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Mitschrift

Ich bin Alexander Jenner. Ich war oder ich bin noch Pianist, aber nicht mehr ausübend. Aber von 1950 bis 2000 hab ich eine pianistische Karriere gemacht. Wir sitzen hier allerdings in der Werkstatt meines Sohnes und der baut Instrumente, der baut Geigen und Celli, aber auch so ganz ausgefallene alte Instrumente, Drehleiern usw. Aber es ist ein nettes Ambiente, dass wir das hier machen. Musik ist Musik, und mein Vater war auch Musiker. Aber nicht von Anfang an. Er war gelernter Dreher und wurde in Russland geboren. Sein Vater ist auch ein ... Seine Mutter ist eine echte Russin. Sein Vater war Russlanddeutscher in zweiter Generation. Denn es war so im 19. Jahrhundert: Die haben die Putilow-Werke in Sankt Petersburg gehabt. Dort haben sie Lokomotiven gebaut ... .. in Lizenzverfahren von den Borsig-Werken in Berlin. Und da sind ... Irgendein Urgroßvater ist als Spezialist dorthin gekommen, so wie man heute VW-Spezialisten nach Mexiko geschickt hat. Da sind sie in Russland geblieben und haben geheiratet. Meine Großmutter war noch so ein bissel schlitzäugig aus dem Ural, die Großmutter väterlicherseits. Nachdem sie immer die deutsche Staatsbürgerschaft behalten haben, obwohl man sie einbürgern wollte in Russland, zuerst im Zarenreich und dann bei den Bolschewisten, haben sie gesagt Nein. Dann sind sie nach Deutschland, nach Berlin gegangen. Und mein Vater mit seinen Brüdern und mein Großvater, die haben weiter in Berlin gewohnt. Mein Vater hat meine Mutter kennengelernt in einem Kurort, in Binz. Das war auf Rügen an der Ostsee. Meine Mutter hat sich das geleistet damals. Das war schon, wenn ich mich recht erinnere, nach der österreichischen Revolution, äh ... Inflation und mitten in der deutschen. Also, es hat Milliardenbeträge gegeben. Wer damals Schilling gehabt hat, das waren nicht mehr die Kronen, der hat wie ein König leben können, wo in Deutschland diese Inflation ständig gegangen ist. Da haben sie sich kennengelernt. Und mein Vater ist dann meiner Mutter gefolgt nach Wien. Meine Mutter war die Tochter ... .. und die Enkelin und Urenkelin von assimilierten Juden, die hier in diesem Haus, wo wir grad sitzen, gewohnt hatten. Das Haus hat auch ihnen gehört. Und das war die mütterliche Linie von meiner Mutter und der Vater kam aus Ungarn. Also, ich bin eigentlich gebürtiger Wiener, aber von Wien hab ich höchstens ein Viertel. Ein Viertel Ungar, ein Viertel Deutscher, ein Viertel Russe und ein Viertel Wiener. Deutscher Staatsbürger war ich bis nach dem Krieg. Und das war das Komische: Ich war als Jude diskriminiert als Halbjude. Aber man hat die ... Es waren gewisse Privilegien, die man da gehabt hat als Halbjude. Aber da würde ich weiter ausholen, was ich alles nicht durfte und was ich alles machen musste usw. Und kaum war der Krieg zu Ende, war ich der feindliche Ausländer. Die Österreicher haben ja alles auf die Deutschen geschoben, ne? Und ... ich war der ungeliebte deutsche Ausländer bis zum Jahr 1946, wo endlich mein Vater eingebürgert wurde und mit ihm auch ich. Ich erinnere mich sogar an mein viertes Lebensjahr, und zwar war das im Jahr 1933. Wo meine Mutter, mein Vater und ich wieder in Binz auf Rügen waren, und wo dann die Hakenkreuzfahnen geweht haben das erste Jahr in Deutschland. An das erinnere ich mich genau. Und dann im Jahr '34, da kann ich mich im Februar erinnern an den Kanonendonner. Da hat's geheißen: Ja, im Goethehof, das ist irgendwo in Floridsdorf, der Goethehof wird beschossen. Was so die Leute damals gesprochen haben. Da erinnere ich mich an diesen Bürgerkrieg. Ich hab keine Ahnung gehabt von Heimwehr oder Schutzbund, das, worum es wirklich gegangen ist. Aber ich wusste, es wird da geschossen. Ich hab furchtbare Angst gehabt, weil ich mit meinem Großvater immer beim damaligen Kriegs- ministerium vorbeigegangen bin, wo die mit dicken Maschinengewehren gesessen sind. Da haben wir immer einen Bogen machen müssen. Also, nicht direkt vorbeigehen, weil wir immer in den dritten Bezirk gegangen sind einmal in der Woche meine Cousinen besuchen. Dann erinnere ich mich auch, da waren wir in Bad Ischl im Jahr '34 im Sommer. Ja, ich sag nur, wir waren dort und wir waren da. Das war immer, weil mein Vater dort oder da gespielt hat. Nach dem Krieg sind sie alle Musiker geworden, mein Vater und seine Brüder. Und da haben sie eine russische Band gegründet mit Balalaika und mit allem Möglichen. Mein Vater hat dann meinem Sohn, dem Instrumentenbauer, auch Balalaika spielen beigebracht. Ja, das nur nebenbei. * Räuspern * Und während wir in Bad Ischl waren, hat's geheißen, der Dollfuß ist ermordet worden. Und ... also, ich war damals noch nicht in der Schule. Aber wie ich dann in die Schule gekommen bin, im Jahr 1935, glaub ich, da hat man schon so ein Lied gesungen: "Ihr Jungen, schließt die Reihen gut, ein Toter führt euch an." "Er gab fürs Vaterland sein Blut, ein echter deutscher Mann." Also, der deutsche Mann wurde von den Nazis ermordet. Also, die Deutschtümelei war damals auf jeden Fall en vogue. Ja, und dann im Jahr 1936 haben wir wieder Sorgen gehabt. Da war nämlich die Krise mit dem Saarland von Deutschland. Mein Vater war ja deutscher Staatsbürger. Dann hieß es, er muss vielleicht mit den Deutschen einrücken. Es gibt vielleicht Krieg mit Frankreich. Aber Hitler hat das Saarland einfach eingesteckt und nichts ist geschehen. Damals hätte man ihn stoppen müssen und können. Es kam das Jahr '38 mit dem sogenannten 'Umbruch', hat man das damals genannt. Anschluss hat kein Mensch gesagt, das war der 'Umbruch'. Und ich erinnere mich auch, wie Hitler eingezogen ist. Da war ich auf der Ringstraße. Neugierig war man ja. Obwohl mein Großonkel, der auch in dem Haus gewohnt hat, gesagt hat: "Was? Der Seyß-Inquart ist Bundeskanzler geworden?" Das war zwei, drei Tage vorher. "Jetzt sind wir verloren", hat er gesagt. Also, in größter Weisheit, nicht? Und der Hitler ist dann eingezogen. Er trug eine braune Uniform, 'gagerlgelb' haben wir gesagt, nicht die graue, die er im Krieg getragen hat. Er hat dann vom Auto seine bekannten Turnübungen gemacht. Mal so, mal so, mal so. Und ... also, der Heldenplatz war wirklich voll und diese ganze Ringstraße war voll von Leuten. Begeisterte! Und währenddessen mussten die Juden die Parolen, die die Vaterländische Front noch überall hingepinselt hat, - wegen der damals nicht stattgefundenen Volksabstimmung, da ist ja der Hitler zuvorgekommen, - die mussten die Juden auf der Straße und an den Hauswänden 'reiben', hat man das genannt. Der ist zum 'Reiben' geholt worden, der Soundso. Und die Leute sind rundumgestanden und haben sie verspottet und beschimpft. Das waren so sehr, sehr ... .. lebendige Erinnerungen. Und dann kam der 9. November, wo sie die jüdischen Tempel ... Man hat nicht gesagt 'Synagogen', man hat gesagt 'der Tempel'. Und da war in der Leopoldsgasse ein Tempel, der hat gebrannt, und sich wichtig machende SA-Leute sind davor herumgerannt. Die Polizei hat nichts gemacht, es war ja geduldet. Nicht nur geduldet, sondern animiert von Goebbels, dieses sogenannte ... Die Reichskristallnacht, das war auch etwas, was wir erst nachher gehört haben, dass das so heißt. Das war ... der 9. November war das, der Progrom. Der November-Progrom, und dann war wieder ... Dann ist mein Vater arbeitslos geworden, weil er mit einer Jüdin verheiratet war. Und er war von '38 bis '39 arbeitslos. Er hat dann ein Engagement in die Türkei bekommen. Er ist dann als der 'arische' Teil in die Türkei gegangen und wollte meine Mutter und mich nachbringen zum Auswandern. Das ist aber nicht gelungen. Meine Mutter und ich waren hier im Deutschen Reich in der Ostmark. Und ... der Vater war in der Türkei und musste dann zum Schluss, wo die Türkei in den Krieg eintrat, wieder zurück im Jahr '44. Dann ist er wieder hergekommen, Gott sei Dank. Ich habe ihn fünf Jahre lang nicht gesehen, nur geschrieben. Ja, dann kam also ... der Nichtangriffspakt mit Russland, mit der Sowjetunion. Da hat sich jeder gewundert: Um Gottes willen, was fällt denen ein? Aber das haben sie groß gefeiert, den Nichtangriffspakt im Jahr 1939. Und dann kam der Krieg, also, der Einmarsch in Polen. Und da wurde ich ... sofort von einer Tante, die am Chiemsee gewohnt hat, sofort dorthin geholt, weil man Angst gehabt hat, dass Flugzeuge kommen und bombardieren. Man hat damals gleich eine Kriegsangst gehabt, obwohl dann lange noch nichts passiert ist hier. Aber man dachte, polnische Flugzeuge kommen. Und wir sind am Salzburger Hauptbahnhof gesessen zum Umsteigen in den bayerischen Zug. Und da ist ein Flugzeug geflogen und man hat geglaubt, es ist ein feindliches, also ein polnisches. Und dann, drei Tage später, war ich in Bernau am Chiemsee, ist England und Frankreich eingetreten und so ist es verlaufen. Wie ich in die höhere Schule, damals Oberschule für Jungen, man hat das hier immer Realgymnasium genannt, die Aufnahmeprüfung gemacht hab, das war noch hier in der Kleinen Sperlgasse. Dort wurde ich aber nach zwei Jahren rausgeschmissen, weil ich mit der jüdischen Mutter und mit den jüdischen Großeltern damals noch, die Großeltern haben noch gelebt, unter jüdischem Einfluss gestanden bin und hätte die Klasse also gefährdet dadurch. Da hat man mich in ein Internat geschickt in den ersten Bezirk. Und von dort bin ich dann umgeschult worden in die Stubenbastei, Stubenbastei sechs bis acht. Das war eine ganz interessante Schule. Da war die Hälfte der Klasse nicht beim Deutschen Jungvolk. Also, das war die Vorstufe zur Hitlerjugend, zur HJ. Das hat DJ geheißen. Das war eine Ausnahme. Sonst waren wir in allen Gymnasien und Oberschulen fast geschlossen in der Hitlerjugend und im Deutschen Jungvolk, denn es ist Druck ausgeübt worden. Trotzdem war die halbe Klasse nicht dabei, und der Direktor, Herr Tschernach, das war ein richtiger Nazi, ein ekelhafter, unsympathischer Kerl. Aber die Professoren zum Teil waren überhaupt nicht Nazis. Da erinnere ich mich z.B.: Der Englisch-Professor hat ... .. bei der englischen Satzstellung Subjekt-Prädikat-Objekt, gesagt: "Sehr leicht zu merken: Sozial- demokratische Partei Österreichs." Die SPÖ, ne. Und der Lateinprofessor: Wenn sich einer, der ja bei der DJ war, entschuldigt hat, er hat seine Aufgabe nicht machen können, weil am Abend vorher war der Heimabend der Jugendorganisation, hat er gesagt: "Jaja, ich weiß schon, das ist der Werdegang der deutschen ..." oder der österreichischen, hat er nicht gesagt, aber ".. der deutschen Jugend: DJ, HJ, Idiot." Wenn jemand so etwas gesagt hätte im Jahr 1941 oder so, oder '42, der wäre ins KZ gekommen. Die haben sich das getraut. Oder er hat auch gesagt, das war ein anderer Professor: "Ja", wenn einer frech war, "das ist eine echte deutsche Frechheit, eine nordische Dreistigkeit, eine arische Unverschämtheit." "Früher hätte man sagen können, eine jüdische Chuzpe, aber das gibt es ja nicht." So haben die Professoren gesprochen. Und ein Schüler hat protestiert, wenn einer gesagt hat 'der Führer': "Das ist nicht 'der Führer', das ist der Hitler." Das alles mitten in dieser Zeit, wo es um Kopf und Kragen gegangen wäre bei solchen Sachen. Also, wo wir jetzt hier sind, das war ja ... die sogenannte Matzes-Insel, weil es sehr, sehr stark von Juden bewohnt war. Und ... Ich habe das Glück gehabt, einen arischen Vater zu haben und 'liegend getauft' zu sein, so hat das geheißen. Ich wurde getauft in der russisch-orthodoxen Kirche, die es damals noch gab. Dann wurde sie abgeschafft, nicht nur wegen der Nazis, sondern wegen der Russen selber. Die Bolschewiken wollten ja keine Kirche. Die Ersatzkirche war die serbisch-orthodoxe Kirche. Da musste ich hingehen. Da kann ich wieder etwas erzählen: Die Vaterländische Front, also, die sehr katholisch orientierte, hat nicht verlangt, dass alle Katholiken sind, aber dass alle in den Religionsunterricht gehen. Die Evangelischen mussten in den evangelischen, die Katholischen in den katholischen. Und die Juden, zu denen ich damals offiziell nicht gehörte, weil ich ja nicht nach jüdischem Recht, sondern nach damaligem österreichischen und deutschen Recht nach dem Vater den Namen gehabt hab und auch die Religion ... Aber jüdische Schüler mussten auch in der Zeit von Dollfuß und von Schuschnigg den Nachweis erbringen, dass sie im jüdischen Religionsunterricht waren. Also, Hauptsache Religion, egal welche. Die waren sehr ... die ... Zwischen '34 und '38 waren die sehr religiös orientiert. Nun ... Also, ich bin dann in dieses Instituts-Viertel gekommen, wo ich gewohnt hab, um in die Schule in die Stubenbastei zu gehen. Eines Tages wurde ich dann, das war schon zur Zeit, wo der Holocaust angefangen hat, im Jahr '42 war das ... Meine ... Großeltern und mein Großonkel, die alle hier gewohnt haben, die haben alle, man könnte sagen, 'das Glück des frühen Todes' gehabt. So ein geflügeltes Wort war 'das Glück der späten Geburt'. Das hat so in der Nachkriegszeit geheißen. 'Glück des frühen Todes' war auch, dass sie eines natürlichen Todes gestorben sind, und nicht nach Auschwitz oder irgendwohin deportiert worden sind und dort umgebracht wurden. Eines Tages wurde ich in aller Frühe angerufen dort: "Ja, Jenner, du musst schnell nach Hause gehen." "Es wird dort ausgehoben." 'Ausheben' bedeutete, dass ein SS-Scharführer oder irgendwie ein Unteroffizier, die hatten ja alle andere Namen, der Scharführer war der Unteroffizier, die kamen mit den sogenannten 'Ordnern'. Das waren jüdische Helfer, die mit ihrem Leben gehaftet haben, dass niemand davonrennt. Und der hat ausgehoben. Und da unsere Wohnung damals schon überbelegt war von eingesiedelten Juden, die Juden wollten sie ja zusammen- pferchen in großen Wohnungen, wurden einige mitgenommen von denen, die da gewohnt haben. Aber meine Mutter eben nicht, weil ich mich zeigen musste. Ich musste nachweisen durch meine Anwesenheit, dass ich überhaupt existiere als Mischling ersten Grades, der einen arischen Vater gehabt hat, der sozusagen der sogenannte 'Schutz' war. Die Gesetze waren ja ganz merkwürdig. Meine Mutter musste den Judenstern nicht tragen, während ein jüdischer Vater mit Kindern und einer arischen Ehefrau den Judenstern tragen musste. Warum das so war, weiß kein Mensch. Allerdings musste meine Mutter, die hieß Alice Jenner, Alice Sarah Jenner heißen. Es war eigentlich, wenn man es in der Rückschau betrachtet, nicht ein Wunder, sondern eine Kette von ... Wundern oder sagen wir von günstigen Umständen, dass man das überlebt hat. Einmal wurde ich ... .. aufgefordert, also befohlen, einberufen oder wie man das nennen kann, das war schon gegen Ende des Krieges, zum Schanzen ins Burgenland. Dass man da Schanzen baut gegen den russischen Vormarsch. Und da waren wir am Südbahnhof. Es hätte ein Himmelfahrtskommando sein können, weil die Russen haben natürlich geschossen. Und dann hieß es: "Die Aktion ist abgeblasen." "Geht nach Haus." Und lauter solchen Dingen hat man das Überleben zu verdanken. Aber ... wenn wir davon sprechen, meine Klassenkollegen, die, die ... Dann später, wo ich von der Schule verwiesen worden bin, die Oberstufe durfte ich dann überhaupt nicht mehr machen. Da hat man mich geschickt zu einem privaten, ebenfalls frühpensionierten, sozialdemokratischen Schuldirektor, deswegen durfte er nicht mehr Direktor sein. Der unterrichtete mich in Latein, Mathematik und wichtigen Sachen. Der hat gesagt: "Der Krieg geht schon lang nicht mehr um Hitler." Das war im Jahr '43. "Das ist längst eine Konfrontation zwischen Ost und West." Der hat das schon gewusst: "Hitler ist schon erledigt." Der Einmarsch der Russen hat sich dann so abgespielt, dass sie vom Westen gekommen sind, dass ein Freund aus dem 15. Bezirk mich angerufen hat: "Bei uns sind die Russen und geben Zuckerln den Kindern!" Das waren solche Spontanhandlungen von Soldaten oder so was. Nix hat mehr funktioniert, nur das Telefon. Es wurde aber bald abgeschaltet. Und ... Die ... SS, die Verteidiger von Wien war, ich glaube, die sechste SS-Panzerdivision unter dem berüchtigten Sepp Dietrich. Die wollte der noch über die Reichs- brücke über die Donau bringen. Darum haben sie sich am Donaukanal festgesetzt und haben den verteidigt, sodass auf beiden Seiten vom Donaukanal alles zerstört war. Wo jetzt die Hochhäuser sind, da war nichts. Sowohl im ersten Bezirk als auch im zweiten. Was man Schwedenplatz nennt, da war noch eine ganze Häuserreihe. Das war die Rotgasse, dann war noch eine ganze Häuserreihe und dann war erst der Schwedenplatz. Das weiß ja keiner mehr, dass das nicht der heutige Schwedenplatz war. Also, hier an der Ecke, fünfzig Meter von hier ist ein Geschütz gestanden von der SS. Und wir haben im ... im Keller gewohnt, weil es war schon sehr unsicher, in den Häusern zu wohnen. Und man hat ja auch gesehen ... Am letzten Kriegstag oder vorletzten ist das Haus in Brand geschossen worden. Und wir haben mit Glück, das kann ich auch noch erzählen, den Brand löschen können. Meine Mutter und ich sind vor der Haustüre gestanden und wie die SS aufgestiegen ist auf ihr Fahrzeug, hat sie so gemacht. Ich, damals mit sechzehn Jahren, hab gedacht: Jetzt ist es aus. Die steigen ab, erschießen sie und fahren weiter. Aber die sind weitergefahren. Wieder ein Wunder. Ein Wunder, dass diese SS-Leute, die am Tag vorher noch in der Förstergasse einen ganzen Keller voller Juden rausgeholt und erschossen haben, das war eine berüchtigte Aktion, die sind weggefahren und haben nichts gemacht. Unglaublich! Also, das Dach hat gebrannt. Und wir haben noch solche Wohnungen da gehabt. Und da war im Hof, der jetzt ein Parkplatz oder Garten ist, da waren so, wie in den alten Wiener Häusern, so Nebentrakte. Da hat hinten eine Frau gewohnt, ich will ihren Beruf gar nicht erwähnen, die hat zwei deutsche Deserteure, einen von der Luftwaffe und einen vom Heer, beherbergt. Das war unser Glück, dass die kräftigen Burschen mithalfen, den Brand zu löschen. Im Nebenhaus war ein Brunnen und da haben wir eine Eimerkette gebildet. Die Wasserleitung ging nicht. Lauter Glücksfälle, in dem Unglück waren das lauter Glücksfälle. Auch mein Vater war noch sehr kräftig. Mir haben die Augen wehgetan, wenn ich nur in die Nähe gekommen bin. Die gestandenen Männer sind also wirklich gegangen, haben viele Kübel hinaufgeschüttet und haben den Brand gelöscht. Und am 4. ... am 13. April in der Früh ... .. sind an derselben Ecke, wo vorher noch die SS-Leute waren, in der Nacht haben wir Panzer heulen gehört, da sind diese fremdartigen Uniformen, bräunlich, gestanden. Mit fremdartigen LKWs. Also, da waren die Russen da. Ich bin dann gegangen, ich war sehr neugierig und hab mir alles anschauen müssen. Und auf der Taborstraße sind die Russen marschiert. Ich weiß nicht, wohin sie marschiert sind. Die Brücke war ja zer ... Die war ja noch nicht in Ordnung. Mit den Brücken hat's ja was auf sich gehabt. Aber in der Taborstraße sind die Russen marschiert. Wie sie rübergekommen sind, weiß ich nicht. In der Mitte sind die LKWs gefahren und rechts und links am Gehsteig ist die Infanterie marschiert. Und da hat ein Soldat zu einer gaffenden, man muss das so nennen, Frau gesagt: "Na, Mama!", und hat ihr einen Ring gegeben, den er wohl gestohlen hatte. Dann sind sie weitermarschiert. Die Brücken waren zerstört. Die Marienbrücke haben sie schnell durch die Pioniere reparieren lassen, damit sie mit den Lastwagen und Panzern rüberkommen. Die war fest. Schwedenbrücke, da gab's so eine Behelfsbrücke. Das ist wie eine Berg- und Talbahn gegangen. Über die konnte man aber nicht als junger Mensch gehen, weil da Russen standen. Die haben zum Arbeitseinsatz junge Leute zusammengefangen, die entweder am selben Abend wieder nach Hause geschickt wurden oder nach 14 Tagen oder auch gar nicht. Ich musste sofort in die Schule gehen in die Stubenbastei. Die Schule hat wieder aufgesperrt schon im Mai 1945. Was hab ich gemacht? Bei der Marienbrücke ... Nein. Die war in Ordnung. Da durfte aber ein Zivilist nicht rübergehen. Aber bei der Salztorbrücke, da ist noch so ein breiter Metallträger, der übrigens noch in sich verbogen war, der ist noch gegangen. Gestanden kann man nicht sagen, der hing noch über dem Fluss. Unten waren Trümmer. Wenn man da drüberbalanciert ist, wär man nicht ins Wasser gefallen, sondern auf die Trümmer. Ich bin also, um in die Stubenbastei zu kommen, - was man sich getraut hat damals - über diesen Träger balanciert. Dann stand auf dem Träger noch ein Laternenpfahl, an dem hab ich mich angehalten und bin den Rest so gegangen. So konnte ich rüber in die Stubenbastei gehen. Das war mein Schulweg. Gelernt wurde sowieso nichts im Sommersemester 1945. Man musste erst die Schule aufräumen. Die hat einem anderen Zweck gedient vor dem Kriegsende. Und da musste man erst tausend Papiere usw. aufräumen. Also, der Betrieb ist erst aufgenommen worden im Wintersemester 1945/46. Ich bin Pianist geworden, ohne diese Jahre gelernt zu haben, die so wichtig sind. Diese ganzen fantastischen jungen Künstler, also nicht nur Pianisten, sondern Geiger und alle, brauchen die Jahre zwischen zehn und fünfzehn zum Üben und zum Lernen. Man hat mich Klavier lernen lassen bei einer übrigens schlechten Lehrerin. Unwillig hab ich das gemacht mit sieben, acht Jahren ungefähr. Da musste ich nur Tonleitern spielen und hab sehnsüchtig geschaut auf die Uhr: Wann kann ich endlich aufhören? Ich muss eine Stunde üben. Meistens musste man mich sowieso bewachen, damit ich nicht früher aufhöre. Und dann kam der Hitler. Ich bin dann in die Mittelschule gekommen, in die Oberschule. Und da hab ich überhaupt aufgehört und hab keinen Ton, keine Taste angerührt bis zum ... Na ungefähr bis zum 15. Lebensjahr. Dann hat mich das plötzlich wieder interessiert, allerdings nicht die klassische Musik, sondern die ... Das war so in den Jahren ... '44 ungefähr, wo die amerikanischen Militärsender nähergekommen sind. Radio 5th Army von der italienischen Front. Von der Regenbogen-Division, die dann auch Wien besetzt hat. Und da hab ich diese amerikanischen Sachen gehört, die amerikanische Jazzmusik oder wie man es immer nennen soll. Das hat mich interessiert. Da hab ich angefangen, mir das so zurechtzulegen. Gleichzeitig hab ich ein bissel was gelernt in einem Konservatorium, Horak-Konservatorium hieß das. Und dann hab ich die Aufnahmeprüfung ... Also, ich weiß selbst nicht, ich hab das bestimmt nicht aus eigenem Antrieb gemacht, sondern mir wurde zugeredet, auf die damalige Reichshochschule für Musik zu gehen. Da war ein sehr liebenswürdiger Professor. Panhofer hat der geheißen, den ich noch bei seinem Tod vor ein paar Jahren besucht hab in der Rudolfstiftung. Zuerst war er mein Professor, dann war er mein Kollege, während ich selber Professor war. Der hat mich unterrichtet, der hat mich genommen. Ich muss sagen, ich bin ja in der Schulzeit und in der Hochschulzeit, also in dem einen Semester, wo ich provisorisch aufgenommen wurde auf die Reichshochschule ... Dann bin ich wieder vom Reichsminister Rust rausgeschmissen worden. Ein Halbjude kann nicht, auch wenn er noch so begabt ist, - deswegen wurde ich aufgenommen - kann nicht studieren. Aber weder während meiner Schulzeit noch in dieser Zeit wurde ich jemals von irgendwelchen Lehrern oder Mitschülern gemobbt. Also, das kann auch bei anderen passiert sein. Bei mir war das überhaupt nicht der Fall. Und dieser Professor war ein sehr angesehener Pianist, der Professor Panhofer. Und den haben sie in eine Uniform gesteckt, sogar eine schwarze Uniform hat er angehabt. Damit er nach Berlin fliegen kann und dort Konzerte geben kann, und damit man ihn nicht fragt: Wieso sind Sie nicht an der Front? Damit er nicht immer erklären muss, hat er eine SS-Uniform gehabt. Aber er war offenbar kein Nazi. Er sagte zu mir damals im 44er Jahr: "Ich habe von hoher Stelle gehört, dass man bald wieder Mendelssohn spielen kann." Also, das war ein Wunschtraum eines Musikers, dieses Genie Mendelssohn wieder spielen zu können. Aber das war nicht der Fall. Daran erinnere ich mich, dass ich dann doch angefangen hab. Und dann doch mit Interesse, aber mit einer jahrelangen Verspätung, mit einer mindestens fünfjährigen Verspätung angefangen hab, ernsthaft Klavier zu üben. Dinge, die man selbstverständlich normalerweise lernt mit 13, 14 Jahren, Mozart-Sonaten, das musste ich alles nachholen, das hab ich nie gespielt gehabt. Ich wurde aber dann doch ausgewählt ... .. bei so einem ... Auswahlspiel, beim österreichischem Musikwettbewerb oder so was, wo man zu einem internationalen Wettbewerb geschickt wird. Man wurde damals subventioniert vom Bundesministerium für Unterricht. Da war der Professor Lafitte, das war der, der ... Der sozusagen für diese Agenten zuständig war. Da wurde ich von Lafitte zusammen mit anderen, nicht nur Pianisten, sondern auch Geigern und so, da war die Hedi Gigler, der Paul Badura-Skoda und ich und andere, nach Genf zum Wettbewerb geschickt. Also, das war schon ... eigentlich ... zwei Jahre später, nachdem ich angefangen hab, und ich hab sogar eine Auszeichnung bekommen. Und im nächsten Jahr, im Jahr '49, hab ich schon als bester Absolvent der damaligen ... Musikakademie, so hieß es wieder ... Was in der Nazizeit Reichshochschule war, war dann die Akademie für Musik und darstellende Kunst. Da hab ich den Bösendorfer-Preis bekommen: Einen Bösendorfer-Flügel, der heute noch bei mir steht, zwar schon repariert, der aber immer noch wunderbar ist. Das war ein Nachkriegs ... Also, eine hochqualitative Nachkriegsarbeit im Jahr '49. Aber die waren genauso gut wie die heutigen, aus demselben guten Material und so. * Räuspern * Und im Jahr '45 ... Ich hab mich auch schon interessiert, ich weiß aber bis heute nicht, warum ich ins Konzerthaus gegangen bin. Und ich hab die Erstaufführung der ersten Mahler-Symphonie nach der Hitlerzeit gehört. Darum nenn ich es Erstaufführung. Unter Josef Krips im Jahr '45, schon im Juni 1945. Da steht heute: "Im Juni 1945 wurde die Musik Gustav Mahlers der Welt wiedergegeben." Da war so eine Plakette. Da war ich drin in diesem ... in diesem Konzert. Während der Kriegszeit gab es immer Konzerte. Es gab immer Konzerte. Die sogenannte ... .. Musikstadt oder wirkliche Musikstadt ... Es ist ja Wien nicht die einzige Musikstadt auf der Welt, aber es wird so genannt. Zum Beispiel genauso viele ... berühmte und weltwichtige Komponisten gab's auch in Dresden und Leipzig. Der Bach und der Wagner und der Mendelssohn, diese Leute. So wie bei uns Schubert, Mozart ... Beethoven, muss man sagen: Man kann ihn nicht als Österreicher bezeichnen, aber alle wichtigen Werke, die er geschrieben hat, hat er in Wien geschrieben. Also, man kann Beethoven auch zur sogenannten, und so ist es ja auch, zur Wiener Klassik zählen. Die Wiener Klassik ist ein weltweiter Begriff und die Wiener Philharmoniker auch. Die haben auch während der Kriegszeit gespielt. Also, das Musikleben hat nicht stagniert. Aber nach dem Krieg ist es umso mehr aufgelebt. Da war der Furtwängler gesperrt, Karajan noch nicht da. Der war übrigens in Berlin auch gesperrt. Aber der wichtigste Dirigent damals war der Josef Krips, der Clemens Krauss auch. Die haben sozusagen das Wiener Musikleben weitergeführt. Und dann im Jahr '48 kam der Herbert von Karajan und hat einen sagenhaften Erfolg gehabt. Zuerst mit den Wiener Symphonikern. Die Philharmoniker haben nicht mit ihm gespielt. Da war vielleicht der damals noch lebende und wieder in Amt und Würden seiende Furtwängler dahinter, dass der Karajan nicht zu den Philharmonikern kommt. Aber auch mit den Symphonikern hat er einen unglaublichen Erfolg gehabt. Er wurde dann Direktor, Musikdirektor des Musikvereins auf Lebenszeit. Und man gab ihm einen ... Das war der Professor Gamsjäger, der damals Direktor vom Musikverein war, der gab ihm den Karajan-Zyklus. Die Leute haben sich damals sehr lustig gemacht. Einen Beethoven-Zyklus gibt's und einen Mozart-Zyklus, aber einen Karajan-Zyklus? Ein Dirigent hatte noch nie einen Zyklus. Aber das war der erste, der Karajan-Zyklus. Und das war also überlaufen und das war der Super-Super-Erfolg von dem Augenblick an, wo er das erste Mal in Wien dirigierte. Auch während der Zeit meiner Erstausbildung und meiner Tätigkeit als klassischer Pianist hab ich mich immer sehr für diese amerikanische Jazzmusik interessiert. Und merkwürdigerweise ... Also, der Friedrich Gulda war mein Klassenkollege beim Professor Seidlhofer. Und der hat das gehasst, die Jazzmusik. Er hat gesagt: "Geh, schau!" "Das ist doch eine Phrasendrescherei." Und er hat irgendein amerikanisches Lied gespielt, aber nicht als Jazz. "Das ist doch nichts." Hab ich gesagt: "Du musst dir anhören den Duke Ellington oder so." Das hat er also wirklich getan und hat sich immer mehr hineingekniet, sodass der Friedrich Gulda, der ein Jahrhundert-Talent war ... Abgesehen davon, dass er einer der fantastischsten Pianisten der klassischen und romantischen Musik war, war er auch ein fabelhafter Jazzpianist. Aber ich hab den Anstoß gegeben. Dieses Verdienst nehm ich in Anspruch. Wir haben dann oft zusammen vierhändig Boogie-Woogie gespielt in diesem sogenannten 'Strohkoffer'. Das war ein Treffpunkt von ... 'Strohkoffer' deswegen, weil das innen austapeziert war mit so Stroh ... mit so Bambushalmen. Ich hab das noch vor mir. Und da sind die Maler gesessen. Auf der einen Seite der Hundertwasser. Und auf der anderen Seite ... - also, nicht jetzt absichtlich die eine oder die andere Seite, zufällig sind sie so gesessen - .. da ist der Hutter und der Hausner gesessen von den Fantastischen Realisten. Den Hundertwasser haben sie Stowasser genannt, weil das sein eigener Name war. Hundertwasser war er nur für die anderen. Untereinander war er der Fritzl Stowasser. Und wir haben also Boogie gespielt und so weiter und so fort. Und eines Tages kam so ein junges Bürscherl und hat gesagt: "Ich möchte auch was spielen." Und der Gulda hat so gönnerhaft, der war ja schon der große Mann und war auch ziemlich hochnäsig, und er hat gönnerhaft gesagt: "Setzt dich hin und spiel was." Aber der hat richtig Jazz gespielt, nix so ein bissel Boogie-Woogie, herumgealbert. Sondern der spielte so, wie man damals einen modernen Jazz gespielt hat. Das war der Zawinul. Uns sind die Augen steckengeblieben, wie wir den gehört haben. Das war der Erste, der wirklich in Wien ordentlichen Jazz gespielt hat. Der Ernst Landl vorher, das war nicht echter Jazz. Aber der Zawinul, ja. Und ... wenn wir vom Ersten sprechen: Der Zawinul war der erste ernstzunehmende Jazzer. Ich hab als Erster die "Rhapsody in Blue" gespielt und das "Concerto in F" von Gershwin. Während meiner Ausbildungszeit hab ich ja schon konzertiert, das war so parallel, ungefähr. Ich hab noch meinen letzten internationalen Wettbewerb gemacht und auch den ersten Preis gekriegt, in Rio de Janeiro war das. Da hab ich auch meine Frau, die Brasilianerin ist, kennengelernt und geheiratet nach kurzer Zeit. Aber das hat gehalten. Und es war damals ein riesiger Auf ... Ein Aufsehen, dieser Wettbewerb in Rio. Unglaublich: Die illustrierten Zeitungen waren voll. Dann hat es geheißen: "Der Superpianist aus Wien!" Also wirklich, Wien war damals in aller Munde. Es waren auch Russen dabei. Und normalerweise waren ja damals die russischen Pianisten, die sehr ausgesiebt worden sind vom Sowjetsystem, dass sie sich zeigen dürfen im Ausland, das waren die gewohnten Gewinner, von solchen Wettbewerben. Und hier war ich der Gewinner und der Zweite und Dritte waren Russen. Das war schon irgendwo eine Sensation. Dann ist noch gestanden in einer Zeitung: "O melhor argumento vienese". Das heißt auf Portugiesisch: Das beste Argument von Wien. Also, man hat schon ... Obwohl man natürlich sich selbst vertreten hat und musste als ausübender Künstler, wurde das auch dann auf die ... Herkunft projiziert. In diesem Sinn ... kann ich eigentlich auch sagen, dass ich eigentlich ein ... .. ein Abgesandter oder Botschafter oder wie man's nennen will, der Stadt Wien war und von Österreich überhaupt war. Wie ja Österreich überhaupt ... Jetzt sprech ich nicht von mir, aber von den Wiener Philharmonikern z.B.: Wenn ich wochenlang manchmal auf Tournee bin und die dortigen Zeitungen lese, in Japan zum Beispiel, man liest nie über Wien irgendetwas oder über Österreich. Aber wenn die Wiener Philharmoniker dort sind, liest man was. Die Wiener Philharmoniker haben unglaublichen Vorrang im Ansehen ... .. gegenüber allem anderen, was sich in Österreich tut. Also, ich hab sogar das Glück und die Ehre gehabt, mit den Wiener Philharmonikern im Philharmonischen Konzert zu spielen bei zwei Gelegenheiten. Das waren immer so Vormittags- und Nachmittagskonzerte und dann in Salzburg und in Linz. Das war mit dem Aram Khatchaturian, mit dem berühmten sowjetischen Komponisten damals. Der hat mich in Sao Paulo kennengelernt bei einem Konzert. Der hat auch gehört: "Der Jenner, der ja den Preis in der letzten Zeit bekommen hat, der ist auch da." Das war zwei Jahre später. "Der spielt dieses Klavierkonzert." Ich hab das gespielt, ohne dass ich es extra gelernt hab. Und da kam ich dazu unter seiner Stabführung, - er war ein schlechter Dirigent, aber gut - im philharmonischen Konzert dieses sehr interessante und sehr beliebte Klavierkonzert von ihm zu spielen. Khatchaturian, das war ein ganz großer Name damals. Die Wiener Philharmoniker sind ... Die waren ja damals sehr, wie soll man sagen, sesshaft. Die haben ihr philharmonisches ... .. Programm in Wien gehabt und sind gar nicht viel herumgefahren. Sie sind so besonders weltberühmt erst geworden, wie sie Tourneen gemacht haben und das Neujahrskonzert internationalisiert haben. Zuerst war es ein Konzert für das Wiener Publikum. Der Boskovsky, der Konzertmeister, hat Geige gespielt wie der Johann Strauß vorher, und das war's. Und dann sind sie draufgekommen, das interessiert so sehr. Dann ist das Fernsehen dazugekommen, dann sind andere Sender dazugekommen. Dann wurden berühmte Dirigenten verpflichtet, die das dirigieren sollten. Und so kam es dazu, dass das Neujahrskonzert der internationale Hit wurde. Also, überall wurde oder wird es gehört. Und wie man sieht, die CDs werden gepresst. Vier Tage nach dem das Konzert war, sind schon die CDs da. Da sind sie unglaublich fix. Im Jahr 1969/70 wurde ich dann zuerst Lehrbeauftragter, dann Vertragslehrer. Und im Jahre '73 wurde ich a. o. Professor, das hat es damals noch gegeben, außerordentlicher, und zwei Jahre später ordentlicher Professor. Also, seit Mitte der 70er Jahre war ich ordentlicher Professor an der Hochschule für Musik, die wurde von Akademie wieder in Hochschule umbenannt. Dann war ich Hochschulprofessor. Und wie ich emeritiert wurde, wurde die Musikuniversität gegründet. Aus der Hochschule wurde eine Universität. Plötzlich war ich sozusagen posthum nicht Hochschulprofessor, sondern emeritierter Universitätsprofessor. Ich hab immer lachen müssen. Ich war nie an einer Universität, weil das erst nachher so genannt worden ist. Ich hab mein ganzes Leben in Wien verbracht. Also, die schlechten Zeiten wie auch eben die guten Zeiten, die in einem langen Leben viel mehr wiegen und viel länger sind. Und ... es waren manchmal die ... Also, man hat erwogen, ob man aus Karrieregründen woanders hingeht. London war ein Zentrum unter Alfred Brendel. Der ist so berühmt geworden, so weltberühmt von London aus. Er war, wo er noch hier gewohnt hat, schon hochangesehen, aber die richtige Weltkarriere hat er von London aus gemacht. Ich bin in immer Wien geblieben, mir war Wien ans Herz gewachsen. Obwohl ich auch schwierige Zeiten erlebt hab, die ... Besonders die Hitler-Zeit natürlich, nicht? * Räuspern * Wenn man so Jahrzehnte und Jahrzehnte in der Stadt gewohnt hat, hat sich das so geändert in der Nachkriegszeit, wo sehr viel ausgebombt war. Glücklicherweise war Wien nicht so zerstört wie Köln oder Berlin oder wie Hamburg oder Dresden. Aber es war auch sehr, sehr, sehr ramponiert, könnte man sagen, und viele Häuser waren kaputt. Man hat damals diese Häuser, die ursprünglich Stuckwerk hatten, geglättet aufgebaut. Man hat gedacht, das ist funktionell. Und dann hat man die Gemeindebauten ... Wo der Jörg Mauthe damals als Stadtrat, als nicht amtsführender Stadtrat, gesagt hat ... Oder war er amtsführend? Kann mich nicht erinnern. "Die Glotzfenster", also, einfach diese Fenster, nicht? Die keinerlei Verzierungen hatten, keinerlei Dacherln und nix. Und man hat das gar nicht so ... Weil die alten Häuser waren alle so abgebröckelt und so, so grau, und diese renovierten Häuser hat man mit Wohlgefallen angeschaut, glatt und sauber und so. Dann hat es sich aber geändert. Die Stuckwerk-Häuser sind dann mit der Zeit, mit den Jahrzehnten renoviert worden. Und jetzt ist so ein Ringstraßen-Palais ... Oder auch hier in der Großen Sperlgasse gibt's wunderschöne alte Häuser aus der Gründerzeit mit Karyatiden usw. Die empfindet man natürlich heute als gepflegte alte Häuser. Viel schöner als die alten Gemeindebauten oder diese provisorischen, wiederaufgebauten Häuser, wo man aus Häusern, die ursprünglich verziert waren, glatte Wände gemacht hat. Und da gibt es Häuser, die halb und halb sind. Halb sind sie stehen geblieben, da haben sie noch das Alte, halb sind sie renoviert. Da sieht man den Unterschied. Den Unterschied möcht ich Klavier spielen können, bitte.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Alexander Jenner (Pianist)

Wir und Wien-Erinnerungen Alexander Jenners Erinnerungen reichen zurück bis in den Februar 1934. Der damals Vierjährige erlebte den Kanonendonner des Bürgerkriegs, als der Goethehof beschossen wurde. Nach Hitlers Einmarsch folgten die nächsten prägenden Erlebnisse: der Novemberpogrom, der brennende jüdische Tempel in der Leopoldstadt, die triumphierende SA, die untätige Polizei. 1939 wurde sein Vater arbeitslos, weil er mit einer Jüdin verheiratet war, ging als Musiker in die Türkei und kehrte erst 1944 zurück.

Länge: 50 Min. 56 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Wiener Märkte digital

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Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
Länge: 1 Min. 51 Sek. | © Stadt Wien - Magistratsabteilung 59
Enthüllung neue Pionierinnen

Enthüllung neue Pionierinnen

Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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