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Gemeinderat, 7. Sitzung vom 20.11.2001, Wörtliches Protokoll  -  Seite 56 von 125

 

Jahr alles gefordert habe, denn daran kann man immer überprüfen: Was hat sich weiterbewegt? Wie kommen wir denn weiter in der Stadt?

 

Also letztes Jahr habe ich unter anderem festgestellt, es fehlt das kommunale Wahlrecht. Na, da sind wir ein bisschen weitergekommen. Das freut mich sehr, auch wenn ich schon sagen muss, ein besonderes Zeichen für Beweglichkeit und Geschwindigkeit ist das vielleicht nicht gerade, denn wir haben einen, hätte ich einmal gesagt, 10-jährigen politischen Diskurs in dieser Stadt gebraucht, bis wir soweit gekommen sind, aber wir sind so weit und das ist gut.

 

Es fehlt der Zugang zur Sozialhilfe für Menschen mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft. Der fehlt nach wie vor. Das kann sich vielleicht ändern. Das wissen wir aber nicht, denn eigentlich müssen sich ja alle Länder darauf einigen, und das dauert lange, und wer weiß, ob es kommt, und wer weiß, ob es nächstes Jahr kommt. Und das trifft viele, viele, viele Menschen in der Stadt, die diese Sozialhilfe dringend brauchen.

 

Und wenn schon Kollege Kreißl mit dieser Mutter mit den zwei Kindern kommt, die die österreichische Staatsbürgerschaft hat und die nicht Deutsch spricht, so hätte ich ihm gerne von meiner Geschichte erzählt. Ich hätte ihm gerne von Janette Uhusu mit ihren zwei Kindern erzählt, die seit vielen, vielen Jahren hier lebt, die wunderbar Deutsch spricht, die nicht österreichische Staatsbürgerin ist und die nicht weiß, wovon sie ihre Kinder ernähren soll, weil sie nämlich auch nicht arbeiten darf. - Er ist nicht da, aber vielleicht erzählt ihm jemand mein Beispiel.

 

Es fehlt nach wie vor - das fehlte auch im letzten Jahr - die wirkliche Öffnung des Gemeindebaus. Es freut mich sehr, dass es 600 Notwohnungen für Migranten-Haushalte im Gemeindebau gibt. Aber in dieser Stadt ist jeder Fünfte Migrant und wir wissen, dass gerade diese Gruppe Gemeindewohnungen am dringendsten notwendig hätte. Wir wissen, dass auch sie mit ihren Steuern und Beiträgen den Bau dieser Wohnungen finanziert haben, und wir wissen auch, dass nicht die Staatsbürgerschaft das Kriterium sein darf, sondern der Bedarf, der soziale Bedarf. Also die Öffnung des Gemeindebaus fehlt nach wie vor.

 

Es fehlt nach wie vor ein Antidiskriminierungsgesetz. Es fehlen nach wie vor Förderungspläne für MigrantInnen, damit man den internationalen Anteil unter dem Personal der Stadt Wien erhöht. Also in einer Stadt, in der übrigens, wenn ich die Eingebürgerten mitrechne, jeder Vierte einen anderen kulturellen Background hat, müssten wir doch längst Pläne haben, wie wir es schaffen, dass die Menschen in ausreichendem Maße und vor allem auch auf allen Ebenen des Magistrats vorhanden sind. Da haben wir kein Ziel, wir haben keine Förderungspläne. Wir haben nichts. Wir haben bestenfalls guten Willen.

 

Es fehlt nach wie vor eine innovative Sprachenpolitik in den Schulen.

 

Es fehlt nach wie vor die Öffnung der Kulturpolitik für MigrantInnen. Wir haben ein riesiges Kulturbudget in der Stadt und nur ganz, ganz wenig davon ist für kulturelle Veranstaltungen von und für Minderheiten da. (GRin Martina LUDWIG: Maria, jetzt musst du selber lachen!) Ich habe übrigens auch einmal gesagt und damit gedroht, dass ich mich zu jeder Geschäftsgruppe melden und das jeweils dort sagen werde, aber ich glaube, es ist doch praktischer und nervenschonender und -sparender für uns alle, wenn ich es hier mache. Also, hier gibt es schon noch einen großen Nachholbedarf.

 

Es fehlt eine Sanierungs- und Stadtentwicklungsoffensive. Wir sprechen schon seit Jahren von einem deutlichen Schwerpunkt und von einer Verschiebung von der Neubautätigkeit hin zur Sanierung, und zwar genau in jenen Vierteln, in denen Migrantinnen und Migranten vermehrt und konzentriert wohnen, denn nur so könnte man die Lebensqualität dieser Menschen anheben. Es spricht schon einiges dafür, dass man natürlich auch einen Schwerpunkt im Genossenschaftsbereich setzt. Das hat man auch getan und das begrüße ich auch. Doch dadurch verbannt man ja auch Migrantinnen und Migranten vermehrt an den Stadtrand und in die Stadterweiterungsgebiete. Die Frage ist, ob es nicht sinnvoller wäre, genau dort zu investieren, wo die Menschen, wie gesagt, bereits sind, dort den Lebensstandard anzuheben und auch das Stadtbild nachhaltig zu verbessern. Davon spricht man auch seit Jahren, aber es kommt nicht, und diese deutliche Veränderung und Verschiebung lässt sich in diesem Budget auch nicht wirklich irgendwo finden.

 

Es fehlt - damit bin ich noch immer bei der Liste vom Vorjahr, aber die war auch nur exemplarisch - nach wie vor an einem flächendeckenden - und flächendeckend möchte ich betonen - und gezielt aufgebauten Konzept zur aufsuchenden Sozialarbeit für Frauen, also für Migrantinnen in diesem Fall. Das zeigt gerade das Beispiel des Herrn Kollegen Kreißl mit der Frau, die nicht Deutsch gesprochen hat, weil es der Mann nicht erlaubt hat - das soll es geben, das soll es auch in Österreich geben, es soll auch in Österreich Männer geben, die ihrer Frau allerlei nicht erlauben: den Führerschein machen, einen Schwimmkurs machen -, und ich hätte gern den Herrn Kollegen Kreißl gefragt, was er hier für einen Lösungsansatz zu bieten hat. Vielleicht schreiben wir das alles vor. Das wäre übrigens spannend, dass man überlegt zu sagen, mit 18 hat jede den Führerschein zu machen, denn es könnte ja sein, dass ihr das jemand verbietet, dass sie ihn macht. Aber das ist ein bisschen polemisch, das gebe ich schon zu.

 

Nichtsdestotrotz ist gerade sein Beispiel ein wunderbares Beispiel dafür, was aufsuchende Sozialarbeit erreichen kann. Ich kenne jede Menge Frauen, die seit vielen, vielen Jahren in Österreich leben und noch immer nicht Deutsch sprechen, weil sie die Chance dazu nicht hatten. Aber nicht, weil es ihnen jemand verboten hat, sondern weil sie Kinder hatten, auf die sie aufpassen mussten, weil sie keinen Zugang zum

 

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