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Mitschrift

Wien und wir. Es sollte ein Archiv für zeit- geschichtlich Interessierte werden. Mhm. Mal sehen, was ich zeitgeschichtlich zur Verfügung stellen kann. Auf jeden Fall werde ich nicht über meinen Beruf reden. Was ein Schauspieler tut,ist nicht zeitgeschichtlich, oft nicht einmal theatergeschichtlich wichtig. Ich kann also nur über persönliche Erlebnisse berichten, die über das Intime hinausgehen  und vielleicht einen Teil einer Zeit beleuchten. Die interessantesten Dinge habe ich erlebt, - die vielleicht zeitgeschichtlich interessant sind, -  in der Zeit zwischen ... .. 1943 und 1946. Über diese Zeit werde ich Ihnen einiges berichten. Man hat mich gefragt, ich solle auch über Kindheitserlebnisse sprechen. Nun ... Ich habe eigentlich nur zwei Kindheitserinnerungen, die über das rein Private hinausgehen. Und die eben auch die Zeit beleuchten. Die erste war der Mittagstisch zu Hause. Zunächst mal: Mein Vater war Friseur,meine Mutter war Friseurin. Wir hatten ein Friseurgeschäft mit sechs oder sieben Angestellten. Und mein Vater war ein Patriarch. Und er hat auch gerne gegessen und getrunken. Und es war üblich, dass wir jeden Sonntag Schweinebraten bekamen. Schweinsbraten war eben das Zeichen,dass es einem gut geht, aber nur einmal in der Woche,am Sonntag. Und da gab's auch oft Krach am Tisch, weil der Schweinebraten zu spät kam oder nicht gut war, mein Vater hat sich immer sehr aufs Essen konzentriert. Und eines Tages gab es keinen Schweinebraten. Mutter hat Gemüse gebracht. Vater hat diesmal nicht gemeckert. Sondern hat gesagt:  "Heute gibt's keinen Schweinsbraten, gestern hab ich alle Angestellten ausbezahlt, für uns ist nix übergeblieben."  Das hat sich komischerweise mir, der als kleiner Bub dasaß, eingeprägt. "Für uns ist nix übergeblieben." - Der Geschäftsmann! Und seitdem hab ich eigentlich für Geschäftsleute  eine gewisse Nachsicht entwickelt. Das war der erste Eindruck, der,glaube ich, nicht uninteressant ist  und die Zeit schildert. Ein wesentlicher zweiter Eindruck war ... .. der mit dem Lichtblau. In dem Haus, in dem wir wohnten,ist eine halbe Treppe tiefer  eine Familie mit vielen Kindern gewesen. Und mit einem dieser Buben,der in meinem Alter war, hab ich immer gespielt, die Familie war sehr lustig und lebendig. Ich bin immer den halben Stock runtergegangen  und hab mit dem Lichtblau gespielt. Und dann sind wir in die Schule gekommen. Beide in dieselbe Klasse. Lichtblau saß in der ersten Reihe,ich war etwas größer, saß hinten. Und in der Klasse haben wir gemerkt, dass der Lehrer den Lichtblau irgendwie ... .. anders behandelt hat als uns andere. Unangenehm, unfreundlich, streng,strenger als zu uns. Es war ein strenger Lehrer insgesamt. Und der Lichtblau konnte sich nicht wehren. Der wurde immer, wie soll ich sagen,... vorgeführt  und war dadurch auch das Gespött der Klasse. "Lichtblau, der kleine Lichtblau."  Und eines Tages hat der Lehrer ihn wieder aufstehen geheißen, Lichtblau ist aufgestanden, und er hat irgendwas von ihm verlangt oder was gesagt. Und Lichtblau war hilflos. Und der Lehrer hat dann geschrien,weil er nicht geantwortet hat. Und plötzlich hat der Lichtblau ... .. die Klappe, wo die Tinte einge- lassen war bei den Tischen damals, aufgemacht, hat das Tintenglas herausgenommen und es ausgetrunken. Der Lehrer ist erschrocken. Wir auch. Lichtblau, blau im Gesicht,hat sich wieder hingesetzt. Und von dem Moment an war der Lichtblau in der Klasse akzeptiert. Und ein Held. Der Lehrer hat ihn jetzt nicht mehr getriezt. Das blieb in mir hängen, ich habe mit ihm auch nicht darüber geredet. Wir gingen immer den gleichen Weg heim, weil wir im gleichen Haus wohnten,er war immer still. Und die Pointe an der Sache ist die:  Eines Tages haben die Lichtblaus nicht mehr da gewohnt. Und da habe ich erfahren,dass die Lichtblaus Juden waren. Vorher wusste ich das nicht. Ob Jude oder Nichtjude war kein Thema, weder in der Familie noch in der Schule. Das einzige Thema, das immer war,war Christen und Evangelische. Die Evangelischen waren die schlechten Christen, die Katholischen die guten. Das war ein Thema. Aber Jude oder Nichtjude war kein Thema, das wurde erst später,als die Nazis kamen, thematisiert. Und dann ja ziemlich gründlich. Ja,das waren die Kindheitserlebnisse. Ah ja, ich habe eingangs vergessen zu erwähnen:  Ich bin 85 Jahre alt. Damit kommen wir auf die Jahreszahl dieser Geschichte, die ich erzählt habe. Das muss gewesen sein ... .. 1940, denke ich. Ich bin vielleicht zwölf damals gewesen. So genau weiß man das ja nicht,wenn man alt ist. Also jedenfalls war es die Zeit,bevor die Nazis '38 kamen. Es war die Zeit,in der ich mit ihm gespielt habe, das wird sogar 1934/35 gewesen sein. Und dann waren die Schulgeschichten wahrscheinlich 1936 oder '37. Und dann eben ... .. wurde ja die große Veränderung ausgerufen. Unter der ich übrigens sehr gelitten habe. Nicht,weil die Deutschen gekommen sind  und die Nazis auf einmal da waren,ich wusste ja nicht, was das ist. Es hat mich eigentlich nur gestört, dass ich mit zehn Jahren Pfadfinder werden wollte  und dass es auf einmal keine Pfadfinder mehr gab. Das war traurig. Das war das Schlimmste. Stattdessen musste man ein braunes Hemd und diese Dinger ... Das gefiel mir nicht,Pfadfinder wäre ich lieber gewesen. Aber jetzt gehen wir wieder zurück an die Wurzel. Wo spielt sich das alles ab? In Hernals. Interessanterweise ein Grätzel,in dem sich einiges abgespielt hat, das für die Laufbahn meines Lebens nicht ganz uninteressant war. Ich schildere das Grätzel. Es ist der Elterleinplatz. Übrigens ist diese Schule zum Elterleinplatz hereinreichend, die Kindermanngasse. Die andere Seite war die Bartholomäuskirche, wo ich später ministriert habe. Dann gab es die beiden Straßen, die sich vom Elterleinplatz zur Stadt hin teilten. Das eine war die Jörgerstraße. Das andere war die Hernalser Hauptstraße. Und quer lief die Kalvarienberggasse. In diesem Grätzel hat sich für mein Leben einiges abgespielt, was vielleicht zeitgeschichtlich interessant sein kann. Fangen wir mal an. Im Jahr '38, an der Ecke Hernalser Hauptstraße/Kalvarienberggasse, war einmal ein großer Auflauf. Und ich bin da hingegangen,da hing ein Plakat. "Der Kurt is fuat,jetzt geht's uns guat."  Das ging auf Kurt Schuschnigg. Das war, nachdem der Schuschnigg beim Hitler war und abgeblitzt ist, und die Deutschen einmarschierten oder einmarschieren wollten, es war knapp vorm Einmarsch:  "Der Kurt is fuat,jetzt geht's uns guat."  Davor viele Leute, Krawall, Jubel. Und dann kommt der Eindruck,den ich nicht vergesse. Vom Westen herein,also aus der Dornbacher Ecke, kamen viele, viele Menschen.Jubelnd. Und was mir auffiel, war: Die hatten alle hier ein silbernes Hakenkreuz. Alle. Zivilisten. Und manche haben den Rock umgeschlagen und sagten:  "Das hatten wir da!"  Die hatten die Hakenkreuze bereits da hinten  und haben sie umgesteckt nach vorne. Und was mir noch auffiel und in Erinnerung blieb:  Bei dieser ganzen jubelnden Menge  war eine Reihe von geradezu hysterisch freudigen Frauen. Interessanterweise, vielleicht liegt das am Geschlecht,ich weiß es nicht:  Sowohl Begeisterung wie Leid  findet bei Frauen schnell einen Ausbruch nach außen. Die Männer haben gegrölt und geschrien. Die Frauen waren ... .. beglückt, laut. Also, ich nannte es hysterisch. Und das war irgendwie ein bisschen bedrückend. Noch dazu, weil meine Familie durch eine katholische Großmutter  da eher antinazistisch eingestellt war. Es kann vielleicht noch eine kleine Epi ... Nein, ich erzähle lieber das weiter,das andere später. Ich habe erzählt von der begeis- terten Truppe und jubelnden Frauen. Und jetzt ein Schnitt auf das Jahr 1945, gleiche Ecke. Die Deutschen waren bereits ab- gezogen, hatten sich zurückgezogen. Die Russen waren noch nicht da. Sogenanntes Interregnum. Was ist los? Die Menschen sind in das Naziheim plündern gegangen. Sie haben Leitern aufgestellt,sind hinaufgeklettert, ich bin mit, und haben geplündert: Eier, Schnaps und weiß der Teufel, was. Was man halt gefunden hat bei den Nazis. Uniformen haben sie nicht mitgenommen. Also, wahrscheinlich meistens Spirituosen, nicht wahr. So. Und auf einmal hat man Schüsse gehört. Und auf einmal begann eine Panik auszubrechen. Die Leute sind die Treppen heruntergelaufen. Und bei der Gelegenheit ist ein Mann  in einen ganz engen Lichthof hineingefallen. Niemand hat sich um ihn gekümmert. Die Leute sind wieder runter,weg, wieder heim. Dann auf einmal kam ein russischer Lastwagen, ein offener Lastwagen. Und drei Russen in blauen Drillichanzügen, interessanterweise, standen drauf. Einer wurde abgeladen, hat sich an eine Ecke gestellt - als Wache. Still. Die Leute haben sich langsam drum versammelt und geschaut. Der ist nur gestanden. Und dann sind noch ein paar Wagen vorbeigefahren, das waren die ersten Truppen,die hatten's eilig, die mussten schauen,ob sie noch Frontteile finden. Und nachdem sich das beruhigt hatte, begann langsam eine befreiende ... .. Reaktion,ein beginnender Jubel fing da an. Der auf einmal ganz massiv wurde. Und wieder waren es Frauen,die ganz begeistert riefen:  "Ja, fein, fein,die Russen sind da!"  "Wunderbar, wunderbar!"  Und das erinnerte mich gespenstisch an die Zeit sieben Jahre vorher. Was ist es? - Jetzt sind wir bei der Zeitgeschichte. Wenn Menschen aus irgendwelchen Gründen ihre Fassung verlieren  oder die Fassung nicht mehr durch Gewalt halten müssen:  "Interregnum, plündern,das dürfen wir."  Und nachher kann man jubeln,im Grunde aus Angst, nicht wahr? Der Russe hat sich nicht um uns geschert, er ist gestanden und ... Ja, also wie gesagt,das waren die beiden Eindrücke. Wir haben drüber geredet: Stankovski. Sie haben mich gefragt,ob das polnisch wäre. Nein, es ist tschechisch. Ich heiße Stankovsk-y, nicht wahr? Und ... Eine blöde Idee war,als ich Schauspieler wurde, dass ich das Y in ein I umgewandelt habe. Irgendjemand hat mir gesagt,das sei schöner. Als ich später nach Deutschland gekommen bin, habe ich gelernt, dass Stankovski nicht mit V,sondern mit W geschrieben wird  und polnisch ist. Und mit Polen hatte ich bis dato nichts zu tun, ich bin ein Böhm! Mein Vater Stankovsky kam ...Oder seine Eltern kamen aus Prag. Die Mutter war Köchin. Also, die Großmutter von mir. Der Großvater war Korbflechter,ein Mann mit so einem langen Bart, ein würdiger Herr, ein Rasselbinder,wie man sie nannte. Und die haben ein eher ...armseliges Leben geführt in Wien  als Einwanderer. Und die Söhne dieser beiden Prager,die nach Wien eingewandert sind, wurden alle drei Friseure. Der ältere Bruder meines Vaters,mein Vater  und dann der jüngere Bruder,der dann irgendwann gefallen ist. Und da sind aber Geschichten zu erzählen, die vielleicht auch zeitgeschichtlich aufzubereiten sind. Es ist so:  Mein Vater war ein sehr dynamischer,energischer junger Mann. Sein älterer Bruder,der Onkel Josef, ein korrekter, bescheidener, zurückgezogener,stiller Mensch. Und später,als ich ihn eingeladen habe, viele Jahre später zum Weihnachtsfest, hat er immer gesagt: "Ich danke für die Güte."  Na gut. Die beiden konnten als Junge in Wien kein Geschäft aufmachen. Und man ist damals,das wusste ich auch nicht, nach Czernowitz gegangen. Das hab ich nicht nur von ihnen,sondern auch von anderen erfahren. Man ging, wenn man Karriere machen wollte, nach Czernowitz. Wieso, weiß ich nicht. Kurz und gut: Die gingen nach Czernowitz. Mein Vater mit meiner Mutter,seiner Frau. Die haben ein Geschäft aufgemacht auf einem Hauptplatz in Czernowitz. Und der Onkel Josef hat sich auch dort ein Geschäft aufgemacht. Und auf diesem Hauptplatz in Czernowitz  waren auch viele jüdische Geschäfte. Und mein Onkel Josef hat sich mit denen nicht so gut verstanden. Nicht so mein Vater. Mein Vater war leutselig, gesprächsbereit, witzig. Der hat mit allen können,es war mir manchmal sogar peinlich, so hat er sich eingeschleimt. Zum Beispiel ... Ich komm da wieder zurück, mir fällt nur gerade ein:  Er hat meiner Mutter einen Pelz- mantel gekauft, in den 40er Jahren. In der Mariahilferstraße,ein berühmtes Geschäft. Der hat gekostet ... Sagen wir mal ... 1500 Schilling. Hat er gesagt: "Hören Sie, was wäre mit 1450?"  "Dann kann ich zum Heurigen gehen.Wär das nicht was? Ich bitte Sie!"  Sagt der: "Nein."  "Bitte, ich brauch ein Würstel!Das wird doch gehen!"  Ich habe mich geniert bis in den Boden hinein! Aber der Papa hat mit allen können,und der hatte auch keine Probleme  mit seinen jüdischen Konkurrenten in Czernowitz. Nicht so der Onkel! Gut. Die beiden sind nach Wien zurückgekommen  und haben in Wien ein Geschäft aufgemacht. Und das ... Friseurgeschäft meines Vaters wurde ein Damenfriseursalon. Sehr gut beworben.Mein Vater hat riesige Dinge ... Fiakers sind vorm Geschäft gestanden, "Stanko Dauerwellen" stand drauf. Irgendwelche Schönheitsköniginnen saßen da drinnen. Also,mein Papa war ein ... Aufreißer. Gut ist's. Wohingegen der Onkel Josef in der Bennogasse auch ein Geschäft hatte, ein gut geführtes, kleines Geschäft, das immer ein kleines,braves Geschäft blieb. - Gut. Und dieser Onkel Josef hat dann irgendwann einen Sohn bekommen. Und dieser Sohn ist offensichtlich  durch die Beeinflussung des Vaters ... .. ein Nazi geworden. Also, diesen Sohn vom Onkel Josef, der Erich geheißen hat, habe ich nie kennengelernt in meiner Jugend. Aber ich erinnere noch, dass mein Vater einmal aufgeregt vom Geschäft heraufkam ... Das war übrigens in der Hernalser Hauptstraße, also unser Grätzel wieder, ne. Er kam herauf: "Schnell, schnell!"  "Gebt mir was zum Essen für den Erich!"  "Der Erich sitzt in der Toreinfahrt,der muss flüchten nach Deutschland."  "Gebt uns noch eine Wurstsemmel für ihn."  Wir erschraken,meine Mutter machte eine Wurstsemmel, der Papa verschwand mit der Semmel. Ich hab ihn noch in einen Hauseingang hineingehen sehen - aus. Irgendwie muss dieser Erich dann nach Deutschland geflohen sein. Ich wusste nichts Näheres über ihn. Und ich weiß nur,dass er dann während des Krieges  zurückkam aus Deutschland in einer SS-Uniform. Erich ist also offensichtlich ein junger Nationalsozialist gewesen, der in Deutschland Karriere gemacht hatte  und war auf einmal jemand. Na schön. Als mein Vater gestorben war ... Hernalser Friedhof,um mal wieder in der Gegend zu sein. Vis-à-vis ist ein Gasthaus. Nachher war der übliche Leichenschmaus, wie's halt so ist. Und was macht man: Man redet über den Toten  und über die Vergangenheit,wie's halt so ist. Und ähm ... Es kamen sogar tschechische Verwandte. Mein Vater hatte mit den Tschechen immer eine ganz gute Beziehung. Er hat denen immer was geschickt,und dann haben die was geschickt. Also,der hatte zu denen eine Beziehung. Später kam ich drauf, dass diese Tschechen schlimme Faschisten waren. Aber das ist eine andere Geschichte. Kurz und gut:  Wir sind nachher am Tisch zusammen- gesessen bei Würstel und Wein. Und der Onkel Josef hat von Czernowitz erzählt  und wie die Juden da waren ... Also, seine private Meinung,wie halt sein Leben war. Er war sicher kein Antisemit und auch kein Nazi, aber er hatte schlechte Erfahrungen. Und auf einmal sagt der Erich, der eigentlich immer überall stumm dabeigesessen ist:  "Es sind immer noch zu viele Juden durch den Rost gerutscht."  Am Tisch. Beim Würstel. Daraufhin hab ich den angefahren, bin ihn eigentlich ziemlich massiv angegangen. Die Tschechen sind erschrocken. Die haben vielleicht geglaubt,ich bin ein Nazi. Also, es war ...eine komische Stimmung. Der Erich ist auch ganz still geworden. Wieso war der überhaupt dabei? Dieser ehemalige SS-Mann und deutsche ... Er war dann auch Fallschirmjäger oder so. Der ist dann nach dem Krieg wohl zurückgekommen. Und mein Vater hat ihn, weil er arbeitslos war und nie was gelernt hat, als Laufbursche beschäftigt. Mein Vater hatte damals zusätzlich zum Friseurgeschäft  auch eine Produktion für Dauerwellpräparate. Und der ging austragen. Immer mit kurzen Hosen,was ich etwas lächerlich fand. Sonst war er immer sehr still und bescheiden. Und ich glaube, er hat seine nazis- tische Gesinnung nicht abgelegt. Ich habe nie mit ihm darüber geredet. Ähm ... Ja, aber jetzt die Geschichte mit:  "Es sind immer noch zu viele durch den Rost gerutscht."  Diese Sache hab ich später in einem meiner Lieder verwendet. Und von diesem Lied werd ich Ihnen kurz den Text vortragen. Das Lied hieß: "Das Vitrinerl". Mal sehen, ob ich's zusammenkriege:  "Ich hab ein hübsches,altes Vitrinerl  in meinem Biedermeierzimmerl."  "Und das Biedermeierzimmerl steht in Wien."  "Darinnen sammel ich alte Sachen,weil nur die mir Freude machen."  "Und die meisten Sachen sind schon ziemlich hin."  "Meine Freunde tun das Ganze längst als Ramsch nur ab."  "Und sie meinen hinterrücks,dass ich einen Klamsch nur hab."  "Aber ich bin doch viel schlauer,denn ich weiß es ja genauer."  "Jede Mode,die kommt eines Tags zurück."  "Selbst die ältesten Klamotten,auch wenn sie schon längst verrotten, sind aus ... lächerlichen Marotten wieder schick."  Dann kam der Refrain:  "Alte Sachen, meine Herrn,hat man immer wieder gern, Antiquitäten oder Kitsch,alles ist gut."  "Jeder Plunder ist begehrt und steigt Wunder was im Wert."  "Nix ist moderner als ein alter Hut."  Und dann kam diese Strophe:  "1978 war Begräbnis,das ergibt sich, von der Tante Anna,nachher ging man aus."  "Die Familie denkt nichts Böses,und man redet dies und dieses."  "Und man lässt sich über alte Zeiten aus."  "Onkel Walter hat ein bisschen stark vom Most gelutscht."  "Plötzlich lallt er: 'San zu viele Juden durch den Rost gerutscht.'"  "Und bei Schweinshaxen und Trauer nimmt man so was nicht genauer."  "Und man denkt,ein bisschen Wahres ist schon dran."  "Böses Spiel zur guter Miene."  "Alle gehören sie in meine Vitrine."  "Fragt sich nur,ob sie noch rauskommen und wann."  In der Bartholomäuskirche habe ich ministriert. Dann war eine zweite Jugendgruppe für die Älteren ab 14 Jahre. Ich war damals wohl erst zehn oder elf ... Elf wahrscheinlich. Und diese Gruppe wurde von einem ganz tollen Priester geführt. Ein Rheinländer. Josef Weinand hat er geheißen. Eine Mischung zwischen Hans Albers und Harry Piel. Ein Supermann. Toller Redner, toller Prediger. Sehr kunstinteressiert, hat immer künstlerische Messen gemacht. Ein verhinderter Schauspieler, der aufgrund eines Gelübdes der Mutter  Priester wurde.- Im Bauch versprochen! Ein tragisches Schicksal. Und der hat eben die Jugendgruppe der Größeren geführt  und hat mich aufgenommen. Weil ich da gewissermaßen als Rebell fungiert habe. So bin ich bei den Größeren dabei gewesen. Dieser Kaplan Weinand,den haben wir Captain genannt. Warum, weiß ich nicht.Also, er war unser Captain. Und wir waren eine Gruppe,wir haben uns auch ... Das ist interessant für die Zeit:  Wir haben uns irgendwie ... militant gefühlt. Wir waren natürlich grundsätzlich antinazistisch  aus der katholischen Ecke heraus. Und wir haben das gezeigt. Wir haben uns Tiroler Jacken machen lassen, schwarze, rot eingesäumt,mit Tiroler Adlern. Und die Tiroler Adler waren ja das heimliche ... .. Freiheitszeichen gegen die Deutschen. Da konnte niemand was dagegen sagen, wir hatten halt eine schwarze Tiroler Jacke. Die anderen hatten grüne Jacken an,wir schwarze. Und diejenigen,die's sich leisten konnten, haben auch Stiefel getragen. Also, wir waren ...Wir wollten zeigen: Wir sind dagegen. Und dieser Captain, Kaplan Weinand,hat uns dann in die Oper geführt, hat Schallplattenkonzerte sonntags nach der Messe veranstaltet. Er ist mit uns essen gegangen,das heißt, er hat sich von den braven Bürgern und Bürgerinnen einladen lassen. Die haben ihn eingeladen, weil er so ein faszinierender Mann war. Da hat er uns mitgenommen. Und jeden Montag war dann Anstandsblock. Dann wurde anonym gesprochen, was die Einzelnen für Fehler gemacht haben. Also, ich erinnere mich, die Gabel sollten wir so oder so halten ... Er hat nie gesagt,wer was falsch gemacht hat. Aber wir alle saßen herum und hörten von Fehlern, die man nicht machen kann. Ich erinnere mich an eines: "Wenn man den Priester  mit dem Allerheiligsten zu einer letzten Ölung begleitet, spuckt man auf der Straße nicht aus."  Er war ... eine Art Rebell. Er ist von den Frauen angehimmelt worden, von alten Frauen. Es gab eine alte Frau Grünbeck vis-à-vis von uns. Grünbeck, ein bedeutendes Weinhandelshaus in Hernals. Noch aus der Zeit, als das ein ... Vergnügungsvorort war. Die hat ganz schön gemalt,auch den Captain und so weiter. Und wir durften da mitgehen essen und lernten dies und jenes. Und jetzt waren da die Nazis. Und die Nazis und die HJ oder die DJ, also diese Burschen da, die haben sich einen Spaß daraus gemacht, die Kirchenbesucher vor Beginn der Messe zu stören. Zu irritieren. Ich erinnere mich an eine Begebenheit:  Da sind die angetreten,wie man sagt, 15 Buben. Die sind angetreten,einer hat kommandiert. Dort, wo wir immer Fußball gespielt haben, sind sie gestanden. Der Captain kam heraus und hat die erst mal zur Sau gemacht. Er war ein Deutscher, was sowieso schon imponiert hat damals. Und er: "Was fällt euch ein,ihr wollt Hitlerjungen sein?!"  "Der Führer würde sich schämen,wenn er sehen würde, was ihr macht!"  "Abtreten!"  Er sagte: "Links um!" Und dann sind sie weggegangen. Ich war damals 16 Jahre. Damals wurde man zu einem Wehr- ertüchtigungslager ... befohlen. Das war ... .. da irgendwo im Wienerwald. Ich hab den Ort vergessen, egal. Da hab ich eine schlechte Figur gemacht. Ich erinnere mich:  Man muss ja so schießen, nicht wahr?"Gewehr machen", so. Und ich war ein eher schwächlicher Junge  und hab das Gewehr nicht aufgebracht. Da kam ein Schlosser,gab mir eine Watschen:  "Blöder Friseur,kannst nicht einmal schießen!"  Und hat das locker gemacht. Also, ich war schon da ein eher ... unmilitärischer Typ. Dann hatte ich noch ein kleines Erlebnis, nicht bedeutend, trotzdem:  Dieses Lager war ... .. irgendwo am Berg oben, und ein verwundeter Offizier war der Chef. Ein sehr netter Mensch,wie ich nachher, glaube ich, feststellen konnte. Und eines Tages wurde ich in die Kommandantur, also den Befehlsraum oder wie man das nennt, gerufen. Und da war ein oberster Führer, weiß der Teufel,politischer Leiter oder so was, was halt damals herumgerannt ist, und der hat mich ins Verhör genommen. Warum? "Du hast einen Wehrpass?Was hat das zu bedeuten?"  Was war der Wehrpass? Der Captain hat uns zur Erinnerung,dass wir uns unsere Fehler merken, einen monatlichen Zettel gegeben für jeden Tag, und da musste man einschreiben:  "Früh aufgestanden","frech gewesen" ... Also, so die kleinen Fehler,die man so macht. "Nicht aufgestanden" oder "faul gewesen". Dann mussten wir eintragen Plus oder Minus, und das wurde dann am Ende des Monats besprochen:  "Ja, du bist also 17 Mal nicht aufgestanden und ..."  Auf diese Weise hat man sich selber ein bisschen kontrolliert, keine schlechte Sache. Das wollte ich erklären und sage: "Das ist eigentlich so ..."  "Was ist das für ein Ton?!Militärisch bitte!"  Ich: "Na, ich muss ja ..." "Nein, sagen Sie, was es bedeutet!"  Und ich konnte dem nicht erklären,worum es geht! Da hat dann dieser Offizier geholfen und hat quasi für mich gedolmetscht  und dem eben auf militärische Art das erklärt, dass das ein harmloser Erziehungsbehelf gewesen ist. Dann hat er mir erlaubt, dass ich in die Kirche hinuntergehe ... Eichgraben war es! Eichgraben! Dann durfte ich hinuntergehen in die Kirche ... Schön! - Und bei diesem Wehrertüchtigungslager  kamen des Öfteren von der Wehrmacht ... .. Offiziere,die haben dann geworben. Dass man Panzerfahrer oder Flieger oder was auch immer wird. Das war bald vorbei. Kurz und gut: Ich kam zum Arbeitsdienst. Es war dann irgendwie November '44,ich kam nach Polen. Und das war wieder ... Kalt war es, einer der schlimmsten,kältesten Winter, die es gab. Immer auf der kalten,gefrorenen Erde schießen, marschieren  und laufen, alles,was man da gemacht hat. Und ich hatte bloß das Glück, dass man draufkam, dass ich Friseur bin. Dadurch bekam ich einen weißen Drillich  und wurde dann immer befohlen zum Haareschneiden für die Chargen. Dadurch bin ich oft an den schießenden  oder laufenden Kollegen vorbeigegangen  und bin Haareschneiden gegangen. Also, ich hab's dann da ganz gut gehabt  und durfte, weil ich ein Zahnproblem hatte, auch in den Ort hineingehen. Strzelno Mogilno hieß das. Später bin ich als Schauspieler da mal hingefahren für einen Dreh. Und da hat man uns vorher eingeimpft:  "Nicht fraternisieren!"  "Jeglicher Verkehr mit Leuten verboten!" - Na schön. Also, ich bin in den Ort und habe prompt verstoßen. Warum? Zunächst einmal bin ich Haare schneiden gegangen. Und kam da in einen Laden hinein - ha! Auf einmal wurde alles ruhig und ich wurde beäugt. Ich merkte,ich bin in einem polnischen Geschäft. Und ich bin wieder herausgegangen,hab also auch nicht fraternisiert. Man ist irritiert und zunächst ja mal harmlos und denkt sich:  Na, ich geh in ein Geschäft,warum nicht. Und dann merkte ich den Unterschied zwischen den Polen und Nicht-Polen. Und aus Bemerkungen rundherum merkte ich, wie die Deutschen,die dort Positionen hatten, über die Polen sprachen. Und eines ist mir in Erinnerung, auch nichts Wichtiges,aber ein bisschen Zeitgeschichte:  Ich bin am Bahnhof,wollte zurückfahren. Und ich hatte im Brotbeutel zwei Wurstsemmeln, die man so mitbekommen hat. Ich hab eine gegessen  und neben mir stand ein Arbeiter mit einem kleinen Kind. Und das kleine Kind begann zu weinen und zu zeigen. Da hab ich ihm eine Wurstsemmel gegeben. Worauf der Arbeiter - ha! - so macht. Und er ging weg mit dem Kind, das Kind, weinend, ließ sich wegziehen. Da merkte ich: Hallo, so geht's da zu! Das hat man sich alles nicht so vorgestellt, man war halt woanders. Und ... Nun ja ... Später bin ich ...Später hab ich dann erfahren, wie Leute über die Polen sprachen. Ich habe dann mit Polen später Kontakt gehabt, weil ich auch mal dort arbeitete. Ich habe erfahren, dass Polen - lange bevor es Preußen gab -  ein Königreich war. Dass Polen eine weite, tiefreichende  monarchische und kulturelle Geschichte hat. Für uns waren sie damals die Pollacken. Wir wurden im Januar zum Appell befohlen. Wir waren zwölf Züge,so hat man das genannt. Also, zwölf mal je 20 Burschen in den verschiedenen Zimmern  oder wie man das nennt. Das war, nebenbei bemerkt,scheußlich. Wenn man zum Beispiel aufs Klo musste in der Nacht, ist man in die Stiefel rein und musste weit laufen zum Abtritt, also wo man sich baden konnte. Und manche haben sich hingestellt und hinter die Baracke gepisst. Die hatten dann eine Stange da stehen, so kalt war es! Es war wirklich weit unter minus 20 Grad, saukalt. Okay. Es war zu Ende und es wurde befohlen:  Alle können heimfahren - mit Ausnahme des ersten und zweiten Zuges. Die, nämlich die über 1,80 großen,ich war damals 1,80, die haben die Wahl. Entweder als Arbeitsdienstführer in Strzelno Mogilno im Lager bleiben  oder sich freiwillig in Berlin bei der Waffen-SS melden. Da muss man die Zeit und ...die Lage schildern:  Es war Januar oder Februar '45. Man hat schon das Kriegsgeschehen irgendwo entfernt wahrgenommen. Also man wusste, die Russen werden bald da sein, das war klar. Und von diesen 40 Leuten,die da betroffen waren, hat ein Einziger sich gemeldet,hier zu bleiben. Das war der Sohn eines pommerschen Bauern. Und der wollte in der Nähe seiner Heimat bleiben. Alle anderen haben sich zwangsläufig, mehr oder weniger freiwillig,in das begeben  und haben sich nach Berlin überweisen lassen. Zur SS, mit einem Schein. Gut. Das muss man sich vorstellen: Ich komme aus der katholischen Ecke, antinazistisch eingestellt,trotzdem in dieser Notlage  habe ich mich doch für diesen Weg entschieden. Also lieber die SS fressen,als hierbleiben  und vielleicht im Kriegsgeschehen gefangen genommen werden oder so. Jetzt wird's interessant:  Also, ab in den Zug,ab nach Breslau. 40 Personen. Und in Breslau sollten wir umsteigen nach Berlin. Es war damals schon ziemliches Chaos. Ich weiß noch:  Wir waren vier Österreicher, die sich von den anderen abgesondert haben, die einzelnen Gruppen waren freundschaftshalber woanders. Wir waren vier Österreicher. Und jetzt der Eindruck in Breslau am Bahnhof:  eine überfüllte Bahnhofshalle. Überfüllt mit Betten,auf denen Verwundete lagen. Einer neben dem anderen. Mindestens ... 50 Leute. Einer neben dem anderen und dazwischen viele Rotkreuzschwestern, die die behandelten oder nicht. An Ärzte erinnere ich mich nicht,aber ich weiß noch:  Die Rotkreuzschwestern,da gab's eine eigene Abteilung, haben ständig Wurstsemmeln verteilt. Da komm ich noch drauf.- Also, Rotkreuzschwestern  gaben uns Wurstsemmeln,der Zug war noch nicht da. Dann gingen wir kurz auf den Bahnhofsvorplatz, sahen eine graue Stadt im Nebel,uninteressant. Und wir mussten runter, weil es konnte ja jeden Moment der Zug nach Berlin kommen. Also, wir sind da gesessen, auf einmal hieß es: "Zug nach Berlin", Bahnsteig sowieso. Wir rauf,vorbei an den Krankenschwestern, noch ein paar Wurstsemmeln, hinauf! Kommen auf den Bahnsteig - falscher Zug! Also wieder herunter, wieder Wurstsemmel und in die Ecke gesetzt. Wieder gewartet, gewartet,das Gleiche noch mal:  Zug nach Berlin, hinauf. Wieder Wurstsemmel,wieder über die Verwundeten drüber. Anderer Bahnsteig,wieder kein Zug nach Berlin. Da haben wir schon drüber gelacht,doch uns war saukalt! Weil wir waren herbstlich angezogen,ich hatte dünne Knickerbocker an. Kalt war's und ... Na ja. Und das hat lange gedauert. Und endlich hieß es: "Jetzt, Zug Berlin, eilen, schnell!"  "Er fährt ein und fährt gleich weiter!"  Also wir rauf, wieder schnell die Wurstsemmeln eingepackt. Wir kommen rauf,und da fuhr langsam ein Zug ein. Zunächst war die Erleichterung:  Endlich der Zug,wir kommen aus der Kälte weg. Und als wir gerade einsteigen wollten ... * Er macht Zuggeräusche nach. * Stehengeblieben. Die Tür ging auf, Drängerei. Und während wir in der Drängerei standen, sahen wir:  "Destination: Wien"  Große Frage: Was machen wir? Der fährt nach Wien,wir wollten doch nach Berlin. Worauf einer sagt: "Das können wir nicht machen!"  "Was ist,wenn ein Kettenhund kommt?"  Kettenhunde war die Militärpolizei. Darauf ich: "Wir standen beim Zug nach Berlin, mit Marschbefehl dorthin,aber das Plakat sahen wir nicht!"  "Wir sind eingestiegen, dass der nach Wien fährt,ist nicht unsere Schuld."  Tatsächlich: Drei von uns fuhren mit,einer blieb da. Ich bin neugierig,was aus dem geworden ist. Einen der Wiener Kollegen hab ich später als Zivilist getroffen, als ich dann so halb-prominent war,hat der mich angeschrieben. Aus Dornbach war er. In Dornbach war der zu Hause,unwichtig. Kurz und gut:  Wir sind nach Wien gekommen,und kein Kettenhund ist erschienen. Gut. Jetzt stand ich in Wien. Mit einem Marschbefehl nach Berlin zur SS. Und man konnte ja,wenn man auf die Straße ging, jederzeit von Militärpolizei angehalten werden, grad in unserem Alter, und musste beweisen, warum man da herumläuft. Was macht man? Und dann ist mir was eingefallen. Es war, wie ich erzählt habe,in diesem ... .. Wehrertüchtigungslager einmal ein Werber von der Luftwaffe. Und der wollte uns anwerben,wir sollten uns als Offiziersanwärter  bewerben bei der Luftwaffe. Aus meiner damaligen Haltung heraus hab ich das Ganze ignoriert. Jetzt ist mir das eingefallen. Ich bin also in das Wehrbereichskommando gegangen, das muss in der Nähe vom Dorotheum gewesen sein. Ich kam in ein Zimmer,wo ein Feldwebel saß, brauner Aufschlag, netter Mann. Und ich sagte: "Ja, mir ist eingefallen, dass ich mich eigentlich bei der Luftwaffe hätte melden sollen."  "Da war nämlich ein Werber da."  "Und ich dachte mir, ich möchte gerne Luftwaffenoffizier werden."  Sagte er: "Ja, können wir machen,ich schreib dir einen Schein."  Da hat er einen Schein geschrieben und mich verabschiedet. Ich bin zur Tür gegangen. Das muss gewesen sein  ein, zwei Wochen,bevor der Krieg hier zu Ende war. Ich kam also an die Tür, sagt er: "Halt!"  Dachte ich, um Gottes Willen."Pass mal auf!"  "Du musst dich natürlich vorher bei der Flieger-HJ anmelden, um zu lernen, wie das geht!"  "Also, meld dich da an,ich geb dir einen Schein."  Er schrieb mir einen Schein für die Flieger-HJ. "Und pass mal auf: Wenn jetzt die Luftwaffe kommt ..."  "Wenn die Flieger-HJ kommt, sagst,du bist bei der Luftwaffe angemeldet  und zeigst den Schein."  "Und wenn die ... Wenn die ... .. Wehrmacht kommt, sagst, du musst dich erst bei der Flieger-HJ abmelden."  Also, der Mann hat mir im Amt kurz vor Kriegsende  einen Tipp gegeben,wie ich mich drücken soll. Phänomenal! Man stelle sich das vor: In Uniform, mit ... Also schön,ich hatte die beiden Scheine, merkte natürlich, worum's geht. Der machte das wie selbstverständlich:  "Mach das so, pfiat di Gott!"  Es kam weder die Flieger-HJ noch die Luftwaffe. Ich bekam irgendwann eine Gelbsucht und bin dann im Bett gelegen. Und habe also das Kriegsende dann ... .. überstanden. Vorher noch ein schlimmes Erlebnis:  In unserer Pfarrgruppe gab es ... Zunächst mal: Alle in unserer Pfarrgruppe wollten Sänger werden. Die waren alle opernbegeistert. Ein Einziger ist Sänger geworden, hat aber als Friedhofssänger geendet. Ein anderer ist Staatsanwalt geworden. Ich wollte nicht zum Theater,auch nicht Sänger werden  und bin zum Theater gekommen. Da gab es also einen guten Freund von mir, der hieß Karli Nowotny. Wir haben ihn "Pflasterhirsch" genannt. Der war so ein Aufreißer. Der hat überall einen Witz dabei gehabt  und überall Blödsinn gemacht und überall ... Ja, also der war da der Taffe. Und der Karli Nowotny war ein Jahr älter als ich  und ist schon eingerückt gewesen,war schon in Uniform. Und er war mit seiner Einheit in Jugoslawien irgendwo stationiert. Und er ist mit seiner Einheit verschoben worden  über Wien nach Norddeutschland. Und aus irgendeinem Grund ist dieser Zug  am Nordbahnhof oder irgendwo festgesteckt. Kurz und gut: Die hatten drei Tage Pause. Und da hat er die Zeit genützt,nach Hause zu kommen. In die Jörgerstraße, wo er wohnte. Natürlich große Freude,der Bub ist da. Aber es war noch Krieg. Er war zwar schon sehr am Ende,aber er war noch da. Und ich hab den Karli des Öfteren besucht, weil er eben der Taffe war,niemand, der zögert. Er hat von Erlebnissen mit den Mädchen erzählt, dies und jenes. Dann war uns fad in der Wohnung,und wir sind spazieren gegangen. Und wir sind nach Dornbach gefahren, wo wir als Buben immer am Hanslteich waren. Dann sind wir in den Wald gegangen, wo wir als Buben Waldhäuser gebaut haben. Wir haben uns hinaufgelegt in die inzwischen morsch gewordenen Äste, haben uns erzählt, wie wir's nach dem Krieg machen würden. Es war eine eigenartige Stimmung:  Es ist eh bald vorbei,und alles ist vor uns! Und er hat mir von den Mädchen erzählt, ich hab zugehört. Und dann, wir waren so in Stimmung,gingen wir nach Schönbrunn. Kunstgeschichte, nicht wahr. Wir sind durch den Bach gegangen,ins Schloss und dann heim. Über die Alserstraße, ... ah ...über die Thaliastraße. Und in der Thaliastraße,knapp vorm Gürtel, kommen zwei Kettenhunde. "Papiere!"  Ich geb ihm meine Papiere, ich weiß nicht mehr welche, Flieger oder HJ. Mich haben sie gehen lassen. Er hat seinen Marschbefehl zeigen müssen, da haben sie ihn mitgenommen. Und er wurde zu seiner Einheit zurückbeordert. So, und nun begann die Tragik. Dieser Karli Nowotny ward nie wieder gesehen. Der Vater hat uns ja immer gewarnt:  "Geht nicht spazieren,das ist gefährlich!"  Wir haben das nicht ernst genommen. Ich war schuld, ich habe ihn zum Spazierengehen animiert. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht. Kurz und gut: Die Mutter ist vor Gram ... Die hat gewartet, gewartet,gewartet, keine Nachricht. Nach ein paar Jahren,das hab ich wieder gehört, ist ein Kamerad von ihm gekommen. Der aber so erschüttert war über die Mutter, dass er sich nicht getraut hat,ihr zu sagen, dass dieser Karli Nowotny irgendwo in der Nähe von Hannover  verendend hinter einem Busch gelegen ist, mit aufgerissenen Gedärmen und schweren Verletzungen. Auch das ist Kriegszeit. Und dann hat man gehört:  Unter der Jörgerstraße,da ist ein Bombenkrater, da kann man den Alsbach sehen. Wir alle wussten, der Alsbach fließt unter der Jörgerstraße. Da ging ich hin,das wollte ich sehen. Und äh ... Ich bin den Hügel da hinauf,den Bombenkrater, wollte runterschauen, da kam von der anderen Seite eine Figur. Das war auf einmal ein Freund aus der Pfarrjugend. Ein verrückter Theaternarr,der schon in der Pfarrgruppe  Theateraufführungen veranstaltet hat, zu denen auch der Aslan als Gast eingeladen war. Da spielte ich den Ferdinand. Und ich: "Was machst du?"  Er: "Ich geh ins Reinhardt Seminar zur Prüfung."  Und ich: "Ich geh mit."  Sind wir gegangen, kamen irgendwo in der Mariahilferstraße  in ein Zimmer,saßen zwei junge Männer da. Die haben uns geprüft. Zwei Mädchen sind gekommen, der Otto Kadlec,so hieß der, und ich. Die beiden Mädchen und ich wurden aufgenommen, der Otto Kadlec wurde nicht aufgenommen. Später merkte ich,warum der nicht aufgenommen wurde. Weil die haben keine Talente gesucht,sondern Putzkolonnen. Die haben Leute gebraucht,die im wahrsten Sinne des Wortes  verdreckte und zugeschissene Seminare, schon alles trocken geworden, putzen. Und ich seh immer noch heute junge,hübsche Mädchen  mit Besen und Schaufel den Dreck wegkehren vor den Barocköfen. Dann war im Herbst eine richtige Aufnahmeprüfung. Dann hat man von den 70 jungen Leuten, die da geputzt haben, die Hälfte entlassen. Der Rest ist Schauspieler geworden. Nur durch die Fürsprache des Professor Neugebauer, der mich mochte, hab ich bei den Aufgenommenen dabei sein können. Somit begann meine Karriere. Ganz kurz noch die Schulkollegen genannt:  Erwin Strahl, Gerhard Riedmann und vor allem Romuald Pekny, der später ein Großer wurde. Und jetzt wie gesagt noch schnell:  Was ist mir geblieben vom Reinhardt Seminar? Wenn ich ehrlich bin,ist mir ein Stimmschaden geblieben. Ich hab mich verschrien bei einer der ersten Stunden vom Liewehr. Das erzähl ich jetzt nicht. Das ist keine Zeitgeschichte, wenn ein Schauspieler über seinen Beruf redet. Nur kurz für diejenigen,die unbedingt wissen wollen, was der Schauspieler macht:  Ich kam vom Reinhardt Seminar an die Josefstadt, von dort ans Züricher Schauspielhaus. Dann ans Münchner Residenztheater, ich spielte an allen Münchnern Theatern. Ich bin nach Berlin,spielte an einigen Berliner Bühnen. Spielte an Staatstheatern,Stadttheatern und Boulevardtheatern. Schließlich landete ich beim Gobert am Thalia Theater. So, das war die Laufbahn. Die Rollen - da werden Sie ja einige im Bild sehen. Meine bedeutenden Regisseure waren der Rudolf Steinboeck, der Leopold Lindtberg ... Ähm ... Der Leonard Steckel, ein Wichtiger. Kortner, Barlog, Zadek - nur um einige zu nennen. Ja, und ich habe sehr viel Fernsehen später gemacht. Ich habe wenige Filme gemacht. Der einzige bedeutende war der mit Rühmann, der "Schwejk". Und meine Theaterlaufbahn,der Satz ist vielleicht wichtig, hat mich gelehrt:  Dass das Glück und der Zufall oft wichtiger sind  als Begabung, Fleiß und Beziehungen. Und noch ein letzter Satz:  Es gibt ein Buch,"Nachtzug nach Lissabon" von Mercier, und da steht der schöne Satz drinnen:  "Der Regisseur des Schicksals ist der Zufall."  Und alle meine Theatererlebnisse,meine ganze Laufbahn, ist nicht so wichtig wie dieser Zufall:  Dass ein Zug, der nach Berlin fahren sollte, nach Wien fuhr. Das war meine Geschichte.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Ernst Stankovski (Schauspieler)

Ernst Stankovski wurde 1928 in Wien geboren und wuchs in Hernals auf. Nach seiner Gesellenprüfung als Friseur kam er 1945 im Alter von 17 Jahren an das Reinhardt-Seminar. Nach seiner Schauspielausbildung war er zunächst vier Jahre lang Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt, und spielte dann unter anderem am Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Theater des Westens in Berlin, in Zürich, Hamburg und München, dem Theater an der Wien sowie am Wiener Volkstheater und dem Burgtheater. Nicht nur Stankovskis Interpretation der Hauptrollen in Mólieres Stücken, sondern auch seine Übersetzungen bzw. Nachdichtungen von Moliére und Francois Villon fanden große Beachtung.

Länge: 52 Min. 15 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
Länge: 1 Min. 51 Sek. | © Stadt Wien - Magistratsabteilung 59
Enthüllung neue Pionierinnen

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Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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