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Gemeinderat, 2. Sitzung vom 13.12.2010, Wörtliches Protokoll  -  Seite 109 von 126

 

Gerstl: Sie haben jetzt nicht aufgepasst!) O ja!

 

Soziale Herkunft, Schulbildung der Eltern und Wertschätzung von Bildung in der Familie sind - das wissen inzwischen wir alle durch zahlreiche Studien, zahlreiche ExpertInnen, Meinungen und Darstellungen - in Österreich die wichtigsten Kriterien für Bildungserfolge oder Bildungsmisserfolge. In keinem anderen Land der westlichen Welt hängt der Bildungserfolg von Kindern so stark vom sozialen Status, von der Herkunft ab wie in Österreich.

 

Das österreichische Bildungssystem produziert zum Beispiel nur 9 Prozent SpitzenschülerInnen im Bereich Lesen, aber 22 Prozent RisikoschülerInnen, die nicht sinnerfassend lesen können. In Finnland, wo nicht selektiert wird, zählen 19 Prozent zur Spitzengruppe, und nur 5 Prozent sind RisikoschülerInnen - genau das Gegenteil also ist der Fall! In Österreich bedeutet das, jeder vierte Schüler, jede vierte Schülerin ist nicht in der Lage, einfache Texte zu lesen und sinnerfassend zur Gänze zu verstehen.

 

Übrigens, an die Adresse der FPÖ: Drei Viertel dieser Gruppe sind so genannte Einheimische, Menschen mit deutscher Muttersprache. Drei Viertel dieser Gruppe - von wegen Migrationsproblem, AusländerInnenproblem und so weiter!

 

Das Problem heißt, und wir kennen es alle, Selektion. Das zwanghafte Schaffen immer noch homogenerer Klassen in Österreich ist das Problem und hat sich als schwerer Fehler erwiesen. Wir sortieren sowohl leistungsmäßig als auch altersmäßig und diese Form der Selektion ist einfach ein schlechter Boden für die gute Organisation von Lernen. Sie nützt auch, weil das heute seitens der ÖVP schon einmal thematisiert wurde, den Eliten nichts, im Gegenteil. Die Gesamtschulsysteme sind eben auch besser. Und sie benachteiligt selbstverständlich Kinder, deren Eltern selbst keine Matura haben, was, wie wir wissen, mit der Intelligenz dieser Kinder schon überhaupt gar nichts zu tun hat. AkademikerInnenkinder werden AkademikerInnen, ArbeiterInnenkinder werden ArbeiterInnen in Österreich.

 

In Österreich ist Schule ein System der Auslese und das wollen wir beenden. Im österreichischen Schulsystem werden lernschwache Kinder ausgesondert, statt sie zu fördern. Wer nicht mitkommt, wird abgestuft vom Gymnasium in die Hauptschule, in der Hauptschule von der ersten Leistungsgruppe in die zweite Leistungsgruppe und so weiter, und so fort. Schlechte SchülerInnen werden zu anderen schlechten SchülerInnen gesteckt. Wir alle wissen, zahlreiche ExpertInnen und Studien haben es uns gelehrt, das bringt keinen Vorteil. Niedriges Niveau bringt keinen Vorteil. Schüler, die auf niedrigem Niveau zusammengesteckt werden, werden in ihrem Lernerfolg nicht begünstigt. Das gilt sowohl, und ich wiederhole es noch einmal in Richtung der ÖVP, deren Reihen beim Thema Bildung leer sind, das wundert uns überhaupt nicht, das kennen wir, im Gegenteil, es wird rückschrittlich argumentiert und betoniert. (Aufregung bei GR Dr Wolfgang Aigner.) Unser Bildungssystem bestraft Menschen für Defizite ihrer Herkunftsfamilien und vergeudet Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft. Die ÖVP findet es gut so. Die ÖVP will, dass das so bleibt. „Fritz Neugebauer for Bildungsminister.“ und alles bleibt schlechter, wenn es nach Ihnen geht. Wir aber sagen: Alles neu. Wir stehen für eine riesige Kraftanstrengung, in Österreich das bestmögliche Bildungssystem völlig neu zu bauen. Alles neu, wenn es nach uns geht. Bildung muss vom Kindergarten bis zur Hochschule und darüber hinaus gedacht werden, von vorne bis hinten neu gebaut und neu geplant werden. Wir wollen Chancengerechtigkeit statt sozialer Auslese. (Beifall von GR Dipl-Ing Martin Margulies.) Wir wollen, dass kein Kind zurückbleibt. Wir wollen eine wirksame Frühförderung schon im Kindergarten und somit Chancen für alle Kinder, unabhängig vom Elternhaus. Wir wollen ein egalitäres, chancengerechtes Schulsystem, also die Gesamtschule. Wir wollen eine Schule, deren Tore den ganzen Tag offen sind und wo Förderung an der Schule stattfindet statt teurer Nachhilfe, die von Eltern und Familien zu Hause bezahlt und geleistet werden muss, eine Schule der Wissensvermittlung und der individuellen Forderung und Förderung, eine Schule, in der soziale Kompetenz erworben wird. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.) Und vor allem wollen wir, dass sich SchülerInnen wohl fühlen und mit Freude lernen.

 

Was haben wir uns dafür für die nächsten Jahre für konkrete Schritte in Wien vorgenommen? Ich will nur ein paar Beispiele daraus vortragen, zum Beispiel sind da die Ganztagsschulen ein wichtiger Puzzlestein. Rot-Grün hat sich zum Ziel gesetzt, ein flächendeckendes Angebot von Ganztagsschulen in Wien zu schaffen. In den nächsten sieben Jahren sollen im Pflichtschulbereich die Ganztagsschulen verdoppelt werden und in jedem Bezirk soll mit Ende der Legislaturperiode mindestens eine Ganztagsschule bestehen und zur Verfügung stehen. Das geht aber aus unserer Sicht nicht ohne neue Schulgebäude. Ganztagsschulen brauchen viel mehr Platz, eine bessere Ausstattung und vor allem zukunftsorientierte Architektur. Kinder sollen nicht aufbewahrt werden. Schulen sind keine Aufbewahrungsstätten, sondern sie sollen dort glücklich sein. Die meisten Schulen sind für den Ganztagsbetrieb, so wie sie jetzt sind, ungeeignet. Es reicht nicht, in Schulen eine Küche oder einen Speisesaal einzubauen. Schulen müssen innovativ konzipiert werden und Platz für eine moderne Pädagogik und Freizeitgestaltung schaffen. Wir wollen, dass in einer Ganztagsschule Lernen, Spiel, Kreativität, Sport, Lesen, Theaterspielen, Musikmachen, Ruhe haben, alle diese Dinge Platz haben. Wien hat sich vorgenommen, in den kommenden Jahren mehr als 160 Millionen EUR in die Errichtung neuer Schulen zu investieren. Und wir werden daran arbeiten, dass wir an Hand von konkreten Projekten anschaulich machen, wie die Schule der Zukunft, die Schule von morgen ausschauen kann und zwar sowohl baulich als auch pädagogisch. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)

 

Ein weiterer verzichtbarer Vorschlag der ÖVP ist das Zusammenfassen von Kindern mit schlechten Deutschkenntnissen in Extraschulklassen. Solche Schulklassen müssen als Ghettoklassen bezeichnet werden. Es geht wieder um Selektion und um Trennung. Es geht darum,

 

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