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Gemeinderat, 22. Sitzung vom 27.04.2012, Wörtliches Protokoll  -  Seite 86 von 90

 

übrigens die Staaten für vollkommen lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, dass die 30 000 Vollidioten Deutschlands diesen Staat 2 Milliarden Friedensmark kosten. Bei Kenntnis solcher Zahlen gewinnt das Problem der Vernichtung lebensunwerten Lebens an Aktualität und Bedeutung. Gewiss, es sind ethische, es sind humanitäre oder fälschlich humanitäre Gründe, welche dagegen sprechen, aber schließlich und endlich wird auch diese Idee, dass man lebensunwertes Leben opfern müsse, um lebenswertes zu erhalten, immer mehr und mehr ins Volksbewusstsein dringen.“ – So weit das Zitat.

 

Als Apologet der Erbgesundheitslehre ist Tandler somit Wegbereiter der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, wie sie tragischerweise im Rahmen der Euthanasie stattgefunden hat. Dieses Faktum muss in Betrachtung der Person Prof Dr Julius Tandlers und im Hinblick auf das Gedenken an seine Person in Erinnerung gerufen worden. Wir stellen daher folgenden Antrag:

 

„Der Wiener Gemeinderat ersucht den Herrn Bürgermeister, im Wege der Beauftragung des Magistratsdirektors an die Träger heranzutreten, ob sie an der Ehrung angesichts der dunklen Aspekte in der Vergangenheit Prof Dr Julius Tandlers auch weiterhin festhalten wollen oder die Prof-Dr-Julius-Tandler-Medaille zurücklegen.

 

In formeller Hinsicht wird die sofortige Abstimmung verlangt.“ (Beifall bei der FPÖ.)

 

Vorsitzender GR Mag Thomas Reindl: Zum Wort ist niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen. (GR Mag Wolfgang Jung: Ich bin schon lange zu Wort gemeldet!) Das tut mir leid! (GR Mag Wolfgang Jung: Das ist ja ungeheuerlich! Ich habe schon vor zwei Stunden ein Wortmeldung gemacht!) Da müssen Sie mit dem Vorsitzenden sprechen oder mit Ihrem Schriftführer. Das muss auch zum Vorsitz kommen! (GR Mag Wolfgang Jung: Das ist keine linke Tour mehr, sondern das ist eine Gemeinheit! – Zwischenruf bei der FPÖ: Oder schlechte Organisation! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

 

Das mag stehen, wo es will, es steht jedenfalls nicht in meinem Protokoll, und das ist letztlich das, was zählt! Aber ich nehme zur Kenntnis: Herr Mag Jung hat eine Wortmeldung deponiert. Daher erteile ich ihm das Wort. Ich darf Ihnen aber auch gleich mitteilen, dass ich mich von Ihnen nicht beschimpfen lasse, wenn hier ein Irrtum passiert ist! Das weise ich aufs Schärfste zurück! (Beifall bei der SPÖ.)

 

18.27.43

GR Mag Wolfgang Jung (Klub der Wiener Freiheitlichen)|: Wenn ich mich nicht gewehrt hätte, dann hätte ich es nicht bekommen. Das ist die Praxis im roten Wien! (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

 

Ich komme auf Kollegen Troch zurück, der sehr Richtiges gesagt hat. Mit ihm kann man sogar diskutieren. Sie haben gesagt, das Rote Wien ist ein Teil der Wiener Geschichte – das stimmt! – und es ist ein wichtiger Teil der Wiener Geschichte. Ja, aber es ist eben ein Teil der Wiener Geschichte, und daher gehört das ins Wien Museum und nicht mehr oder weniger in die Hand einer Partei. Wir haben gar nichts dagegen einzuwenden, wenn das dort eingegliedert wird.

 

Wir haben jetzt sehr viel über die Person von Lueger unter dem Aspekt seiner antisemitischen Aussprüche gesprochen, und Herr Kollege Troch hat gemeint, dass man zum Beispiel bei Karl Marx nicht so sehr das Privatleben berücksichtigen soll, sondern die Erfolge, die er für die Arbeiterbewegung gebracht hat. – Ich meine, abgesehen davon, dass die Weinflaschen erwähnt wurden, waren seine Schriften nicht unbedingt sein Privatleben, meine Damen und Herren. Man könnte das so akzeptieren, aber dann dürften Sie nicht mit zweierlei Maß messen, sondern dann müssen Sie den berühmt berüchtigten Ausspruch des Herrn Lueger „Wer ein Jud‘ ist, bestimme ich!“ auch zu seinem Privatleben rechnen, aber ansonsten anerkennen, dass er für die Stadt Wien Ungeheures geleistet hat: Wir trinken noch heute das Wasser aus der Zweiten Hochquellwasserleitung und vieles andere mehr.

 

Diese Debatte um Namen ist in letzter Zeit ausgebrochen, anscheinend auch, weil Sie den Grünen, wie ich schon einmal gesagt habe, einen Bissen vorwerfen müssen, weil man ihnen sonst nichts anderes bieten kann.

 

Ich bringe Ihnen ein Beispiel, wie es in einer anderen Stadt gehandhabt wird, das Sie eigentlich beschämen müsste: Die Stadtverwaltung von Marburg hat neulich zu dem österreichischen Dichter der Bundeshymne der Ersten Republik, zu Ottokar Kernstock, eine Stellungnahme abgegeben – und ich zitiere aus dem „Standard“: „Kernstock sorgte zuletzt für politische Diskussionen in Maribor – ein Indiz dafür, dass für den Umgang mit der eigenen Geschichte bislang Mechanismen fehlen: Nachdem ein oststeirischer Lokalpolitiker auf die seit 1908 bestehende Ehrenbürgerschaft des Literaten in der europäischen Kulturhauptstadt verwiesen hatte, setzte die Tageszeitung ‚Vecer’, das wichtigste Medium der Stadt, zur Ehrenrettung“ – zur Ehrenrettung!; das ist etwas anderes als in Wien! – „Kernstocks an. Die Entziehung der Ehrenbürgerschaft wäre ein Akt der Intoleranz.“ – Das sagen die Marburger Stadträte. Daran können Sie sich ein Beispiel nehmen!

 

„Für Kernstock selbst besteht allenfalls kein Grund zur Sorge. Es gebe weder einen Präzedenzfall noch eine gesetzliche Möglichkeit zur Entziehung der Ehrenbürgerschaft. Nie habe es bisher einen derartigen Antrag gegeben.“ (GRin Anica Matzka-Dojder: Maribor!)

 

Sagen Sie „Москва“ oder „Warszawa”? – Nein! Und genauso sage ich Marburg, Frau Kollegin! Darüber werden Sie mich nicht belehren! Ich sage auch nicht unbedingt „Novi Sad“, ich kann von mir aus auch „Újvidék” sagen, wenn Ihnen das besser gefällt, Frau Kollegin!

 

Nun kommen wir aber wieder zurück zum Thema. Der bekannte Stadtpolitiker Lobo hat sich mittlerweile wieder eingefunden. Er will ja nicht nur den Lueger-Ring umbenennen, sondern er hätte auch ganz gern – welch Signal an die Welt! – den Lueger auf seinem Denkmal schief gestellt, weil er angeblich aus seiner Sicht ein so schlimmer Antisemit war. Das Ganze dürfte vermutlich ein Produkt seiner eigenen schrägen Gedankenwelt sein.

 

Herr Kollege! Ich empfehle Ihnen als Kultursprecher, „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ von De Waal zu

 

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