5. Klimaanpassung: Wien wird klimaresilient

5.5 Öffentlicher Raum & Gebäude

Hitze zeigt sich in verschiedenen Stadträumen – im öffentlichen Raum wie auch in Gebäuden – in unterschiedlichem Maß. Vor allem in dicht bebauten und stark versiegelten innerstädtischen Gebieten kommt es rasch zur Überhitzung: Bebaute Oberflächen weisen meist wärmeabsorbierende Materialien auf (Stichwort Albedo), die in vielen Fällen zusätzlich noch wasserundurchlässig sind. Das Niederschlagswasser läuft schnell ab, der durch Verdunstung eintretende Kühleffekt kommt nicht zum Tragen. Verstärkend wirkt die Form der Gebäude: Vertikale Gebäudeflächen nehmen sowohl die direkte Sonneneinstrahlung als auch die von anderen Gebäudeoberflächen reflektierte Strahlung auf. Die Bebauung behindert zudem die Luftzirkulation. Einen zusätzlichen Effekt kann schließlich auch die Abwärme von industriellen Prozessen, Klimaanlagen und Kraftfahrzeugen haben.

Die Albedo gibt das Reflexionsvermögen eines Materials an. Sie wird durch das Verhältnis aus reflektierter zu einfallender Lichtmenge beschrieben und ist immer eine Zahl zwischen 0 (= vollständige Absorption) und 1 (vollständige Reflexion). Helle Oberflächen (z. B. weiße Mauern) weisen eine höhere Albedo auf als dunklere Flächen (z. B. Asphalt). Je höher die Albedo, desto geringer die von der Oberfläche aufgenommene Strahlungsenergie und damit die Erwärmung angrenzender Luftschichten (49).

Abbildung 24: Schematische Darstellung des Wärme­inseleffekts; eigene Darstellung nach [51; 49]

Baumaterialien wirken meist als Wärmespeicher und strahlen nach Sonnenuntergang – zum Teil bis in die Morgenstunden – Wärme in die Umgebung ab. Die Temperaturunterschiede zwischen den unterschiedlichen städtischen Gebieten sind daher oft in der Nacht noch deutlicher als am Tag.

Abbildung 25: Temperaturunterschiede im Tagesverlauf in ausgewählten Wiener Stadtgebieten im Vergleich zum Stadtumland (Seibersdorf); eigene Darstellung nach TU Wien, aus: Präsentation MA 2

Als beste Gegenstrategie gegen die Überhitzung erweisen sich „natürliche Klimaanlagen“: Stadtbäume, Parkanlagen, Beschattung, die Entsiegelung des Bodens, reflektierende Oberflächen sowie die Begrünung von Dächern und Fassaden. So können etwa Bäume mit hoher Kronendichte die gefühlte Temperatur im Straßenraum während der Sommerzeit untertags um bis zu 18 Grad Celsius reduzieren [52]. Grünfassaden können an heißen Sommertagen 40 bis 60 Prozent der einfallenden Sonnenenergie „schlucken“.1 Entscheidend ist jeweils ein an die lokalen Bedingungen optimal angepasster Maßnahmenmix.

Unsere Ziele

Vor diesem Hintergrund hat die Stadt Wien in der Smart City Strategie Wien folgende Ziele im Bereich klimafitte Stadträume festgelegt:

  • 25.000 neue Standorte für Straßenbäume
  • Begrünungen, Beschattungen und weitere Maßnahmen im öffentlichen Raum reduzieren die gefühlte Temperatur im Sommer maßgeblich und ermöglichen lebendige klimafitte Grätzl.
  • Vor allem in dichten bebauten Gebieten verbessern Gebäudebegrünungen das Mikro­klima.
  • Die Überschirmung versiegelter Flächen durch Baumkronen wird in allen Teilen der Stadt kontinuierlich erhöht.
  • In Wien wird möglichst viel Regenwasser lokal in den natürlichen oder naturnahen Wasserkreislauf zurückgeführt. Die Steigerung des Anteils der Verdunstung am Jahresniederschlag als wesentlichster Hebel zur Kühlung des Stadtraumes wird­ erhöht.

Die großen Hebel zur Zielerreichung

Eine effektive (Um-)Gestaltung klimaresilienter Gebäude und öffentlicher Räume erfordert eine wirkungsorientierte Herangehensweise und – nicht zuletzt angesichts der zum Teil hohen Kosten der einzelnen Maßnahmen – eine differenzierte Anwendung für unterschiedliche städtische Teilräume (z. B. dicht bebaute Innenstadtlagen vs. Stadtrandlagen). Der für einzelne Gebiete jeweils geeignete Maßnahmenmix kann unter anderem aus der Stadtklimaanalyse abgeleitet werden – unter besonderer Berücksichtigung sozialräumlicher Aspekte.

Instrumente umfassen Umsetzungsmaßnahmen im eigenen Bereich der öffentlichen Hand (etwa bei der Ausgestaltung von Parks und Straßenräumen), aber auch die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens bzw. der Förderungsinstrumente der Stadt zur Berücksichtigung von Aspekten des Klimawandels im Neubau und bei der Gebäudesanierung.

Hebel 1: Raus aus dem Asphalt – Grünanteil erhöhen und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum sicherstellen

  • Pflanzung von 25.000 Bäumen an neuen Standorten im Straßenraum (vgl. oben Kapitel 4.1.3) etwa anstelle von MIV-Stellplätzen oder -Fahrspuren (inkl. klimasensible Pflanzenauswahl und Schwammstadtprinzip)
  • Umgestaltung des bestehenden Straßenraums: Umgekehrt sind Straßen und Plätze im dicht bebauten Gebiet, die bereits heute eine markante Begrünung aufweisen, besonders geeignet, durch Umbau- und Verkehrsberuhigungsmaßnahmen zu attraktiven Räumen für Aufenthalt und aktive Mobilität (Gehen, Radfahren) umgestaltet zu werden.

Bei beiden Maßnahmenoptionen wird gleichermaßen eine Umverteilung des Straßenraums zugunsten aktiver Mobilität vorgenommen und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum verbessert.

Wichtig dabei:

  • Entwicklung und Umsetzung standortgerechter Bepflanzungskonzepte mit klimaangepassten Baumarten auf Basis eines laufenden Monitorings der Effekte des Klimawandels auf die Vegetation. Auch bei (Ersatz-)Pflanzungen auf privaten Liegenschaften sollen grundsätzlich nur klima- und standortgerechte Bäume zugelassen werden.
  • Umfassende Anwendung des Schwammstadtprinzips zur Sicherstellung einer stabilen Bewässerung, einer besseren Verankerung im Hinblick auf Sturmereignisse und eines schnelleren Wachstums der Bäume.

Bei Pflanzungen nach dem Schwammstadtprinzip wird der Wurzelraum von Straßenbäumen unter der versiegelten Oberfläche (Straßen, Parkplätze usw.) erweitert und eine Schicht aus grobkörnigem Schotter sowie feineren, wasserspeichernden Materialien angelegt. Die Bäume stehen wie üblich in ihren Baumscheiben, haben aber direkten Kontakt zu den Schotterschichten und können diese durchwurzeln. Auch das Regenwasser kann direkt in die Baumscheibe oder über Einlaufschächte und Drainageeinrichtungen in die Schotterschicht ablaufen und steht dem Baum somit in ausreichender Menge und über einen längeren Zeitraum zur Verfügung. Gleichzeitig werden Überflutungen bei Starkregene

reignissen abgeschwächt oder verhindert.

  • Sicherstellung einer adäquaten Pflege und Erhaltung neuer wie auch bestehender Stadtbäume 49 und anderer Pflanzen, um die Ökosystemleitungen (z. B. Kühlung, Beschattung und Verdunstung durch Dimension und Alter) garantieren zu können.

Außerdem:

Zur Erhaltung bestehender Bäume gehört auch der Schutz vor überbordenden „Angst-“ oder „Haftungsschnitten“, also dem Fällen oder massiven Beschneiden, um das Haftungsrisiko im Fall von herabfallenden Ästen zu verringern. Mit dem Engagement im Rahmen der österreichischen Baumkonvention setzt sich Wien hier für mehr Rechtssicherheit und Klarheit in Haftungsfragen, für Aufklärung und entsprechende Rechtsanpassungen auf Bundesebene ein. Ähnliches gilt für die Haftung bei der Erhaltung von Wegen: Auch hier drängt Wien auf rechtliche Klärungen – eine wichtige Voraussetzung, um die Versiegelung des Bodens und den Einsatz von Streusalz hintanzuhalten.

  • Beschattung: Zusätzlich zu Straßenbäumen können im öffentlichen Raum weitere technische Lösungen (z. B. Sonnensegel oder Photovoltaikmodule) zur Beschattung von Sitzgelegenheiten und Spielplätzen, von Wartebereichen bei ÖV-Haltestellen, von Aufstellflächen an Kreuzungen (Fahrrad- und Fußgängerverkehr) und von Wegen bzw. Wegrelationen zum Einsatz kommen (unter Nutzung von 3D-Solaranalysen und Simulationen der Sonneneinstrahlung). Schattige Wege können in einer Wiener Schattenkarte bzw. Fußwege-App ausgewiesen werden.
  • Ergänzende Umgestaltungsmaßnahmen im öffentlichen Raum sowie Anpassung bzw. Umgestaltung von bestehenden Parkanlagen zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität (insbesondere auch im Hinblick auf vulnerable Gruppen) und zur Verbesserung der Luftzirkulation und natürlichen Verdunstung:

    • Anlage von „Straßenbegleitgrün“, also z. B. Sträucher, Wiesen-/Rasenstreifen, Begrünung von Gleiskörpern bzw. Begrünung durch „mobiles Grün“ (in Pflanzgefäßen)

    • Gehsteige werden – wo dies technisch möglich ist – so ausgeführt, dass der Randstreifen zur Bebauung offen und begrünt bleibt, wodurch neue Grünflächen entstehen, aber auch nachträgliche Fassadenbegrünungen einfach umsetzbar sind.

    • Klimaresiliente Neupflanzungen in Parks

    • Zusätzliche Wasserelemente (z. B. Sprühnebel, Wasserläufe, Wasserspielplätze und Trinkbrunnen)

    • Entsiegelung von Böden (z. B. Parkplätze und Zufahrten) bzw. Wahl geeigneter hitzemindernder Oberflächenmaterialien, die Sonnenlicht im gewünschten Maß reflektieren und – wo möglich – wasserdurchlässig sind.

  • Aktives Regenwassermanagement: Die Verdunstung von Niederschlägen ist einer der wichtigsten Hebel zur Kühlung des Straßenraums bzw. des Siedlungsgebiets. Natürliche Lösungen der Versickerung, Verdunstung und Wasserspeicherung tragen damit wesentlich zur Verbesserung des Mikroklimas bei und entlasten gleichzeitig das Kanalsystem. Durch Retentionsbereiche mit Mehrfachnutzung (z. B. Sportplätze) entstehen Notwasserwege für Starkregenereignisse. Gespeichertes Regenwasser (auch aus Zisternen) wird für die Bewässerung des Stadtgrüns genutzt.

Umsetzungsinstrumente:

  • Klimaangepasste Gestaltung von Parks und öffentlichem Raum sowie öffentlichen Gebäuden durch die Einrichtungen der Stadt
  • Beschränkung bzw. vertragliche Regelung der Menge des von Gebäuden i n den Kanal eingeleiteten Niederschlagswassers
  • Förderung von Umbaumaßnahmen des öffentlichen Raums zur Klimaanpassung bzw. Verbesserung der Aufenthaltsqualität 50
  • Förderung lokaler, zivilgesellschaftlicher Initiativen wie (begrünte) Grätzloasen und Nachbarschaftsgärten durch

    • Informationsangebot

    • Erleichterungen bei Bewilligungen (vereinfachte Verfahren, „One-stop-Shop“)

    • Finanzielle Förderungen

  • Umgestaltungsmaßnahmen im öffentlichen Raum können insbesondere zum Gegenstand partizipativer und gendersensitiver Prozesse (z. B. im Rahmen des Projekts Wiener Klimateam) gemacht werden, um einerseits die Bedürfnisse unterschiedlicher Personengruppen bestmöglich berücksichtigen zu können und andererseits für eine aktive Mitgestaltung der klimaresilienten Stadt zu mobilisieren.

Hebel 2: Begrünung und passive Kühlung von Gebäuden fördern und fordern

  • Passive Kühlung von Gebäuden und Gebäudekomplexen anstelle von ineffizienten Klimaanlagen durch

    • außenliegenden Sonnenschutz (unter Berücksichtigung des Stadtbildes)

    • Gebäudedämmung

    • Verschattung der Dachfläche z. B. durch PV-Anlagen und Begrünung

    • Ermöglichen von Quer- und Nachtlüften durch entsprechende Trakttiefen

    • Erhöhung der Reflexion von Sonnenlicht (Albedo) mit Hilfe geeigneter Ober­flächenmaterialien

    • im Neubau: Passive Kühlung durch Bauteilaktivierung und Fußbodenkühlung
      (bei gleichzeitiger Nutzung der abgeführten sommerlichen Wärme in Saison­speichern)

Umsetzungsinstrumente umfassen unter anderem:

  • Anpassungen der rechtlichen Vorgaben (Bauordnung)
  • Förderung der höheren Investitionskosten
  • Schwerpunktsetzungen bei Bauträgerwettbewerben im geförderten Wohnbau
  • Dach-, Fassaden- und Innenhofbegrünung vor allem in dicht bebauten Innenstadtlagen: Dach- und Fassadenbegrünungen kühlen nicht nur das jeweilige Gebäude selbst, sie verbessern – in standortgerechter Kombination mit anderen Maßnahmen (siehe oben) – auch das Mikroklima im umliegenden Straßenraum. Dachbegrünungen sind möglichst intensiv und gleichzeitig multifunktionell auszuführen, um zur Gebäudedämmung beizutragen, die Retention und natürliche Verdunstung von Regenwasser zu ermöglichen und gleichzeitig den steigenden, vielfältigen Ansprüchen an Dachflächen gerecht zu werden. Kombinierte Lösungen (Haustechnik, Grün, Aufenthalt, Energieproduktion durch Solarmodule) sind hier anzustreben. Damit die Bepflanzung den gewünschten Effekt bringt, ist – auch unter veränderten klimatischen Bedingungen – eine ausreichende Versorgung mit Wasser und Nährstoffen zu gewährleisten.

Instrumente zur Forcierung der Gebäudebegrünung:

  • Verbindliche Festlegung der Begrünung von geeigneten Gebäudeoberflächen in den Bebauungsplänen bzw. der Bauordnung für Wien.
  • Weiterführung und gegebenenfalls Aufstockung der bestehenden finanziellen Förderung der Stadt Wien für Dach-, Fassaden- und Innenhofbegrünungen über das Jahr 2023 hinaus.
  • Fachliche Beratung sowie Unterstützung bei Anträgen („One-stop-Shop“) und Vereinfachung der Einreichverfahren.
  • Errichtung von Pflanzflächen für private Fassadenbegrünungen im Gehsteigbereich durch die Stadt Wien, um Interessent*innen zu ermöglichen, ihre Fassade im Interesse des Stadtklimas mit möglichst geringem Aufwand zu begrünen. Pflanzen und ggf. Rankhilfen müssen von privater Seite beigesteuert werden. Dabei ist auf die Einhaltung der Mindestbreiten für den Fußgängerverkehr zu achten.
  • Verringerung des Wärmeeintrags in den Stadtraum durch Abwärmenutzung und Verbot einer direkten Abgabe der warmen Abluft von großen Klimaanlagen an die Umgebung, insbesondere bei Neubau von Bürogebäuden und Supermärkten.

Fußnoten

  1. Berechnung MA 22.