5. Klimaanpassung: Wien wird klimaresilient

5.3 Ökosysteme, Natur- & Erholungsräume

Der Naturraum in und um Wien ist ein essenzieller Faktor der hohen Lebensqualität in Wien. Die Stadt Wien betrachtet die Natur- und Grünräume als Teil der Daseinsvorsorge, der allen Menschen in hoher Qualität zur Verfügung gestellt, langfristig gesichert und laufend gepflegt und verbessert wird. In diesem Sinn wurden bereits 1905 die ersten Teile des Wiener Grüngürtels geschützt, seither wurden die Schutzgebiete stetig erweitert.

Die Natur-, Grün- und Erholungsräume sind gerade in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels von besonderer Bedeutung. Zum einen leisten Grünräume – vor allem Wälder – einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels, indem sie CO₂ binden und Sauerstoff produzieren. Zum anderen sind funktionierende Ökosysteme wesentlich zur Minderung der Klimawandelfolgen:

  • Wälder speichern Wasser, spenden Schatten und wirken generell kühlend. Der Wiener Teil des Wienerwaldes hat etwa die gleiche Kühlleistung wie zwei Millionen Klimaanlagen. Ohne Wälder wäre es in der Stadt an Sommertagen um bis zu sechs Grad Celsius wärmer.
  • Waldböden binden Regenwasser, verhindern Erosion und bei Starkregenereignissen Bodenabtrag und Hangrutschungen. Durch Humusbildung im Boden werden große Mengen an Kohlenstoff gebunden.
  • Auch Wasserflächen und angrenzende Grünbereiche wirken kühlend auf die Stadt. Gewässer wie Donau, Neue und Alte Donau oder Wienfluss sind zudem wichtige Frisch- und Kaltluftschneisen und ermöglichen dadurch die Durchlüftung und nächtliche Abkühlung des Stadtraums.
  • Als Erholungsgebiete haben Grünräume für die Bevölkerung insbesondere von besonders überwärmten Stadtteilen eine immer wichtigere soziale Funktion.

Allerdings geraten auch die Ökosysteme infolge des Klimawandels zunehmend selbst unter Druck: Hitze und Trockenheit machen den Wäldern zu schaffen. Dabei ist die Anfälligkeit umso höher, je geringer die Vielfalt (im Hinblick auf z. B. Baumarten, Alter der Bäume und „Genpool“) ist. Durch wärmere Winter nehmen auch Probleme mit Schädlingen zu, die von höheren Temperaturen und insbesondere vom „Trockenstress“ bei den Wirtsbäumen profitieren. Die verlängerte Vegetationszeit führt zu einem erhöhten Pflege- und Bewässerungsbedarf von Pflanzen und zur Einwanderung wärmeliebender invasiver Arten. Auch die Gewässer reagieren stark auf die Klimaerwärmung, sodass Pflegemaßnahmen (wie z. B. das Mähen der Unterwasserpflanzen in der Alten Donau) laufend angepasst werden müssen. Gefragt ist eine Stärkung der Resilienz der Ökosysteme, um einer ökologischen Destabilisierung aktiv entgegenzuwirken.

Perspektivisch besteht bei zunehmender Dürre und Hitze auch für Wien die Gefahr von Waldbränden und damit eine ernstzunehmende Bedrohung für die enorme Kühlleistung des Wienerwaldes.

Unsere Ziele

Folgende Ziele wurden in der Smart City Strategie Wien im Hinblick auf Ökosysteme, Natur- & Erholungsräume festgelegt:

  • Der Grünraumanteil in Wien von mehr als 50 Prozent ist langfristig gesichert.
  • Wien schafft zusätzliche Waldflächen und Grünräume zur Erholung für die wachsende Bevölkerung und zur Verbesserung des Stadtklimas.
  • Die natürlichen Bodenfunktionen sind durch die Erhaltung und Schaffung von unversiegelten Flächen gesichert.
  • Wien fördert die biologische Vielfalt.

Die großen Hebel zur Zielerreichung

Die Wiener Wald- & Wiesen-Charta legt mit ihren zwölf Leitsätzen die Grundlagen für ein umfangreiches Maßnahmenprogramm für den Schutz und die qualitative Verbesserung der Wiener Naturräume. Im Sinne der Klimaanpassung sind dabei folgende Maßnahmen von besonderer Bedeutung:

Hebel 1: Wiener Wälder, Wiesen und Gewässer schützen, pflegen und stärken

  • Durch aktiven Waldbau mit kleinflächigen Pflegemaßnahmen in bestehenden Wäldern und bei Aufforstungen wird auf eine möglichst große Vielfalt an heimischen, standortgerechten Baumarten geachtet, um eine hohe Stabilität und Resilienz der Wälder zu gewährleisten.
  • Auf mindestens zehn Prozent der Wiener Waldfläche soll sich der Wald ohne forstliche Eingriffe natürlich entwickeln können (Kernzonen des Biosphärenparks, Nationalpark Donauauen und Naturwaldreservate).
  • Renaturierung von Fließgewässern und naturnahe Ausgestaltung der Uferbereiche. Dabei gilt es, Ziele des Lebensraum- und Artenschutzes, Anforderungen des Hochwasserschutzes sowie Bedürfnisse der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen im Hinblick auf Erholung und aktive Mobilität auszubalancieren (z. B. Ufervegetation zur Beschattung für Erholungssuchende und die Gewässer selbst, Radwegverbindung entlang des Wienflusses und barrierefreie Zugänge).
  • Umsetzung von Pilotprojekten zur aktiven Klimaanpassung von Ökosystemen: Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme gegenüber den negativen Auswirkungen des Klimawandels zu steigern und gleichzeitig den Erhaltungs- und Pflegeaufwand sowie damit verbundene CO₂-Emissionen und Kosten zu reduzieren.
  • Anpassung und Vereinheitlichung der Schutzgebietsverordnungen, insbesondere für ältere Landschaftsschutzgebiete im Wienerwaldbereich und Harmonisierung mit den Zielen des Biosphärenparks.

Neben Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich der Stadt Wien werden, um die Klimaschutz- und -anpassungsziele zu erreichen, in Zukunft auch bundesweit einheitliche Regelungen benötigt, die für Private monetäre Anreize für Aufforstungen (auch im Sinne des Klimaschutzes) und eine ökologisch nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern und Wiesen setzen (unter Berücksichtigung der Ziele der Biodiversität und des Landschaftsbildes).

Hebel 2: Erholungsräume sichern, ausweiten, gestalten und vernetzen

  • Vernetzung und Sicherung der Grünräume in und um Wien: Hierzu ist eine enge Abstimmung mit der niederösterreichischen Regionalplanung (Projekt „Grüner Ring“) sowie den einzelnen Nachbargemeinden im Großraum Wien erforderlich.
  • Zusätzliche Erholungsräume (wie Norbert-Scheed-Wald oder Regionalpark Drei Anger) werden durch Flächenankauf, Flächenwidmung oder vertragliche Vereinbarungen konsequent gesichert und als Erholungsgebiete ausgestaltet. Grüne Verbindungen von großräumigen Erholungsräumen in das Stadtgebiet hinein tragen zur Grünraumversorgung der Bevölkerung bei und ermöglichen nachhaltige Freizeitmobilität.

Sicherung des freien Zugangs zu Oberflächengewässern: Uferbereiche werden (durch entsprechende Flächenwidmung) von weiterer Verbauung und Privatisierung freigehalten.

Um eine Überlastung der Lebensräume zu vermeiden, ist eine ausgewogene Differenzierung von Freizeitangeboten für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen (z. B. Erholungswiesen, Mountainbike-Strecken und Hundefreilaufzonen) sowie eine intelligente Besucherlenkung erforderlich. Darüber hinaus sind mittelfristig großzügigere Grundankäufe z. B. im Vorland der Lobau notwendig, um durch Schaffung großer neuer attraktiver Erholungsgebiete (siehe oben) den bereits stark überlasteten Wiener Teil des Nationalparks Donauauen zu entlasten.

Konsequente Förderung der Erreichbarkeit von Erholungsräumen mit dem Umweltverbund: Ausbau von sicheren, hochwertigen Radverbindungen in Grünräume. ÖV-Stationen sollen im Regelfall günstiger gelegen sein als Pkw-Parkplätze. Pkw-Stellplätze in Grünräumen und deren Randgebieten werden grundsätzlich nur in reduzierter Zahl und unter Berücksichtigung der Schutz- und Erholungsziele angeboten.

Hebel 3: Bodenschutz betreiben

Wald- und Wiesenflächen werden zum Schutz des Bodens und zur Verbesserung der Biodiversität der Lebensräume der Tierwelt möglichst naturnah bewirtschaftet. Bei externen Vergaben werden biologische Bewirtschaftungsweisen und Bodenschonung als Vertragsbedingung verankert.

Verbesserung der Ackerböden und Vermeidung der Bodenerosion durch Humusaufbau und nachhaltige Bodenbewirtschaftung (z. B. durch organische Düngung): Förderung privater landwirtschaftlicher Betriebe bei der Umstellung auf Biolandbau und Beratung zu langfristigen Entwicklungsoptionen (etwa im Hinblick darauf, welche Pflanzen mittelfristig angesichts der absehbaren klimatischen Veränderungen – ohne exzessiven Bewässerungsbedarf – gedeihen werden).

Der Einsatz von Pestiziden wird in allen Bereichen – von der gewerblichen Bewirtschaftung bis zu privaten Gärten – durch gesetzliche Regelungen, aber auch Fördermaßnahmen und Beratungsleistungen auf das unbedingt nötige Maß reduziert (Stichwort: Initiative „Pestizidreduktion in Wien“).

  • „Circular Soil“: Bei Baumaßnahmen sollen wertvolle entnommene Böden nach Möglichkeit gleich vor Ort wiederverwendet werden (z. B. zur Grünraummodellierung). Dadurch wird auch die Gefahr der unbeabsichtigten Verschleppung invasiver Pflanzenarten (z. B. Staudenknöterich, Götterbaum) reduziert. Entsprechende Ziele und Maßnahmen können in Bodenschutzkonzepten festgelegt und in die Ausschreibung von Bauleistungen integriert werden.