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Mein Name ist Elisabeth Leopold, geborene Schmid. Ich wurde immer das "Lieserl" genannt oder Liesi oder so ähnlich, bis ich hier im Museum ab dem Jahr '94 gelandet bin. Und da war für mich, als alte Dame, das Lieserl nimmer mehr ... gut. Seitdem heiße ich Elisabeth. Geboren bin ich in Wien, im schönen Rudolfinerhaus. Meine Mutter ging mit einer ... entfernt Verwandten. Zu gleicher Zeit waren die Termine, und tatsächlich wurde ich am 3. März geboren, und die Tante Toni hat ihren Buben am 1. März gekriegt. Seitdem ist diese Verbindung zu diesem Buben. Das war der Hans. Der Hans und ich sind sehr eng verbunden. Wir sind fast wie Geschwister dort geboren. Und so ging das sehr lange. Zwischen uns war immer ein gewisses Konkurrenzverhältnis. Ganz lustig war zum Beispiel, dass der Hans gesagt hat: "Aha, die Liesl kommt auch zwei Tage später in die Schule." Später, als wir uns an der Universität trafen - er hat auch Medizin studiert -, ging ich mit meinem späteren Mann und sage: "Schau, das ist mein Cousin." Mein Mann sagt: "Das glaub ich nicht, den kenn ich schon lang, mit dem bin ich in die Schule gegangen." "Es ist trotzdem mein Cousin!" Das hat eine Zeit lang gedauert. Ich will nur betonen, dass ich zwar Einzelkind war, aber doch immerhin eine Verbindung hatte zu einem Menschen, der mir bis heute nah gewesen ist. Meine Eltern - mein Vater war Elektroingenieur. Ein riesig liebenswerter Mann, der sich im Ersten Weltkrieg ein Lungenleiden zugezogen hat - Tuberkulose. Seitdem hatte er nur eine halbe Lunge, und er wollte diese halbe Lunge mit einer wunderbaren ... .. Art verstecken. Er wollte nie krank sein. Also wenn er sein Emphysem ... eben zum tiefen Atmen, dann hat er dazu gepfiffen. Also es war ein ganz, ganz Lieber. Er hat sein Leiden immer irgendwie versteckt. Und dieses Leiden hat aber in der Familie großes Unglück angerichtet, als man die Tuberkulose für ausgeheilt hielt, sie es aber nicht war. Und er hat sein erstes Kind angesteckt, und es ist dann arm gestorben, im neunten Monat an einer Meningitis. Infolgedessen haben dann die Eltern beschlossen, mich nicht bei sich aufzuziehen, sondern bei der Großmutter. Und diese Großmutter wohnte auf der Hernalser Hauptstraße 153, im dritten Stock in einer ... fast gutbürgerlichen Wohnung, obwohl sie arme Leute waren. Mit einem Klo im "Inside", mit einem Balkon, wo man hinausgeschaut hat bis nach Neuwaldegg. Bis hinaus zu den Bergen. Und die Hernalser Hauptstraße ist meine Kindheitserinnerung bis zum zehnten Lebensjahr. Ich bin dort in die Schule gegangen, in die Redtenbachergasse, mit vielen, vielen Arbeiterkindern aus der Umgebung. Eine einzige Freundin hatte ich, und diese Freundin hatte Mäuse. Und drum hab ich sie sehr gern be- sucht und mich dort mit den Mäusen - das waren so weiße Mäuse, die in einem Häuserl waren - das war üblich ... Ja, das ist meine Kindheit in Hernals. Ich habe während meiner Le- ... Also in Hernals hat's überhaupt keine jüdische Bevölkerung gegeben. Der Kinderarzt muss jüdischen Ursprungs gewesen sein ... Aber am Landstraßer Gürtel haben wir neben uns eine Familie gehabt - die Familie Holczabek. Der Sohn, das war ... Die Mutter war ... jüdischen Ursprungs und er nicht. Und dieser Bub Holczabek hat zwar Matura machen können, aber nicht studieren. Und sofort nach dem Krieg hat er studiert und ist dann der Ordinarius für Gerichtsmedizin geworden. Also das ist meine Verbindung ... auch zu dieser Welt, von der ich dort, in dieser Gegend, in der ich gelebt hab, nicht viel gesehen hab. Eine jüdische Familie aus dem Haus, die wir ganz gern gehabt haben, auch immer wieder Musik mit denen gespielt, ist sehr früh weggegangen nach Amerika. Die Mutter wollte die Stellung halten und ist dann eines Tages weggeführt worden. Ich kann mich erinnern, meine Mutter hat sie noch getröstet und gesagt: "Das wird schon wieder gut. Der Krieg wird schon wieder gehen." "Sie kommen nur in ein Arbeitslager. Das wird wieder vorbeigehen." Sie hat es eigentlich auch fast geglaubt. Mein Vater war Elektroingenieur - ah ja, hab ich schon gesagt - und ein liebenswerter Mensch. Er war nur völlig geschäftsuntüchtig, hat sich natürlich in den 20er Jahren verspekuliert. Durch meine ganze Kindheit geht das Wort "Offert", er musste immer Offerte legen, und wer das beste Offert gelegt hat, hat dann den Auftrag bekommen. Und sein Offert war recht niedrig gehalten. Und inzwischen stiegen die Löhne und stiegen die Preise, und der arme Papa ist mit seinem Elektrogeschäft elend in den Ausgleich und zugrunde gegangen. Von dem Moment waren wir sozusagen arm und haben mit dem kleinen Mindestgehalt, als er dann als Vertreter gegangen ist, leben müssen. Über meine Mutter möcht ich schon auch was sagen. Meine Mutter stammte eigentlich auch nicht aus ... .. großintellektuellen Kreisen. Aber sie war sehr interessiert, sie hatte einen großen Freundeskreis der damals interessierten Menschen gehabt. Sie hat eine sehr interessante Bibliothek gehabt, wo alles vorhanden war: Trakl, Freud, Stefan Zweig, erinnere ich mich. Beer, Hoffmann - die ganze damals neu aufkommende Literatur. Das heißt, das war schon eigentlich in den 20er Jahren vorbei. Was mitgenommen wurde war in ihrem Bücherschrank, und sie hat immer sehr, sehr viel gelesen und sehr viel gewusst. Sie hat Klavier gespielt, hat dazu gesungen, und wenn am Sonntag die Schnitzel gekocht wurden, dann schallte das Radio laut durchs ganze Haus, mit Bruckner aus dem Philharmonischen Konzert. Das war meine Mutter. Und was ich ihr verdanke ... Ich hab das grad vorhin überlegt. Dass sie mich von Anfang an gelehrt hat, nicht immer nur das, was en vogue ist, wo die Leute alle hinrennen, was gerade besonders gelobt wird, schön zu finden. Sondern mir meine eigene Schönheit selbst zu suchen. Das hab ich als Kind natürlich nicht so verstanden. Aber irgendwie muss es doch in mich eingedrungen sein, denn letztlich war das unglaublich wichtig für die Wahl, mit einem Rudolf Leopold zu leben. Zu der Schule ist zu sagen, dass ... Nix Besonderes eigentlich. Die Kinder waren alle einfache Kinder. Meine Mutter hat nur, durch ihre Liebe zur Musik, mich sehr früh in Klavierstunden geschickt. Nun hatte die Schule natürlich kein Klavier, sondern es wurde ein Harmonium beschafft. Und ich kann mich erinnern, ich hab dann zur großen Sensation, irgendwann zur Weihnachtszeit, auf diesem Harmonium mit Müh und Not - da muss man so treten immerzu - "Kling, Glöckchen, Klingelingeling" gespielt. Also das war immerhin eine große Sensation. Ich war aber eigentlich nicht eingebildet drauf. Ich hab's alles gespielt, und Schluss aus. Die Lehrerin war merkwürdig. Die hat meiner Mutter erklärt: "Von mir kommt kein Kind in die Mittelschule." Und meine Mutter, die eben sehr intelligent und aufgeschlossen allen geistigen Strömungen gegenüber war, hat gesagt: "Das werden wir aber sehen!" Sie hat ein Büchl gekauft, da stand: "Aufnahmsprüfung in die Mittelschule": Es war damals notwendig, eine Prüfung zu machen. Sie hat mit mir alles durchgeübt: Satzgegenstand, Satzaussage oder was in der Mathematik: dividieren, multiplizieren usw. Sie hat das alles brav gemacht und hat mich dann eigentlich in einer Eliteschule angemeldet. Eliteschule deswegen, weil das Frauenstudium nicht sehr beliebt war in diesen 30er Jahren. Also '26 geboren, und '36 war diese Aufnahmsprüfung. Es gab zwar private Frauenschulen, Frauenerwerbsverein am Wiedner Gürtel war ja berühmt. Später gingen da meine Enkel hin - es ist jetzt die Popper-Schule geworden. Aber meine Eltern hatten das Geld nicht, die waren ja arm. So wollte mich meine Mutter in einer der wenigen öffentlichen Frauenschulen, dieser Eliteschule Boerhaavegasse unterbringen. Und aufgrund dieser Übungen, die sie da mit ihrem Bücherl mit mir gemacht hat, bin ich also unter 130 tatsächlich ganz gut durchgekommen. Ich war also dann dort in der Schule, und die Schule hab ich durchgemacht, dann auch im Krieg, wo wir ... .. teilweise auch aufs Land verschickt wurden, weil das Leben in der Stadt halt nicht so angenehm war. Ich kann nicht sehr viel über meine Mittelschule sagen, außer dass ich eigentlich gern in die Schule gegangen bin. Das ist merkwürdig, weil alle sagen: "Die Schule war schrecklich." Nein, ich bin ganz gern gegangen. Erstens hat's mich interessiert - die Geographielehrerin hab ich geliebt und auch die Mathematiklehrerin. Und auch Französisch war sehr lustig. "Où est ... table noire?" oder solche Sachen. Das hab ich riesig aufregend gefunden. Und außerdem war es als Einzelkind halt immer nett, unter anderen zu sein und dort meine Späße zu treiben. Diese Eliteschule, die ursprünglich in dem Ständestaat eine Eliteschule war, ist dann von den Nazis übernommen worden. Die haben das einfach geschwind übernommen. Ich hätte natürlich austreten können, aber um die vielen Freundinnen hat's mir leid getan. Ich hatte nur kein Glück mit denen, weil ich frech und vorlaut war. Es war zum Beispiel beim Mittagessen - es wurde dann als Halbinternat und Internat geführt - und beim Mittagessen mussten sich alle Kinder an der Hand nehmen, und es wurde ein Spruch gefällt. Zum Beispiel: "Blut und Boden sind die Lieder eines kommenden Volkes", oder so was Ähnliches. Übrigens hab ich solche Sprüche später in Ostdeutschland an der Wand gesehen. Also das ... Ich hab mir gedacht: Mein Gott, die haben da Nazisprüche! Und jedes Kind musste vor dem Essen irgend so einen Spruch aufsagen. Und wenn ich drangekommen bin, war schon leises Kichern überall. Und ich hab dann das recht übertrieben und gesagt: (mit witzig verstellter Stimme:) "Blut und Boden sind die Lieder ..." So ähnlich. Schallendes Gelächter. Fürchterliche Wut der Erzieherinnen, und auf die Dauer haben sie sich das nicht gefallen lassen. Außerdem hab ich immer gefragt: "Wieso?" und "Warum?" und "Wo ist das?". Und das ist also nicht der richtige Korpsgeist für diese Zeit gewesen. Und man hat meinen Eltern nahegelegt, mich aus dieser Schule zu nehmen. Ich war eigentlich sehr unglücklich darüber. Weil ich meine Freundinnen verloren hab. Und ich bin in diese neue Schule in Hietzing in der Wenzgasse gekommen, in die sechste Klasse. Ich kann mich erinnern, das waren dann High-Society-Kinder. Also eine ganz neue ... Art von Menschen. Ich kann mich erinnern, weil die sind reingekommen und haben gesagt: "Morgen!", und haben die Schultaschen schon hingehauen. Komisch, wie die sich alle benehmen. Ich hab ein Jahr mit denen nix geredet. Die letzten zwei Jahre ist es dann halbwegs gegangen. Vielleicht erwähn ich kurz die Übersiedelung aus Wien dann. Wegen wiederholter Bombenangriffe haben meine Eltern entschieden, sie gehen zur Großmutter aufs Land, nämlich nach Hadersdorf-Weidlingau. Und dann haben wir in diesem kleinen Haus der Großmutter alle gelebt während des Krieges, was den Vorteil hatte, dass ein Erdäpfelacker dabei war. Da hatte die Familie also halbwegs über den Krieg zu essen. Und ich bin dann eben ... Hietzing war meine nächste Schule, wo ich unter schönen äußeren Um- ständen mit dem Radl hingefahren bin. Ich hab dann in der Wenzgasse maturiert. Während der Wenzgasse sind wir schon während den Schulzeiten aufs Land verschickt worden zu Erntehilfen oder sonst etwas. Interessanterweise bin ich als Schulhelferin nach Polen gekommen. Die Schulhelferin war für mich natürlich ein tolles Abenteuer. Denn die Kinder haben mich sofort geliebt. Das war eine Volksschule ... Eine ganz primitive Bevölkerung ... Eine Volksschule mit gemischten polnischen und deutschen Kindern, wo ich nicht wusste, was ich eigentlich mit denen machen soll. Ich hab dann entschieden, mit ihnen zu singen. Das mit dem Singen war g'scheid. "In einem kleinen Apfel, da schaut es niedlich aus." Und das haben sie verstanden, und damit haben wir ein bisschen ra- debrechend miteinander reden können. Die Kinder haben mich deswegen geliebt, weil der polnische Lehrer die immer geschlagen hat. Mit der Peitsche oder was. Und ich war 16 oder 17 Jahre, mir ist natürlich nicht eingefallen die zu schlagen, im Gegenteil: Ich hab sie wirklich gern gehabt, und die haben mich geliebt. Aber ich bin dann ziemlich bald dort wieder weggekommen. Matura war schon ein Problem für mich, insofern ich mir bei der Mathematik gedacht hab: Da wird mir überhaupt nichts passieren, da kann ich alles. Es ist nicht gut gelungen. Ich hab wahrscheinlich einen schlechten Tag gehabt. Bei dem Latein, das man damals hatte - was ich übrigens sehr wichtig find, dass die Kindern lernen sollen ... Viele Sprachen basieren auf dieser verlassenen Sprache. Und wir haben immer wieder Worte, die wir im Englischen, im Französischen, im Italienischen oder sonst wo finden. Durch den Schulwechsel, den ich vorher angedeutet hab, bin ich in diese neue Schule mit einem Jahr Latein gekommen. Das ist tödlich. Weil von diesem Zeitpunkt an war ich überzeugt, ich kann alles. Ich brauch da überhaupt nicht aufpassen, ich brauch nicht ... Das hab ich drei Jahre lang gemacht. Mit der Folge, dass die Latein-Matura ganz knapp am "Nicht genügend" vorbeigegangen ist, da ich das nicht gelernt hab. Überhaupt war die Matura damals nicht so besonders streng. Man hat halt geschaut, dass die alle geschwind durchkommen. So ungefähr. Nachdem ich meinen Kindern dann später - ich habe drei Kinder - erklärt hab, dass ich eine gute Schülerin war und sie aber mein Maturazeugnis erwischt haben, haben sie gesagt: "Weißt, Mama, was du uns erzählst, das stimmt überhaupt nicht!" "Da sind lauter Fehler drin!" Also sie hatten natürlich recht, die Matura war: Pscht, weg damit! Dann war dann endlich ... Ja, das ist vielleicht noch interessant. Ich war also jetzt weg vom Land, jetzt waren die ganzen Dienste und so weiter vorbei. Es stand zur Frage, was ich jetzt weiter tun soll. In dem Moment kam es langsam, Gott sei Dank, zum Kriegsende. Und auch dieses schreckliche Regime, dieses Nazi-Regime ... und auch dieses schreckliche Regime, dieses Nazi-Regime. Andererseits hat man Furchtbares von den heranrückenden Russen gehört, die auch tatsächlich auf eine grauenhafte Weise alle Frauen überfallen haben. Ich hab das später im Spital erlebt, welches auch medizinische und seelische Unheil diese jungen Burschen, die ausgehungert auf Sex waren, hier angerichtet haben. Und ... sie wurden auch nicht gehindert von oben herab, über Frauen herzufallen. Meine Eltern waren also interessiert, mich möglichst von Wien wegzuschicken, worauf ich auf ein Rad gesetzt wurde mit meiner Freundin, die gesagt hat: Jaja, sie hat einen Onkel in Prutz bei Landeck. Also wenn Sie eine ungefähre Ahnung der Landkarte haben und sich hier Wien vorstellen und hier Landeck, dann ist das so ziemlich das Wei- teste, was man überhaupt fahren kann. Und wir zwei sind dann tatsächlich in diesen Kriegswirren - noch waren alle Grenzen offen - durch ganz Österreich durchgefahren. Es waren nur unglücklicherweise vor jedem Ort Militärposten aufgestellt, je nachdem. Meistens waren's englische oder amerikanische oder französische - Österreich war ja viergeteilt. Und diese Posten dann zu überzeugen, dass wir da weiterfahren müssen, war nicht immer ganz leicht. Wir waren "displaced persons". Wir haben gesagt: "Wir haben eine Tante im nächsten Ort, und die ist so schrecklich krank. Wir müssen unbedingt, sie ist 'very, very ill', und wir müssen unbedingt zu dieser Tante!" Also im Allgemeinen ist das ganz gut gegangen. Manche amerikanischen Soldaten waren sogar Analphabeten. Der einzige Ausweis, den ich bei mir hatte, war der Geburtsschein. Und den hat er verkehrt in die Hand genommen. Heute sind noch die Regentropfen drauf, weil irgendwo hat's dort geregnet. Und wir sind dann so weitergefahren. Der einzige Posten, der wirklich bösartig war, war in Imst. Und in Imst ging damals nicht unten die Straße, sondern über den Berg drüber. Und oben war also der Posten, und der hat gesagt: "No, no! Ihr habt jetzt hierzubleiben!" "Unfug!" und so weiter. Daraufhin sind wir wirklich aufs Radl gestiegen und dem weggefahren. Es geht nämlich so einen Berg hinunter. Und wusch! sind wir weggewesen. Und der hat tatsächlich nachgeschossen. In Prutz bei Landeck war's ganz lustig, aber ... .. irgendwann bin ich dann nach Wien zurück. Es ist dann auch irgendwie gelungen, es war immer nur sehr schwer, über die Enns zu kommen. Die Enns-Grenze war sehr schwer. Aber ich bin dann zurückgekommen, und dann waren schon die Soldaten hier gesittet. Wien war in vier Teile geteilt, wir hatten die Amerikaner, die Russen, die Engländer und die Franzosen in verschiedenen Bezirken. Da war ... ein Leben möglich. Und vor allem haben die Amerikaner begriffen, dass man ein Volk, das jetzt ausgehungert ist und den Krieg verloren hat, nicht noch weiter treten darf, sondern man muss es fördern. Es war natürlich die Geschichte mit der russischen Gefahr. Und nichts haben die Amerikaner - bis zum heutigen Tag, weiß ich nicht - aber bis zum Kalten Krieg mehr gefürchtet als ein Überhandnehmen der Russen auf ganz Europa. Dadurch haben wir das Glück gehabt, dass man uns gefüttert hat mit weißem Brot und so Sachen. Dass wir das erste Mal endlich auch essen konnten, das verdanken wir den Amerikanern. Meiner Ansicht nach, weil die haben das da geliefert. Die Amerikaner haben uns auch Decken geliefert, das waren alles solche - wie haben wir gesagt? - Erbsenpüree. Erbsenpüree-Decken, die wurden dann gefärbt. Und aus dem hab ich Wintermäntel gekriegt oder solche Sachen. Ja, war auch ganz schön. Das Medizinstudium war von Anfang an nicht klar, denn wir waren sehr, sehr arme Leute. Und ich wollte meinen Eltern nicht zu lange zur Last fallen. Gut, wohnen und essen war so halbwegs ... Aber ich wollte sie natürlich auch irgendwie unterstützen. Und dann hab ich überlegt ... Das Pharmazie-Studium war relativ kurz. Und ich war schon in Innsbruck - von Prutz bin ich nach Innsbruck. Und in Innsbruck wollte ich gern in einer Apotheke ein bissl aushelfen. Ich hab aber keinen Platz bekommen, und nach Wien zurück hab ich erfahren, dass das Apothekerstudium zwar kurz ist, aber nachher muss man zwei Jahre Praxis machen. Und man verdient auch nicht besonders. Und dann ging ich also die Stufen der Universität hinauf. Neben mir geht eine Freundin, und ich sag: "Aha, was wirst denn du inskribieren?" Da sagt sie: "Medizin". Und ich schau sie an und denk mir: "Aha, die studiert Medizin." "Möchten tät ich das schon. Na, wenn die Pharmazie eh so lang dauert ..." "Ich werd zu Haus noch einmal fragen, aber jetzt inskribier ich mal." Worauf die ganzen armen Tanten und die ganze Familie erklärt hat: "Jaja, die Liesl soll Medizin studieren." Und damit war das Medizinstudium einmal fix. Ich hatte ein großes Interesse dafür, aber ich hab's eigentlich nicht ge- wagt, ob wir uns das leisten können. Und es ist auch lang schwer gewesen mit dem Leisten, denn wir haben als junge Ärzte nichts verdient. Wir waren dann Gastärzte an Spitälern. Um unsere Ausbildung zu machen, musste man als Gastarzt gehen. Das Studium war, soweit ich mich erinnere, mit einem ungeheuren Eifer betrieben. Es waren natürlich sehr viele, denn alle die jungen Leute, die man nicht an der Front erschossen hat, gingen jetzt zurück und haben im Jahr '46 und '47 angefangen, das Studium zu beginnen. Sie haben begonnen, das Studium aufzunehmen. Und trotzdem kann ich mich nicht erinnern ... Wir haben uns schon überall angestellt, aber dass es schwer gewesen wäre hineinzukommen, das weiß ich eigentlich nicht. Schauen Sie, mein Mann ist wirklich ein in jeder Hinsicht bewundernswerter Mensch gewesen. Und wenn Sie jetzt gehört haben, was ich in der Schule getrieben hab ... Ich konnte gar nicht lernen, wie man das macht. Mein Mann hat mich gelehrt, wie man lernt. Also ... Und wir haben lange Zeit miteinander die Rigorosen gemacht. Für das erste Rigorosum haben wir zusammen gelernt. Und dann weiter auch noch ein bisschen. Aber dann hat natürlich die Freude an der Kunst ihn erfasst. Und er hat sofort auch Kunstgeschichte belegt. Und das Kunstgeschichte-Studium hat ihn ja aufgesogen, und da ist er dann gerannt und hat alle Exkursionen mitgemacht und war begeistert davon. Während ich brav mein Studium fertig gemacht hab. Ich musste schauen, dass ich fertig werd. Er konnte sich das eher leisten. Und dieses Doppelstudium hat ihn dazu gebracht, dass er eben nicht mit mir promoviert hat, sondern eben viel später. Und als er dann endlich ... Er hat inzwischen ja schon zu sammeln begonnen. Es ist so, dass er ... Er ist schon ein ganz besonderer Sammler gewesen. Ich wollte das gerne in irgendeiner Weise einbringen. Wie ist das mit dem Sammeln? Sammeln ist sicher ein menschliches Grundbedürfnis. Beginnt mit den Steinzeitmenschen, die sammeln die Schwammerl im Wald oder die Früchte im Wald oder so. Dieses Sammeln ist ein - zumindest sagt das der Erzherzog Ferdinand von Tirol, der ja auch einer der größten Sammler ist ... Der Spruch ist angeschlagen im Kunsthistorischen Museum. Nun war dieses menschliche Grundbedürfnis beim Rudolf Leopold sehr ausgeprägt. Noch dazu hat er einen unglaublichen Sinn für Schönheit oder für besondere Dinge gehabt. Er wollte sich mit diesen Dingen umgeben, er wollte mit ihnen leben. Also es gibt ja Sammler, die haben ihre Sachen im Depot, weil sie gestohlen werden könnten. Das war bei uns nie so, sondern es wurde gelebt damit, es wurde angeschaut. Er ist gesessen und hat gesagt: "Schau dir das noch mal an, heut ist ein ganz anderes Licht da drauf." "Schau, wie das Rot jetzt glänzt!", oder so. Diese Freude an der Kunst war bei ihm sehr ausgeprägt und hat mich natürlich angesteckt. Ich bin jetzt fertige Ärztin, und das in der Familie meines Mannes, die im Gegensatz zu uns reich war und angesehen - Provinzadel, möcht ich sagen ... Das ist fürchterlich! Die Freundin ist fertig geworden, und der Bub hat noch immer keine Promotion, keinen Titel. Das geht nicht, man muss ihn irgendwie animieren. Worauf meine Schwiegermutter zu ihrem Sohn geht und sagt: "Mein Lieber," - das war im Frühjahr - "wenn du jetzt bis zum Sommer deine Prüfungen wirklich machst, dann kriegst du von mir ein Auto geschenkt." Nun, das ist nicht so wie heut, dass ein Auto nichts Besonderes ist. Das war damals eine Sensation. Und für meinen armen Mann mit seiner Bildersammlerei wär eh ein Auto ganz gut gewesen. Bis dahin ist er am Motorradl gefahren, und ich hab hinten so die Bilder gehalten. Ein Auto wär schon gut gewesen. "Ein Auto gibst du mir? Wär schon gut. Was kostet denn das Auto?" Worauf sie voll Stolz sagt: "Ein Auto kostet 30.000 Schilling." "Aha. 30.000 Schilling." "Gibst du mir das Geld auch, wenn ich fertig werde bis zum Sommer?" Es ist ihr ja nichts übriggeblieben, sie hat sagen müssen: "Ich geb dir das Geld, aber was machst denn damit?" Jetzt musste sie sich niedersetzen, denn er hat gesagt: "Ich kauf mir ein Bild." Dieses Bild waren die "Eremiten" von Egon Schiele, das war schon lang von England aus ... Das war ja auch ein Emigrant, der den Nachlass von Schiele gekauft hat, der Arthur Stemmer. Und der konnte sehr früh alles nach England bringen, und hat es von dort dann nach Österreich angeboten, weil auf der Welt war Schiele vollkommen unbekannt. Das ist ja leicht zu sagen, "Jaja"... Es kann sich heute niemand vorstellen. Es kann sich niemand vorstellen. Also dass dieser Rudolf Leopold, der zunächst beschließt, sich mit schönen Dingen zu umgeben, letztlich dann in dem Schiele das sieht, was er haben möchte ... Das war ... erstens ... g'scheid, zweitens wirklich eine Sensation und drittens ... .. ein unglaubliches Gefühl für die Tiefe einer Malerei, die damals unverständlich war. Und die aber sogar heute noch, möcht ich sagen, in die Zukunft wirkt. Die Jugend ist immer noch begeistert. Und wir haben gestern über den Katalog gesprochen: Geben wir ein Bild aus dem 19. Jahrhundert drauf oder einen Gerstl, der auch ein sehr avantgardistischer Maler ist? Und mein Enkel sagt: "Der Gerstl passt für euch viel besser!" Also als ich dann fertige Ärztin war, haben wir überlegt, wo ich denn hinkommen könnte, oder wofür ich mich spezialisieren könnte. Ich bin, glaube ich, auch durch irgendeinen Bekannten ins Wilhelminenspital gekommen. Zunächst an die Interne und verschiedene andere Abteilungen. Und ich hab natürlich - ich glaub, das ist verständlich für eine Frau - mich sehr für die Kinderheilkunde interessiert. Man hat mir damals gesagt: Die Kinderheilkunde ist ein Fach, das keine große Zukunft hat. Das österreichische Volk wird überaltern. Also an den großen Zuzug von Türken, Serben etc., Philippinen darf man nicht vergessen, hat eigentlich damals keiner gedacht. Und es stimmt ja auch, dass die Bevölkerung überaltert. Wir müssen eher ein Fach nehmen, wo man mehr auf alte Leute zugeschnitten ist. Und da hab ich ... Da ist dann meine liebe Schwieger- mutter bei einer Gesellschaft bei einem Augenprofessor gesessen, der hieß Arnold Billert. Sie sagte: "Ja, ich hab eine Schwiegertochter, die so tüchtig ist, aber wir wissen nicht, welches Fach." "Dann soll sie zu mir kommen", hat er gesagt. Meine Schwiegermutter sagte: "Sie ist aber schwanger." Er hat gesagt: "Das macht nichts, sie soll sich gleich anmelden, dann ist sie früher dran." Das war erstaunlich, dass man für schwangere Frauen gesagt hat: "Dann hat sie ihren Platz." Aber ich war nie bezahlt in dieser ... Ich war nie bezahlt. Die Facharztausbildung dauert sechs Jahre lang. Sieben Jahre. Sieben Jahre war ich an der Augenklinik immer unbezahlt. Mit einer Ausnahme, indem ich neben dem normalen Dienst die Sehschule geleitet hab - Sehschule für Kinder. Also es ist sehr wichtig, schielende Kinder sehr früh zu therapieren, sehr früh in eine visuelle Behandlung einzuführen. Dort hab ich gearbeitet, und dort hab ich ein kleines Salär bekommen. Aber angestellt war ich die ganzen sieben Jahre nie. Ja, ich hatte eine allgemeine Ausbildung vorher, nicht? Zwei Jahre allgemeine Ausbildung, dann sieben Jahre in der Augenklinik. 1960 hab ich mich dann niedergelassen auf der Billrothstraße. Wir mussten natürlich für Krankenkassen arbeiten, und einem Ehepaar wurde in Wien nicht gestattet, dass beide die Kassenverträge bekommen. Sodass mein Mann dann - er hat sich auch für die Augenheilkunde entschlossen - nach Tulln ging. Das ist sehr interessant, weil Schiele in Tulln geboren ist. Jetzt haben wir aber noch gar nicht über die Kunst gesprochen. Nun ist es tatsächlich so, dass er angefangen hat, diesen Schiele zu sammeln. Und zwar durch - wenn ich's bildlich vor mir seh, möcht ich sagen: Ein Mann ist gegen die ganze Welt gestanden. Die ganze Welt hat gesagt: "Ein Unsinn ist das!" Eine kleine Gruppe ehemaliger ... Freunde, möcht ich fast sagen, seiner Kunst und seiner Person gab's noch: einen Ankwicz-Kleehoven in England, einen Dr. Glück in Wien, einen Novotny - nicht einmal der Novotny, der hat wieder nur die Späten wollen. Also es war ... Die Pionierarbeit, die mein Mann gemacht hat, war erstens: überhaupt Schiele. Zweitens, und das war sehr wichtig, in der Auswahl. In der Auswahl, welchen Schiele er gekauft hat. Während früher ... Und auch einer der Ersten, die überhaupt einen Œuvre-Katalog über Schiele erstellt haben, war Dr. Otto Nirenstein. Der musste als Jude dann auch emigrieren nach New York und hat sich dann dort "Kallir" genannt. Dr. Otto Kallir hat den ersten Œuvre-Katalog noch als Nirenstein gemacht. Später hat er ihn neu aufgelegt als Kallir. Auch selbst er und alle Wissenschaftler, ob das jetzt der - wie heißt er - Tietze! Tietze war ein ganz großer Wissenschaftler, Novotny ... Alle großen Herren in der Historie haben das Spätwerk am ehesten anerkannt. Also diese großen Porträts, diese großen Bilder der Spätzeit von '17 und '18. Und Leopold war der Erste, der gesagt hat: Nein. Die Provokation ist das Tolle an diesem jungen Mann, der sich in eine Jugendstilwelt hineinwachsen sieht. Er ist 1890 geboren. Also er ist grad 20, 1900 ... .. 1910. Da ist der Jugendstil natürlich in vollster Blüte. Ein Klimt feiert Feste, und ein Klimt macht alle schönen Frauen Wiens, noch und noch mit Pomp. Und der macht jetzt die Gegenbewegung. Also, eine sehr liebe Journalistin hat es ganz gut ausgedrückt, indem sie sagt: "Der ästhetisierende Jugendstil mit aller Schönheit, Gefälligkeit und auch einer gewissen psychologischen Tiefe manchmal ..." Wir haben ja ein wunderbares Bild "Tod und Leben" von Klimt, da ist schon noch mehr drinnen als nur Äußerliches. Aber dann der Gegensatz der Provokation von einem Oskar Kokoschka und dann noch einem Schiele - erst das macht dieses Wien aus, um 1900! Also wenn wir schon über Wien sprechen: Kulturell müssen diese beiden Gegensätze besehen werden. Sowohl diese Schönheit mit dieser ... .. dieser ganz verrückten Provokation, wo alle Tabus fallen. Es wird alles gezeigt: Mann und Frau mit ihren Geschlechtern, wie sie also in seiner Seele ... .. Gestalt finden, so bringt das sowohl ein Kokoschka ... Ich will ihn nicht verdammen, denn sein großes Plakat "Mörder, Hoffnung der Frauen" ist sensationell! Und dann natürlich der Schiele, der acht Jahre lang ... .. tolle Bilder macht. Aber die späten waren eher anerkannt, weil sie den bürgerlichen Geschmack nicht so beleidigt haben wie das frühe, provokante Werk. Meine frühe Ausstellung "Provokation und Melancholie" hat eben diese erste Ausstellung sehr deutlich gezeigt. Wir werden's vielleicht wieder ähnlich aufhängen. Österreich war während des Krieges, während der Naziherrschaft vollkommen von der Welt abgeschnitten. Wir wussten nichts von Picasso, wir wussten das nicht ... Es war nur diese berühmte Kunst der autarken Staaten, nicht? Groß die Arbeiter und groß die ... Bauern und groß die Mütter mit ihren Kindern. Das wurde hunderttausendmal uns vorgeführt in allen möglichen Bildern. Was wirklich in der Kunst los ist, wusste man in Österreich ganz wenig. Und dann will aber ein Direktor der Niederlande, vom Stedelijk Museum der Direktor, möchte doch schauen: Was war denn in Österreich los? Sogar noch vor dem Krieg, in dieser Zwischenkriegszeit vor allem. Und er möchte eine Ausstellung österreichischer Künstler machen. Und da wird jetzt gesucht, welche Künstler finden wir? Es war der Dobrowsky, es war der Boeckl, es war der Böhler, es war der Kolig, nicht? Wiegele ... Die werden jetzt langsam zusammengesucht, und man sagt: "Ja, eigentlich brauchen wir den Schiele dazu." Und da hat einer dieser Wiener Direktoren dann gesagt: "Ich kenn einen jungen Sammler, der hat solche Bilder, gehen wir doch einmal hin." Und dann ging die ganze Gruppe - ich erinnere mich, wir hatten eine winzige Wohnung, wo alle Bilder aufgehängt waren, und mein Mann hat die Herren geführt. Und dann sagt der Direktor: "Ich glaube, Sie sollten mir den Schiele-Saal zusammenstellen." Und daher jetzt diese Legende, dass die Leopold'sche Sammlung als Mittelpunkt der österreichischen Kunst wirklich plötzlich überall Anklang gefunden hat. Und sogar die deutschen Kritiker sagten: "Der bisher unbekannte Schiele rückt mit einem Schritt in die europäische Öffentlichkeit." Insofern wird das immer wieder erzählt und war auch für meinen Mann eine ganz große Sensation dass es doch so gut angekommen ist. Es war so, dass sowohl der Otto Kallir - Sie wissen, Nirenstein, Kallir -, der wirklich den ersten Œuvre-Katalog gemacht hat, und mein Mann, da gibt's einen so dicken Ordner mit Briefen hin und her. Und die zwei wollten unbedingt eine Ausstellung machen, sowohl in Amerika als auch in ... Da war schon Amsterdam vorbei, aber sie haben noch immer drüber geredet, eine Ausstellung zu machen. Sie haben sich nicht geeinigt. Sie haben sich deshalb nicht geeinigt, weil natürlich Otto Kallir - er war schon begeistert vom Schiele, aber er war Händler. Und hier ist der Liebhaber. Und das waren andere Standpunkte. Dieser Liebhaber will nur das Allerbeste. Er hat gesagt: "Wenn ich einen Künst- ler auf der Welt durchbringen will, zu Amt und Ehren, dann darf ich nur das Allerelitärste ... Nicht 100 Stück, sondern 40, aber ein tolles Bild neben dem anderen. Und das war dem Otto Kallir nicht recht, denn er war Händler und wollte die Sachen verkaufen. Also da kam's nie zu einer Einigung, aber dann doch, durch den Thomas Messer. Der war, glaube ich, immigriert aus der Tschechoslowakei . Der hat gesagt: "Wir müssen mal eine Ausstellung machen!", und hat es auch dann durchgesetzt - im Guggenheim. Im Museum Guggenheim, 1965, findet eine Ausstellung statt: Klimt, Schiele. Beide. Klimt auch ziemlich unbekannt. Auch etwas, was man sich heut nicht denken kann. Klimt kommt z.B. im Werner Haftmann vor, als Talent von Assimilation, der sich alles irgendwoher sucht. Von Chinesen, von ... Einflüsse. Aber als Künstler, als Erfinder, als erster Moderner Österreichs, als der Mann, der eigentlich den Wiener Jugendstil erschaffen hat, haben sie ihn alle nicht gesehen. Es ist ganz merkwürdig. Also '65 die große Ausstellung im Guggenheim, und das war dann wirklich ein Durchbruch. Denn plötzlich haben die Museen in Amerika Blätter gekauft von Schiele, was vorher nicht möglich war. Die Ausstellung war sehr interessant und vor allem für mich überhaupt die erste Flugreise meines Lebens. Wir hatten einen ganz, ganz besonders guten und engen Freund, Serge Sabarsky, genannt "Friedl", denn er hieß Siegfried in Wirklichkeit. Ein ... kleiner ... Ein Kind jüdischer Eltern aus Wien. Und dem verdanken wir, glaube ich, vor allem die Weltsicht auf das ganze jüdische Problem. Er saß nächtelang in unserem Haus, war zunächst natürlich an Kunst interessiert. Die beiden hatten sehr viele Kunst- geschäfte und Gespräche miteinander. Aber zugleich war es ihm ein großes Anliegen, das ganze Problem der Emigration, das ganze Problem auch des Antisemitismus mit uns immer wieder von Neuem durchzuackern und zu besprechen. Und ich glaube, dass ich eben diesem Mann auch sehr viel verdanke. Nicht zu verstehen, weil zu verstehen ist gar nichts. Es ist so, wie's ist. Aber vielleicht, es anzusehen in der richtigen Weise. Zugleich war er ein großer Kunstfreund. Wir haben damals in seiner Wohnung gewohnt, an der Riverside Drive. Also New York war natürlich ein Erlebnis. Die Gründung des Leopold Museum war natürlich nicht von heute auf morgen. Ich möchte schon betonen, dass die Gespräche mit dem Staat begonnen haben mit der Hertha Firnberg, und dass das Ganze 15 Jahre gedauert hat, bis es überhaupt so weit war. Beziehungsweise dass eigentlich gar nicht so klar war, dass wir Bilder sammeln für ein Museum. Und die eigentlichen Auslöser - und das find ich schön und auch wichtig zu betonen - waren meine Kinder. Die haben damit eigentlich auf ein großes Erbe verzichtet, haben aber gesagt: "Papa, deine Bilder gehören in ein Museum." "Die passen nicht in ein Wohnzimmer." Ich hab mich wohlgefühlt, aber ich hab schon den Standpunkt verstanden, denn die Bedeutung der "Eremiten", die Bedeutung einer "Entschwebung", das kannst nicht in einem kleinen Zimmer ... Und dieses Erlebnis, als das Museum dann doch gegründet wurde - das ganze Museumsquartier ist ja eigentlich erst mit dem Ankauf dieser Sammlung in Schwung gekommen. Denn sie wussten ja lange nicht: Was tun damit? Museumsquartier, gut, aber wie? Hin und her ... Und dann, als es endlich zu diesem Ankauf kam - man muss die Herren loben: Das war der Herr Vranitzky und der Busek. Nur die zwei haben das gemacht, und nur so war's möglich. Da hat man gewusst, was man in diesem Museumsquartier so macht. Und ich freue mich, feststellen zu können, dass wir auch das meistbesuchte Haus in diesem Areal sind. Gesammelt wurde zunächst einmal für die eigenen vier Wände. Ja, und dann nahm die Sammlung so etwas wie autarke Züge an. Es wurde ununterbrochen ... Es gab schon einmal jeden Tag ab '70, ab der Ausstellung in New York '65 ging's dann schon richtig los. Dann kamen täglich Briefe: "Können wir nicht ein Bild haben?", "Können wir uns das borgen?", "Wollen Sie nicht bei uns eine Ausstellung machen?". Das ging wirklich los - fast hat man eine Sekretärin beschäftigen müssen. Denn es war erstens die Korrespondenz mit dem Leihverkehr, zweitens mit dem Ankauf. Immer wieder: "Wollen Sie nicht was kaufen?" oder "Können wir nicht was kaufen?". Dann waren die Auktionen, die für meinen Mann so wichtig waren. Im Frühjahr und im Herbst, die großen Auktionen. Er fuhr immer wieder sowohl nach New York als nach London. Es hat in seiner Ordination so ausgeschaut, dass er zur Ordinationshilfe gesagt hat: "Bitte die nächsten zehn Minuten nicht, ich muss jetzt steigern." Er hat also dazwischen in der Ordination auch oft gesteigert. Und die allerlustigste Geschichte war da oben mit den Karten. Also er hat ... Ja, das will ich eigentlich sagen: Dieses Autarke, dass es diese Sammlung plötzlich als Körper einer Sammlung gibt, und mein Mann nicht nur ... Ich möcht sagen, so wie mein Sohn nicht nur Cellist ist, sondern Musiker, die Musik als Ganzes sieht, so war mein Mann nicht ein Sammler von Schiele, sondern von Kunst. Er hat das alles in einem Kontext gesehen und in einer Gruppe. Und so kam das auch, dass bei Sotheby's eine ganze Sammlung von Karten verkauft wird, die der Herr Gustav Klimt an die Emilie Flöge schreibt. Das können Sie heute sehen - zufällig ist das gerade jetzt ausgestellt. Also dass ein Sammler von Bildern Postkarten kauft, die der Klimt schreibt, ist ja auch nicht so selbstverständlich. Aber Sie sollen verstehen, wie sehr er in den Schaffensprozess hineingebunden war, wie sehr es ihn interessiert hat. Er sagte: "Ich will den Schaffensprozess ergründen". "Was empfindet dieser Künstler?" Und die deutschen Expressionisten sagen ja auch: "Ein Kunstwerk muss aus Innigkeit entstehen, aus innerer Notwendigkeit." Also dieser Schaffensprozess, diese innere Notwendigkeit - dem nachzugehen war dem Leopold natürlich wichtig. Und es war ihm auch wichtig, ein Buch darüber zu verfassen. Er hatte ja dieses dicke Schiele-Buch in dem 72er Jahr, das wir jetzt in irgendeiner Weise neu auflegen wollen. Ich habe sozusagen natürlich neben der Sammlerei meine Ordination gehabt und meine Kinder gehabt. Die waren aber ganz brav. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich viele Vokabeln geprüft hätte oder sonstige Sachen, sondern meistens sind wir Fußball spielen gegangen. A Hetz muss sein. Oder wir haben Theater gespielt, was ich vorhin erwähnt habe. Und dann, als dieses Museum gegründet wurde, war ich automatisch in irgendeiner Weise eingebunden. Also ich hab alles Mögliche reingeredet und hier eingestellt oder aufgehängt oder Vorschläge gemacht oder natürlich auch im Vorstand mitgearbeitet. Was mir natürlich sehr hilft, seit mein Mann tot ist. Weil jetzt bemüh ich mich, sein Gedankengut, diese ganze Welt, die er quasi aufgebaut hat, weiter zu fördern, weiter zu erhalten, weiterzutreiben. Das ist ... der Lebenszweck meiner letzten Jahre.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Elisabeth Leopold (Kunstsammlerin/Ärztin)

Elisabeth Leopold wurde 1926 in Wien-Hernals geboren. Trotz schwieriger Umstände bestand sie glänzend die Aufnahmeprüfung für die Mittelschule und absolvierte bereits 1951 an der Universität Wien das Medizinstudium. Später arbeitete sie als gefragte frei niedergelassene Augenärztin. Bereits in den frühen 50er Jahren, während des Studiums, begleitete sie ihren Studienkollegen Rudolf Leopold auf seinen Kunstreisen. 1953 heiratete Elisabeth Leopold den leidenschaftlichen Sammler.

Länge: 47 Min. 24 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Länge: 1 Min. 51 Sek. | © Stadt Wien - Magistratsabteilung 59
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Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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