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Landtag, 26. Sitzung vom 25.06.2009, Wörtliches Protokoll  -  Seite 39 von 61

 

mehr Dezentralisierung, desto besser.

 

Wenn wir einen Vergleich etwa zu Brüssel ziehen, dann können wir feststellen, dass dort jeder Bezirk praktisch eine eigene Stadt mit ganz eigenen Rechten ist. Dann sind allerdings eine gemeinsame Planung und eine gemeinsame Weiterentwicklung nicht mehr möglich. Das brauchen wir natürlich nicht! Wir brauchen eine Einheitlichkeit in der Stadt, wie es in dem wunderbaren Satz ausgedrückt ist: Der Magistrat ist eine Einheit. – Das bedeutet auch, dass alle Bezirke eine Einheit in der Stadt bilden. Und wir brauchen natürlich eine Stadtplanung und eine Stadtentwicklung, die nicht nur bezirksweise, sondern für die gesamte Stadt erfolgen.

 

Ich glaube, dass wir den richtigen Weg zwischen zentraler Stadtplanung im Einvernehmen mit den Bezirken und Dezentralisierung gehen, und ich glaube, dass dieses kontinuierliche Weiterwachsen der Dezentralisierung, so wie wir es gemeinsam handhaben, genau richtig ist. Ich hielte nichts davon, dass man Wien – hiefür hat es ja auch schon Vorschläge gegeben – nicht mehr primär als Gemeinde, sondern quasi primär als Land sieht und dann die Bezirke die Funktion von Gemeinden hätten. Das wäre meiner Ansicht nach genau das Falsche, weil es den Bürgern letztlich nicht dienen würde. Die Lebensqualität würde abnehmen, was letztlich schlecht wäre.

 

Der einzige Maßstab ist, wie man die Stadt so gestalten kann, dass die Bürger möglichst zufrieden sind und sich in der Stadt möglichst wohl fühlen. Und ich meine, in diesem Sinn haben wir den richtigen Mittelweg eingeschlagen. – Das dazu.

 

Herr Klubobmann Tschirf hat den Nationalrat und die Vergabe von Leitungsfunktionen angesprochen. – Ich glaube nicht, dass der Nationalrat, der derzeit mit Usancen handelt, ein Musterbeispiel dafür abgibt, wie man diese Funktionen optimal vergibt. Ich glaube, es ist besser, wenn man nicht auf Grund von Usancen handelt, sondern wenn klar wie in der Wiener Stadtverfassung festgeschrieben ist, wie die Spitzenfunktionen in den Gremien vergeben werden.

 

Hier in Wien ist es auf Grund des letzten Wahlergebnisses der seit 1919 erstmals aufgetretene Fall, dass nach dem d’Hondt’schen System, weil 55 Mandate mehr als dreimal so viel sind als jene der nächststärksten Partei mit 18, dass eine Partei alle drei Präsidenten stellt. Hier kommt eben, wie Herr Klubobmann Lindenmayr schon ausgeführt hat, das d’Hondt’schen System zur Anwendung, das Sie sonst überall fordern. Beim Gemeinderat, wo es vier Leitungsfunktionen gibt, hat nach dem d’Hondt’schen System die vierte Funktion ohnehin die ÖVP inne. Seit 1919 war das bisher aber nur ein einziges Mal der Fall. Das ergibt sich aus der Stadtverfassung.

 

Betreffend Vorsitzführung in den Ausschüssen besteht der große Unterschied zum Nationalrat darin, dass es sich dort um rein legislative Organe handelt, während wir in Wien die Ausschüsse ganz primär als Vollzugsorgane haben. Wenn wir hier die Bauordnung beschließen, dann sind wir auch ein legislatives Organ. Aber ansonsten sind unsere Ausschüsse Vollzugsorgane, und daher liegt es natürlich nahe, dass der Vorsitzende dieses Vollzugsorgans jener Fraktion angehört, die auch im Stadtsenat die amtsführenden Stadträte stellt. Das ergibt sich aus der Logik. Als die ÖVP zwei amtsführende Stadträte hatte, führte in beiden Ausschüssen die ÖVP den Vorsitz. Man kann das allerdings, wie gesagt, nicht mit dem Nationalrat vergleichen, weil die Ausschüsse dort rein legislative Organe sind.

 

Jetzt zum Wahlrecht: Es ist immer die Rede von einem „fairen Wahlrecht“. Im Hinblick darauf frage ich: Was ist ein faires Wahlrecht? Hat das Mutterland der Demokratie, Großbritannien, mit einer Jahrhunderte alten demokratischen Tradition in Westminster ein unfaires Wahlrecht? Oder hat die stärkste Demokratie der Welt, die Vereinigten Staaten, ein unfaires Wahlrecht, nur weil sie das Mehrheitswahlrecht haben?

 

Ich glaube nicht, dass man das so einfach behaupten kann! Die Bibliotheken sind voll mit Abhandlungen über das Thema, was besser ist, das Mehrheitswahlrecht oder das Verhältniswahlrecht. Jedenfalls kann man aber nicht von Haus aus sagen, dass das eine mehr wert und das andere unfair ist. Das ist einfach falsch und sachlich nicht nachvollziehbar!

 

Großbritannien hat beispielsweise eindeutig ein Mehrheitswahlrecht und ist eine seit Jahrhunderten sehr gut funktionierende Demokratie. Ich sage nicht, dass ich dafür bin. Pröll ist dafür. Ich bin eigentlich nicht dafür. Man kann das nicht so einfach sagen. Frankreich, das Mutterland der großen Revolution, wo erstmals die Menschenrechte verkündet wurden, hat beispielsweise ein etwas anders geartetes Mehrheitswahlrecht als Großbritannien. Aber auch dort gibt es ein Mehrheitswahlrecht, und niemand wird behaupten, dass Frankreich nicht vollkommen demokratisch wäre!

 

Andererseits gibt es mehrere Länder mit einem Proportionalwahlrecht mit mehrheitsfördernden Elementen wie zum Beispiel Spanien. Wenn man dort bei den Wahlen 42 Prozent hat und die stärkste Partei ist, hat man gute Chancen, dass man die absolute Mehrheit bekommt. In Griechenland hat die stärkste Partei, auch wenn sie nur 38 oder 40 Prozent hat, auf Grund des Wahlrechtes automatisch eine absolute Mehrheit an Mandaten. Und niemand wird behaupten, dass Griechenland oder Spanien deshalb nicht demokratisch wären oder ein unfaires Wahlrecht haben, denn es haben ja alle Parteien die gleiche Chance, stärkste Partei zu werden und beim Bürger um Vertrauen zu werben. Daher gibt es eben in den demokratischen Staaten zahlreiche Wahlrechtssysteme, die mehrheitsfördernd sind.

 

Um zu Österreich zu kommen: Was bei uns am meisten von diesem Proportionalitätsprinzip abweicht, ist die 5 Prozent-Klausel. Diese wird aber nicht in Frage gestellt und bewirkt, dass nicht beispielsweise zahlreiche Parteien, die nur 1 Prozent Stimmenanteil haben, auch vertreten sind. Ich weiß nicht, ob das das Optimale wäre!

 

Faktum ist, dass alle Wahlrechtssysteme der hoch entwickelten demokratischen Staaten Prozentklauseln oder Grundmandatshürden haben. Es gibt fast kein

 

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