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Gemeinderat, 29. Sitzung vom 14.12.2007, Wörtliches Protokoll  -  Seite 88 von 117

 

darauf hingewiesen hätte, dass genau die Firma Siemens mit dem Einsatz von KZ-Häftlingen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück einen unrühmlichen Teil in der Geschichte mitzuverantworten hat. Das ist dann natürlich überhaupt nicht vorgekommen.

 

Die Kommerzialisierung stößt nicht nur ExpertInnen auf. Ich muss das schon dazusagen, denn auch mir läuft es zwischendurch kalt über den Rücken, wenn ich von der Mobilkom Austria „SMS to the Stars" mit einem zerknitterten Foto einer ermordeten Jüdin sehe. Da kann man um 30 Cent eine SMS schreiben, und ein Teil davon geht dann in ein gutes Projekt. Ich nehme an, der Rest geht an die Mobilkom Austria. Ein Foto, das im Übrigen ohne Genehmigung des Rechteinhabers an die Mobilkom Austria vergeben wurde und wo überlebende Nachbarn der Ilse Brüll, die hier abgebildet ist, bei Tageszeitungen angerufen haben und gefragt haben, ob es sie betreffend neue Informationen gibt, weil es auch Fotos in den Zeitungen gibt. Natürlich gibt es überhaupt keine neuen Informationen, sondern es gibt eine Vermarktung von diesem Opfer.

 

Nach unserer Meinung sind auch die Auftritte von Teenie-Popstars, die sonst ihre Berechtigung haben, nicht unbedingt bei Gedenkveranstaltungen die beste Lösung. Florian Wenninger, kein Grüner, sondern ein Funktionär der Sozialistischen Jugend Österreichs und jetzt Obmann des Vereins Gedenkdienst, hat einen dieser Mega-Events mit dem Satz charakterisiert: „Mir ist das damals vorgekommen wie das 1. Mai-Fest im Prater, nur ohne Alkohol." – Eine Kritik, die ich genauso auch teile.

 

Mittlerweile ist die Kritik lauter geworden und in die Medien gekommen. Das ist eine neue Qualität. Der „Standard" hat sehr intensiv darüber in mehreren, längeren Texten berichtet und bringt in diesen Berichten Aussagen von mehreren Experten und Expertinnen. Diese möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Dr Bertrand Perz, Mitglied der Historikerkommission, sagt zu dem aktuell geplanten Projekt, das wir heute hier mit 250 000 EUR bewilligen sollen: „Das klingt wie ein Feldversuch. Die Aktion ist unakzeptabel und nicht unterstützenswert." Und er verwendet sogar – und es macht sich ein Herr Perz nicht leicht, wenn er sich in der Kritik so weit hinauslehnt – das Wort: „Das hat ein Stück den Charakter von Shoah-Business." Das ist eine harte Kritik; und ich würde Leute, die uneingeschränkt diese Aktion unterstützen, gerne darüber nachdenken sehen, warum ein Herr Perz das sagt.

 

Mag Eva Blimlinger, die Forschungskoordinatorin der Historikerkommission, sieht in diesem Projekt eher eine PR-Aktion für die Organisatoren als tatsächliches Interesse an den Überlebenden. Brigitte Bailer-Galanda, die Leiterin des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes, stößt sich daran, dass die spezifische und emotionale Situation der Menschen, die eingeladen werden, nicht berücksichtigt wird. Wolfgang Neugebauer, Vorgänger von Bailer-Galanda als Leiter des DÖW, kritisiert, dass der vorbildlichen Arbeit des Jewish Welcome Service mit einem Massen-Event Konkurrenz gemacht wird.

 

Die Leiterin des Jewish Welcome Service selbst, Mag Susanne Trauneck ergänzt: „Das geht ins ureigenste Gebiet des Jewish Welcome Service." Und das stößt sich vor allem an der Marketingsprache. Da gab es zum Beispiel auf der Homepage – wer es sich genau anschauen will – bis vor Kurzem noch die Möglichkeit: Reservieren Sie sich einen Überlebenden! Klicken Sie einen an und reservieren Sie ihn, dann kommt er vorbei, mit dem können Sie dann reden! – Das ist eine Sprache, die zumindest zu wünschen übrig lässt. Und das ist noch sehr freundlich ausgedrückt.

 

Von den vielen UnterstützerInnen, die dieses Projekt von Anfang an gehabt hat, springt momentan fast im Wochenrhythmus einer nach dem anderen ab. Ich nenne jetzt nur einmal die letzten drei: Neugebauer, abgesprungen, ist nicht mehr dabei, Dr Kurt Scholz hat sich zurückgezogen, und Dr Anton Pelinka hat sich ebenfalls von diesem Projekt zurückgezogen. ESRA beschäftigt sich mit den traumatisierten Überlebenden. Peter Schwarz, der Leiter dieses psychosozialen Zentrums ist verstimmt, schreibt der „Standard". Er hat die Organisatoren mehrfach vor der Größe dieser Veranstaltung gewarnt. Es werden nächstes Jahr 250 Überlebende eingeladen. Der Jewish Welcome Service lädt im Jahr in etwa 50 Personen ein und kann das auch bewältigen und lädt unter anderem deswegen nicht 250 Personen ein, weil es für ESRA eine zu große Zahl ist und weil diese davon ausgehen, dass diese Aufgabe in Österreich von den dazu ausgebildeten ExpertInnen nicht bewältigt werden kann. Da muss man allerdings dazu sagen, ursprünglich waren auch nicht 250 Einladungen geplant, denn das war auch zu wenig: 500 hätten es sein sollen! Die Reduktion ist nicht zustande gekommen, weil man geglaubt hat, es geht nicht, sondern weil das Geld für 500 Einladungen gefehlt hat. Wahrscheinlich wären auch 1 000 Einladungen super gewesen; vielleicht das nächste Mal.

 

Im „Standard" wird von den Projektbetreibern auch erklärt, dass es einen Handschlag mit ESRA gibt. Das wird wiederum von Herrn Schwarz abgestritten. Da gibt es ein paar kleine Unstimmigkeiten zwischen den Projektbetreibern und den renommierten Institutionen.

 

Peter Huemer, ebenfalls ein Unterstützer dieses Projektes, der ebenfalls als Proponent geführt wird, sagt: „Ich halte es für ein Problem, dass weder ESRA noch der Jewish Welcome Service noch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes an Bord ist." Die sind alle nicht mehr vertreten. Und er kündigt an, dass er, wenn der geplante Spektakelcharakter nicht geändert wird, denselben Weg gehen wird, den andere gegangen sind, nämlich sich aus dem Komitee verabschieden wird.

 

Kurt Scholz, der Restitutionsbeauftragte der Gemeinde Wien hat seinen Abgang damit erklärt: „Dieses Projekt ist keine bloße Einladung für ein paar Wien-Touristen."

 

Und heute hat auch noch die Israelitische Kultusgemeinde ihre Position per OTS bekannt gegeben. Die IKG hat es sich nicht leicht gemacht, so wie es sich die GRÜNEN nicht leicht gemacht haben, und schreibt: „Die IKG hat längere Zeit gezögert und das Projekt ‚A Letter

 

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