Lösung für eine Gesellschaft, in der über 200 Sprachen gesprochen werden.

 

Ich habe Gespräche in sehr vielen Betrieben geführt, und sehr viele Betriebe sind stolz darauf, dass sie in ihrer Belegschaft mehrere Menschen haben, die unterschiedliche Sprachen sprechen können. Sie sind darauf eingestellt, die Kunden und Kundinnen optimal zu betreuen, indem sie die Menschen auch in ihren Muttersprachen ansprechen können, denn dadurch wird das Gefühl vermittelt: Du bist eine mir ebenbürtige Person, und du hast mit deiner Sprache in meiner Gesellschaft einen genauso guten Platz, und das wollen wir pflegen.

 

Sprache ist aber nicht allein nur das Gesprochene, sondern hinter jeder Sprache stehen auch ein Gefühl

 

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