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Na ja, also da sitze ich. Ich heiße Lotte Tobisch-Labotyn. Man wird immer gefragt, was Labotyn heißt. Das ist ein Adelsprädikat. Ich habe mir sagen lassen, es heißt so viel wie "Elbhorst", whatever that means. Es kommt da irgendwo aus dem Böhmischen, an der schlesischen Grenze. Da kommt die Familie her und es ist irgendwas Böhmisches. Also jedenfalls: So heiße ich. Adel ist abgeschafft, also nur Bindestrich. Ich bin am 28. März 1926 an einem Sonntag, einem Palmsonntag, geboren. Ja.
Echte Wienerin.
Ich gehöre zu den wenigen Leuten, die eine echte Wienerin sind. Das heißt, dass schon zwei Generationen in Wien ansässig waren. Sie kennen den alten Witz: Es gibt nur zwei, weil der dritte ist ein Böhme oder ein Türke, oder sonst was. Ich bin eine richtige Wienerin und trotzdem kommt meine Familie aus der gesamten Monarchie. Aus Böhmen bis zu Griechenland, das hat allerdings nicht zur Monarchie gehört. Aber immerhin aus dem Balkan und natürlich aus Deutschland. Ich bin in Wien geboren, ganz nah von hier. Jetzt wohne ich seit vielen Jahrzehnten hier am Opernring. Nicht weit von hier bin ich geboren, am Karlsplatz. Da war auch meine Familie zum Teil tätig. Mein Urgroßvater, ich glaube es war der Urgroßvater, oder war es sein Bruder? Ich weiß nicht, so genau kenne ich mich in der Riesenfamilie nicht aus. Der war Präsident von der Nordbahn und was weiß ich alles. Die haben dort auch gehaust, in dem Haus, in dem ich geboren bin, am Karlsplatz 1. Das heißt, geboren wurde ich im Sanatorium Auersperg. Damals sind die feinen Kinder alle im Sanatorium Auersperg geboren. Vielleicht ist es deshalb dann pleite gegangen. Jedenfalls bin ich eine Wienerin. Mein Vater war Ingenieur, Architekt. Meine Eltern haben ganz früh geheiratet. Meine Mutter hat meinen Vater kennengelernt, da war sie 14. Bei Schlumbergers. Bei irgendeinem Festchen. Sie hat ihn dann, wie sie 18 war, geheiratet. Eigentlich gegen den Willen des Vaters. Die Familie Tobisch war eine hohe Beamtenfamilie. Mein Großvater war Sektionschef und Präsident des Landesschulrates von Böhmen und Mähren. Die haben nach dem Ersten Weltkrieg natürlich das ganze Geld verloren. Und von der Großmama, also der Mutter meines Vaters, das war auch Großindustrie. Aber das hat sich auch zerschlagen. Und meine Mutter kommt aus einem sehr reichen Haus. Die wollten lieber, dass sie jemand anderen heiratet. Mein Vater war ein bisschen ein Verrückter. Ein sehr netter, aber etwas "spinnerter" Mensch. Ein sehr künstlerisch begabter Mensch. Es war die große Liebe. Diese Liebe hat bis zum Ende des Lebens gehalten. Das Lustige ist, dazwischen waren sie aber geschieden, und jeder war dreimal verheiratet. Die Liebe hat gehalten, miteinander haben sie es nicht ausgehalten. Das ist einmal das Erste.
Zweite Ehe der Mutter.
Sie haben sich dann getrennt und meine Mutter hat dann in zweiter Ehe einen Zuckerindustriellen geheiratet. Einen besonders lieben Menschen. Der war leider aus einer jüdischen Familie. Also, nicht leider, sondern leider durch die Umstände, dass er auswandern musste, dass wir ihn bald dadurch verloren haben. Er kam dann nach '45 wieder zurück, aber da war schon eine lange Zeit dazwischen. Den hat sie geheiratet. Es war ein besonders lieber, netter Mensch. Und das wäre für mich sehr wichtig gewesen, wenn nicht diese Tragödie mit Hitler gewesen wäre und dann die Familie und alles so total auseinandergefallen wäre. Das war schlimm, denn ich war ein schwieriges Kind. Meine wunderschöne Mutter, die reizend war und eigentlich immer noch 15, oder ein kindliches Wesen hatte, die ist mit mir halt so gar nicht zurechtgekommen. Und es hätte mir gutgetan, wenn ich einen Vater gehabt hätte. Und das wäre der Gustav gewesen, der zweite Mann meiner Mutter. Na ja, so ist es halt, so spielt das Leben.
Sacre Coeur.
Ich bin im Sacre Coeur gewesen, da haben wir noch am Karlsplatz gewohnt. Im Sacre Coeur, so wie es sich gehört, feines Mädchen am Rennweg. Da war ich zwei Jahre und nach dem zweiten Jahr hatte ich einen etwas unrühmlichen Abgang. Ja, wissen Sie, das Sacre Coeur war damals natürlich noch eine vollkommen geschlossene Gesellschaft. Natürlich die Uniform. Da gibt es ein Bild mit Matrosenanzug und halt total katholisch und klerikal. Das ist ja auch klar, dazu ist es ja da. Ich war nur immer ein Mensch, offen- bar schon mit sieben und acht Jahren, der immer alles wissen wollte, wie es ist und warum es so ist. Und wenn man mir etwas nicht schlüssig erklären konnte, dann bin ich renitent geworden. So war auch mein Abgang im Sacre Coeur. Damals hat man ja noch mit Feder und Tinte geschrieben. Ich habe schreckliche Tintenpatzen gemacht beim Schreiben. Die "Mère Supérieure" hat dann zu mir gesagt: "Also, Lotterle, wenn du so schlecht schreibst, dann wird sich das liebe Jesulein aber kränken." Das konnte man schon damals mit acht Jahren mit mir nicht machen. Ich habe darauf geantwortet: "Da kann man auch nichts machen." Sie haben meine arme Mutter kommen lassen und haben gesagt: "Das Kind ist ungeeignet für eine Klosterschule." Wobei das sicher ein Missverständnis war. Ich hab schon damals gemeint, was heute auch meine Überzeugung ist, dass man das liebe Jesulein nicht pausenlos missbrauchen soll. Es haben sich bei mir damals schon die Haare bei solch einer Argumentation aufgestellt. Und so ist es bis heute geblieben. Aber nicht nur auf dem Gebiet, sondern überhaupt.
1938
Wenn man mir keine schlüssigen Argumente liefert, ist es schwierig. Meine Mutter hat '34 wieder geheiratet. Und das hat bis '38 gedauert. Da war ich in einem sehr feinen Institut im Cottage. Die junge Liebe, meine Mutter mit ihrem zweiten Mann, die haben sich sehr um mich gekümmert. Mein Stiefvater war ein besonders lieber Mensch, aber ich war in einem Institut. Wie gesagt, ich war kein sehr einfaches Kind. Ich war schon schwierig. Ich war dann in einem Institut in der Weimarer Straße, dann auch in der Haizingergasse in der Volksschule. Dann kam das Jahr '38. Da war ich knapp zwölf Jahre alt. Das war die große Zäsur natürlich. Ich blieb mit meiner Mutter allein hier. Sie ist nicht mit meinem Stiefvater gegangen, wegen mir ist sie nicht ausgewandert. Er ist dann über England, über die Schweiz, Australien, eine Odyssee und ist dann irgendwann in Amerika gelandet. Und wir waren hier. Hier war ich in den verschiedensten Schulen. Böse Zungen behaupten, es gibt überhaupt niemanden, der in meinem Alter in Wien lebt und nicht mit mir in die Schule gegangen ist. Ich war in vielen Schulen. Ich bin erstaunlicherweise immer durchgekommen, was mich heute noch wundert. Dann habe ich das Theater entdeckt. Das war eigentlich das, was mich interessiert hat, Kunst überhaupt. So kam ich dann mit dem Theater, nicht zur Freude meiner Familie, in Berührung. Ich habe dann einen Abendkurs im Sanatorium, Sanatorium sag ich, im Konservatorium Horak genommen. Ich habe den Aslan kennengelernt. Und beim Aslan auch Privatstunden genommen. Und so kam das halt dann. Das Theater im Krieg war für mich das, was ich mir geträumt und gewünscht habe. Das war auch meine Traumwelt. Denn bei allem, wo ich eher ein pragmatisches Wesen bin, habe ich doch diese Nazi-Zeit ungeheuer verabscheut. Nicht zuletzt auch durch diese ganze Situation mit dem Stiefvater, den ich sehr, sehr gemocht habe. Auch das, was dann nachher noch kam. Die Gestapo ist ja bei uns aus- und eingegangen. Es war ja nicht lustig. Ich habe die alle ungeheuer verabscheut. Vielleicht war das auch ein Grund, warum ich in der Schule so renitent war und absolut nicht lernen wollte. Ich habe ja die Lehrer nicht gemocht, ich mochte das alles nicht. Ich wollte was lernen, aber nicht das, was man mir in der Schule beigebracht hat. Eigentlich habe ich in meinem Leben nur einmal etwas gelernt und das war im Landerziehungsheim Schloss Marquartstein. Weil meine Mutter nicht mit mir zurechtgekommen ist, hat jemand gesagt, es gibt Eliteschulen. Das war Salem und Marquartstein und wie die halt heißen. Da hat sie mich hingegeben. Das war eine Schule nach meinem Geschmack. Da waren Lehrer, die einem Auskunft gegeben haben. Das war eine wunderbare Schule. Dort habe ich auch was gelernt. Aber dann wollte meine Mutter, dass ich wieder zurück nach Wien komme. Dann kam ich nach Wien. Dann ist der Krieg irgendwann zu Ende gewesen. Sie hat alles organisiert. Natürlich sind alle nach dem Westen gegangen, weil sie sich doch vor den Russen gefürchtet haben. Sie haben sich einfach gefürchtet. Nicht nur was, man gehört hat, sondern überhaupt. Für eine bürgerliche Gesellschaft war die Vorstellung von Russen und Kommunismus ... Das war ja auch das ganz große Unglück in den 30er Jahren. Dass die Leute so eine irrsinnige Angst vor dem Kommunismus gehabt haben, dass das auch alles passiert ist, was passiert ist. Die Abschaffung des Parlaments und Verbietung der Sozis. Das war ja alles letztlich wegen der Angst vor den "Roten". Man hat die alle zusammengehaut. Die Sozialisten, die Sozialdemokraten und die Kommunisten, die bürgerliche Welt. Und hat nicht begriffen, dass das eben ganz falsch war. Es war ganz falsch, dass man sich zerstritten hat. Anstatt dass man gemeinsam gegen die Deutschen gegangen ist, gegen die "Hitlerei". Lange Rede, kurzer Sinn, die Familie ist nach dem Westen gegangen, und ich wollte wieder einmal nicht. Ich habe auf alles nein gesagt. Meine Mutter hat geweint und geschrien und gebrüllt und gebeten. Ich hab gesagt: "Ich will nicht, ich will das alles nicht." "Ich mag nicht mit der Familie ausziehen." Sie hat es dann erreicht, dass alles organisiert war, dass ich noch zum Schluss nachkomme. Das habe ich nicht getan. Ich bin ganz allein in Wien geblieben. Ich war ein Jahr lang, im Jahr '45 bis zum Herbst '46, alleine in Wien mit meinen 18, 19 Jahren. Ich bin eigentlich heute, wenn ich nachdenke, dankbar dafür. Da habe ich überhaupt erst kennengelernt, was das Leben ist. Denn bei allen Schrecken, die wir durch die Nazis mitgemacht haben, wir hatten immer zu essen. Wir hatten Glück gehabt, wir waren nicht ausgebombt. Die existentiellen Sorgen des Lebens habe ich nicht kennengelernt. Es war ja doch ein goldener Käfig.
Erster Theaterbesuch.
Die erste Vorstellung, die ich gesehen habe, ich muss dazu sagen, da war ich sechs Jahre alt. Da haben sie mich in irgendeinen Nestroy geschleppt. Ich habe kein Wort verstanden. Ich hab mir nur gedacht: Aha. Meine erste Erinnerung, dass ich es verstanden habe, das war zwei, drei Jahre später. Dann habe ich die Handlung verstanden. Aber damals war ich nur fasziniert vom Haus. Vom Haus, von diesem Prunk. Auch von diesem doch schon etwas brüchigen, kaiserlichen Prunk des Hauses. Und dieser herrliche Vorhang, dieser Zwischenvorhang, der war ja wunderbar mit den beiden Musen. Die Katharina Schratt, die heitere und die Charlotte Wolter war die tragische Muse. Hinten war der Sonnenthal, das war auch ein berühmter Schauspieler, der saß auf dem Pegasus. Also, es war so neobarock, wie das halt war. Es war die Makart-Zeit. Das Burgtheater war total die Makart-Zeit. Die war ja dann lange verpönt, ist jetzt aber wieder entdeckt worden.
Angriff 1945.
Das 45er-Jahr. Das Unglaubliche ist ja, dass am 12. März '45 der Angriff auf das Burgtheater, die Oper, den Philippshof, also jetzt die Albertina, das jetzige Bundeskanzleramt und die Kärntner Straße war. Das war auch der Tag, wo ja 1938 der Hitler in Wien einmarschiert ist. Das war alles am 12. März. Die wirklich größte Zerstörung war am 12. März. Vorher gab es gewaltige Angriffe, aber die waren am Kai unten. Mitten in der Stadt, das war alles am 12. März. Und wenn man sich vorstellt, das waren die letzten 14 Tage von dem glorreichen, tausendjährigen Reich. Dann war es aus. Im letzten Moment ist das geschehen. Das Burgtheater ist vorher schon einmal in der Hinterbühne getroffen worden. Da war überhaupt nichts. Das ist passiert, da waren die Russen schon in Wien. Man weiß bis heute nicht, wie es war. War drinnen noch Munition von den Deutschen gelagert? Haben die Russen, wie es auch geheißen hat, dort Würste gekocht, oder was weiß ich was. Es ist ausgebrannt, aber das war vorher nicht. Es war schon kaputt. Durch die Bomben links und rechts waren alle Scheiben hin. Es war schon sehr kaputt. Aber der Zuschauerraum, der war nicht hin. Es waren im Foyer alle Scheiben hin.
Die Oper brennt.
Den Stephansdom habe ich nicht brennen sehen. Ich habe den Aslan angebetet, der war auch mein Lehrer. Das war zu einer Zeit, da war ich auch schon in einer Fabrik dienstverpflichtet. Das war damals so, da wurde man eingezogen. Ich bin aber schon nimmer hin- gegangen. Es war alles in Auflösung. Da war ich beim Aslan. Wir waren im Burgtheater, da war das Haus schon geschlossen. Es war im letzten Jahr geschlossen. Es wurden alle Theater geschlossen. Ich weiß nicht wieso, aber ich war mit dem Aslan in der Stadt. Ich bin, wann immer es gegangen ist, ins Burgtheater gegangen. Ob zu oder offen, zu jeder Tages– und Nachtzeit. Dort habe ich mich wohlgefühlt. Und da war ich mit dem Aslan im Keller. Das war an dem Tag, wo der schreckliche Angriff war. Das war furchtbar. Man hat die Erschütterungen gehört. Wie wir hinausgekommen sind, da hieß es: Die Oper brennt. Da haben wir das gesehen, den Ballhausplatz brennend und dass alles zerstört war. Dann die furchtbare Sache da beim Philippshof. Jetzt ist da der Platz, wo vom Hrdlicka das Denkmal steht. Da ist auch eine entferntere Verwandte von mir, die ist heute noch unten im Keller. Da war der Jockeyclub. Es war eine schreckliche Sache. Da sind viele, viele, ich glaube, 100 Menschen, umgekommen. Man konnte sie nicht retten. Einige hat man noch herausgeholt. Das erinnere ich mich noch. Da waren verkohlte Menschen. So groß waren sie, so groß. Durch die Hitze - alles verkohlte Leichen. Nur mehr, nichts mehr ... Die lagen da vis-à-vis von der Albertina am Trottoir. Die Leute haben versucht, dort zu löschen. Und die Oper hat gebrannt. Da ist man gestanden und hat gesagt: "Die Oper!"
Die erste Vorstellung.
Das war am 12. März. Die Geschichte mit der ersten Vorstellung war ja nicht unkomisch. Die Russen sind am 12. April in Wien gewesen. Wie das immer bei den Russen war, sie haben es überall gemacht. Das Erste, was sie gemacht haben, sie haben einen Kulturoffizier bestellt und der hat gesagt: "Die Theater müssen aufsperren." Nur waren alle großen Theater alle hin. Es hat geheißen, die Theater müssen am 1. Mai alle spielen. Ja, wo? Das "Theater an der Wien" war einigermaßen heruntergekommen, aber war halbwegs intakt. Da hat aber die Oper mit Recht gesagt, dass will sie. Und es war nichts da. Da war nur das Ronacher. Das Ronacher war eine berühmte Revuebühne, es wurde nicht als solche gebaut. Sie war seinerzeit von Laube als Theater gebaut. Aber es war, soweit ich mich erinnern kann, immer eine Revuebühne. Die bestand aus Brettern und irgendeinem Rundhorizont und einer Versenkung für den Zauberer, sonst nichts. Für ein Theater, es war ... Es war ein Theater für irgendwelche Diseusen. Wir sind also ins Ronacher. Dann wurde gespielt. Die einzige Vorstellung, die es da gab, helfen Sie mir, das war die Vorstellung "Sappho". Das war eine der letzten Vorstellungen im alten Haus. Da war die Eis da, die die Sappho gespielt hat und ein paar Schauspieler. Und es brauchte wenig Dekoration. Man hat gesagt, man macht "Sappho". Das ist ein österreichischer Klassiker von Grillparzer. Und da wurde "Sappho" gespielt, unter Umständen, die man sich heute gar nicht vorstellen kann. Es hat da jeder ein Trumm genommen und hingestellt. Wenn ich das erzähle, das kann sich heute niemand mehr vorstellen. Mit den primitivsten Mitteln. Das Theater war voll mit Russen vor allem. Das war das Lustige an der Geschichte. Ich war, wie ich schon sagte, allein in Wien und bin dann zum Aslan in die Strudlhofgasse. Da hat man gleich gesagt: "Wer soll Burgtheaterdirektor werden? Soll es der Aslan werden?" Das war noch nicht fix, aber der war damals der große Schauspieler in Wien. Ich habe gesagt: "Kann ich da nicht mitmachen?" Er hat gesagt: "Sicher, du wirst Blumen für die "Sappho" streuen." Hilde Mikulicz, Solveig Thomas und ich, also damals lauter Junge, haben also Blumen gestreut, Rosen gestreut für die Eis. Wir haben gerufen: "Hoch Sappho, heil Sappho." Es war ganz lustig. Dabei war das Lustige, dass sich nach etwa fünf Minuten langsam der Vorhang senkte. Wir haben gesagt: "Was ist denn jetzt? Was ist los?"
Der Marschall.
Dann hieß es, jetzt ist der Marschall gekommen. Wieso haben wir nicht gewartet, bis der Marschall kommt? Da hat der Buschbeck damals gesagt: Ich hab geglaubt, das ist er. Da sitzen welche in den Logen oben, die haben so viele Orden, ich hab es ja nicht gewusst. Es war nicht der Marschall, sondern es war irgendein anderer. Wir mussten noch einmal von vorne anfangen. Das war ganz lustig. So kam ich ans Burgtheater. Da bin ich also im Burgtheater gewesen und dann haben sie "Das Mädl aus der Vorstadt" gespielt. Paul Hörbiger, der frisch aus dem "Häfn" gekommen ist, aus dem Gefängnis, geschorenen Kopf, wurde ungeheuer bejubelt. Er hat zum Schluss irgendwelche Sachen gegen Hitler geschimpft, dann haben sie ihn eingesperrt. Er ist mit geschorenem Kopf gekommen. Er hat in "Mädl aus der Vorstadt" gespielt. Da ist eine von der Titelrolle krank geworden. Der Aslan hat zu mir gesagt: "Kannst du das? Du bist jeden Tag im Theater und schaust dir das an." "Könntest du das übernehmen?" Ich war Tag und Nacht im Theater, bei allen Proben dabei, von Mittag bis Abend. Wenn man jung ist, macht man solche Sachen. Das habe ich übernommen, und das war der Anfang meines Vertrages am Burgtheater. Ich hab dann alles Mögliche gespielt.
Die große Liebe.
Eine große Liebe von mir war dann der ehemalige Chefdramaturg des Burgtheaters, Erhard Buschbeck, und ich von ihm auch. Das hat auch gehalten bis zu seinem traurigen Ende, 13 Jahre später. Damals war natürlich die Frage: Was macht man jetzt? Ich, eine so junge Schauspielerin, mit einem mehr oder minder schon sehr erwachsenen Menschen. Er war immerhin 37 Jahre älter als ich. Das war schon eine "ausg'rissene G'schicht" an sich. Außergewöhnlich, also etwas, das doch nicht alle Tage vorkommt. Es ist sogar heute selten. Obwohl ich jetzt gehört habe, Pereiras Freundin, seine Frau ist auch 37 Jahre jünger, also bitte. Heute ist das alles kein Problem. Damals haben wir halt gesagt: "Was machen wir?" Er hat gesagt: "Ich muss weggehen vom Theater." Ich hab gesagt: "Du bist jetzt 25, 30 Jahre hier." "Mir ist das doch egal." So war ich, wie nichts hab ich den Vertrag aus Liebe gelöst. Es war mir völlig gleichgültig. Und so war das, ich bin weg vom Burgtheater. Ich habe dann bis zu seinem Tod, also 12 Jahre lang, da und dort gespielt. Überhaupt war er mir wichtiger als alles andere. Ich gebe es offen zu. Mein ungeheurer Ehrgeiz, als Schauspielerin eine große Karriere zu machen, die ist im Zuge dieser großen Liebesgeschichte übriggeblieben. Ich habe gerne Theater gespielt, und ich liebe das Theater heute noch. Aber dass ich das so als den absoluten Mittelpunkt sehe, alles Trachten und Wollen, nur darauf ausgerichtet, das ist eigentlich mit seinem Tod dann doch sehr ins Hintertreffen gefallen.
Zurück an die Burg.
Nach dem Tod vom Buschbeck war der Häusermann sehr nett und hat gesagt: "Sie gehören doch zu uns. Sie kamen von uns." Und ich war ja immer im Burgtheater. Auch wie ich nicht engagiert war, war ich immer da mit dem Erhard. Er hat gesagt: "Sie gehören zu uns. Sie kommen wieder zu uns." Er hat mich engagiert. Ich habe dann gespielt. Ich hab alles Mögliche gemacht, auch Regieassistenz. Ich wurde in den Betriebsrat gewählt. Ich war ein unangenehmer Betriebsrat. Ich habe mich für Leute eingesetzt, so wie ich bin, nicht immer angenehm. Eines Tages war ich auch wieder im Haus. Es hat geheißen, dass draußen eine Riesendemonstration ist.
Der Fall Borodajkewycz.
Da war diese Affäre Borodajkewycz, Taras Borodajkewycz. Ich glaube, der war im Welthandel. Der war schlicht und einfach ein Mordsazi. Der hat sich nicht zurückgehalten, sondern hat Leute aufgehetzt. Das war ein großer Stunk. Da waren "Rechts-Couleur-Studenten", schlagende Verbindungen. Nichts gegen "Couleur-Studenten", es gibt ja auch sehr ordentliche. So schlagende, radikale Verbindungen, die haben einen Riesenaufstand gemacht und sind zum Minoritenplatz. Ich bin rausgegangen, um zu schauen, was los ist. Ich kam gerade beim Bühnentürl raus, da sehe ich, wie einer mit einer Fahne, also mit einem Stecken und einer Fahne, auf mein Auto klettert, ich hatte einen Volkswagen, und die entrollt. Mehr hat es nicht gebraucht. Ich hab mich da sofort hineingestürzt, gar nicht ladylike, und hab den heruntergezerrt. Der hat mir die Stange auf den Kopf gehauen. Ich hatte eine Platzwunde am Kopf. Es wurde eine Staatsaffäre daraus gemacht. Die Wunde war drei Zentimeter groß. Aber eine Platzwunde am Kopf blutet ungeheuer. Da schaut man aus, als ob man abgeschlachtet worden wäre. Es war halb so schlimm, aber immerhin. Das ist dann in allen Zeitungen gestanden. Meine arme Mutter hat gesagt: "Es ist grauenhaft." "In solchen Fällen macht man die Tür zu." "Mit der Bagage legt man sich doch nicht an." Da habe ich ihr damals gesagt: "Liebe Mama, das haben wir schon einmal gemacht, dass wir uns nicht anlegen. Ich werde mich immer anlegen." "Ich werde immer gegen etwas, was mir nicht passt oder was ich für wirklich falsch halte, auf die Barrikaden gehen." Es ist nicht ladylike. Meine Mutter war sehr tapfer während der Nazizeit, aber sie hat sich, wenn es nicht unbedingt notwendig war, nicht in die Sachen eingemischt. Ich erinnere mich, ich erzähle die Geschichte gerne, wie die Gestapo zu uns kam. Ein Mädel kam herein und sagte: "Draußen sind zwei Herren von der Geheimen Staatspolizei." Meine Mutter ist zur Tür gegangen und hat gesagt: "Sie wünschen?" "Sie wissen doch, dass der Herr Lederer schon im Ausland ist." Sie haben gesagt: "Wir möchten Sie sprechen." Sie: "Dann kommen Sie herein, aber putzen Sie sich zuerst die Füße ab." Ich weiß noch, dass die zwei dann nichts mehr gesagt haben. Dass ihnen jemand sagt, sie sollen sich zuerst einmal die Füße abputzen. Aber so was hat meine Mutter durchaus gemacht. Sie war nicht ohne Mut, aber man prügelt sich nicht auf der Straße.
1968.
'68, davon habe ich wenig gespürt. Wissen Sie, wenn ich im 68er-Jahr 23 gewesen wäre, wäre ich sicher irgendwo mitmarschiert und hätte ein Geschrei gemacht. Aber damals war ich doch schon Anfang, Mitte 30 und habe schon zum Teil schwere Zeiten hinter mich gebracht und auch viel Elend gesehen. Da war ich nicht mehr drinnen. Ich hatte dann später, obwohl ich zu Zeiten, als der Buschbeck noch gelebt hat, viele Leute aus der Literatur kennen- gelernt hab, auch vom Theater ... Was weiß ich, den Hochwälder, den Zuckmayer und wie sie alle heißen, die habe ich kennengelernt. Nach seinem Tod, auf wunderbare Art und Weise, habe ich dann eigentlich ein paar ganz wesentliche Leute kennengelernt. Wieso eigentlich? Ich hab mich oft gefragt: Was finden die eigentlich an mir, dass sie sich so gern mit mir unterhalten? Das war zum Teil doch eine Kategorie, wo man sagt: Was machen die mit einer Lotte Tobisch eigentlich, außer sie haben ein Gspusi mit ihr, und das hatte ich nicht. Aber man hat mich gern gehabt. Dann kam meine Freundschaft mit Theodor Adorno und vielen anderen. Auch mit Canetti war ich sehr befreundet. Jetzt könnte man Namedropping machen, das will ich aber nicht. Es gab eine ganze Reihe von Leuten, ganz interessante, bedeutende Leute.
Adorno.
Mit Adorno und seiner Frau war ich wirklich befreundet. Das war eine sehr merkwürdige Sache. Er hat es einmal sehr hübsch gesagt. Ich muss dazu sagen, mein Freund Buschbeck war ein Schulkollege, er war ein bisschen jünger, von Georg Trakl, also dem großen Lyriker, Dichter. Wahrscheinlich einer der bedeutendsten österreichischen und deutschen Dichter des vergangenen Jahrhunderts. Adorno hat diese Zeit, nämlich den Beginn des 20. Jahrhunderts, er war geboren Anfang des 20. Jahrhunderts, interessiert. Die große Zeit der Wiener Moderne, ob das Schiele, Klimt, Schönberg war. Der Aufbruch in die Moderne, das war vor dem Ersten Weltkrieg. Also von etwa 1905 bis zum Weltkrieg. Das war die Zeit, die den Adorno unglaublich interessiert hat. Und in der er irgendwie gelebt hat, obwohl er noch sehr jung war, damals war er noch ein Kind. Aber diese Zeit hat er auch gesucht, in seinem Wunsch in Wien bei Schönberg beziehungsweise bei Alban Berg, Musik zu studieren. So kam er nach Wien und er hat Wien immer sehr, sehr gemocht. "Die Stadt der Musen", wie er immer gesagt hat. Er wusste aber auch sehr wohl Bescheid über die Schattenseiten von Wien, die ja reichlich genug sind. Irgendwie kamen wir über Gielen zusammen. Gielen hatte diese Verbindung hergestellt. Adorno war Schüler des damals sehr bedeutenden Pianisten Steuermann. Er hat in Wien bei Steuermann und Alban Berg seine musikalischen Ambitionen und sein Klavierspiel perfektioniert. Steuermann wiederum war der Bruder der Frau Gielen. So ging das ineinander, und so lernte ich über Gielen den Adorno kennen. Und das war eigentlich eine Sache vom ersten Tag an.
Grete Adorno.
Ich erzähle gerne die lustige Geschichte mit der Gretel Adorno. Teddie Adorno, seine Frau und ich waren bei Gielens zum Mittagessen eingeladen. Und der Gielen sagte noch zu mir: "Komm, es kommt der Adorno." Ich sagte: "Guter Gott, ich hab von ihm drei Sachen gelesen und kein Wort verstanden. Das ist ja furchtbar schwierig." Er sagte: "Ja, aber der wird dir gefallen." "Das ist ein sehr interessanter, auch sehr lieber Mensch." Nun habe ich nie vorher gehört, dass Adorno lieb ist. Adorno war eine Intelligenzbestie und jeder Dritte hat ihn nicht verstanden. Lange Rede, kurzer Sinn - heißt das so? Der Adorno kam ohne Frau. Es hat sich herausgestellt, dass sie im Hotel gestürzt ist. Teddie war vollkommen fassungslos. "Das ganze Leben ist zu Ende, was wird jetzt geschehen, die Gretel ist gestürzt." Sage ich: "Wo ist sie denn?" - "Sie ist im Hotel." "Was ist mit ihr?" - "Das weiß ich nicht." Sage ich: "In welchem Hotel? Ich kümmere mich darum." Ich bin hingefahren, hab die Gretel Adorno gepackt und bin mit ihr ins Allgemeine. Es war eine Zerrung, kein Bruch. Sie hat einen Blauverband bekommen. Ich erschien dann mit ihr bei Gielens. Teddie war fassungslos über diese Tüchtigkeit. Der war so patschert im Leben, dass er auf diese Idee gar nicht gekommen wäre, dass man ins nächste Krankenhaus fährt und schaut, was ist los. Und so begann meine Freundschaft mit Adorno auf einer sehr praktischen Ebene. Dann hat er das mit Buschbeck und mit Trackl gehört. Dann hat er gesagt: "Ach, das ist das." Den Buschbeck kannte ich doch von den Briefen mit Trakl. Die Zeit von Trakl war ja eine Zeit, bevor Adorno noch erwachsen war. Ich bin ja mannsweit weg davon. Als ich Teddie kennengelernt habe, war ja Trakl schon ewig tot. Er hat immer gesagt: "Unsere Freundschaft ist eine anachronistische Jugendfreundschaft." Das ist sehr schön gesagt, weil das war es wirklich. Uns hat eine Jugendsache verbunden. Seine Jugend und das, was ich aus der Zeit wusste, hat uns verbunden, obwohl das weit weg von mir war. Das hat uns bis zu seinem Tod verbunden.
Opernball.
Dann kam irgendwann der Opernball. Der kam auf abenteuerliche Art und Weise. Die Gräfin Schönfeldt hat ihn ja viele Jahre sehr erfolgreich gemacht. Sie hat das ausgezeichnet gemacht. Sie hat das über 24 Jahre gemacht. Jedenfalls, ist halt der Punkt gekommen, wo mit Recht dann gesagt wurde, dass einmal jemand jüngerer das machen soll. Oder überhaupt ein Wechsel. Sie hat das irgendwie nie verkraftet. Die Geschichte, wie ich es geworden bin, ist ja eine der lustigsten Geschichten überhaupt. Der Jungbluth hat jemanden gesucht. Er hat gesagt: "Ich brauche jemanden, der aus der Gesellschaft kommt, aber eine gewisse Distanz hat und der organisieren kann." "Die eine hat das nicht können, die andere war nicht repräsentativ und die hat das wiederum nicht können." Da war er mit dem Otto Kerry, das war ein Kollege von mir, in der Pratersauna. So wurde es mir dann berichtet. Er hat so einen schrecklichen Dialekt sprechen können, wenn er wollte. Er hat gesagt, dass er jemanden statt der Schönfeldt finden muss, es fällt ihm aber niemand ein. Da hat Kerry gesagt: "Warum nimmst du nicht die Tobisch?" "Die hat das Israelgastspiel organisiert, im Betriebsrat ist sie auch." "Die kommt aus der Gesellschaft, die weiß, wie das läuft, ist tüchtig." Da soll der Jungbluth gesagt haben: "Wenn ich wieder eine Hose anhabe, kriegst du einen Schilling. Das ist es!" Und so bin ich es geworden. Er hat mich dann am nächsten Tag angerufen. Ich habe gesagt, dass ich ungeeignet dafür bin, weil ich Cocktail-Partys und dergleichen ums Verrecken nicht leiden kann. Und dass ich nicht Walzer tanzen kann, ich speibe sofort. Und dass ich auch keinen Alkohol trinke. Was würde ich da machen - außer organisieren? "Der Opernball liegt meinen Bestrebungen so fern." Er hat gesagt: "Gerade das möchte ich." Es war im schon zu sehr Insider und eine gekochte Sauce. Er wollte es aufbrechen. Dann habe ich mir ein paar Tage Bedenkzeit erworben. Ich habe mir gesagt, das Burgtheater ist eh schon genug. Ich habe noch in der Volksoper die Maria-Theresia in irgendeiner Operette gespielt. Ich hab mir gedacht: Warum nicht, ich versuche es mal. Dann habe ich es gemacht. Wenn ich heute nachdenke, ich hab's eigentlich recht gerne gemacht. Ich habe immer gesagt: "Ernsthaft machen, aber nicht ernst nehmen." Das war meine Devise beim Opernball, und so hab ich es gemacht. Ich habe nie die Distanz dazu verloren. Ich habe mich immer ein bisschen, aber liebenswürdig, über mich und die Sache lustig gemacht. Also ich habe gesagt: "So ist es halt, Mozartkugeln muss es geben." "Nur die Qualität muss stimmen."
Darauf war ich bedacht, dass die Qualität gehalten wird.
15 Jahre Opernball Organisation
So habe ich es gemacht und ich habe es eigentlich gern gemacht. Dann nach 15 Jahren, es fiel mit meinem 70. Geburtstag zusammen, habe ich gesagt, jetzt ist genug. Das war auch richtig so. Denn ich habe es an der Frau Doktor Schönfeldt gesehen. Es ist eine große Gefahr in solchen repräsentativen Geschichten, wo sich die Leute, ein gewisses Publikum, so darum reißen. Dass sie zum Schluss auch wirklich glauben, dass das der Mittelpunkt der Welt ist. Dass sie sich so überschätzen und die Sache so überschätzen, dass sie dann echt beginnen zu leiden, wenn irgendwas nicht klappt. Dass man darin untergeht, das ist eine große Gefahr. Bei mir war das nicht so. Ich wollte das in irgendeiner Weise vermeiden. Ich habe schon, von mir aus, zwei Jahre vorher gesagt, dass ich nach dem 15. Opernball weggehen will. Es hat dann der Scholten noch einmal versucht, mich zu überreden, noch etwas länger zu bleiben. Ich konnte mit dem Springer aber auch nicht so schrecklich gut. Also, es ist in Ordnung. Es war genau richtig. Nach 15 Jahren ist eine neue Generation da, und da sollen neue Leute kommen.
Reformen am Opernball
Ich habe dann verschiedene Reformen, das ist ein großes Wort, aber doch dann Verschiedenes neu gemacht. Ich habe immer gesagt: "Im Hauptsaal soll sich nicht viel ändern." Ein bisschen, aber nicht viel. Das soll im Prinzip gleich bleiben, aber daneben soll es modernisiert werden. Wir haben mit dem Wallner ein Casino hineingegeben. Ich habe eine Diskothek in dem Keller gemacht. Da war in den Zeitungen: "Der Untergang des Abendlandes!" Da sind einige auf mich losgegangen. Ich will den Namen nicht nennen, aber ein sehr bekannter Journalist, auch hier in Wien, der hat in Deutschland geschrieben: "Opernball, eine Betriebsrätin wird ihn jetzt machen!" Und wie gesagt, der Untergang des Abendlandes. Sie haben mich hingestellt, als würde ich mit Sichel und Hammer dort die "Frackschößl" abschneiden. Also ganz blöd. "Ich gehe in keine Diskothek, aber ich sehe, dass die jungen Leute das wollen." "Und im Keller, wen hindert es?" Im vierten Stock haben wir eine hübsche Bar gemacht. Die haben wir später aufgegeben, weil es zu teuer war, das zu machen. Und anderes mehr. Eine Austernbar, Sachen, die heute üblich sind. In jedem größeren Hotel haben sie so etwas. Das habe ich gemacht. Dann habe ich gefunden, dass die alte Dekoration auf der Bühne einfach schon so brüchig und kaputt ist. Da hieß es, die muss man neu machen. Da muss ich sagen, da habe ich mit dem Jungbluth einen neuen Entwurf gemacht. Der war ja für so was zu haben. Der Schneider-Siemssen hat dann diese Logen auf der Bühne entworfen. Also, dass die vom Zuschauerraum in einen Zuschauerraum hineinschauen. Das hat die Sache natürlich unglaublich verschönert. Vorher war es einfach nur eine Dekoration, während es dann plötzlich ein geschlossener Ballsaal war. Das war vielleicht das Entscheidende. Es hat das Bild irgendwie verändert und doch nicht. Es blieb einerseits, wie es war, und es war doch einfach schöner.
Verein "Künstler helfen Künstlern"
"Künstler helfen Künstlern" ist ein Verein, den die Hilde Wagener nach dem Krieg gegründet hat. Er ist so zustande gekommen, dass damals, heute nicht mehr vorstellbar, Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen und eben auch Künstler aus der Tschechei, aus dem Sudetenland, aus Ostdeutschland, aus dem Westen, deutschsprechende Leute, von dort vertrieben wurden. Nachdem die halt begreiflicherweise die Leute dort revanchiert haben, für das, was ihnen acht Jahre vorher angetan worden ist. Die haben sie alle hinausgeschmissen. Plötzlich standen diese Künstler, Schauspieler da und hatten nichts. Kein Geld, kein Dach über dem Kopf, nichts. Auch sehr viele Theaterleute. Denn schauen Sie, solche Städte wie Brünn, das waren alles deutsche Bühnen. Olmütz, das waren alles deutsche. Das Sudetenland, das war ein deutsches Land. Die sind nach dem Krieg zu Tschechien gefallen. Es war ja tschechische Republik. Aber an sich, von der Monarchie her ... Es war ja eine elende Grenze, genauso eine elende wie Südtirol. Die Amerikaner haben nach dem Ersten Weltkrieg schreckliche Dinge gemacht. Willkürlich Grenzen gezogen, die letztlich dann die Ursache zum Zweiten Weltkrieg, im übertragenen Sinn, war. Die Hilde hat diesen Verein gegründet und der hat zehn Jahre existiert. Wir alle haben dafür gearbeitet. Ich, die 20-jährige Anfängerin und der Aslan, der Berühmte. Wir haben alle dafür gearbeitet. Es gab bunte Abende. Damals gab's noch kein Fernsehen. Das gab's alles nicht. Die Fabriken haben ihre Belegschaft zu bunten Abenden am Samstag eingeladen. In riesigen Fabrikshallen waren 2000 Leute, Arbeiter, und wir haben "getingelt", wie man das nannte. Jeder hat irgendwas gemacht. Das, was der Fabrikbesitzer dafür bezahlt hat, das war für den Verein. Wir haben das alles umsonst gemacht. Davon lebte dieser Verein "Künstler helfen Künstlern". Dieser Verein hat eine Menge Geld eingenommen. Das wurde zum Teil verteilt und zum Teil angespart. Es hat immer schon geheißen, wenn man ein Haus finden würde, auch ein Heim, wäre das schön. Dann, nach dem Abzug der Russen, noch ein paar Jahre später, hat man dieses Haus in Baden gefunden. Das Haus in Baden war total devastiert. Es war ein Offizierserholungsheim beim alten Kaiser. Es wurde 1903 gegründet. Das Hübsche daran ist, dass es eigentlich seine Bestimmung weiter hat. Es ist für Menschen, die Hilfe brauchen. Es ist also seiner Bestimmung treu geblieben. Damals für Verwundete - auch im heutigen Sinn von "verwundet im Alter". Dann wurde das nach dem damaligen Geschmack hergerichtet. Mit einfachsten Mitteln, was man geben konnte und so ist das zustande gekommen.
Hilde Wagener.
Es war Hilde Wagener, die das Haus, also den Verein gegründet hat. Sie ist, ich glaube, 1983 gestorben. Die Christl Schönfeldt, meine Vorgängerin beim Opernball, die war genauso wie ich, seit Beginn in irgendeiner Form mit dem Verein "Künstler helfen Künstlern" verbandelt. Sie mehr als ich. Ich habe ja noch Theater gespielt, etwas anderes gemacht. Sie hat auch sehr viel getan. Es hat sich ergeben, dass sie das übernehmen könnte. Und das hat sie auch gemacht. Aber die Christl Schönfeldt hat ein Problem, ein Kommunikationsproblem. Das hat sie immer gehabt. Sie kann mit Menschen nicht gut umgehen. Sie hat doch sehr das "Oben" und "Unten". Ich hatte damit gar nichts zu tun, denn ich war zu der Zeit sehr mit dem Opernball beschäftigt. Eines Tages kam der Paul Blaha zu mir, der der Mann von Maria Urban war, die auch da in dem Verein eine Nummer war. Er hat gesagt: "Frau Tobisch, könnten Sie das nicht übernehmen?" Sag ich: "Das macht doch die Schönfeldt." Da sagt er: "Es geht nicht mehr. Es ist eine so schlechte Stimmung." Sag ich: "Ich habe schon so viel mit der Schönfeldt beim Opernball mitgemacht, jetzt soll ich mir das noch einmal antun?" "Ich bin gerne bereit, etwas zu tun, aber nein." Es war dann eine größere Intrige innerhalb des Vereins, an der ich selbst an sich nicht beteiligt war. Es war mir bekannt, und ich gebe es zu, ich habe nicht viel dagegen getan. Die haben dann eine Wahl organisiert, wo auch sehr viele kamen. Ich war auch dort bei diesen Generalversammlungen. Da wurde sie nach drei Jahren abgewählt. Da haben sie mich gewählt und ich habe Ja gesagt. Ich habe schon vorher gesagt, wenn sie abgewählt wird, dann werde ich es machen. Das habe ich gemacht und gleichzeitig noch ein Jahr den Opernball. Dann habe ich begonnen, mich wirklich ernsthaft mit der Sache zu beschäftigen. Wissen Sie, das Haus ist ja auch schon über 30 Jahre alt. Sie wissen: Jedes Schrebergartenhaus kommt zu einem Punkt, wo man alles neu machen muss. Das ist so. Es war schon sehr abgewohnt und nicht auf dem heutigen Stand. Dass auch wirklich jedes Zimmer ein Klo hat und all diese Witze. Ich habe dann im Laufe der Jahre das einfach von Grund auf wieder auf den Stand gebracht, der heute verlangt wird.
Ehrenmitglied der Alzheimer Gesellschaft.
Das, was ich jetzt hauptsächlich mache, ist "Künstler helfen Künstlern". Das Zweite ist, dass ich schaue und Stimmung mache für die Alzheimer-Angehörigen, dass man für die etwas tut. Ich bin Ehrenmitglied der Alzheimer-Gesellschaft. Ich bin kein Arzt, aber ich weiß auch aus eigener Erfahrung, muss ich leider sagen, dass die Alzheimerkranken arm sind. Aber nicht viel weniger arm sind die Angehörigen, die einen Alzheimerkranken oft viele, viele Jahre pflegen. Was das heißt, das kann überhaupt niemand ermessen, der nicht damit konfrontiert ist. Da mache ich mich auch stark. Also dafür setze ich meine Energie ein und vor allem für "Künstler helfen Künstlern".
Wien.
Wissen Sie, ich kenne viele, viele Städte und viele Länder. Ich bin sehr viel gereist in meinem Leben. Ich reise auch jetzt noch, aber nicht mehr so. Aber ich reise, wenn es irgendwie geht, immer noch. Aber leben möchte ich eigentlich nur in Wien. Allerdings, in Wien ist es schon ganz gut, wenn man ab und zu ein Monat wegfährt. Dann weiß man natürlich zu schätzen, dass Wien doch sehr lebenswert ist. Das weiß man dann zu schätzen. Aber das Arbeiten in Wien ist schwierig. Arbeiten in Wien ist schwierig, wenn man nicht zu einer bestimmten Partei gehört oder sonst irgendwas. Also, das ist schwierig. Aber als Pensionist leben, ich fühle mich nicht als Pensionist, weil ich immer noch etwas mache, aber das muss ja wunderbar sein. Wenn man keine Ambitionen mehr hat. Ich lebe sehr gerne in Wien. Wissen Sie, mir sitzt immer noch die Nazizeit in den Gliedern. Die Zeit, wie es Österreich nicht gegeben hat. Ich weiß, wie ich plötzlich zum ersten Mal Österreich, den Begriff Österreich, gehört habe. Das war ein wunderbarer Moment. Österreich war weg von der Landkarte. Es war die Ostmark, mehr gab's nicht mehr. Österreich gab's nicht mehr. Ich bin gerne in Österreich. Ich möchte auch so gerne stolz sein auf Österreich und bin es auch sehr oft. Es ist nur ab und zu so, dass man leicht verzweifeln kann. Dass man sagt: "Was machen die denn mit dem Land?" "Was machen die denn mit dem schönen Land?" Man hätte allen Grund, auf dieses Land stolz zu sein. Es ist ein wunderbares Land. Aber das ist ja nicht nur bei uns so, das ist eben die Kehrseite der Wohlstandzeit. Das ist die Kehrseite, dass wir 60 Jahre oder wie lange keinen Krieg und nichts haben. Menschen vertragen das schlecht. Vor allem die, die den Krieg noch nicht erlebt haben. Wenn man den Krieg erlebt hat, dann überlegt man sich einiges, vielleicht. Ich könnte mir vorstellen, dass die Leute, die den Krieg noch wirklich erlebt haben, sich doch einigermaßen überlegen, gewisse Petites zu machen und damit den Ruf des Landes und ihren eigenen hinzumachen. Man weiß ja auch, wo das enden kann. Derartige Dinge enden dann in Mord und Totschlag. Such is life - was soll man machen? Ich bemühe mich. Ich bin gerne Österreicherin, Wienerin. Ich lebe hier gerne. Werden wir sehen, wie lange es halt noch geht.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Lotte Tobisch-Labotyn (Social Responsibility)

Wir und Wien - Erinnerungen Lotte Tobisch wurde 1926 in Wien geboren. Schon während ihrer Schulzeit im Wiener Sacre Coeur fiel die große Salondame der Wiener Gesellschaft durch couragierte Eigenwilligkeit auf. 1943 nahm sie Schauspielunterricht bei Raoul Aslan und im Konservatorium Horak. 1945 stand sie in der ersten Aufführung des Burgtheaters nach dem zweiten Weltkrieg im Ronacher, in dem Stück Sappho, als Blumenmädchen auf der Bühne.

Länge: 49 Min. 25 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
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Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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