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Gemeinderat, 69. Sitzung vom 01.07.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 22 von 94

 

Ralf Dahrendorf hat einmal gesagt: „Zur Freiheit gehören Krisen der Freiheit.“ – Ich glaube, die Europäische Union, die heute vor einer Krise steht, egal, ob das Griechenland ist oder ob das andere Themen sind, hat die Chance, auch diese Krisen zu nutzen. Europa ist trotz allem auch noch eine Vision wert. Einige Vorredner haben schon das ursprüngliche Projekt betreffend Kohle und Stahl und die Friedensunion angesprochen.

 

Ich glaube, dass wir vor allem der Jugend Perspektiven geben müssen. In vielen europäischen Ländern ist die Arbeitslosenrate extrem hoch. Wir dürfen aber nicht immer die Schuld auf Europa schieben, sondern wir müssen vor der eigenen Haustür beginnen. Wir brauchen eine Hoffnung, und diese Hoffnung wird nur dann leben können, wenn wir der Jugend von heute eine Perspektive geben. Ich glaube, die vielen Austauschprogramme für Studentinnen, Studenten, Lehrlinge, und so weiter werden Wirkung zeigen, aber das wird halt noch ein paar Generationen dauern.

 

Heute alles schlechtreden zu wollen, was die EU jemals getan hat, halte ich, mit Verlaub gesagt, für falsch. Wenn man ein gemeinsames Europa haben will, dann soll man meiner Meinung nach durchaus darüber diskutieren, wohin der Weg geht. Ich glaube aber, dass ein Nichtbekenntnis zu Europa und ein Zurück zu Nationalstaaten den Zerfall des Kontinents bedeuten würden. (Zwischenruf von GR Mag Wolfgang Jung.) Es muss ja nichts gegeben haben, aber es kann uns gescheiter machen, dass es dann etwas anderes gibt!

 

Ganz offen gesprochen: Ich habe nicht gesagt, ob es sich im Projekt der Zukunft um Nationalstaaten handeln muss. Robert Menasse hat das Thema einmal angesprochen und hat gesagt, dass auch die Regionen viel mehr Bedeutung erlangen könnten. – Sehen wir uns doch einmal unser eigenes Staatsgebilde in Österreich an! Ich glaube, in der Diskussion der einzelnen Bundesländer untereinander liegen auch noch viele Perspektiven. Denn ganz offen gesagt: Der Achse des Westens, die vom Westen jetzt immer so stark propagiert wird, könnte man durchaus die Achse des Ostens gegenüberstellen. Das sage ich ganz offen, denn das Burgenland, Niederösterreich und Wien haben jedenfalls mehr miteinander gemein als wahrscheinlich mit Vorarlberg oder Innsbruck. Und wenn man das aus dieser Perspektive heraus betrachtet … (GR Mag Wolfgang Jung: Was war das jetzt? Was wollen Sie damit sagen?)

 

Was das war? – Das war ein Beispiel dafür, wie man Europa unter Umständen neu bauen kann, etwa indem man den Regionen viel Bedeutung beimisst! Das würde natürlich am Ende des Tages bedeuten, dass es keine Nationalstaaten mehr gibt. Das ist eine Fragestellung. Das kann ein Weg sein. Ich stelle das hier nur zur Diskussion. Ich habe nie behauptet, dass das der richtige Weg ist! Ich glaube nur, das würde in vielen Konflikten auch innerhalb Europas unter Umständen zu einem Ziel führen. (GR Mag Wolfgang Jung: Das sagt die ÖVP im Wahlkampf aber sicherlich nicht!)

 

Was die ÖVP im Wahlkampf sagt, das weiß ich nicht! Wir reden heute von Visionen, das ist der Titel der Aktuellen Stunde. Und wenn man sich nicht mehr traut, über verschiedene Themen hier herinnen zu diskutieren, dann ist das, glaube ich, ein Armutszeugnis, Kollege Jung! Ich lebe nicht in der Vergangenheit, sondern für mich gibt es noch genug Zukunft! Aber vielleicht haben Sie schon ein bisserl mehr Vergangenheit. Das ist durchaus denkbar! (Beifall bei ÖVP, SPÖ und GRÜNEN. – Zwischenruf von GR Mag Wolfgang Jung.)

 

Es gibt auch viele strategische Fragen zu klären, Herr Kollege Jung. Ich erinnere nur an die gesamte Frage der Energie. Was agiert Europa in Hinblick auf Energie und Verkehr? Da gibt es viele Fragen, vom Luftverkehr angefangen über die Single-Sky-Geschichte und, und, und. Dazu kommt das wichtige Thema Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit. – Es gibt also genug zu tun.

 

Aber lassen Sie mich noch einmal Ralf Dahrendorf zitieren – und damit könnten wir in Wien beginnen –: „Wir brauchen Bürokratien, um unsere Probleme zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindern sie uns, das zu tun, wofür wir sie brauchen.“ – Im diesen Sinne: Beginnen wir auch in Wien, mit der Bürokratie etwas zu tun! Danke schön. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Als nächste Rednerin hat sich Frau GRin Hebein zu Wort gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

 

10.47.45

GRin Birgit Hebein (Grüner Klub im Rathaus)|: Werter Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen!

 

In fünf Minuten für eine Vision für ein neues Europa schicke ich zwei Dinge voraus.

 

Erstens: Dieser sogenannte Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit durch Budgetkürzungen als wirtschaftspolitische Antwort auf nahezu alle Fragen innerhalb der Europäischen Union ist gescheitert.

 

Der zweite Punkt: Durch die Politik des sogenannten Reformbündnisses rund um Deutschland mit neoliberalen, konservativen Regierungs- und Staatschefs gemeinsam mit der EZB und Industrieunternehmen werden in erster Linie Massenarbeitslosigkeit und Armut produziert. Die Politik der Senkung sozialstaatlicher Leistungen und Löhne ist schlichtweg widersinnig. Man darf in wirtschaftspolitisch schwierigen Zeiten nicht auf Budgetkonsolidierung setzen!

 

Das sind die Voraussetzungen.

 

Werte Damen und Herren! Holen wir uns unsere Vision wieder zurück! Erlauben wir uns überhaupt wieder Visionen, denn die neoliberale Wirtschaftspolitik ist weder gottgegeben noch ein Naturgesetz. Diese Vision, dass kein Mensch in Europa in Armut und Ausgrenzung leben soll, dass es eine gelebte soziale Gerechtigkeit und eine lebendige funktionierende Demokratie gibt, wo man mit natürlichen Ressourcen so umgeht, dass man sie über Generationen erhält, ist möglich und muss es auch sein!

 

Was müssen wir jetzt tun? – Wir müssen die progressiven politischen Kräfte, die Gewerkschaften, die neuen Initiativen, die jetzt entstehen, stärken und sagen: Es reicht! Wir wollen keine Fortsetzung dieser katastrophalen Krisenpolitik! Wir brauchen einfach verstärkte Finanzmarktkontrolle und Umverteilung. Das heißt: Wir müssen die vorhandenen Kräfte schwächen, und wir

 

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