1.1 Von Artenvielfalt bis Klima-Zukunft
Wien ist bekannt als Stadt höchster Lebensqualität. Ausgezeichnete Infrastruktur mit gut ausgebautem und zuverlässigem Öffi-Netz, die gute Wasser- und Gesundheitsversorgung sowie vielfältige Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote oder leistbarer Wohnraum tragen zu dieser bei. Nicht zuletzt die sehr gute Umweltqualität in Wien leistet einen großen Beitrag zur weltweit anerkannten Lebensqualität. Die allgegenwärtige Klimakrise und damit einhergehende Wetterextreme sowie der Verlust von Biodiversität sind große Herausforderungen, die die genannten Qualitäten – ohne entsprechende Gegenmaßnahmen – zukünftig in Frage stellen können.
Angesichts der weit fortgeschrittenen globalen Klimaveränderungen und dem voranschreitenden Verlust an Biodiversität sind auf allen Ebenen umfassende und zielgerichtete Maßnahmen nötig, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Die Stadt Wien nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein und setzt auf die Entwicklung von nachhaltigen Lösungen, die gleichzeitig das Leben in der Stadt verbessern und soziale Aspekte berücksichtigen.
Den übergeordneten strategischen Rahmen für Wiens Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen bilden die Smart Klima City Strategie und der neu verabschiedete Klimafahrplan, die den Zielpfad zur Klimaneutralität der Stadt Wien bis 2040 vorgeben und die dafür notwendigen Maßnahmen benennen. Die beiden Dokumente bilden die Grundlage für die Umwelt- und Klimapolitik der kommenden Jahre.
Mit der Wald- und Wiesen-Charta arbeitet die Stadt Wien seit 2020 an einer strategischen Initiative, die darauf abzielt, die großen Erholungsräume der Stadt zu schützen und zu fördern und damit den Wiener Grüngürtel weiterzuentwickeln. Sie betont die Bedeutung von Wäldern und Wiesen für die Biodiversität, das Klima und die Lebensqualität der Einwohner*innen.
Die Charta setzt mit zwölf Leitlinien für die nachhaltige Nutzung und Pflege dieser Flächen Maßstäbe und schützt den speziellen Charakter der Wiener Natur- und Erholungsräume. Ausgearbeitet wurden drei Aktionspläne zu den Aktionsfeldern Wald, Gewässer und Artenvielfalt.
Das Wiener Arten- und Lebensraumschutzprogramm Netzwerk Natur ist Teil des Aktionsplans Artenvielfalt der Wald- und Wiesen-Charta und unterstützt die dauerhafte Erhaltung der Lebensvielfalt in Wien. Es ist im Wiener Naturschutzgesetz verankert und schützt, fördert und pflegt naturnahe Lebensräume sowie seltene Pflanzen- und Tierarten. Im Rahmen des Netzwerks werden z. B. innerstädtisch Waldflächen auf engstem Raum geschaffen, welche zur Verbesserung der städtischen Biodiversität beitragen und darüber hinaus einen Beitrag zur Abkühlung im direkten Umfeld leisten. Die Wiesenpflege ist für den Erhalt der Biodiversität ein wichtiger Baustein, um die biologische Vielfalt auf Grünflächen zu stärken. Die Wiesenpflege der Stadt Wien umfasst eine nachhaltige, naturnahe Bewirtschaftung mit gestaffelten Mähzeiten, um die Artenvielfalt zu fördern und Lebensräume für Tiere zu erhalten. Dabei werden bestimmte Flächen seltener gemäht, um Blütenpflanzen zu fördern, während andere intensiver gepflegt werden, wie z. B. Spiel- und Sportplätze.
Die Wald- und Wiesen-Charta, der dazugehörige Aktionsplan Artenvielfalt und das Netzwerk Natur sind Teil von Wiens Biodiversitätsstrategie, die das Ziel verfolgt, die biologische Vielfalt in Wien zu schützen und zu fördern. Sie umfasst verschiedene Maßnahmen, die darauf abzielen, die Artenvielfalt zu erhalten, Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu schaffen und zu verbessern sowie die Vernetzung von Grünflächen zu stärken. Zu den Aktivitäten gehören unter anderem die Renaturierung von Flächen, die Anlage von Wildblumenwiesen, die Pflanzung von heimischen Bäumen und Sträuchern, die Gebäudebegrünung, die Schaffung von Lebensräumen für seltene Arten sowie die Förderung naturnaher Gärten und Parks. Die Offensive legt ebenfalls großen Wert auf die Sensibilisierung und Einbeziehung der Bevölkerung durch Umweltbildung und Beteiligung der Wiener Bevölkerung. Beispielsweise wurden am Weltumwelttag 2023 im Helmut-Zilk-Park Impulse für einen bewussteren Umgang mit der Umwelt gesetzt: Unter dem Motto „Pflanzerl fürs Fensterbankerl“ wurden Pflanzpakete mit verschiedenen Kräutern an Wiener*innen ausgeteilt. Die Pflanzpakete dienen als Nahrungsquelle für Wildbienen und Schmetterlinge.
Ein wichtiges Fundament für eine intakte Umwelt bildet die rechtliche Grundlage zu ihrem Schutz. Die Grundlagen für behördliche Entscheidungen werden stetig weiterentwickelt. Besonders hervorzuheben ist die 2023 erfolgte Ausarbeitung von Änderungsvorschlägen zum Wiener Baumschutzgesetz. Die Änderungen sehen vor, dass bestehende Bäume so weit wie möglich zu erhalten sind, etwa durch die Vorschreibung von Schutz- und Pflegemaßnahmen. Darüber hinaus soll es mehr Möglichkeiten zur Durchführung von Ersatzpflanzungen schaffen, etwa durch die Ausweitung möglicher Ersatzpflanzungs-standorte. Rechtswidriges Verhalten wird durch eine Erhöhung der Verwaltungsstrafen sanktioniert. Die Vorschläge wurden in den Entwurf zur Novelle des Wiener Baumschutzgesetzes aufgenommen, die Anfang 2024 dem Wiener Landtag zum Beschluss vorgelegt wird.
Die Themen Umwelt, Klimawandel und Biodiversität rückten 2022 und 2023 im Rahmen der Wiener Vorlesungen in den Fokus. Eine Reihe von Vorträgen und Diskussionen mit hochkarätigen Wissenschafter*innen beschäftigte sich mit diesen Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. So sprach am 3. Februar 2022 die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter von der Universität für Bodenkultur Wien mit Altbürgermeister und Biologen Michael Häupl über „Eine klimagerechte Gesellschaft. Rechtsstaat, Demokratie und nachhaltige Entwicklung“. Sie machte unter anderem deutlich, dass Umweltgerechtigkeit die Basis aller anderen Formen von Gerechtigkeit ist und ohne Frieden nachhaltige Entwicklung nahezu unmöglich ist. Zwei weitere Wiener Vorlesungen wurden von Chemiker Rudolf Krska von der Universität für Bodenkultur Wien zum Thema „Essen ohne Gift. Globale Herausforderungen und nachhaltige Lösungen“ sowie von Keywan Riahi vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) zum Thema „Null Emissionen. Ist das Klima noch zu retten?“ gehalten. Dieser diskutierte mit dem Bereichsleiter für Klimaangelegenheiten der Stadt Wien, Andreas Januskovecz, die nötigen Schritte zu null Emissionen und beleuchtete die Rolle verschiedener Sektoren und Weltregionen, um ein Netto-Null-CO2-Emissionssystem der Zukunft zu verwirklichen. Der Biodiversitätsforscher Franz Essl von der Universität Wien widmete seine Ausführungen unter dem Titel „There is no future … on a dead planet“ der politischen Dimension des Artensterbens: Wie kann soziale und ökologische Gerechtigkeit hergestellt werden? Und welche politischen Folgen gehen mit der Zerstörung der Umwelt einher?
Dass Menschenrechte und Umwelt zwei Themen sind, die miteinander in einem engen Zusammenhang stehen, zeigte sich auf der Wiener Menschenrechtskonferenz 2023.
Die zweitägige Veranstaltung wurde anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, des 30-jährigen Jubiläums der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz und des 10-jährigen Jubiläums des Prozesses zur Menschenrechtsstadt Wien abgehalten und fand im Wiener Rathaus statt. Thematisiert wurden Zusammenhänge zwischen Umwelt- und Menschenausbeutung und die Notwendigkeit einer umfassenden sozialökologischen Transformation. Klimaschutz, Ressourcenschonung und Biodiversität unter menschenrechtlichen Aspekten zu betrachten, wird auch in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe für die Menschenrechtsstadt Wien sein.
Umweltbildung ist ein weiteres wichtiges Instrument, um den Herausforderungen im Bereich Umwelt und Klimakrise langfristig zu begegnen. Es ist ein Konzept, das darauf abzielt, Bewusstsein und Aufmerksamkeit zu schaffen. Vermittelt werden Ursachen und Folgen der Klimakrise. Menschen werden darauf vorbereitet, mit den Auswirkungen der Klimakrise zu leben und zum Engagement für Klimaschutz und einem nachhaltigen Lebensstil angeregt. Das Konzept basiert auf dem Ansatz der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) der UNESCO. Zur Umsetzung hat die Stadt Wien im Jahr 2023 das erste Mal die interne Vernetzungs-veranstaltung KlimaBildungKonnekt organisiert. Sie wird aufgrund des Erfolgs weitergeführt werden. 2023 haben zudem intensive Vorbereitungsarbeiten zum Klima-Campus stattgefunden. Eine Website, die Bürger*innen jeden Alters einen Überblick über Angebote mit klima- und umweltrelevanten Inhalten gibt, soll 2024 fertiggestellt werden. Wir werden im nächsten Umweltbericht darüber berichten.
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