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Mitschrift

Ich hatte großes Glück, dass ich in ein Elternhaus geboren wurde, das durchtränkt war von Kultur, von Kunst. Es gab auch Brotberufe daneben, ich kann so viele aufzählen: Meine Mutter war Tänzerin, mein Vater Schriftsteller, der wunderbare Wiener Liedertexte geschrieben hat. Der Bruder war Schauspieler, meine Schwägerin Schauspielerin. Die eine Großmutter war Artistin, die andere Garderobiere in der Volksoper. Und eine sehr wichtige Großtante, jetzt Urgroßtante, hatte das einzige Wiener Hundetheater. Das war ein großer Erfolg im Prater. Die dressierte Hunde, da hab ich irgendein Gen geerbt, weil Hunde haben ja sehr viel mit Schauspielern auch zu tun, und da hab ich das Dressieren ganz gut gelernt. Also hatte ich es in den Genen. Ein Großvater war ein wunderbarer, sehr bekannter Architekt, der Eduard Brandl. Der hat das Apollo Theater, das Johann Strauss Theater gebaut, die spätere Scala, die dann umgebaut wurde, sehr viele wunderbare Wohnhäuser in Wien und in den Kronländern. In den Bädern, Marienbad und so, hat er auch kleine Kulturhäuser hingestellt. Ich hab ihn natürlich nicht mehr kennengelernt. Und so war das eine Familie, die sich vor allem für die Oper, für das Musiktheater interessiert hat und ich bin eigentlich aufgewachsen mit den Sängern, mit der Musik, mit der Oper, und hab mir die Bücher mit den Sängern, Tänzerinnen und Dirigenten ... Diese Fotobände waren eigentlich meine ... .. sind die Bilderbücher meiner Kindheit gewesen. Ich bin ... Ich bin noch gezeugt und empfangen worden, Gott sei Dank, in Österreich. Leider dann also geboren worden schon nach dem Anschluss, im sogenannten Deutschen Reich. Hab also dieses scheußliche Zeug im Geburtsschein, den Stempel, den musste ich mitschleppen in meinem Leben. Und das zweite Glück ist, dass das nicht nur eine künstlerisch ambitionierte und intendierte Familie war, sondern es war auch eine ausgewiesen antifaschistische. Was das für eine Gnade bedeutet, hab ich erst viel später erfahren, als meine Altersgenossinnen und –genossen Probleme hatten mit dem, was ihre Eltern im Krieg und in der Hitlerzeit angestellt oder gedacht haben. "Wo wart ihr?", das war für mich kein Thema. Ich wusste, wie ich aufgewachsen bin. Ich bin '38 geboren und bin '44 in die erste Schulklasse gekommen und hab eigentlich alles noch mitgekriegt an subtilem Schrecken, was die Zeit so zu bieten hatte. Nicht den direkten körperlichen, weil das bei uns keinen Anlass gegeben hätte. Aber ich habe den Bruder verabschiedet, der mit 16 Jahren zum Arbeitsdienst und dann in den Krieg kam. Und ich habe meinen Vater verabschiedet, der im Ersten Weltkrieg schon drangekommen ist, im Zweiten noch drangekommen ist, der auch noch '44 einrücken musste. War dann aber schon ... Wie alt war er da? 46 Jahre. Da haben's dann alles ... Zuerst war er im Ministerium, schreiben und solche Dinge. Und dann: weg. Ich habe viele Eindrücke aus dieser Zeit, die mich dann sehr unterscheiden von Freunden und Freundinnen, die gar nicht so viel jünger sind als ich, fünf, sechs Jahre. Und sie sprechen mit einer ganz anderen Zunge, weil sie diese Zeit nicht erlebt haben. Diese paar Jahre, die man den anderen voraus hat, prägen einen. Ich kann noch über Diktatur sprechen, habe sie gespürt, obwohl ich so klein war. Ich habe gewusst, dass die Eltern ... Was tuscheln sie? Warum kommt eine Decke über das Radio? "Psst, nichts sagen. Die Kleine hört zu. Psst, nichts sagen!" Ich hab sehr viele Geschichten in der Familie erlebt, die den Schrecken einfach beinhaltet haben. Ich kann bei Dingen mitreden, wo die anderen, die nur ein paar Jahre jünger sind, das nicht verstehen, das nicht erlebt haben. Ich wusste, dass der Begriff "Nazi" was Abzulehnendes, Schreckliches ist. Was es ist, wusste ich nicht. Ich bin einmal nach Hause gekommen und hab angsterfüllt gesagt, ich hätte einen Hund gesehen, der ist ein Nazi. Meine Eltern konnten sich's nicht erklären, bis dann meine Mutter draufgekommen ist, dass ich einen Blindenhund gesehen hab, der hatte ein Abzeichen. Und Abzeichen war für mich: Nazi. Ich hab die Abzeichen-Aversion mein Leben lang behalten. Ich mag nicht für irgendwas ein Abzeichen. Abzeichen waren "Nazi", aber es war ein Hund vom Roten Kreuz. Und ich hatte eine Lehrerin, die mich schreiben ließ, da konnte ich noch gar nicht schreiben, in Blockschrift zehnmal: "Ich muss mit 'Heil Hitler' grüßen." Die Mama hat mir dann geholfen. Die war ganz böse und hat auch immer uns zu indoktrinieren versucht. Ich seh sie noch mit dieser deutschen Hochfrisur. Die hat sich allerdings umgebracht. Wir hatten in der Nachbarschaft auch wilde Nazis, die geschrien haben nach dem Attentat: "Er lebt! Er lebt! Der Führer lebt!" Dann, gleich danach, also wie es aus war: "Samma froh, dass'ma des G'sindel jetzt los ham." Und schwuppdiwupp ging das, und sie waren umgedreht. Auch in der Schule hab ich nichts erfahren dann. Ich habe meine gesamte Schulzeit eigentlich ... Auch im Gymnasium wurde das nur so lässig gestreift. Es wurde nicht eingegangen auf die Zeit. Ich habe nichts darüber erfahren. Ich wusste genug vom Elternhaus. Viele Menschen, gerade Sänger ... Viele Künstler sind bei uns ein- und ausgegangen, die die Eltern dann nicht mehr gesehen haben. Und ich erinnere eine Geschichte, dass ein, im '44er oder '43er ... Nein, nein, das war viel früher. Ich erinnere mich an eine Geschichte, wo meine Mutter, es war so '41, jemanden gegrüßt hat auf der Straße, und der ging grußlos an ihr vorbei. Und später hab ich erfahren, dass er angerufen und gesagt hat: "Sie dürfen mich nicht grüßen." "Mit dem Kind auch noch, das ist schlecht für Sie!" Das war ein Jude, der meine Mutter geschützt hat, obwohl sie sich gut kannten. Hat den Gruß nicht erwidert. Nichts gehört von ihm. Manche sind rechtzeitig weggekommen. Dieses: "Der, der ist weggekommen!" Aber ich hab nur geahnt, dass was Schreckliches mit den Leuten ... .. mit den Menschen passiert. Das war sehr traurig. Immer wenn meine Mutter Geschichten von dem Herrn Soundso erzählt hat, wurde bitterlich geweint. Ich hab mitgeweint, wusste aber nicht, warum. Aber heute weiß ich es und ich finde das so unglaublich, dass der Mann sie geschützt hat, indem er sie nicht gegrüßt hat. Dann begannen erst die Transporte in die Vernichtungslager. Wir haben von unserem Fenster den Stephansdom brennen sehen, und dann ist meine Mutter mit mir einmal zur brennenden Oper. Mehr noch hat sie geweint bei der Oper, die gebrannt hat. Das war ihre ... .. halt ihre innere Heimat, die Oper. Und dann ging's ja zack, zack. Dann war das vorbei. Mein Vater hat immer gesagt: "Die Leute müssen den Schock überwinden, die Schockstarre, dann kann man langsam mit der Aufarbeitung beginnen." Nur dass die Aufarbeitung 50 Jahre dauern wird, hat er sich nicht träumen lassen, dass das so lange dauert. Es war natürlich vorgegeben eine Art künstlerische Laufbahn. Es wäre geradezu obszön gewesen, was anderes in dieser Familie zu machen. Aber es wurde mir nicht geraten, das kann ich gar nicht sagen. Für mich war dann eigentlich das Naheliegendste Schauspiel, obwohl es nicht ganz ... Ich hab schon mit drei Jahren das erste Theater aufgebaut. Unterm Tisch, Tischdecke drüber, Vorhang. Da hab ich manchmal für die Leute, manchmal nur für mich gespielt. Es war ein sehr großes Bedürfnis, ein bissl Platznot zu Hause natürlich. Mein Bruder war 13 Jahre älter und lang zu Hause. Aber ich hatte das Bedürfnis, das eigene Reich ... Ich wollte die Puppen so aufstellen, wie ich's richtig find. Und wenn jemand sagte: "Die können ja nicht übereinandersitzen" - bei mir sitzen sie so! Und ich orte da immer so eine frühe ... Bestrebung, was Eigenes aufzubauen, und natürlich Theater. Ich wurde sehr früh ins Theater mitgenommen. Ich hab im Krieg meine erste Märchenvorstellung im Bürgertheater gesehen, das ja auch abgerissen wurde. Ich habe mit acht Jahren schon "Freischütz" in der Volksoper hören müssen, wo mich nur die Wolfsschlucht beeindruckt hat, und dass eine Sängerin immer gesungen hat: "Teure Freundin, zage nicht, zage nicht, zage nicht." Das ist so eine furchtbare Arie. Da hab ich gesagt, wie das vorbei war: "Die hatte wohl den Text vergessen." Weil ich eben ein Theaterkind war, und ein Theaterkind dachte, wenn jemand immer dasselbe singt, dass sie nicht weiterwusste. Aber das war alles durchtränkt mit Geschichten über Theater, mit Erfahrung, Fernsehen gab's nicht. Man hat erzählt, wie es im Theater einmal war, wie es sein müsste und wie alles aufgebaut wurde. Man ging ins Ronacher, da war das Burgtheater beheimatet, ins Theater an der Wien und in die Volksoper. Mein Vater schaute, dass er bei der Volksoper wohnen kann. Es waren ein paar Schritte dahin. Wie ins Kino ging ich als Kind in die Volksoper. Hab alles an Operetten und Opern, was dort gespielt wurde, gesehen. Manchmal genossen, manchmal weniger, aber das war für mich selbstverständlich. Und dann wurde es halt nicht das Musiktheater, weil singen konnte ich nicht. Dann habe ich die Schauspielschule ... Und schon schwanger und verheiratet. Das hat sich überlappt. Und habe mit rasendem Erfolg ein bisschen Theater gespielt. Für die damalige Zeit mit aufsehenerregendem Erfolg. Und wusste schnell: Beruf ist das nicht für mich. Hab Angebote wegzugehen nicht angenommen, nicht nur aus familiären Gründen. Ich war damals verheiratet mit einem Schauspieler und Regisseur namens Georg Lhotsky, der sehr begabt und faszinierend war. Es war viel interessanter, mit dem zusammenzuarbeiten, weil der auch Film gemacht hat und Fernsehen. Das war für mich spannender, als nach München oder Stuttgart und da Theater spielen ... Nee, das war's nicht. Also ich habe alles gemacht, was eine Frau so machen muss. Nolens volens, so reich waren wir nicht. Aber ich habe diese Mitarbeit sehr lange sehr gerne gemacht, bis zu dem Moment, wo man sich fragt: Ist das jetzt mein Leben? Ich hatte doch auch noch eigene Träume und Utopien. Und in der Zeit, wo ich sie hatte, waren die nicht durchzusetzen. Das war für Frauen undenkbar, dass man sagt: Ich will ein eigenes Theater. Da gab es aber die Stella Kadmon im Theater der Courage, wo ich auch gespielt habe. Das war die einzige Theaterprinzipalin, die man kannte und ernst genommen hat. Und das hat mich schon beeindruckt, dass das geht. Es kann eine Frau ein Theater leiten, haben und gründen. Wieso ist das so absurd? Weil es war in den ... In den 60er Jahren war das absurd. In den 50er Jahren war gar nicht dran zu denken. Es gab auch keine Regisseurinnen, bis auf eine Opernregisseurin oder da eine Ausnahme irgendwo. Das waren alles sehr ernste, starke Damen. Als die Ehe dann auseinanderging, weil wir so jung zusammenkamen, ziemlich freundschaftlich, war plötzlich... Das fiel wie bei so vielen Frauen mit dem Wunsch zusammen, aber jetzt bitte auch etwas zu machen, was mir entspricht, etwas Kreatives. Das war die Schauspielerei für mich nicht. Sie ist für mich sehr gern zu kurz gekommen in der Ehe. Da hab ich ja gesehen, dass das nicht mein Beruf ist, dass ich nicht sag: "Ach, ist mir egal, ich spiele." Ich war froh, dass ich es nicht musste. Und dann war diese wunderbare, sag ich immer, weil es wie ein Wunder ist ... Das Zusammentreffen von sich lösen aus einer Beziehung, und dann erst etwas Eigenes aufbauen können, und es war halt '68, ja? Es kamen die 68er Jahre, die für die Frauen so wichtig waren. Es war die Aufbruchsstimmung. Und dann ist mit der Verwirklichung der Utopien gar nichts gewesen, weil da musste ich Geld verdienen und musste mich ein bisschen herumschlagen mit sehr viel Funk. Viel im Hörfunk gearbeitet, und wieder bisschen spielen, im Theater der Jugend und dort und dort spielen ... Das war gesund, um eigenes Geld zu verdienen. Und die wirkliche Aufbruchszeit begann ja eigentlich erst Anfang der 70er Jahre. Auch die Frauenbewegung ... Ich verwende ganz sicher nicht das Wort Feminismus, diese Frauenbewegung wurde ja erst wirklich virulent Anfang der 70er Jahre. Da kamen die Bücher heraus, meistens von Männern geschrieben. Ich kann mich an ein Buch erinnern, der Autor ist mir entfallen, ein männlicher Autor: "Hat der Mann versagt?" Das könnte man heute wieder lesen, wenn wir wissen, wer eigentlich aller ... .. wie wenige Frauen beteiligt sind an Weltkatastrophen, vor allem finanziellen Katastrophen. Da such ich mit der Lupe die Frauen. Können wir stolz sein drauf. Aber es war in den 70er Jahren so eine allgemeine ... Viele Ehen sind auseinandergegangen. Aber das hat ja einen Grund gehabt. Ich hatte das Glück eines friedlichen Auseinandergehens und eines Befreundetbleibens, einen gemeinsamen Sohn hatten wir auch. Und so hab ich gesucht, doch sehr lange gesucht, ich sage, fast fünf, sechs Jahre. Und hatte eine unglaubliche Unterstützung meiner Eltern. Die sind überhaupt ... meine Götter. Weil die haben mir alles ermöglicht durch das Vertrauen, das sie mir entgegenbrachten. Und ich war so eine kleine Maus. Ich war ja nach 13 Jahren das Wunschkind nach meinem Bruder. Sie haben ein Mädchen erwartet, und ich hab bis zur Tanzschule geglaubt, dass das ganz was Besonderes ist, ein Mädchen zu sein, dass das einfach die Krone der Schöpfung ist. Und ich hab dann in der Tanzschule gemerkt: Hoppla, das ist nicht so. Das wird anders gespielt in der Realität. Nämlich die Burschen suchen sich da die Mädchen aus. Und ich, sehr klein und sehr kindlich noch, hab die, die mir gefallen haben, nicht gekriegt, keinen einzigen. Die haben über mich drübergesehen und haben bestimmt, wer wird nach Hause begleitet, mit wem sprechen sie, flirten sie, tanzen sie. Da war ich ein bissl erstaunt und hab gemerkt, dass es anders läuft eigentlich in der Gesellschaft. Da wurde mein Auge geschärft für Ungerechtigkeiten, und meine Eltern ... Mein Vater war ein g'standener Patriarch, ein grundgütiger, aber ... Die Mama hat da fleißig ihre ... .. ja, ihre Dienste verrichtet und hat ihre Wünsche aufgegeben, Sängerin zu werden und zu tanzen aufgehört. Das wollte der Papa nicht. Und bei mir hat er das aber nicht wollen. Bei mir hat er mit Argusaugen beobachtet, ob ich mich nicht verzettele und meine Begabungen nicht richtig auslebe, und ob ich nicht gefördert werde. Und als ich mein erstes eigenes Projekt hatte, da hat der Mann mir drei Jahre lang die noch nicht sehr hohe Miete, aber drei Jahre lang die Miete bezahlt. Das waren Räume in der Drachengasse, und ich wusste noch nicht, was ich damit machen werde. Ich hab der Stella Kadmon gesagt, ich warte nicht, bis sie nicht mehr kann. Sie wollte mich als Nachfolgerin im Theater der Courage. Da hab ich gesagt: "Das mach ich nicht." "Da muss ich ja dauernd Ihren Puls messen, ob Sie nicht mehr können." Ich will ja nicht wie ein Aasgeier warten, bis die nicht mehr kann und mich ins gemachte Bett setzen. Da bin ich gegangen. Das hat niemand verstanden. Alle dachten, ich wär die logische Nachfolgerin. Sie hat's aber verstanden, und dann kam der Moment, wo ich ihr noch ein Jahr lang helfen musste. Und dann ist sie auch sehr unangenehm gekündigt worden vom Stift Seitenstetten. Für mich war das dann doch eine sehr gute Lösung, weil ich sie nicht kränken musste, dass ich das nicht will. Ich konnte mich dann voll und ganz auf das Theater Drachengasse stürzen und da mit ganz tollen Frauen ein kleines Theaterprojekt aufbauen. In der Gasse gab's eine Tapeziererwerkstatt. Ich bin mit der Leiter vom Hausmeister ... "Was ist da?" - "Eine Tapeziererwerkstatt." "Das ist ganz kaputt." - "Ich möchte hineinkriechen." Bin dort in den Schutt, Schutt war ich gewöhnt. Hab ich mir das angeschaut und gedacht: Da kann man ein Theater machen. Mein Vater kam und hat gesagt: "Was, Theater? Was, was?" Hat mir das Geld gegeben, die Miete bezahlt. Und dann, Gott sei Dank, hat er das halbwegs noch erlebt, dass was wird draus. Dann hab ich gesagt, das möcht ich haben. Ich hab einen Herrn gefunden, der mir gut gefallen hat. Der war fesch und half mir mit der Hausverwaltung ... Kurz: Die Miete war da. Und ... ich versteh nicht, wie ich's geschafft hab: die Bauprobleme, die Geldprobleme, die Behördenprobleme ... Alle haben uns ausgelacht: "Haha, die Drachengasse. So schauen's aus, die Weiber." Drachengasse, das war gleich so ein Begriff: Das ... sind wilde Weiber, die was weiß ... Von der Staatspolizei bekam ich einen Anruf: "Was haben Sie da vor? Ich bin von der Staatspolizei." Sag ich: "Was?" - "Na, was ist das für ein Verein?" Ja, sie haben geglaubt, das sind jetzt ... .. die Weiber werden dort verrückt, anarchisch. Gehen mit der Schere herum und kastrieren die Männer. Sie haben uns jedenfalls gefragt, was wir vorhaben. Da hab ich gesagt: "Sie können den Herrn Zilk fragen", der war damals Unterrichtsminister, "Und die Staatssekretärin Dohnal und ...". Stille am Telefon! Dann hat er gesagt, ganz ein anderer Ton: "Liebe Frau, wir müssen uns ja erkundigen, was da los ist." "Nichts für ungut." Aus. Ich bin nie mehr von der Staatspolizei ... Jedenfalls war das schon verdächtig, dass Frauen so was gründen und sich da versuchen. Das war '78, das ist noch nicht so lange her. Und dann gab's eben die Subvention doch, eben dann nur für Theater. Und dann wurde das mit Hilfe von befreundeten Architekten, Steuerberatern und Immobilienleuten eröffnet. Und das hat furchtbar begonnen, weil das ja keiner kannte. Und dann hat's ganz einen tollen Verlauf genommen, einen so tollen Verlauf. Da wurde, das muss man schon sagen, wenn man im Jahre 2011 darüber spricht, da wurden im Hauptabendprogramm aus Kellertheatern Übertragungen gezeigt im Fernsehen. Vom ORF. So eine Zeit war das. Der Mythos des Theaters in der Drachengasse ... .. ist mir immer ein bisschen peinlich, weil er entstand ja auch aus einem Vakuum. Es gab unendlich viel mehr tolle Schauspielerinnen, weil es so wenig Frauenrollen gibt. Es gab keine Regisseurinnen, weil niemand sich traute, einer Frau eine Regie anzuvertrauen. Eine unserer ersten Produktionen, als eine Frau Regie geführt hat, da gab's in einer angesehenen Zeitung die Überschrift: "Frau führt Regie!", Rufzeichen. Ja? Als würde stehen: "Mops fährt Schlitten", oder ich weiß nicht. Es war unglaublich. Das war eine Headline wert auf der Kulturseite. Und das war auch ein bissl ein ... dass man sagt: Womit unterscheiden wir uns von anderen kleinen Bühnen? Aber es war auch eine ganz starke Absicht. Wir alle, die wir hier gearbeitet haben, waren in festen, guten Beziehungen mit Männern. Wir haben Wert drauf gelegt: Nicht dass das ... Das war ganz wichtig, weil es wurden ja die Frauen ... Engagierten Frauen mit Augenzwinkern fast bis heute immer ein bissl: Na ja! Sind sie schiach? Sind sie lesbisch? Kriegen's keinen Mann? Sind's krank? Haben's Hängebrüste? Es war da immer so der Nimbus: "Die sind a bissl ang'stochen." Wir, das war eine hübsche Partie. Das war wichtig. Schlägt sie mit den eignen Argumenten. Das erste Frauenkabarett hieß "Lauter Emmis". Vier bildschöne junge Frauen mussten her. Ich hab gesagt: "Nehmts die Feschesten, damit den Männern die Sabber runterrinnt, sie aber die Inhalte mitnehmen." Das war wichtig, dass sie überhaupt in das Kabarett kommen. Wir hatten mehr Männer als Zuschauer als Frauen, weil die sich so amüsiert haben. Vielleicht hat der eine oder andere gedacht: "Eigentlich haben's recht. Fesch waren's auch." Wir haben das bewusst eingesetzt. Ich hab die Feschste immer zu den Kritikern geschickt, ein Projekt vorstellen. Ich hab gedacht, das benutzen wir, wenn sie das haben. So war da eine sehr witzige Gruppe am Werk, eine sehr humorvolle. Ich bin mit Humor groß geworden in dieser Familie, mit Selbstironie. Aber wir haben sehr wohl die Anliegen der Frauen ... Dass da eine Chancengleichheit herkommen muss, dass eine Selbstbestimmtheit, eine Entscheidungsfreiheit, eine Gleichwertigkeit endlich einmal eintritt. Ja? Bis heute ist nicht alles erreicht, wenn man zum Beispiel die Löhne vergleicht. Es ist noch dasselbe Thema virulent. Und dann haben wir nach Stücken mit guten Frauenrollen geschaut. Es haben hier Autorinnen ihre ersten Stücke geschrieben. Peter Turrini hat geschrieben, wir haben Männer miteinbezogen. Unsere Partner, die in verschiedenen Sparten gearbeitet haben, haben uns unterstützt. Es hat sich total umgekehrt. Sonst sind die Frauen die Musen, machen die Steuer und kaufen ein. Die haben stolz für uns gearbeitet, waren halt klasse Burschen. Wir hatten eben keine Dodeln als Partner. Wenn man so engagiert ist, sucht man sich die Richtigen. Die waren stolz. Da gab's eine Liste, wer geholfen hat bei der Eröffnung. Da waren die alle drauf. Und es haben Politikerinnen und der Helmut Zilk geholfen. Der hat das auch klasse gefunden. Es war die Johanna Dohnal, die Hilde Hawlicek, die Ursula Pasterk, die Renate Brauner, die Maria Rauch-Kallat, damals noch nicht reich, noch nicht Gräfin, aber immer mit solchen Hüten. Toll. Das waren Stammbesucher. Wir haben versucht, dass die Parteien es nicht vereinnahmen für sich. Am Anfang hatten wir gar kein Geld. Da war eine Frauengruppe, wir wollten aber nur Theater. Aus Geldgründen haben wir dann stillende Studentinnen hereingeholt, und Trommlerinnen, und "strickende Partisaninnen", haben sich die genannt. Wir haben alle versammelt, und es hat sich herauskristallisiert: Wir wollen Theater machen. Und da gab's dann gar kein Geld. Da weiß ich noch, dass es hieß: 100.000 Schilling, der Umbau ... Was, 100.000 Schilling? Und da hab ich dem zuständigen Herrn gesagt, Kultur ... Kulturbereich: "100.000 Schilling? Großartig." "Aber überweisen Sie's gleich dem SOS Kinderdorf." "Dort ist es g'scheiter angelegt." "Weil dafür können wir drei Ziegel kaufen." Der war sehr über die Keckheit erstaunt. Heute hätt ich mich das nimmer getraut, aber damals waren wir keck. Und irgendwie, ich hatte ein kleines Häuschen am Land, das habe ich belastet. Das war dann ... zum Schrecken meines Sohnes. Aber mein Vater sagte: "Wir werden's schon schaffen." Immer wieder geglaubt, das wird was. Dann haben wir's geschafft. '81 war die Eröffnung, es war wunderbar. Ich hatte ein paar wunderbare Mitarbeiterinnen. Die anderen sind abgesprungen, haben eigene Theatergruppen gegründet. Wir haben uns nicht vertragen. Lauter Alpha-Weibchen. Die Johanna Tomek hat sofort ihr eigenes ... Die Dietlind Macher und der Ulf Bir- baum haben das Fo-Theater gegründet. Andere haben andere Sachen gemacht. Das war ein Virus, der ansteckend war, ein Bazillus. Ich hab gesagt: "Ich hab das gefunden und gegründet und hab soviel gezahlt." "Ich möchte das nicht, dass da sieben Direktorinnen sind." Das geht nicht am Theater. Theater ist Diktatur pur, wunderbar. Die einzige, die es sein darf, ist am Theater. Die einzige. Jede Demokratie ist völlig, völlig ... .. kontraproduktiv. Mitarbeiter hören, besprechen, aber am Schluss gibt's eine einzige Entscheidung, die muss man schlucken, wenn sie falsch war. In der Drachengasse war keine Entscheidung falsch, da war ziemlich alles richtig. Die engsten Mitarbeiter waren Johanna Franz und Eva Langheiter. Und diese beiden Frauen haben dann das Theater, als ich ins Volkstheater gerufen wurde, übernommen. Da hab ich darauf bestanden: "Entweder die kriegen das oder ich mach das nicht." Und haben es 30 Jahre bislang wunderbar auch geführt. Es war deshalb eine so erstaunliche Erfolgsgeschichte, weil es das vorher gar nicht gab. Es kamen Männer und Frauen zu uns, das war uns wichtig. Es prägte jemand den Begriff Frauentheater. Ich bin ausgerastet: "Was ist das?" "Das Burgtheater ist ein Männertheater?" Ja, müsste man sagen. Aber mit dem Begriff wollt ich nichts zu tun haben. Und da haben wir "Susn" von Achternbusch und "Die bleierne Zeit" von Trotta und zum ersten Mal Marguerite Duras in Wien gespielt. Und wir haben eine Dramatisierung von der Ingeborg Bachmann, "Der gute Gott von Manhattan", gespielt. Das gab's noch nicht, die Bachmann auf die Bühne zu bringen. Später haben das dann alle gemacht. Wir waren die Ersten. Die Drachengasse hatte dann mit einem besonderen Stück den sogenannten, wie nennt man so etwas ... den Zenit erreicht. Mich hat das erinnert an meine Zeit in der Courage. Das war natürlich mindestens zehn, zwölf Jahre früher: Ein Lebenspartner von mir, der leider schon verstorben ist, ein grandioser Schauspieler und Regisseur, Rudolf Jusits, hat bei der Stella Kadmon im Jahre '74, in der Saison '74/'75, als es um den Paragrafen 144 ging, um das Abtreibungsgesetz, ein Stück inszeniert, von dem die Stella weder Autor noch Titel wusste. Und das war eben ihr Anliegen, politisches Theater zu machen zu einer Diskussion, die gerade stattfindet gesellschaftspolitisch. Dieser Paragraf 144, wo die ... .. sehr viele Frauen gestorben sind bei Engelmacherinnen oder noch ärgeren ... .. unter ärgeren Umständen. Und die reichen Frauen konnten sich alles leisten in der Klinik. Sie sagte: "Es gibt ein Stück, das heißt 'Strychnin'." Wir haben es nicht gefunden. Ich hab keine Ruh gegeben, bis ich draufkam: Das Stück heißt "Cyankali", nicht "Strychnin", und ist von Friedrich Wolf, einem hochpolitischen deutschen Autor. Wir haben es gespielt, es war eine Sensation. Das Stück wurde im Fernsehen übertragen, im Jahr '75, im Frühjahr. Alles undenkbar heute. Das wird erstens nicht aus dem Kellertheater übertragen, so was Brisantes nicht, und nicht zur Hauptabendzeit. Das hat das Wohlwollen von Kreisky erregt, diese Übertragung, bei der er sich das angeschaut hat. Und das Gesetz wurde geändert. Sicher nicht aufgrund dieser Übertragung, aber es hat dazu beigetragen. Und das erinnere ich jetzt, weil es mich damals erinnert hat, als wir in der Drachengasse versucht haben, am Puls der Zeit Theater zu spielen. Und da gab's dann einen jungen Mann, den ich als Schauspieler sehr geschätzt habe. Der brachte mir ein unsägliches Stück. Das hab ich nicht gespielt. Dann saß er mit drei Kollegen am Tisch und hat diskutiert, wie schwer es die Männer heutzutage haben mit den Weibern. Und wir haben da zugehört, wir, mit meinen Mitarbeiterinnen und dem Team, und gesagt: "Wahnsinn, was die sprechen." Und da hab ich gesagt: "Pass auf, mein lieber Gabriel", es war Gabriel Barylli, der später als Autor Karriere machte. "Wenn du das zu Papier bringst, was Ihr da redet, das ist nicht nur wahnsinnig lustig, es trifft den Nerv der Zeit." Er war beleidigt, weil wir das andere Stück nicht gut fanden. Nach zirka 14 Tagen kam dieser Bursche tatsächlich mit einem fertigen Stück, das den Anstrich von Edelboulevard hatte, aber mit allem, was im Moment zwischen Männern und Frauen Sache war. Das hieß "Butterbrot". Die Leut standen bis zum Schwedenplatz, um Karten zu kriegen. Da haben wir viel für den anderen Raum angebracht, gesagt: "Sie kriegen eine Karte, wenn S' das auch anschauen." Das war tatsächlich auch auffallend für die ... Weil bis jetzt waren wir schön unter der Decke. Plötzlich hat man drübergeschaut über den Rand des Suppentellers, und es wurden viele Leute aufmerksam auf uns. Sogar, kann ich mich damals erinnern, Herr Peymann. Das hat sich dann geändert, da war er nicht mehr aufmerksam. Und jedenfalls kamen hochrangige ... Es war vom Vranitzky auf- und abwärts: Bundespräsident ... Alles kam sich "Butterbrot" anschauen. Auch wieder im Fernsehen übertragen, der Mann war gemacht. Wir Trotteln haben keine Beteiligung ausgemacht. Da war die Diskussion, dass man was kriegen wollte davon. Hab ich gesagt: "Besser, er zahlt uns was drauf auf die Regie." Da spielten drei Männer, es war von einem Mann, ein Mann führte Regie. Und es war das feministischste Stück, das wir meines Erachtens je gespielt haben. Das war wunderbar, das war aufsehenerregend. Und dann kam eben eine riesige Zäsur, weil bekannt wurde, dass der amtierende Volkstheaterdirektor zurücktritt. Er wollte nicht mehr, ist nicht gut behandelt worden und hat gesagt: Genug! Dann ging's los: Dann kam der Anruf, kamen alle Anrufe und schon extrem aufgeregte Presse. Auch hier wieder, dass man das Gefühl hat ... Ich hab den Begriff oft strapaziert, ich sag's noch mal: Als wäre ich ein Orang-Utan-Weibchen. So eine Sensation wurde da draus gemacht, dass man einer Frau ... ein großes Theater anvertraut. Vielleicht war's wirklich so. Am meisten hat sie das Kellertheater gestört. Dann hab ich gesagt: Wenn ich kochen kann ..., was ich übrigens nicht kann. Wenn ich kochen kann, kann ich entweder für drei Leute kochen, aber auch für 30. Da nehm ich mehr Zutaten und ein größeres Reindl. Das größere Reindl ist das Volkstheater. Das bekoch ich jetzt. Damit hab ich mich gewehrt. Ich war unbefangen, ich könnte das heute nicht mehr. Ich hätte so viele Ängste auch, oder Sorgen, und das ... Ich war unbefangen: "Da gemma hin. Das mach'ma." Der Schmerz war natürlich das Verlassen der Drachengasse. Aber ich bin eine schnelle Trennerin und wusste: Diese zwei wunderbaren Mitarbeiterinnen kriegen's. Ich hab gesagt: "Ihr dürft mich nie mehr anrufen." "Wir müssen ins kalte Wasser." Wenn eine Schwierigkeit war: "Die Emmy ... ". Und ich hab gesagt: "Die Emmy gibt's nimmer. Ihr müsst ins Wasser springen." Das haben sie gemacht, und ich wurde nie angerufen. Und ich hab mich umgedreht, kein Blick zurück. Das ist eine Stärke von mir, dass ich mich sehr gut trennen kann. Genauso gut hab ich mich 18 Jahre später vom Volkstheater getrennt. Ich denke, dass ich im Volkstheater in dem Sinne politisches Theater gemacht habe, das dem entspricht, was ich für politisch halte. Nicht parteipolitisch, ich war immer ungebunden, war nie bei einer Partei, einem Klub. Sogar der Verein Drachengasse war etwas, was meiner Persönlichkeit nicht entsprach. Ich will immer frei sein. Und daher kann man auch überall das sagen, was man denkt. Ich habe dieses Haus vom Geruch des Gewerkschaftstheaters befreit, weil das war eine gemeine Abstempelung, eine bösartige. Weil dem Restitutionsfonds der freien Gewerkschaften hat das Theater gehört. Das war gut nach dem Krieg, dass die das übernahmen nach dem Kraft-durch-Freude-Besitzer. Die haben geschaut, dass da ordentlich was gemacht wird. Es wurde immer politisches Theater im Volkstheater gemacht. Ich hab das anders gemacht, hab's nach meinen Vorstellungen geprägt. Mit sehr vielen begleitenden Veranstaltungen, mit sehr vielen Matineen. Aber auch die Stücke mussten ... Hin und wieder gab's auch ein Unterhaltungsstück. Selbst da hab ich geschaut, dass es nicht nur blöd ist und nie etwas Frauenfeindliches auf meine Bühne kam. Das war schwierig, auch mit den Regisseuren. Manchmal musste ich sagen: "Njet!" - "Ah, Zensur!" - "Is mir wurscht!" "Ich will diese Vergewaltigung in dieser Art auf der Bühne bei mir nicht sehen." Da musste ich durchgreifen manchmal, weil ich das nicht wollte. Aber das ist nur ein Beispiel. Da gab's auch oft Sätze und Sachen, da hab ich geschaut, dass die Inhalte auch für die Frauen etwas Neues bringen, etwas Bewegendes bringen. Oder die klassischen Heldinnen: Ich hab jede Produktion mit einer Heldin begonnen, nie mit Verliererinnen. Auch wenn sie Mörderinnen waren, sie waren Siegerinnen, ohne dass man sich mit den Mörderinnen identifiziert, sie gar gelobt hätte. Ich hab alle Stücke nicht gespielt, wo die Transusen ... Eine geht in Wasser, weil sie verlassen wird. Ich hab gesagt: "Die hätt ihm sollen einen Tritt geben." Aber das Stück war so. Wir haben es nicht umgeändert, wie es heute die Regisseure oft machen. Das hab ich mich nicht getraut, wenn's noch dazu von Grillparzer ist oder Goethe. Da haben wir uns die ausgesucht, wo die Frauen stark waren. Starke Frauen, starke Stücke. Ganz wichtige Siegerin war die Eröffnung mit "Libussa". Also ein Stück, dass die ganze Umweltbewegung vorweggenommen hat. Großartige Schauspielerinnen immer in den Titelrollen. "Anna Galactica", ein besseres Stück gibt es nicht: eine Malerin im Zwist zwischen Anerkennung durch den Machthaber und dem, was sie sagen möchte. Eigentlich wollte sie ein Bild wie "Guernica" malen. Der Machthaber will aber, dass sie den Krieg schöner darstellt. Das war eine Heldin, die trotzdem das Bild so gemalt hat. Wenn sie dann vielleicht eine Strafe bekommt, das war wurscht. Also es war immer die Absicht: die Frauen als die starken Frauen, die sich durchzusetzen verstehen. Zu zeigen: Es geht. Den Frauen immer zu zeigen: Mut lohnt sich. Risiko lohnt sich. Die Besinnung auf das eigne Wollen lohnt sich. Aber man muss dazusagen: Das bedeutet ja nicht, dass man sich an Spielregeln hält, dass man Rücksicht nimmt, dass man Güte und Empathie zeigt. Das ist etwas zutiefst Weibliches, das auch starke Frauen haben können. Ich geh so weit und sag schon: haben müssen! Ich habe ... .. zum Beispiel mit Elfriede Jelinek zusammenarbeiten dürfen. Das war wunderbar, weil die Jelinek ... Ich war das erste große Theater, das sie gespielt hat. Und sie hat sogar den wunderbaren Satz gesagt, dass sie ohne uns, sag ich, in Wien wahrscheinlich nicht reüssiert hätte. Es hat sie keiner gespielt. Wenn ich die Kosenamen aufzähle, die große Theaterdirektoren ihr gegeben haben, muss ich den Rechtsanwalt dabei haben, die würden das nicht mehr zugeben. Die stürzten sich auf ihre Stücke, nachdem sie bei uns gespielt wurden und riesen Erfolg hatten. Also die Jelinek ... Ich muss Gerd Jonke nennen, den wir auch als erste gespielt haben, aus seinen Prosatexten Theaterstücke gemacht haben, mit rasendem Erfolg. Traurig ausgegangen. Das letzte Stück hat zum Streit geführt. Obwohl ich ihn schützen wollte, waren alle auf mich bös, weil ich es absagen wollte. Ein Stück abzusagen bedeutet in einem Theater, das zu wenig Subvention kriegt, immer eine finanzielle Verantwortung. Ich hab meine Auszeichnungen, die ich dafür bekommen hab, was wir für die österreichischen Autoren getan haben ... Wir hatten an die 80 Uraufführungen mit den Nebenräumen. Ich habe überall im Theater gespielt, gerade im Häusl nicht. Aber in allen Räumen wurde was aufgeführt, immer. Unter der Bühne kann man spielen, über der Bühne, am Plafond. Also ich sage: Die Frauenanliegen, die österreichischen Autoren und die flankierenden politischen Veranstaltungen waren diese drei Säulen, auf denen ich das Theater aufgebaut hab. Und das hat mir auch eine ganz gute Nachrede gebracht bis heute. Es war vielleicht ein Fehler, dass ich nicht aus Wien rausgegangen bin und mich nicht interessiert hab, ob deutsche Zeitungen oder irgendwer etwas schreibt. Ich hab das verkannt. Ich dachte, Wien ist eh die Hauptstadt der Welt. Ich hab wohl was in den Genen von Altösterreich, was Monarchistisches. Wien: Das ist ... Das stimmt nicht, aber ich hab's in mir irgendwie geglaubt. Ich bin so verwurzelt hier. Ich kann ja hier fast nicht ausreisen. In Purkersdorf hab ich schon Heimweh. Und daher war es mir so wichtig, dass ich für Wien arbeite, für das politische, das kulturelle Klima Wiens. Die Drachengasse hat etwas verändert in Wien. Da bin ich überzeugt. Es hat meine Zeit in der Courage etwas verändert. Und meine Zeit am Volkstheater hat sicherlich etwas verändern können. Ich will mir nicht anmaßen, dass nur das das war. Aber ein bissl was muss es bewirkt haben, sonst würd ich nicht so viel angesprochen werden. Ich hab auch von tollen Leuten Zuspruch bekommen. Ich hab so wunderbare Menschen kennengelernt in diesem Beruf, die mir vermittelt haben, dass das was war. Weil ich selber hab's nicht gespürt. Ich war immer in der Mitte des Wirbelsturms. Ich bin da reingegangen ins Theater. Ich hab mich nicht verändert, sagen die anderen. Wie ich begonnen hab in der Drachengasse: Der Portier hat gegrüßt, und wenn ich gegangen bin, hat er gesagt: "Jetzt gehen S' wieder ganz z'nepft nach Haus." Weil ich so müde war. Ich war nicht die Frau Direktor. Ich hab's auch nicht gespürt von anderen. Ich hab's nach Beendigung meiner Tätigkeit gespürt, dass da was war, dass da etwas doch gewesen sein muss, dass da ein paar ... ein paar Ziegelsteine hingestellt wurden. Selbst wenn sie mir zerbrochen sind. "Aus Stolpersteinen lässt sich was Schönes aufbauen", hab ich gelesen. Den Satz find ich grandios. Die kann man auch verwenden, die Steine. Und das hab ich auch gemacht. Und bei allem Zorn, den man hat, vor allem auf die Kritiker, hat meine Freundin Lida Winiewicz, von der ich auch wunderbare Stücke gespielt habe ... Die hat ja den ersten Autorenbewerb von der Stella Kadmon gewonnen, auch ein hochpolitisches Stück. Die hat einen Satz gesagt über mich: "Jahrelanges Navigieren in den heißen Kulturwässern Wiens, wo die Haifische und Krokodile herumschwimmen." "Wenn man die unbeschadet übersteht, muss man nicht nur sehr gute Nerven haben, sondern auch eine gewisse Standfestigkeit, und vor allem die Tugend, die Bisse im Vorhinein zu erkennen und dadurch abzuwehren." Ich hab Glaswände runtergelassen, hab's nicht rangelassen, bin zu meinen Eulen gegangen und hab die geputzt stundenlang. Meine Eulensammlung, die legendäre, keine schenken! Da hab ich dann herumgeputzt, und da hat sich dann das ... Die fast stattgefundenen Bisse ... Die Phantomschmerzen haben sich dann gelegt. Ich denk oft drüber nach, was das bedeutet, dieses Geburtsjahr 1938. Es ärgert einen, weil man dadurch schon so alt ist. Aber man muss glücklich sein, dass man jetzt lebt und sagen kann: Heute gehen wir zwischen 70 und 80 herum, Männer und Frauen, und wollen, können leben, was leisten. Und wir sind eben nicht automatisch zum alten Eisen gehörend. Wenn man vor 100 Jahren, da gesessen wäre mit 70 und noch irgendwas wollte, hätten's einen sofort als Hex' verbrannt. Jedenfalls ist dieses 38er-Jahr insofern schon sehr bedeutend, weil ich habe das Wien erlebt, das Nazi-Wien erlebt, die schreckliche Diktaturzeit. Ich habe das zerstörte Wien erlebt. Ich habe das besetzte Wien erlebt, die in vier Zonen aufgeteilte Stadt, "Die Vier im Jeep". Wir haben's gesehen, haben ihnen gewunken. Mein Bruder spielte im 10. Bezirk Theater, im Russenbezirk. "Nur nicht in den Russenbezirk!" Treubergs Gratis-Bühne hieß das, die sammelten mit dem Hut. Dort hat mein Bruder "Faust" gespielt, sinnloserweise an der Philadelphiabrücke "Faust". Das wollte man nach dem Krieg. Wir sind ängstlich in den Russenbezirk. Die haben uns nichts getan, die haben uns zuschauen lassen, sind auch drinnen gesessen, haben auch was in den Hut gehaut. Aber es war auch, als wär man nach Sibirien kurz gegangen. Wir wussten nicht, was uns die Russen tun. Wir waren im amerikanischen Bezirk. Und so hat man dieses besetzte Wien auch sehr gut, einfach hautnah gespürt. Ich habe das neu aufbauende, zart aufblühende Wien erlebt. Ich habe das sehr erzkonservative, prüde Wien erlebt, das sich knapp in den 50er Jahren daran angeschlossen hat. Das war keine schöne Umgebung für Künstler und für Leute, die was Neues wollen. Da gab's nur Nischen. Der Art-Club, wo mich mein Bruder mitgenommen hat. Das hatte alles so was Anrüchiges: "Jazz, na Jössas na!" Alles, was über die Norm rausging ... Sehr, sehr dumpf, würd ich sagen, ein sehr dumpfes Klima. Und habe dann in den 60er Jahren das leise Zerbröckeln, dieses aufbegehrende neue Wien ... Es kam Kreisky, mit ihm hat sich alles geändert. Er ist mein Abgott, ich kenne die Fehler. Man will von seinen Göttern die Fehler nicht hören. Auch von meinem Vater nicht, ist auch ein Gott für mich. Er war ein Gott, weil es da losgegangen ist, das neue, tolle Klima. Entstaubt, Luft kam hinein, durch Österreich, durch die Stadt. Man war stolz, Österreicherin zu sein. Ich hab gesagt: "Ich bin aus Österreich." Heut sag ich schon wieder: "Ich komme da so aus Mitteleuropa." Ich bin nimmer so stolz, leider, und obwohl es viel Grund gäbe. Aber in den Kreisky-Jahren war man jemand in der Welt. So, dann weiter: Dann kam das 68er-Jahr. Es kamen die frauenbewegten Jahre, es kam wieder was Neues, wieder ein leiser Rückgang, seltsamerweise. Dann hat sich angekündigt, dass es wieder ein bisschen ... Spießbürger, die heile kleine Welt, und wieder ein Aufbrechen. Ich hab diese kulturelle und politische Entwicklung von Wien aus, weil ich ja nur wie eine Krot da in dieser Höhle gesessen bin ... Weil ich nicht weg wollte, hab ich das stark mitbekommen. Und wenn ich da so zurückschaue, denk ich mir: War eigentlich recht interessant.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Emmy Werner (Theaterdirektorin)

Wir und Wien - Erinnerungen " Mit etwas Geschick kann man aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, eine Treppe bauen", erinnert sich die Schauspielerin, Regisseurin und langjährige Direktorin des Volkstheaters an ihre Berufslaufbahn. Sie erzählt von den Schrecken des Nazi-Terrors, vom prüden, grauen Wien der Nachkriegszeit, von den reaktionären Zwängen, denen künstlerisch tätige Frauen unterworfen waren - und von der Ära Kreisky, diesem faszinierenden Aufbruch Richtung Freiheit, den sie zu nützen verstand.

Länge: 48 Min. 43 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
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Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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