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Landtag, 10. Sitzung vom 15.12.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 10 von 24

 

nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Stadt Wien jegliche Unterstützung zugesagt hat für die Aufarbeitung aller Vorwürfe am Wilhelminenberg. Da gibt es freie Hand, alle Daten und Akten sind zugänglich gemacht. Lassen Sie diese Kommission in Ruhe arbeiten! Das ist jetzt ihr Auftrag.

 

Diese Kommission besteht aus Experten und Expertinnen. Dazu gehören Frau Barbara Helige, sie ist Präsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte, Frau Helga Schmucker, Senatspräsidenten am OGH im Ruhestand, Gabriele Wörgötter, Fachärztin der Psychiatrie und Neurologie und gerichtlich beeidete Sachverständige, und Michael John, ein Uni-Professor, der schon länger in Historikerkommissionen an der Aufarbeitung schwarzer Pädagogik, an der Heimerziehung arbeitet, auch offiziell im Auftrag der Oberösterreichischen Landesregierung.

 

Lassen Sie diese Kommission in Ruhe alle Vorwürfe aufarbeiten. Wir haben genug Raum, hier die Zwischenberichte zu diskutieren, politische Schlussfolgerungen zu ziehen, aber gehen Sie nicht her und diffamieren einzelne Personen. Das ist nicht das Thema. Es geht nicht um die FPÖ, Sie verwechseln das immer, es geht hier konkret um die Opfer. (Beifall bei GRÜNEN und SPÖ.)

 

Zu den Tätern. Erstens ist es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, hier alle Mittel zu ergreifen. Das ist ihre Aufgabe, Aufgabe der Staatsanwaltschaft und nicht Aufgabe der FPÖ. Übrigens sollten Sie juristisch doch so weit bewandert sein, dass Sie wissen, dass eine Vertuschung von Kindesmissbrauch, die Sie hier Rot-Grün vorwerfen, sehr wohl ein Tatbestand ist.

 

Was die Täter anlangt, haben Rot-Grün, hat die Stadtregierung eine Enquete beschlossen, weil es wichtig ist, hier mit Experten und Expertinnen der Forensik, der Polizei, der Traumaforschung darüber zu diskutieren: Wie soll gewährleistet werden, dass Anzeigen tatsächlich auch zu Verurteilung führen? Wie ist das mit der Beweislast? Wie können wir gewährleisten, dass Opfer, wenn Sie anklagen, nicht noch einmal gedemütigt werden, weil es zu keinen Verurteilungen kommt? Hier gibt es eine Enquete, hier handeln wir von Rot-Grün, hier werden wir aktiv, ohne Menschen zu benützen.

 

Bei der Frage, wie das passieren konnte, müssen wir uns dem sensiblen Kapitel der Nachkriegsjahre stellen. (Abg Mag Johann Gudenus, MAIS: Der Nachkriegsjahre?) Wir müssen uns dem stellen, dass sehr wohl nationalsozialistisch geprägte Erziehungsmodelle lange aufrechterhalten worden sind, sehr autoritäre Strukturen. Wir wissen alle, dass die sogenannte Watschen erst 1989 abgeschafft worden ist. Wir wissen, dass die Situation von Kindern und Jugendlichen in allen Heimen und Einrichtungen eine außerordentlich schwierige, brutale war. Die Kinder und Jugendlichen wurden in diesem gesellschaftspolitischen Umfeld völlig allein gelassen. Egal, wann das war, auch diese Zeit müssen wir aufarbeiten. Auch diesen Aspekt, was macht nationalsozialistisches Gedankengut, was sind das für Erziehungsmethoden, was sind das für autoritäre Strukturen, müssen wir beleuchten, auch diese Diskussion müssen wir führen. Das ist wichtig, wichtig auch für heute, damit jegliche Entwicklungen in diese Richtung rechtzeitig verhindert werden können.

 

Wir müssen auch darüber diskutieren – das kam in der Diskussion noch etwas zu kurz –: Wie haben denn die Menschen damals reagiert, die die Situationen in den Kinder- und Jugendheimen mitgekommen haben? Wir haben noch nicht ausführlich darüber diskutiert, welche Bedeutung damals die Spartakus-Bewegung hatte. Es war dies eine Organisation, die unter anderem Heimkinder versteckt hat, eine Gruppierung von Menschen, die massiv aufgetreten ist, um hier Bewusstsein zu schaffen, dass diese autoritären Strukturen vorhanden sind, dass hier Jugendliche allein gelassen werden. Sie haben auch Befragungen bei Lehrlingen durchgeführt, wovor sich denn die Lehrlinge am meisten fürchten. Damals war die Situation so – nicht nur bei Lehrlingen, sondern überhaupt bei Kindern und Jugendlichen –, dass man damit operiert hat: Wenn du schlimm bist, gehst ins Heim! Wenn jemand mehrmals die Lehrstelle gewechselt hat, war die Gefahr groß, in so einem Heim zu landen.

 

Das heißt, da gibt es viel an Materialien, viel an Bewusstsein, das wir schaffen müssen, dass die Spartakus-Bewegung einen wichtigen Teil dazu beigetragen hat, dass überhaupt ein öffentlicher Diskurs begonnen wurde. Auch ein Punkt, der relevant ist.

 

Und was noch wichtig ist: Natürlich fehlen noch Bereiche, wo wir sagen, ja, es wäre wichtig, auch hier aufzuklären, ja, das wäre wichtig, um genau festzustellen, was konkret passiert ist und wie es passieren konnte. Deshalb halte ich die grüne Forderung für recht wichtig, dass wir eine bundesweite, unabhängige Untersuchungskommission haben sollten, dass natürlich ein Opferfonds eingerichtet werden muss, wo das Procedere festgehalten ist, wo es konkrete Angebote gibt. Das ist auch Bundessache. Hier geht es nicht nur um Wien, sondern da stehen Kinder und Jugendliche von damals österreichweit alleine da. Das heißt, hier wäre auch die Bundesregierung gefordert, eine parlamentarische Diskussion mit Experten und Expertinnen über die Verjährungsfristen durchzuführen, endlich auch ein neues Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz zu installieren, damit es einheitliche Standards gibt, eine Aufwertung der Präventionsarbeit vorzunehmen und dafür zu sorgen, dass auch die Gewaltsensibilisierung eine Selbstverständlichkeit wird, angefangen von unserem Bildungssystem bis hin auch zur Ausbildung der ExekutivbeamtInnen.

 

Das sind natürlich Aufgaben, vor denen wir noch stehen, Aufgaben, wo auch der Bund gefordert ist, wenn wir wirklich die Einzelschicksale ernst nehmen wollen. Wenn wir wirklich ernst nehmen wollen, was hier österreichweit in den 60er und 70er Jahren passiert ist, dann ist hier auch der Bund gefordert.

 

Ein heiklen Punkt möchte ich noch herausnehmen, das ist die Stigmatisierung der Kinder und Jugendlichen von damals. Ich werde Ihnen (Die Rednerin blättert in Ihren Unterlagen.) nichts vorlesen, weil die Zetteln nicht da sind, sondern konkret wiedergeben, wie ein betroffener Lehrling, der dann im Heim gelandet ist, die Situation erlebt hat, welche Art der Demütigung er erlebt hat mit den autoritären Strukturen, mit diesem Zwang, nach

 

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