5. Klimaanpassung: Wien wird klimaresilient

5.2 Gesundheit und Wohlbefinden

Extremwetter- und Katastrophenereignisse, von Waldbränden bis zu Stürmen und Überschwemmungen, führen die Bedrohung durch den fortschreitenden Klimawandel und unsere Verletzlichkeit immer häufiger in drastischer Weise vor Augen. Auch wenn vor allem diese Ereignisse und die dadurch verursachten Todesfälle, Verletzungen und Sachschäden mediale und öffentliche Aufmerksamkeit erhalten: Eine besondere und vielfach immer noch unterschätzte Gefahr für die Gesundheit geht in Städten wie Wien von zunehmenden Hitzeperioden aus.

Relevant ist dabei sowohl die gemessene Lufttemperatur als auch das „thermische Empfinden“, also die gefühlte Temperatur, bei der auch direkte Sonneneinstrahlung, Luftfeuchtigkeit, Luftbewegung (Luftzug, Wind) usw. berücksichtigt werden.

Die gefühlte oder „physiologisch äquivalente Temperatur“ (PET) ist definiert als die Temperatur, die dem thermischen Empfinden eines Menschen bei leichter Tätigkeit in einem Innenraum mit einer Luftbewegung von 0,1 m/s, einem Wasserdampfdruck von zwölf hPa (entspricht einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent bei 20 Grad Celsius) und einer typischen leichten Bekleidung entspricht (47). Sie wird auch für die Hitzewarnungen der ZAMG und den präventiven Hitzewarndienst benutzt, da sie die Hitzebelastung am Tag besser ausdrückt als die gemessene Lufttemperatur. Demgegenüber ist die „normale“ gemessene Lufttemperatur u. a. in der Nacht sehr relevant: Nur wenn die Temperatur weit genug absinkt, ist erholsamer Schlaf und damit eine ausreichende Regeneration möglich.

Anhaltende Hitzephasen und mangelnde Abkühlung in der Nacht bedeuten eine enorme Belastung für den Körper. Wird die menschliche Fähigkeit zur Temperaturregulierung überfordert, kann dies zu Hitzekrämpfen, Hitzekollaps und -erschöpfung und im Extremfall zum Hitzeschlag führen. Umweltstressoren wie Luftschadstoffe (Ozon, Feinstaub oder Stickoxide) und Lärm verstärken negative Auswirkungen noch deutlich.

Studien zufolge hat in Wien vor allem bei Personen über 65 Jahre die Sterblichkeit an den Tagen einer Hitzewelle bereits im Zeitraum 1998–2004 um 13 Prozent zugenommen [48]. Seit den 2010er-Jahren liegt die Zahl der Hitzetoten in Österreich bereits regelmäßig über jener der Verkehrstoten. In der Klimaperiode um das Jahr 2030 ist in Wien im „Worst-Case“-Szenario mit über 1.000 Hitzetoten pro Jahr zu rechnen, um das Jahr 2050 gar mit knapp 3.000 Hitzetoten jährlich.1 Das entspräche einer Verzehnfachung der aktuellen Werte.

Neben der Corona-Pandemie und den Dauerbrennern lebensstilassoziierter sowie chronischer Erkrankungen ist der Klimawandel ein immer stärker werdendes gesundheitsrelevantes Thema. Steigende Temperaturen verursachen bei vielen Menschen gesundheitliche Probleme, besonders für vulnerable Gruppen wie sehr alten Menschen oder Kleinkindern. Im Sinne von Public Health sind Maßnahmen zur Klimaanpassung daher auch Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit. Den Herausforderungen werden wir mit einem Mix aus organisatorischen, kommunikativen und infrastrukturellen Maßnahmen begegnen.

Peter Hacker
Amtsführender Stadtrat für Soziales, Gesundheit und Sport

Peter Hacker

Die Folgen des Klimawandels betreffen alle – aber keineswegs im gleichen Maß. Das Risiko für hitzebedingte Erkrankungen etwa hängt von einer Reihe von Faktoren ab:

  • Kinder und ältere Menschen haben eine noch nicht vollständig ausgereifte bzw. bereits wieder abnehmende Fähigkeit zur Wärmeregulierung – und können sich oft altersbedingt nur schlecht vor Hitze schützen.
  • Für Menschen mit chronischen Erkrankungen, wie z. B. Bluthochdruck, Herz-, Lungen- oder Nierenerkrankungen, neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, aber auch Übergewicht, Mangelernährung oder Drogenmissbrauch und Alkoholismus ist Hitze besonders belastend.
  • Auch die Einnahme von bestimmten Medikamenten reduziert die Fähigkeit der Thermoregulation.
  • So z iale Isolation wird durch die Hitzebelastung im öffentlichen Raum oft noch zusätzlich verstärkt.
  • Geringer sozioökonomischer Status bedeutet geringes Einkommen und Vermögen, in der Regel beengte Wohnverhältnisse ohne Möglichkeit, in kühlere Zimmer auszuweichen. Geringe Bildung und fehlendes Wissen über Gefährdungen und Möglichkeiten sich zu schützen, verschärfen die Situation.

Der Klimawandel begünstigt auch die Verbreitung von heimischen und die Einschleppung von nicht-heimischen krankheitsübertragenden Tierarten sowie von Pflanzen, die Allergien auslösen. Höhere Temperaturen führen zudem zu einer Verlängerung der Vegetationsperiode und damit zu einer verstärkten Belastung durch Allergene eingeschleppter Arten (wie z. B. Ambrosia und Ragweed).

Unsere Ziele

Vor diesem Hintergrund formuliert die Smart City Strategie Wien folgende Ziele im Bereich Gesundheit:

  • Alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere vulnerable, sind vor den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels geschützt.
  • Die Gesundheitskompetenz wird auf individueller und organisatorischer Ebene gestärkt, Wien setzt auf Gesundheitsförderung und Prävention.
  • Wien bietet hohe Lebensqualität in allen Stadtteilen – durch Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in Klimaschutz und Klimaanpassung, durch die Stärkung des Gemeinwesens und durch vielfältige partizipative Mitgestaltungsmöglichkeiten.
  • 2030 haben die Wiener*innen zwei gesunde Lebensjahre mehr.

Die großen Hebel zur Zielerreichung

Die folgenden Maßnahmen und Instrumente betreffen vor allem die vorausschauende Vorbereitung auf den „Ernstfall“ ausgeprägter Hitzewellen und anderer gesundheitsgefährdender Ausprägungen des Klimawandels: von entsprechenden lang- bis mittelfristigen Planungen einschlägiger Einrichtungen über die Bereitstellung temporärer „kühler Räume“ bis zu Information und Sensibilisierung der Bevölkerung. Strukturelle Anpassungen im Bereich der Stadt- und Grünraumplanung, des öffentlichen Raums, der Wohngebäude oder der städtischen Infrastrukturen, die letztlich auch wesentlich für Lebensqualität und Wohlbefinden sind, werden in den folgenden Abschnitten behandelt.

Hebel 1: Über Auswirkungen von Hitze informieren und aufklären

  • Zielgruppengerechte Sensibilisierung der Bevölkerung über die Auswirkungen von Hitze, sachliche Aufklärung über angepasstes Verhalten bei Hitze und spezielle Risikofaktoren. Information über Services der Stadt und entsprechende Beratungsstellen.
  • Breite Kommunikation von Hitzewarnungen: Seit 2010 gibt es den präventiven Hitzewarndienst der Wiener Landessanitätsdirektion, der in Kooperation mit der ZAMG die Bevölkerung sowie Medizinische, Pflege- und Betreuungseinrichtungen auf bevorstehende Hitzebelastung hinweist. Entscheidend ist dabei:

    • eine breite Streuung über unterschiedliche zielgruppengerechte Kanäle und gemeinsam mit Multiplikator*innen, z. B. Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, Gesundheits- und (mobilen) Pflegediensten, Seniorenvertreter*innen auf Bezirksebene, Influencer*innen;

    • die Berücksichtigung von sprachlichen und kulturellen Barrieren;

    • die laufende Aktualisierung und digitale Aufbereitung der Informations­materialien wie etwa des Wiener Hitzeratgebers (etwa im Hinblick auf kühle Räume in der näheren Umgebung).

Hebel 2: Kühle Orte für den Hitzefall bereitstellen

  • Bereitstellung von „kühlen Orten“ als Rückzugsort für besonders vulnerable Gruppen während ausgeprägter Hitzewellen. Derartige Räume müssen nicht notwendigerweise neu errichtet werden. Es geht vielmehr darum, geeignete Räumlichkeiten (in Amtsgebäuden, Museen oder Einkaufszentren, ÖV-Stationen, Garagen, Kirchen usw.) ausfindig und zugänglich zu machen. Wichtige Kriterien: Verfügbarkeit von Trinkwasser, Sitz­gelegenheiten und Toiletten. Informationen über „kühle Orte“ in der Umgebung werden mit Hilfe von digitalen Tools (z. B. der App „Cooles Wien“) anwenderfreundlich verfügbar gemacht.

Hebel 3: Einrichtungen hitzefit machen

  • Berücksichtigung von gesundheitsrelevanten Aspekten des Klimawandels in der Aus- und Weiterbildung, gender- und kultursensible Beratung von Gesundheits- und Pflegepersonal sowie gezielte Schulungen zum Erkennen hitzebedingter Gefähr­dungen oder Erkrankungen, Vorbeugung und Behandlung.
  • Entwicklung und Umsetzung von Hitzemaßnahmenplänen zur mittelfristigen Vorbereitung auf Hitzeperioden und zur Durchführung von Akutmaßnahmen bei Hitzewellen insbesondere durch öffentliche und private Einrichtungen, die vulnerable Gruppen betreuen: Krankenanstalten, Pflege- und Betreuungseinrichtungen, mobile Pflegedienste, aber auch Kindergärten, Schulen und weitere Einrichtungen der Jugendarbeit. Für Gesundheitseinrichtungen kann dazu der „Leitfaden Hitzemaßnahmenplan“ [47] der Landessanitätsdirektion herangezogen werden; gleichzeitig gilt es, die spezifischen Bedürfnisse bzw. Ausgangsbedingungen der jeweiligen Zielgruppen zu berücksichtigen (etwa im Rahmen von Risiko- und Vulnerabilitätsanalysen).
    Wichtige Elemente von Hitzemaßnahmenplänen:

    • Festlegung von Schwellenwerten für spezifische Vorgaben bzw. Maßnahmen

    • Erfassung der Gefährdung von „Klient*innen“

    • Definition von Vorbereitungs-, Schutz- und Akutmaßnahmen im Hitzefall bzw. von Standardprozessen im Fall von Hitzewarnungen

    • Adaptierung der einrichtungsspezifischen Schulungskonzepte (siehe oben)

    • Etablierung von Maßnahmen des Arbeitnehmerschutzes

    • Festlegung von verantwortlichen Personen für die Maßnahmenumsetzung

  • Laufende Evaluierung der Hitzemaßnahmenpläne durch die jeweilige Trägerorganisation. Im Fall von privaten Einrichtungen, die durch die Stadt gefördert werden, sind entsprechende Vorgaben und Maßnahmen als Qualitätsstandards festzulegen und durch die zuständigen Stellen (z. B. Fonds Soziales Wien) zu prüfen.
  • Errichtung und Sanierung von Gebäuden des Wiener Gesundheitsverbunds nach einheitlichen Energiestandards und verbindlichen Kriterien, um den Heizwärme- und Kühlbedarf und somit den Ausstoß an Treibhausgasen zu reduzieren (siehe dazu auch oben Abschnitt 4.2 Gebäude) und gleichzeitig einer sommerlichen Überwärmung bzw. Unbehaglichkeit im Winter vorzubeugen.
  • Erfassung und Monitoring der Ausbreitung von heimischen sowie neuen Tier- und Pflanzenarten, die Allergien auslösen oder Krankheiten übertragen können (etwa Stechmücken) und Ausarbeitung von Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Risikominimierung (Aufklärung und Information der Bevölkerung zum Selbstschutz, Prävention im öffentlichen Grün usw.).
  • Durch eine Verknüpfung der Stadtklimaanalyse mit kleinräumigen sozioökonomischen Daten werden Gebiete identifiziert, die nicht nur physisch, sondern zusätzlich auch sozioökonomisch vulnerabel sind, wodurch ein besonderer Handlungsbedarf gegeben ist.

Fußnoten

  1. Herangezogen wurde die Mortalität an Kysely-Tagen. Ein „Kysely-Tag“ bezeichnet einen Tag in einer Periode von mindestens drei aufeinanderfolgenden Tagen, an denen die tägliche Maximaltemperatur ≥ 30 Grad Celsius beträgt [58].