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Gemeinderat, 10. Sitzung vom 27.06.2006, Wörtliches Protokoll  -  Seite 12 von 96

 

dann Punkte, die wir zu beschließen hatten. Da ging es dann um das Aufstellen von Forderungen, um das Landespflegegeld, die Landessanitätsdirektion und so weiter. Das ist das, was Gemeinderäte dann zu beschließen haben und worüber man dann lang und ausführlich diskutieren darf. Die wesentlichen Entscheidungen sind ausgegliedert in Organisationen, wo die SPÖ sehr genau feststellt, dass ihr Einfluss gewährleistet bleibt.

 

Als Oppositionspolitikerin wehre ich mich dagegen, aber auch Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren der Mehrheitsfraktion, sollten protestieren. Von 100 Abgeordneten, davon 52 von Ihnen, gibt es einige Wissende, und den anderen wird gesagt, was sie zu tun haben. Und diese falsche Form von Loyalität, in der bedingungsloses Vertrauen eingefordert wird und das Stellen unliebsamer Fragen bereits einen Vertrauensbruch darstellt, ist heute die Tragödie des ÖGB. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren der Mehrheitsfraktion: Emanzipieren Sie sich von diesen Ideen! Wenn ich da in die Reihen schaue, die ohnedies leer sind – von den Wenigen, die herinnen sitzen, sind es nur ein paar, die aufmerksam zuhören, alle anderen interessiert es gar nicht –, bin ich natürlich skeptisch, dass dieser Aufruf Erfolg hat. Sie sollten es tun, Sie sollten sich emanzipieren im Interesse der Menschen, die Ihnen bei der Wahl die Stimme gegeben haben.

 

Apropos Wahlen: Was ist die Voraussetzung für das Funktionieren einer repräsentativen Demokratie? Die Voraussetzung ist das Respektieren des Wählerwillens. In Wien waren bei der Gemeinderatswahl 2005 1 142 000 Menschen wahlberechtigt. Die Zahl der Nicht- und Ungültigwähler betrug 462 000, also knapp 40 Prozent, und die Zahl der Nicht-SPÖ-Wähler betrug 808 000, also 71 Prozent. 71 Prozent Wienerinnen und Wiener haben Sie nicht gewählt! Der SPÖ-Anteil der Wahlberechtigten war 29,1 Prozent. (GR Godwin Schuster: Wie hoch war der ÖVP-Anteil? – GR Christian Deutsch: Wie hoch war der ÖVP-Anteil?) Sie sind die Mehrheitsfraktion, und Sie haben die Macht in dieser Stadt. (Beifall bei der ÖVP. – GR Godwin Schuster: Sie können diese einfache Frage einfach beantworten: Wie hoch war der Anteil der ÖVP-Nichtwähler?) Das regt Sie auf. (GR Godwin Schuster: Wie viele Nichtwähler sind es? Rechnen Sie es aus!) Schauen Sie, Herr Kollege Schuster – ich muss auf meine Zeit achten –, 330 000 haben Sie gewählt, und wenn ich, Herr Kollege Schuster, jetzt davon ausgehe... (GR Kurt Wagner: Schauen Sie sich doch an, wie hoch Ihr Anteil bei der Krankenversicherung war!) Moment, lassen Sie mich bitte ausreden! (GR Kurt Wagner: Das akzeptieren Sie ja auch, weil das jemand von Ihnen ist!) Schauen Sie, Sie können sich ja dann melden, sich hier herstellen und dann reden. (Weiterer Zwischenruf von GR Kurt Wagner.) Herr Kollege! – Die paar Minuten bekomme ich dann, ja?

 

Jetzt werde ich Ihnen etwas sagen, Herr Kollege Schuster. Von den 330 000... (GR Godwin Schuster: Ich habe Ihnen eine Frage gestellt!) Schauen Sie, ich habe das emotionslos gesagt, ich stelle es nur fest. (GR Godwin Schuster: Ich frage Sie auch emotionslos!) Na, bei Ihnen sind schon Emotionen zu bemerken, das muss ich schon sagen. (Beifall bei der ÖVP. – GR Godwin Schuster: Ich habe Ihnen eine einfache Frage gestellt! Ist das so schwierig, die zu beantworten?)

 

Aber, Herr Kollege Schuster, zu diesen 330 000. Wenn ich davon ausgehe, dass es in der Gemeinde Wien 80 000 Mitarbeiter gibt, wenn ich davon ausgehe, dass ein Familienmitglied auch SPÖ-nahe ist (GR Kurt Wagner: Rechnen war noch nie Ihre Stärke, Frau Kollegin!), sind es 160 000. Wenn ich davon ausgehe (GR Karlheinz Hora: Sie schließen von Niederösterreich auf Wien!), dass wir über 200 000 Gemeindewohnungen haben, wo auch zumindest eine gewisse Nähe zur SPÖ vielleicht festzustellen ist, dann sind das ohnehin schon mehr Leute, als Sie überhaupt gewählt haben. (Beifall bei der ÖVP. – GR Godwin Schuster: Das ist so naiv, Frau Kollegin! Das ist so was von kindisch!)

 

Aber warum, Herr Kollege Schuster, sage ich das? Warum sage ich das? (GR Kurt Wagner: Ihre Rechenbeispiele sind so was von unglaubwürdig! – GR Godwin Schuster: Sie müssen tolle Mitarbeiter haben!) Nach dem derzeitigen Wahlrecht – und das ist eben äußerst undemokratisch – haben Sie die Mehrheit in dieser Stadt, und das ist sehr bedauerlich. Mit 29 Prozent üben Sie unbeschränkte Macht aus. (GR Kurt Wagner: Wie schaut das bei der ÖVP im Bund aus?) Bitte, hören Sie mir zu! Vielleicht können Sie etwas lernen, Herr Kollege. (Beifall bei der ÖVP. – Lebhafte Heiterkeit bei der SPÖ.)

 

Jetzt möchte ich Ihnen nämlich sagen: Max Weber... (Anhaltende Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich muss Ihnen sagen, wenn Sie was zu sagen haben, melden Sie sich zu Wort (GR Kurt Wagner: Sie haben mit den Nachteilen angefangen, aber nicht auch von den Vorteilen gesprochen.), stellen Sie sich hierher, und dann können Sie alles sagen. (GR Godwin Schuster: Super!) Aber Sie haben eben nichts zu sagen. Das ist das Problem. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach Max Weber ist die Grundlage politischen Handelns die Verpflichtung, bei politischen Entscheidungen die Balance zwischen Verantwortungsethik und Gesinnungsethik zu halten. Bei der Verantwortungsethik steht die Frage der Folgen einer Entscheidung im Vordergrund (GR Godwin Schuster: Gut, dass jetzt die Zeit schon um ist!), bei der Gesinnungsethik ist die persönliche politische Überzeugung einziges Kriterium.

 

Die Wiener Gesundheits- und Sozialpolitik ist eindeutig von Gesinnungsethik bestimmt. Ziel ist Machterhalt ohne Rücksicht auf Konsequenzen. Und alles, was sich dem entgegenstellt – wie unliebsame Kritiker; siehe zum Beispiel Pflegeombudsmann –, muss weichen. Ich bin aber überzeugt, Macht muss auf sachgerechte und rechtmäßige Weise ausgeübt werden und damit zwingend über Parteiinteressen hinausgehen. (GR Kurt Wagner: Das sollten Sie im Parlament sagen!) Und die Aufgabe der Opposition in modernen Demokratien ist die Kontrollfunktion. (GR Godwin Schuster: Wie steht es mit den Oppositionsrechten im Parlament?) Die Aufgabe der Opposition ist die Kontrollfunktion, und zwar einerseits

 

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