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Gemeinderat, 69. Sitzung vom 01.07.2015, Wörtliches Protokoll  -  Seite 20 von 94

 

noch das Allzeit-Hoch an fehlenden Arbeitsplätzen in Österreich, und so weiter. Aber wir kümmern uns um Griechenland!

 

Wir sollten den britischen Vorstellungen mehr Raum bieten, die sagen, zurück zu höherer nationaler Zuständigkeit! Zurück zu mehr Subsidiarität! Lokale Probleme können nämlich besser vor Ort gelöst werden. – Hier gibt es wahrscheinlich wirklich dann einen kritischen Zeitpunkt, wenn man hören wird, was die Briten wollen.

 

Nur eines darf es nicht geben, nämlich wieder diese Opt-out-Methoden: Das heißt, die Briten bekommen die Zuckerln, die Dänen haben sich die Zuckerln herausgeholt – das sehen wir jetzt bei der Verteilung der Flüchtlinge –, und die Iren haben sich die Zuckerln herausgeholt. Aber unser Kanzler betet immer brav nach: Für Europa! Für Europa! Und die ÖVP tut das ohnehin, und ich fürchte, er wird auch bei TTIP in die Knie gehen! Und deswegen ist es höchste Zeit, dass wir hier zeigen: So kann und darf es einfach nicht weitergehen! (Beifall bei der FPÖ und von GR Dr Wolfgang Aigner.)

 

Die Lösung kann nicht darin liegen, dass wir immer mehr an Rechten und Souveränität nach Brüssel abgeben, denn der Weg zu dieser berühmten Geschichte „Bundesstaat statt Staatenbund“ wäre der falsche! Wir wollen nicht den Staatenbund eines Juncker, sondern wir wollen den Staatenbund eines de Gaulle! Wir wollen ein Europa der Vaterländer und nicht das Europa des Herrn Juncker, der sagt: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ (Beifall bei der FPÖ und von GR Dr Wolfgang Aigner.)

 

Vorsitzender GR Godwin Schuster: Als nächste Rednerin hat sich Frau GRin Dr Vitouch zu Wort gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

 

10.31.58

GRin Prof Dr Elisabeth Vitouch (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtages und Gemeinderates)|: Die Wortmeldung des Herrn Kollegen Jung erinnert mich an „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus. „Gott strafe England!“, sagen die Menschen dort. (Beifall bei der SPÖ.)

 

Ich möchte lieber mit einem Zitat von Bruno Kreisky beginnen, der einmal gesagt hat – und das wird immer wieder vergessen –, dass Dr Karl Renner, wenn man seine politischen Ideen befolgt hätte und seitens der führenden Staatsmänner der Monarchie eher bereit gewesen wäre, auf seine Gedanken einzugehen, wahrscheinlich der Architekt eines großen Bundesstaates in der Mitte Europas und in Südosteuropa geworden wäre. Er wäre der Begründer einer mitteleuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewesen. – Dazu möchte ich feststellen: Es hätte dann keinen Ersten Weltkrieg gegeben. – Nur so viel zur Friedensunion.

 

Ich möchte Ihnen sehr gerne drei Visionen für ein starkes Europa vorstellen, die leider bis jetzt nicht realisiert wurden.

 

Um ein Debakel wie in Griechenland zu verhindern, sollte man – wie viele Ökonomen, Politologen und andere Experten fordern – einen Rechtsrahmen für Staatspleiten finden, einen europäischen Währungsfonds schaffen und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik betreiben. Von der gemeinsamen Sozialpolitik will ich gar nicht reden, das wäre nämlich ein weiterer Schritt, der in diesem Fall sehr sinnvoll und hilfreich wäre.

 

Aber ein Insolvenzrecht für Staaten wäre eine Ordnung, mit welcher man das Chaos hier beseitigen könnte. Diese Idee ist leider bisher daran gescheitert, dass die Souveränität der Schuldner und die Rechte der Gläubiger dadurch gefährdet wären.

 

Der zweite Lösungsvorschlag betreffend die Schaffung eines europäischen Währungsfonds, eine Idee von Finanzminister Schäuble in Deutschland, wurde gleich von seiner Bundeskanzlerin, „Mutti“ Merkel, wieder abgedreht. Es bestand nämlich die Gefahr, dass die Europäische Kommission, die aus Berliner Sicht eine viel zu weiche Position gegenüber den Schuldenstaaten vertritt, zu viel Einfluss nehmen könnte. Ein EWF wäre aber ganz sicher besser gewesen als der IWF. Er ist allerdings noch nicht ganz gestorben, er lebt noch im Rettungsschirm weiter.

 

Und seit 20 Jahren kursiert auch die – man kann schon fast sagen – „Zombieidee“ einer Euro-Wirtschaftsregierung. Diese Idee ist mit der Eurokrise aufgetaucht, damals konnten sich aber Merkel und Sarkozy leider nicht einigen. Beide haben zwar schon 2011 ein Gremium mit dem Namen „Wirtschaftsregierung“ vorgeschlagen, das aus den Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten bestehen und zwei Mal im Jahr tagen sollte. Das wurde aber bis heute nicht realisiert, und Deutschland exportiert weiterhin eifrig, was die Franzosen damals ein bisschen gestört hat, nur mit dem Unterschied, dass die hohen Überschüsse jetzt zu einem Rüffel durch die EU-Kommission führen.

 

Aber kommen wir jetzt nach Österreich: Ein Jahr lang haben unsere neun Bundesländer verhandelt, um eine neue gemeinsame Position zu TTIP und CETA, dem Handelsabkommen zwischen der EU, Kanada und den USA, zu akkordieren. Wir haben eine einheitliche Stellungnahme, und es hat schon im vergangenen Herbst im Nationalrat eine entsprechende Entschließung gegeben. Ich habe letzte Woche für den Rat der Gemeinden und Regionen Europas ein Dossier vorgestellt, ein Positionspapier, in dem es vor allem um den Schutz der Dienstleistungen von öffentlichem Interesse geht.

 

Kurz vor Ende der Frist für die gemeinsame Stellungnahme ist die Steiermark ausgeschert, personell vertreten durch den Tourismus-, EU- und Wirtschaftslandesrat Christian Buchmann, der eine Änderung in letzter Sekunde gefordert hat. Er will, dass der Wiener Text, in dem eine glasklare Stellungnahme zum ISDS steht, wieder verwässert wird. Das hätte er allerdings von Beginn an klar sagen können und nicht, nachdem man neun Monate lang verhandelt hat!

 

In diesem Abkommen der gemeinsamen Stellungnahme steht: „Die Bundesländer fordern den Bund auf, sich dafür einzusetzen, im gegenständlichen Freihandelsabkommen keine ISDS-Regeln zu verankern.“ – Das heißt, die Länder lehnen jegliche Konzernprivilegien beim Einbringen von Klagen gegen Staaten rundheraus ab, und klagewillige Investoren sind auf den normalen Rechtsweg zu verweisen, wo es unabhängige Richter und Rechtsstaatlichkeit gibt, und zwar sowohl in Europa

 

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