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Gemeinderat, 22. Sitzung vom 27.04.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 23 von 90

 

der Ring umbenannt, dann wird das Denkmal gekippt und so weiter. Es gibt keine Versicherung, dass all das nicht kommen wird, und ich glaube, das hat sich Karl Lueger bei all seinen Verdiensten wirklich nicht verdient!

 

Außerdem meine ich, dass man auch Ehren- und sonstige Gräber und die Toten in Ruhe lassen soll. In diesem Zusammenhang wurde auch Dollfuß genannt. Ich meine, er hat immerhin im Bundeskanzleramt sein Leben gelassen, er ist verblutet und so weiter. Er war natürlich kein Demokrat, aber damals war das halt eine Zeit, in der es die Demokratie schwer gehabt hat. Ich möchte wissen, wie viele von denen, die heute so mutig über eine Zeit sprechen, die schon lange vorbei ist, damals den Mut gehabt hätten, sich drangsalieren und erschießen zu lassen! Ich glaube, auch in diesem Zusammenhang sollte man der historischen Wahrheit letztendlich Genüge tun.

 

Ich sage Ja zur Debatte über die Berechtigung von Straßenbezeichnungen, aber Nein zu einem selektiven Herauspicken von einzelnen Personen, um dann gleich im nächsten Satz – wie es der Stadtrat heute mehrfach getan hat – zu sagen, na ja, den Lueger-Ring werden wir umbenennen, aber sonst wollen wir alles beim Alten belassen. – Ich meine: Wenn, dann ordentlich, umfassend und seriös oder eben gar nicht. Es wird ja niemand daran gehindert, auch das Bild von historischen Persönlichkeiten in der Gesamtsicht sozusagen zurechtzurücken. Aber man muss ja nicht unbedingt gleich die Straßenbezeichnung ändern. Und ich hoffe sehr, dass die GRÜNEN und die SPÖ der Versuchung widerstehen, bei der feierlichen Abnahme daraus einen Staatsakt zu machen. Das wäre nämlich wirklich ein Skandal! Den GRÜNEN traue ich es zu, doch ich hoffe, dass die SPÖ dieser Versuchung widerstehen wird! (Beifall bei der FPÖ.)

 

Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Als nächster Redner hat sich Herr GR Mag Neuhuber gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

 

11.07.16

GR Mag Alexander Neuhuber (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien)|: Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!

 

Herr Kollege Ellensohn! Ist es Ihnen ohnedies recht, wenn ich jetzt rede? Darf ich? (GR David Ellensohn: Ja!) Danke! Sie haben sich nämlich vorhin darüber beschwert, dass Kollegen Ulm redet, daher wollte ich mich nur versichern, dass ich Ihnen jetzt genehm bin! Ich kann Ihnen aber sagen, dass die Fraktion geschlossen hinter Dr Ulm als Redner und dem, was er gesagt hat, gestanden ist! (Zwischenruf von GR Dipl-Ing Martin Margulies.) Sie brauchen nicht probieren, da etwas hineinzugeheimnissen. Das schaffen Sie nicht! (Beifall bei der ÖVP.)

 

Herr Kollege Ellensohn! Sie haben von „schwerer Kost“ gesprochen. Sie haben gesagt, dass das, was Ulm gesagt hat, schwere Kost war. Ich sage: Für uns ist es auch schwere Kost, was Sie gesagt haben! Sie sind wirklich auf einem Auge blind, und Sie wollen auf diesem einen Auge auch blind sein!

 

Von Ihnen kommt keine Aussage zu einem Karl Marx, keine Aussage zu einem Julius Tandler, keine Aussage zu einem Franz Schuhmeier. Sie sind auf einem Auge blind. Sie bestimmen, was Moral ist! Sie bestimmen, was Recht in dieser Stadt ist!

 

Dagegen waren die Ausführungen des Kollegen Troch eine Wohltat! Ich will ihm jetzt nicht schaden in seiner Fraktion. Aber auf der Basis dessen, was Herr Kollege Troch gesagt hat, kann man sich wirklich historisch unterhalten! – Lueger ist keine eindimensionale Person. Er war ein großer Bürgermeister, der auf der einen Seite einen Modernisierungsschub eingeleitet hat, und er war Antisemit auf der anderen Seite. In der Biographie von Anna Ehrlich, die sicherlich einige von denen gelesen haben, die sich wirklich mit diesem Thema auseinandersetzen, heißt es schon im Titel „Die zwei Gesichter der Macht". Dieser Mann und Bürgermeister hatte zwei Gesichter: Licht und Schatten. Und über diesen Wechsel von Licht und Schatten kann man sich historisch durchaus unterhalten.

 

Hätte man uns als ÖVP die Chance geboten, das Ergebnis der Kommission Rathkolb abzuwarten und dann Punkt für Punkt, Straße für Straße und Namen und für Namen durchzugehen, wie man mit welcher Persönlichkeit, etwa mit Tandler, mit Renner oder genauso mit Lueger, umgeht, dann wären wir vielleicht auch zu einem gemeinsamen Ergebnis gekommen. Diese Chance haben Sie uns aber nicht gegeben! Wir haben heute schon festgestellt, Herr Kollege Mailath-Pokorny: Sie haben nicht abgewartet, was herauskommt. Sie wollten jetzt mit der Umbenennung des Lueger-Rings erstens den GRÜNEN ein Zuckerl geben – denn wer die Hetzer und Treiber in dieser Koalition sind, hat sich ja heute in dieser Debatte herausgestellt –, und Sie wollten einmal ein Fanal setzen. Aber eine Einladung an uns zu einer Diskussion darüber hat es überhaupt nicht gegeben!

 

Ich warne wirklich davor, Geschichte so eindimensional zu sehen und Personen immer nur aus dem Wissen der heutigen Zeit heraus zu betrachten. Das ist ein Fehler, den man immer wieder macht. Aber auch historische Persönlichkeiten sind Produkte der damaligen Zeit, in der sie lebten, denen – wie ich es jetzt formulieren möchte – die Erfahrungen der Zukunft fehlen.

 

Ich möchte Ihnen dazu Norbert Leser zitieren: „Es ist falsch, den Antisemitismus Luegers am Maßstab Auschwitz zu messen. Ich glaube, dass man da Lueger unrecht tut. Er war ein Bürgermeister, unter dem den Juden kein Haar gekrümmt wurde. Kurt Skalnik zitiert in seinem Buch über Karl Lueger das Kondolenztelegramm der Kultusgemeinde anlässlich des Todes von Lueger, das nicht eine Beileidskundgebung an einen Feind, sondern an einen Freund ist. Daher sollte man den Antisemitismus in seiner historischen Rolle dort belassen, wo er damals war. Dass dann später Furchtbares daraus entstanden ist, das war weder vorhersehbar noch gewollt. Und es gibt in der Geschichte meines Erachtens keine Erfolgshaftung ex post. Wenn heute von mancher Seite die Entfernung oder die Verunstaltung des Denkmals von Dr Karl Lueger und die Umbenennung des Dr-Karl-Lueger-Rings verlangt wird, so ist diese Denkmalstürmerei unbedingt abzulehnen, da es wohl vom historischen und städtebaulichen, aber auch vom künstlerischen Standpunkt aus ein barbarischer Akt wäre. Man kann Geschichte nicht durch Schleifung oder Verunzierung

 

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