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Also, ich heiße Anton Neumayr. Bin am 6. Dezember 1920 geboren und habe bei meiner Geburt und knapp vor meiner Geburt zwei scheinbar bindende Erlebnisse: Erstens, ich war ein Kind, das seit vielen, vielen Jahren um Mitternacht nach der Geburt vom Turm des Rathauses mit Trompetenstößen der Stadt bekanntgegeben wurde, dass der Bürgermeister ein Kind bekommen hat. Also nicht er, sondern seine Frau. Das war das erste Erlebnis, weil man später sagte: "Na, ist ja kein Wunder, dass du musikalisch geworden bist, wenn du schon mit Trompeten auf die Welt gekommen bist." Das zweite: Heute behauptet man, dass im Mutterleib der Fötus in den letzten Wochen schon sehr viel mitkriegt von seiner Umgebung. Da mach ich, das ist natürlich nur ein Spaß, aber darauf aufmerksam, dass zwei Monate oder sechs Wochen vor meinem Erscheinen mein Vater ein ungewöhnliches Erlebnis als Bürgermeister hatte. Mein Vater war Sozialdemokrat, ein überzeugter übrigens, und hat das Glück oder Unglück gehabt, den Adolf Hitler in diesem Jahr persönlich kennenzulernen. Hitler war auf einer Propagandareise wegen der bevorstehenden Wahl, ob Österreich an Deutschland angeschlossen wird oder nicht, und besuchte dabei neben Salzburg, wo er scheinbar großen Erfolg hatte, auch die Salinenstadt Hallein. Und da hat er erlebt, dass die Leute auch anders reagieren, die einfachen Arbeiter. Er hat im einzigen großen Gasthof in Hallein eine Rede gehalten, und als er etwa 20 Minuten seine Sprache geübt hat, ist das Auditorium nervös geworden und hat mit Pfui-Rufen geantwortet. Da ist mein Vater kurzerhand aufgestanden, ist zum Podium hinauf und hat den Hitler ein bisschen zur Seite gedrängt und hat gemeint: "Also diese Worte sind für uns nicht die geeigneten, das interessiert uns nicht, was Sie hier schwätzen. Da sieht man wieder die alten Klamotten, oder wie man dazu sagt, aus dem Krieg und so. Bitte, wir wollen Sie hier nicht hören und wir bitten Sie, Ihre Rede zu unterbrechen." Daraufhin ist ein Gejohle gewesen. Um es kurz zu machen, es ist ein bisschen zu Handgemengen gekommen, aber ohne Verletzungen. Und er und seine Entourage ist, wie alte Halleiner mir erzählt haben, über den Berg, der hinter Hallein Bayern trennt, also ein paar hundert Meter zur Grenze, hinterm Hotel hinaus geflüchtet, weil die Arbeiter ihn also echt bedroht haben. Dieses Fiasko von Adolf Hitler war sozusagen von mir aus dem Mutterleib wahrscheinlich ein bisschen zu hören, und hat mich geprägt, dass ich mit ihm auch in Zukunft keine Sympathien gewinnen konnte. Sonst bin ich in meiner Jugend in Hallein harmlos aufgewachsen, hab aber schon sehr früh mit Musik begonnen, weil ein ehemaliger Gymnasialprofessor meines Vaters mich bei einer Gelegenheit prüfte. Aus welchem Grund weiß ich nicht. Er war ein großer Pianist, und hat festgestellt, dass das Kind das Einzige in der Familie war, das an seinem Spiel ganz interessiert war, weil ich mit dem Ohr am Pianino am Schluss noch immer gelauscht habe, wenn er auch noch so laut gespielt hat. Das war der Grund, warum mein Vater mich schon mit sechseinhalb Jahren als Jüngster ins Konservatorium, ins Mozarteum in Salzburg geschickt hat, wo ich dann zehn Jahre Klavier studiert habe, könnte ich fast sagen. Also die ersten Jahre die übliche Ausbildung, und dann bin ich, weil ich angeblich sehr talentiert war, bin ich in die Meisterklasse zu Professor Ledwinka gekommen. Ein, um es nur anzudeuten, ein sehr berühmter Pädagoge, der mit der Jeritza Tourneen über die ganze Welt als begleitender Pianist gemacht hat, der den Karajan unterrichtet hat, also ich war wirklich in guten Händen. In der Mittelschule waren eigentlich keine Probleme, die ich in diesem Zusammenhang hier besonders erwähnen möchte. Nur Eines vielleicht, wenn ich aus dem 20. Jahrhundert berichten darf, einige Dinge, die politisch auch mir haften geblieben sind im Gedächtnis. Das Eine war das Jahr 1934, wo also plötzlich ein Aufstand der Arbeiter damals gegen Dollfuß stattgefunden hat. Mein Vater ist damals im Spital gelegen wegen einer Verletzung und ist aus dem Spital heraus im Gefangenenwagen nach Salzburg ins Gefangenenhaus gebracht worden. Das war für mich natürlich ein furchtbarer Schock, auch weil da überall Maschinengewehre herumgestanden sind und so, für ein Kind natürlich ein Erlebnis, aber vor allem der Vater, also, was ist mit dem jetzt los? Dann kam dieser Austrofaschismus. Mein Vater ist dann sofort entlassen worden aus allen Ämtern. Wir waren sehr arm, haben nix gehabt und haben uns durchgeschlagen, so gut es ging. Dann kam das Jahr '38. Da kam der nächste Schwung. Nämlich als Hitler einmarschiert ist, ist knapp am nächsten Tag ein SA-Mann an unserer Tür gestanden, und hat sehr ungehobelt und mit rohen Worten meinen Vater erinnert, dass er einst Schüler - mein Vater war früher Fachlehrer für Mathematik und Physik - früher sein Schüler war. Und er will ihn aufmerksam machen, wenn er nur eine geringe Andeutung oder gar Tätigkeit gegen das neue Regime in die Wege führt, dass er weiß, wo er dann zu finden ist, nämlich im Konzentrationslager. Er sagt ihm das nur als Warnung. So, jetzt war wieder alles zu Ende, wieder kein Beruf. Es war eine Situation, die für meine Zukunft sehr brenzlig war, denn ich wollt ja eigentlich Pianist werden. Ich hab die Matura eben in der Woche, wo Hitler einmarschiert ist, hab ich meine Matura beendet im Gymnasium und gleichzeitig auch den Abschluss in der Meisterklasse für Klavier. Und habe eigentlich vorgehabt Pianist oder Dirigent zu werden. Das war in dem Augenblick unmöglich, weil unter diesem Regime bei dem Hintergrund eines politisch so verdächtigen Vaters war es fast unmöglich. Da hat man mir geraten, vom Klassenvorstand, ich soll Medizin studieren und hat auch gleich den Weg vorgegeben, wie das für unbemittelte Menschen auch möglich ist, ihren Sohn studieren zu lassen. Nämlich, wenn man sich bewirbt um die Aufnahme in die Pépinière in Berlin, in die medizinische Akademie, militärärztliche Akademie, weil dort alles umsonst dann ist: das Studium, der Aufenthalt, Essen, man kriegt sogar einen Beitrag für die Beschaffung der Bücher. Und das ist die einzige Möglichkeit das Studium zu vollenden. Dazu war eine sehr schwere Prüfung notwendig. Es waren mehrere Hundert angemeldet in München zu dieser sogenannten psychotechnischen Prüfung, wo also Mutproben und alles mögliche verlangt wurden, vom Zehnmeterturm springen zum Beispiel, was ich in meinem Leben vorher nie gewagt hätte, aber auch sonst viele Dinge, unglaubliche Sachen. Und ich hatte Glück. Ich bin zu den 50 eingereiht worden, die das bestanden haben und hab dann gleich anschließend geglaubt, ich kann jetzt nach Berlin und studieren. Aber nein. Bei uns war in der Klasse ein Kamerad, von dem wir nicht wussten, dass er schon die ganzen Jahre während des Austrofaschismus der führende NS-Mann für die Jugend des Landes Salzburg war. Und der hat in seinem Eifer im Mai, kurz nach dem Einmarsch, hat er unsere ganze Klasse korporativ einfach beim GAU-Leiter angemeldet, dass wir freiwillig den Arbeitsdienst machen, obwohl wir als einziges Semester befreit gewesen wären. Durch die überraschende Entwicklung war das gar nicht so vorbereitet. So, also statt Studium bin ich zum Arbeitsdienst gekommen, und dann erst im November zum Militär einberufen, Grundwehrausbildung. Im Frühjahr '39 hab ich an der Pépinière begonnen zu studieren. Und so begann also das Studium in Berlin eigentlich heiter und normal, bis die ersten Überraschungen gekommen sind. Denn nach dem ersten Semester, wo wir dann anschließend eine Famulatur antreten mussten, ist es ja schon 1939 am 1. September zum Krieg gegen Polen gekommen. Ich bin damals von dem Lazarett in Hamburg, in dem ich famuliert habe, gerade von einer Reise durch die Lüneburger Heide mit dem dort agierenden Dozenten, wo ich famuliert hab, zurückgekommen, als wir erfahren haben: Um Gottes Willen, es ist Krieg ausgebrochen. Da musste ich sofort nach Berlin zurück und man hat uns aussortiert, in welche Einheiten wir kommen, um diesen Krieg aktiv mitzumachen. Das war gefordert von der militärärztlichen Akademie, dass, wenn ein Krieg oder so ausbrechen sollte, wir selbstverständlich Fronterfahrung unbedingt nachweisen müssen, sonst gibt's kein Weiterstudieren. Denn es gab damals, also ein bisschen später, viele, die diesen Weg gewählt haben, Medizin zu studieren, in der Annahme: "Na, dann bin ich sowieso vom Militär befreit." Das war eben nicht so. Das hatten wir ja gewusst. Das war sehr einfach, weil der Krieg für uns sehr schnell vorbei war. Für die Polen ja mit fürchterlichen Entbehrungen und Gräueln ... Also ... gelitten haben. Ich habe dann anschließend nicht mehr zurückkönnen in die Akademie, sondern anschließend mussten wir ... Weil das haben wir alles natürlich damals nicht gewusst, wissen heute noch wenige, glaube ich. Wir sind gezwungen worden in Ostpreußen zu bleiben. Und von dort weg, Ende September, als die Sudetenkrise vorbei war, dadurch ist schon alles verlängert gewesen, haben wir von Ostpreußen aus weiter eine Verlegung in das Saargebiet an den Westwall mitmachen müssen. Keiner hat gewusst, warum. Heute weiß man, dass Hitler schon im November, am 12. November den Angriff auf Frankreich geplant hat. Aus verschiedenen Gründen ist das nicht gelungen. Mitte Jänner sollte das zweite Mal ... Also ist der Befehl Hitlers gekommen, in Frankreich loszuschlagen mit dem Krieg. Auch das ist schiefgegangen, weil verschiedene Dinge passiert sind. Vor allem deshalb, weil ein Flieger, ein Leutnant mit den ganzen Aufmarschplänen notlanden musste in Belgien und dort gefangen wurde und die Pläne in die Hände der Alliierten fielen. Jetzt musste alles abgeblasen werden und so ist der berühmte Manstein-Plan dann erst für Juni fertig gewesen, sodass wir jetzt dann vom Westwall, wir wussten nicht, wieso wir jetzt auf einmal wegkommen, weil eben kein Krieg anfangen sollte, haben wir jetzt Trimester studiert, um die Zeit nicht zu verlieren, statt Semester Trimester. Das heißt im Jahr drei Semester ohne Ferien, ohne Zwischenräume. Das haben wir begonnen und beim dritten Semester, also im Juni, ging dann der Krieg in Frankreich los. Da war es wieder dasselbe: Zurück nach Berlin. Wir mussten also warten, wohin wir eingeteilt werden. Das hat Gott sei Dank immer ein bisschen lang gedauert bei den Verteilungen der vielen Kommilitonen, die dort in der Akademie gewohnt haben. Und so bin ich erst eigentlich drei oder vier Wochen nach Beginn des Frankreich-Feldzugs zu einer Einheit gekommen. Mit der ersten Division bin ich dann unter nicht allzu großen Gefahren bis an die Grenze von Spanien runtergestoßen und hab dort, dort war der Krieg für uns zu Ende, und habe dann dort einen sehr schönen Sommer verbracht, und bin im Herbst zurück zum weiteren Studium. Dann kam das Jahr 1944. Das Attentat auf Hitler, das ich studierend in Berlin erlebt habe, auch die Unruhe in Berlin. Unter den Linden wurden MGs aufgezogen, es wurden Lastkraftwagen voll mit vollbeladenden Soldaten mit MGs und Handgranatenwerfern und so mitten in der Stadt aufgefahren. Niemand von uns wusste, was los ist. Im Radio haben wir erfahren, es ist ein Attentat auf Hitler erfolgt, "das Gott sei Dank fehlgeschlagen hat". Das war für mich zunächst einmal schockierend genug. Aber was ich erst zwei Monate später erfahren hab, was da sich ereignet hat, weil meine Mutter mich nicht verständigt hat, ich war mitten in den Abschlussprüfungen: Mein Vater ist damals an diesem 20. Juli von seinem Amt, wo er als Schreiber tätig war, nicht mehr nach Haus gekommen mittags. Und es war ja Sommer, Juli, er hat nicht einmal einen Rock gehabt. Wir haben nur durch einen Zufall, wie meine Mutter sagt, erfahren, von einem Eisenbahner, der meinen Vater gekannt hat von früher her, dass er von SS-Leuten gepackt in einen Viehwaggon mit anderen Leuten hinein Richtung München gebracht wurde. Um es wieder kurz zu machen: Mein Vater kam also nach Dachau. Das war für mich zunächst nicht bekannt. Dadurch hab ich also das Studium bestens beendet. Und Anfang Oktober bin ich wieder an die Front oder in ein Lazarett, das hat man noch gar nicht gewusst. Ist jetzt auch nicht so wichtig. Aber das Erste, was ich erfahren habe, wie meine Mutter hörte, dass ich die Prüfungen beendet habe, war dieses schreckliche Unglück mit dem KZ Dachau. Da bin ich einmal ... Da muss ich wieder betonen, dass das Militär während der NS-Zeit, ich kann nicht für alle sprechen, aber ich hab immer wieder die Erfahrung gemacht, das Militär war nicht SS und schon gar nicht SA, sondern war eine Einheit für sich. Und als Goebbels damals befohlen hat beim Krieg, beim totalen Krieg, dass alle Wehrmachtsangehörigen nicht mehr salutieren dürfen, sondern mit ausgestrecktem Arm den Hitlergruß zu verüben haben, habe ich ja gesehen, wie unsere Offiziere, unser General in der Militärakademie reagiert hat. Der hat uns das mit sehr deutlichen Zeichen ... "Befehl von oben, unverständlich, aber wir müssen uns beugen." Dieser General hat auch sofort, wie er gehört hat, dass ich meinen Vater also irgendwie versuche loszukriegen, hat mir Urlaub "solange ich brauche" ... Mitten im Krieg, muss man sich ja vorstellen, das ist eine Großzügigkeit sondergleichen, der hat das verstanden, was das für meine Familie bedeutet hat. So ging ich also nach Salzburg zu meiner Mutter. Das war dann um Weihnachten herum, und da hab ich ... Wir konnten nichts tun, die Verzweiflung war einfach schrecklich. Ich hab dann beschlossen, ich fahre nach Dachau, in meiner Extrauniform als Leutnant und versuche meinen Vater zu besuchen und ihm auch Essen zu bringen. Eine primitive Idee. Jeder hat gesagt, ich hab nicht alle im Kopf. Aber ich hab es einfach versucht und bin nach Dachau, um es wieder kurz zu machen, zur größten Überraschung der SS-Wachen. Wie ich hineingekommen bin: "Was wollen Sie?" "Ich möchte meinen Vater besuchen." "Das gibt es bei uns nicht." Und so. Und da hab ich eben jetzt zu schwindeln begonnen, es wäre zu lang, wenn ich die Vorgeschichte erzählen würd, jedenfalls war ich vorher bei vielen Leuten in Salzburg, die meinen Vater gekannt haben und hab geglaubt, irgendwer wird sich für ihn einsetzen. Unter anderem der Gauleiter Scheel, also der Oberste, der zwar meinen Vater nicht gekannt hat, aber der Arzt war, bei dem ich war, der sehr freundlich zu mir war. Nur jeder hat mir gesagt: "Sie, da kann ich nichts machen." "Ich hab keinen Einfluss auf KZ, das ist Sache der SS." "Ich habe überhaupt nichts damit zu tun." Trotzdem hab ich diesen Scheel dort benützt, schon mit einer gewissen Gefahr, hab gesagt: "Ich bin auf Anraten des Gauleiters Scheel gekommen, um mit Ihrem Lagerleiter zu sprechen, dass ich meinen Vater besuchen kann." Mit vielen Überraschungen und mit dem Glück, dass der nicht zurückgerufen hat nach Salzburg in die Gauleitung, sondern dass er's als wahr genommen hat, dass mir der den Rat gegeben hat, ich war immerhin Offizier und so, hab ich meinen Vater besuchen können. Ein Erlebnis, das ich niemandem gönnen möchte. In der Besuchsbaracke waren viele Zimmer der Reihe nach und jeder Raum war offen, überall saß so ein Schreibtischhengst, wie man diese Leute damals genannt hat, und ein Zimmer war ohne Schreibmaschine. Ich bin aber vorbeigegangen, weil alle waren offen, bis ich einen Ruf meines Vaters gehört habe. "Toni!", hat er gerufen. Ja, um Gottes Willen, ich bin vorbei, hab meinen Vater nicht gekannt. Bin an ihm vorbeigegangen. Er war geschoren, ganz blass, er war stark abgemagert und er hatte diesen gestreiften, Ende Dezember, gestreiften Anzug an, also gefroren und so. Also, es war furchtbar. Dann durften wir wirklich 20 Minuten auf einem Tischerl gegenüber ... Der SS-Mann saß quer davor, damit wir ja nicht irgendwas verabreden, und hab meinen Vater halt ermuntern wollen und hab ihm gesagt: "Ich werde alles tun, um irgendwie dich herauszukriegen", und so. Dann der herzzerreißende Abschied, brauch ich Ihnen nicht zu sagen. Es gehört wirklich zu den ganz schlimmen Erlebnissen. Damit ist ja nichts erledigt gewesen. Meine Suche nach Möglichkeiten ging weiter. Allerdings nur durch ein Glück habe ich eine Möglichkeit gefunden. Bevor ich nach Berlin ohne etwas erreicht zu haben zurückgefahren bin, hab ich den Vater einer Kollegin, die mit mir im Mozarteum war, getroffen. Der war ein Generalarzt. Schon im österreichischen Bundesheer war er Oberstarzt. Der überhaupt nichts mit dem Hitlerregime zu tun haben wollte. Ich hab gedacht, der könnt mir viel- leicht helfen, ein General immerhin. Dasselbe: "Ich kann nichts tun." Aber dann, nachdem ich essen dürfen hab bei ihm, ich wollte grad wieder gehen und dann sagt er: "Bleiben Sie da, vielleicht gibt's eine Möglichkeit. Übermorgen ist ein großes Galadiner in der Residenz. Alle höchsten Männer, die in der Politik, nicht im Militär, in der Politik zu tun haben, sind beim Gauleiter, zusammen mit dem höchsten Chef des Sicherheitsdienstes und der Gestapo für Bayern und für Österreich, also die Ostmark, sind dort vorhanden. Vielleicht kann ich im Gespräch einen dieser Herren dazu bewegen, dass er Ihnen eine Audienz gibt." Und so war es. Er hat's wirklich getan. Am übernächsten Tag hab ich eine Audienz bekommen im Franziskanerkloster in Salzburg, das war die Höhle des Löwen der SS. Dort wurden die Leute gefoltert und dort hat man die Schreie gehört. Ein schreckliches ... An sich ein Kloster, aber das hat der SS ja nichts ausgemacht. Dort hatte ich, ich muss mich wieder kurz fassen, weil es für mich viele interessante Aspekte dort gegeben hat, ich hatte also wirklich die Gelegenheit. Plötzlich ging die Tür auf und es kam hemdsärmelig ein SS-General aus der Tür heraus. Er hatte ja die Anmeldung von mir, er hat gewusst, wer ich bin, und dass ich auf ihn warte. Und geht auf mich zu und ich hab gedacht: "Um Gottes Willen, das ist einer von den ganz Oberen." Er geht auf mich zu, und ich musste ja wie vorgeschrieben stramm grüßen, und klopft mir auf die Schulter und sagt: "Na, Doktor, was wollen Sie von mir?" War seine Frage. Und das hat mich ermuntert, diese Begegnung mit dem Klopfen auf die Schulter. Ich hab mir gedacht, vielleicht ist das nebenbei auch noch ein Mensch, und hab ihm die Situation geschildert und habe ihn gebeten, ob er sich einschalten könnte. Er hat natürlich ... Er war eigentlich sprachlos zunächst. Es ist so ein Ansuchen noch nie an ihn herangetragen worden, aber er kann das einfach nicht, er kann da keine Ausnahme machen. Und dann hab ich, weil ich mir dacht hab, jetzt ist schon alles wurscht, hab ich gesagt, Brigadeführer, glaub ich, musste man zu dem sagen: "Brigadeführer, stellen Sie sich jetzt vor, wenn ich jetzt von Ihnen weggehe, soll ich an die Front zurück." Die waren damals schon bei Breslau, die Russen. "Soll an die Front zurück, dort meinen Kopf hinhalten, um dieses Reich zu schützen. Und die Leitung dieses Reiches hat für mich, obwohl ich Offizier bin, nicht einmal soviel übrig, dass sie nachprüfen, ob mein Vater überhaupt mit Recht ins KZ gekommen ist oder nicht, und ich soll jetzt noch den Eifer haben, Sie und alle anderen hier zu verteidigen." Und da war er ganz stutzig und hat gesagt: "Na ja ... also ... sicher. Das ist an sich richtig." "Aber können Sie mir auch sicherstellen, dass Ihr Vater in keiner Weise etwas gegen das Regime unternommen hat." Das hab ich natürlich nicht gewusst, aber ich hab's mit Sicherheit ... Er hat übrigens mit einem Pfarrer von Itzling wohl konspiriert, aber es war keine Tätigkeit. Ich hab einfach gesagt: "Ich kann dafür bürgen, dass mein Vater gar nichts unternommen hat." Und dann hat er mich, er hat das sehr dramatisch, theatralisch gemacht, hat er sich aufgepflanzt und hat mit vollem Ernst gesagt: "Sie bürgen dafür, dass Ihr Vater nichts unternommen hat?" * hustet * Sag ich: "Jawohl, ich bürge." Sagt er: "Sie wissen, was mit Ihnen geschieht, wenn das nicht der Wahrheit entspricht? Es täte mir leid, in Ihnen einen tüchtigen Offizier zu verlieren." Das heißt, wenn das nicht stimmt, was ich da sage, dann hab ich mit meinem Kopf wirklich zu bürgen. Ja, mir war sowieso alles egal damals, aber ich bin schon mit einem mulmigen Gefühl weg. Und, um es wieder kurz zu machen, 14 Tage später habe ich von meiner Mutter nach Berlin ein Telegramm erhalten: "Vater zu Hause." Es hat genützt. Nach Kriegsende im Mai 1945 bin ich sofort aus dem Lager, ich war kurz bei den Amerikanern festgehalten, entlassen worden und bin ins Landeskrankenhaus Salzburg. Angestellt sofort mit Gehalt und sollte dort, also ich war schon grad fast ein Jahr fertiger Arzt, also sehr unerfahren noch, aber immerhin ... Ich wollte halt jetzt was lernen und wollte schauen mich weiterzubilden und hab aber schon sehr bald gemerkt, da wird nichts mit der Weiterbildung. Das ist mir wirklich zu flach, die Angelegenheit. Ich will nach Wien, ich will an die Universität. Als ich denn endgültig nach Wien an die Uni kommen wollte, hatte ich ja schon im September eine Identitätskarte, mit der es mir möglich war, bei den Kontrollen in Enns bei der Überfahrt und vor Wien eben die Erlaubnis vorweisen zu können, dass ich in die Stadt Wien hineindarf. Ich habe dann im neunten Bezirk gewohnt, ein amerikanischer Bezirk. Das war für mich ein Glück, weil das war noch das Beste, was man in Wien erreichen konnte. Das war noch dazu ganz neben dem Allgemeinem Krankenhaus, und so begann ich, dort war ich in Untermiete, so begann ich in der Klinik meine Tätigkeit als unbezahlter Gastarzt. Als solcher blieb ich übrigens dreieinviertel Jahre ohne Bezahlung, musste alle Dienste machen, alle Samstag-, Sonntag-, Nachtdienste, täglich von sieben Uhr früh bis 19 Uhr und hab nie einen Schilling bekommen. Wenn die Schwestern uns Gastärzten damals nicht aus der Küche ... Wenn die Patienten nicht alles gegessen haben, haben sie kleinere Portionen ... Haben wir davon gegessen. Nicht einmal versorgt hat man uns damals. An sich eine völlig unsoziale Geschichte. Sie war dann etwas besser, '47, '48 war schon ... Aber am Anfang war es, also '45, '46, war es ganz tragisch, nicht? Die Klinik Jagic war für mich in zweifacher Hinsicht sehr wichtig. Erstens war er ein sehr berühmter Arzt, schon sehr alt ... Also für mich heute ein halber Jüngling, er war, glaub ich, 70 oder so. Oder 71. Aber als solcher in Europa ist er ein angesehener Internist gewesen. Man hat bei ihm noch das gelernt, was heute gar nicht mehr gelehrt wird, nämlich die physikalische Krankenuntersuchung. Das heißt, diese Methode, die mit Händen, mit Augen und mit Ohren am Patienten vorgenommen werden kann und damit eine Diagnose in vielen Fällen zumindest sehr wahrscheinlich gemacht werden kann. Er hat als Meister gegolten, der Jagic, für die physikalische Untersuchung. Das Zweite, was für mich ein Glück war, dieser Mann hat selbst in St. Petersburg, er kam von dort, Geige studiert. Und zwar in einem Grad, dass er konzertreif oder zumindest bei der Kammermusik absolut firm war. Dieses zweite Moment hat für mich viele Vorteile gebracht. Ich bin, aber da will ich nicht so genau eingehen darauf, durch Zufall schon sehr bald mit ihm in Kontakt gekommen, als er erfahren hat, dass ich im Klavierspiel ausgebildet bin, und habe vom Jahr 1946 an bis zum Jahr 1952 bei ihm zu Hause in der Schlösselgasse in seiner Wohnung gemeinsam mit Wiener Philharmonikern kammermusiziert. Denn das war bei ihm schon eine Regel: wöchentlich einmal eine Musik, entweder Kammermusik mit drei, vier, fünf Instrumenten oder auch nur Klaviersonaten mit Violine. Immer musste Violine dabei sein und jetzt hat er endlich einen Pianisten, dem er auch befehlen kann, und das hat er getan. Damals war der Befehl eines Ordinarius so wie beim Militär, wenn der Major sagt, das muss gemacht werden. Ich musste sieben Jahre jeden Dienstag um 19 Uhr in seiner Wohnung antreten zum Kammermusizieren. Aber ich habe den Vorteil gehabt, dass ich damals schon, im Jahr '46, zum Beispiel Leute wie den Willi Boskovsky, mit dem ich später so befreundet war dann, und ich will jetzt nicht die alten Philharmoniker von damals ... Die leben ja meistens gar nicht mehr. Aber jedenfalls hab ich die wirkliche Stammmannschaft damals vom philharmonischen Orchester dort kennengelernt. Wenn ich ein Beispiel nennen kann, der Boskovsky hat im Sommer '46, da haben wir ein paarmal miteinander musiziert bei Jagic, hat er gefragt: "Ja, was machen Sie denn eigentlich? Sie sind ..." Sag ich: "Ja, ich hab kein Klavier, was soll ich machen?" "Mieten Sie doch ein Pianino!" Da hat er mir eine Adresse gegeben, wo ich billig eines gemietet hab. Und er sagt: "Ich komm zu Ihnen, so oft ich kann, und dann musizieren wir miteinander in ihrem Untermieterzimmer." Man muss sich das vorstellen: Der erste Konzertgeiger der Wiener Philharmoniker geht mit einem Hilfsarzt, der erst in Ausbildung ist, geht der zu Hause musizieren. Da merkt man auch, dass viele der Philharmoniker damals einen echten Idealismus auch gehabt haben, für die Musik gelebt haben. Also, das war für mich ein doppelter Gewinn bei Jagic. Das hat mir später in meinem Leben, wenn Sie meine Erinnerungen näher kennen würden, so viel geholfen, wie kaum irgendeinem anderen meiner Kollegen. Bei mir sind Dinge passiert, da sagen sie: "Wieso ist das möglich? Was, im Kreml hast du musiziert?" "Was in Tirana warst du? Ja, wieso warst du in Venezuela musizieren?" "In Washington hat dich der Bot- schafter eingeladen zum Musizieren?" "In Philadelphia warst du von Koprowski, dem Nobelpreisträger für Biochemie, warst du eingeladen von ihm vorm Auditorium zu sprechen über Musik und Medizin und so." Ja, sag ich da, das war durchs Musizieren. Das ist eine zweite Sache gewesen. Die Medizin, da war ich ja sehr viel mit Vorträgen unterwegs, aber die Musik war immer das Zweite. Im Laufe der Zeit war es dann so, dass meine Ausbildung an der Klinik insofern Fortschritte gemacht hat, als ich dort ja Gelegenheit hatte, nicht nur die Lehre und die Praxis und so kennenzulernen, sondern auch wissenschaftlich zu arbeiten. Nämlich dann, wenn man vorhatte, nicht nur den Facharzt zu machen, sondern womöglich Hochschulassistent zu werden, denn das war die Stufe für weiter oben. Wenn man Assistent war, hatte man die Möglichkeit, später auch Dozent zu werden, also Doktor mit Habil, und später eventuell auch die Professur zu erlangen. Sonst nie, wenn Sie wissenschaftlich damals nichts gearbeitet haben, ist das nicht gegangen. Ich war sehr eifrig, weil ich war einfach sehr interessiert daran, und habe im Jahr, wie ich 1952 im Jänner Assistent wurde und die erste Doppelstation leiten durfte an der Klinik, hab ich damals schon 40 oder so wissenschaftliche Publikationen vorzuweisen gehabt. Das ging auch dann so weiter, dass ich schon 1954 zum ersten Mal auch eingeladen war, in Paris auf einem Hepatologen- Kongress zu sprechen. Ich hatte also schon Einladungen ins Ausland, nach Deutschland, bei ein paar solchen Gelegenheiten. Und dann, ich will es kurz machen, kam es eben soweit, dass ich im Jahr 1956 mich habilitieren konnte. Damals war es auch so, dass ich zum ersten Mal in Amerika eingeladen wurde, am großen amerikanischen Kongress dort einen Vortrag zu halten. Das war damals schon für mich sehr interessant, auch sehr ehrenhaft, hat mir sehr gefallen, aber es war eigentlich nicht der Höhepunkt, den ich mir noch vorbehalten habe. Weil es ging dann eine Zeit, ich bin wirklich sehr viel ... Ich glaube, es gibt unter den großen deutschen Universitäten wenige, wo ich nicht Vorträge gehalten habe. Aber zwei der wichtigsten Dinge, bevor ich von der Klinik abtrat, da war ich schon Professor, ab '61, waren zwei Dinge vor meinem Abtritt: Das Eine war die Einladung vom Professor Kress von der Charité in Berlin, einen großen Vortrag zu halten. Das war ein großes Ereignis und hat mir sehr viel gegeben. Im selben Jahr hatte ich die überraschende Einladung, im Juni war das, von New York und zwar vom berühmten Professor Hans Popper. Der war Vorstand im Mount Sinai Hospital in New York und er galt als der sogenannte Weltpapst für Hepatologie. Er hat unter vielem anderen ein Standardbuch über Leber geschrieben, das fast tausend Seiten umfasst. Also ich will damit nur sagen, er ist einfach eine unglaubliche Kapazität damals gewesen. Und von diesem Hans Popper krieg ich einen Brief im Juni, ob ich bereit wäre nach Chicago zu kommen am 3. November, weil dort findet jedes Jahr ein Sonderkongress statt, zu dem sämtliche Hepatologen der Vereinigten Staaten hinkommen, da fehlt kaum irgendeiner, und wo immer der Festvortrag von einem ausländischem Kollegen gehalten wird. Er muss aber inhaltlich eben tatsächlich etwas ganz Neues bringen, weil das andere wissen die Hepatologen drüben dann sowieso. Er hat gewusst, dass ich in der Zwischenzeit ja schon seit Jahren auf einem Gebiet besonders bekannt geworden bin. Wir haben damals die erste Methode entwickelt, beim Menschen die Leberdurchblutung zu messen mit Lebervenenkatheter. und noch schlimmer oder noch revolutionärer hat es geklungen, als wir publiziert haben, dass man jetzt die Leberdurchblutung auch ganz unblutig, ohne einen Stich bewerkstelligen kann. Mit dem bin ich sehr viel eingeladen worden in Europa und so weiter. Und dieses Thema, also Leberdurchblutung, es hat geheißen: hepatoportale Durchblutung, also Pfortader- und Leberdurchblutung, das war ein Thema mit diesen Methoden, die man dort drüben zwar schon gelesen, aber eigentlich noch nicht richtig gekannt hat. Und ja, natürlich hab ich zugesagt, dass ich gerne hinüberkomm. Das war im November in Chicago. Das war für mich, glaube ich, der Höhepunkt in meiner Laufbahn. Weil nämlich vor so einem illustren Publikum oder Auditorium, sagt man hier besser, zu sprechen, vor lauter super Professoren, die alle selbst wissenschaftlich durch Bücher und Journale weltbekannt sind, vom Popper selber rede ich gar nicht, dass man dort den Festvortrag halten kann als Ausländer. Popper hat mir noch dazu gesagt, ich bin auf dem Kontinent Europa der Erste, der seit Kriegsende einen Festvortrag zu diesem Kongress bekommen hat. Ich sag jetzt Kontinent, weil vor mir war die Sheila Sherlock, eine berühmte Hepatologin aus London. Aber das war eben nicht der Kontinent. Er hat zu mir gesagt, also wir zwei waren jedenfalls die Einzigen, sonst waren es immer nur aus Japan oder irgendwo aus Australien usw. Also, es war eben ... Von allen Seiten hat man mir betont, dass ich ... Und so weiter. Dass ich halt hier wirklich eine Spitzenbedeutung für den Hepatologenkreis bekomme. Und es hat später dann auch bei Kon- gressen zum Beispiel in Vulpera ... Das war ein kleiner Ort in der Schweiz, aber, wie sagen wir, hochqualifiziert besetzt. Vielleicht nur 40, 50 Leute auch aus aller Welt in diesem kleinen Ort. Alle drei Jahre war das. Da hatte ich natürlich auch abwechselnd immer wieder mal, weil ich ja in Österreich war, eher mit der Schweiz Verbindung hatte, den Vorsitz geführt und habe einmal auch mir den Spaß erlaubt, bei einem solchen Treffen mit den Philharmonikern zu kommen. Und hab ein Forellen-Quintett dort gespielt zum Schluss. Also das war wieder so die ... Nach diesen Ereignissen habe ich dann das Elisabeth-Spital zur Leitung übertragen bekommen als Chef in Wien. Dort habe ich erlebt, wie, ich möchte fast sagen, zwei Generationen jetzt aufeinandertreffen. Der Vorgänger der Leitung vom Elisabeth-Spital war übrigens ein sehr berühmter Mann, Professor Klima, der ist in Pension gegangen zu einer Zeit, wo man die modernen Dinge noch viel weniger gekannt hat als zum Beispiel zehn Jahre später schon. Es war, wie ich gekommen bin, für mich erschütternd zunächst. Es war eine Riesenabteilung mit 240 Betten, mit einer Ambulanz, mit einem Raum, Warteraum hat es keinen gegeben, die Patienten haben auf der Stiege dort sitzen oder stehen müssen. Es waren an Behilfsmitteln ... Natürlich, ein Elektrokardiogramm war da und ein Röntgen war da, aber sonst nichts. Das war noch ein Spital 1964. Es war also eigentlich eine schöne Aufgabe, aus diesem Spital jetzt eine moderne klinische Abteilung zu machen. Ich habe mit Unterstützung von verschiedenen Freunden, die auch privat gesponsert haben, aber auch von der Gemeinde aus hab ich viel Verständnis gefunden für die Modernisierung. Als ich dann acht Jahre später gebeten wurde, das ganz neu erbaute Rudolf-Spital, die große erste medizinische Klinik, zu übernehmen, war das Elisabeth-Spital so schön ausgebaut, dass ich Wochen gebraucht habe, bis ich dieses Angebot positiv beantwortet habe. Ich bin ungern weggegangen, weil wir haben es, wie ich weggegangen bin, wirklich schön gehabt. Wir haben eine riesige Station gehabt für bestimmte Krankheiten, abgetrennt, nicht alles so durcheinander. Wir haben eine geriatrische Station gemacht, wir waren für die Nierenwäsche schon eingerichtet gewesen, wir haben Laparoskopie, Bauchspiegelungen und alles gemacht. Wir haben eine kardiologische Ambulanz gehabt. Und der Gipfelpunkt war natürlich dann für viel teures Geld, ich glaube es hat zwei oder drei Millionen Schilling gekostet, haben wir eine ganz moderne nuklear- medizinische Station errichtet, wo wir Gammazähler schon gehabt haben. Also einfach ganz modern eingerichtet. Das hat auch dazu geführt, dass im Elisabeth-Spital damals die sogenannten prominenten Patienten, die früher nie da hinaus in den 15. Bezirk sind, plötzlich bei uns sehr viele, ja, wie soll ich sagen, sehr bekannte Leute gekommen. Das hat auch nach außen irgendwie, ich weiß es nicht warum, aber es hat gewirkt, sodass auch nicht nur von Wien, auch von außen, auch vom Ausland, die Leute sich dorthin gelegt haben und nicht in die Privatklinik. Ich muss vielleicht ein bisschen zurückgreifen, um ein paar Schlaglichter noch anzubringen. Es war schon in den 50er Jahren ... Als ich noch an der Klinik Dozent war, war es so, dass ich schon zu einigen recht bekannten Patienten gerufen wurde. Einer davon, mein erster prominenter Patient, war der Hans Albers. Der ist im Hotel Imperial damals, die Diagnose will ich nicht sagen, jedenfalls sehr schwer krank gelegen. Ich bin gerufen worden, er musste sofort in die Klinik gebracht werden, war dann bei uns fast vier oder fünf Wochen und ist dann zurückgeflogen in sein Haus am Starnberger See. Ich bin dann zu ihm einmal im Monat mit Flugzeug am Sonntag hingeflogen, ich war ja an der Klinik angestellt, konnte ich nur am Sonntag machen. Sonntagfrüh hin, am Sonntagabend zurück. Vom Flugplatz bin ich von seinem Cadillac-Chauffeur abgeholt worden, und so war ich mit dem Albers eigentlich wirklich dann befreundet. Er war furchtbar nett auch zu meiner Familie, zu meinem kleinen Sohn. Also das war der erste prominente Patient und das hat kolossale Reklame gemacht. Solche Sachen, das ist halt so, machen Reklame. Da haben sich dann also, ich will jetzt nicht alle aufzählen, aber haben sich halt immer mehr und mehr Leute gefunden, die gerufen haben. Und so entwickelte sich halt das, durch die Fortschritte, die wir gemeinsam mit meinen Mitarbeitern im Elisabeth- und später dann im Rudolfspital gewonnen haben. Dieses Rudolfspital war natürlich schon noch ganz anders, weil das war damals das modernste Spital Wiens und war gewissermaßen ein Probegalopp für das große AKH. Da wollte man verschiedene Dinge ausprobieren, wie ist das bei Hochhäusern und so weiter. Wir haben damals wirklich alles bekommen, was man braucht. Es war wirklich ganz modern. Aber, als ich dann hinüber bin, man musste mich wirklich überreden, weil ich so zufrieden war drüben im Elisabeth-Spital, bin ich zuerst durchs Haus gegangen, es war noch gar nicht belegt damals, aber es war völlig fertig. Der Direktor hat mich durchgeführt und hat mir die Abteilung gezeigt, die war sehr groß, ich hab die weitaus größte Abteilung dort gehabt. Wie ich durchgegangen bin, sag ich: "Das ist alles wirklich sehr schön, aber wo ist denn da die nuklearmedizinische Abteilung?" Hat er gesagt: "Wieso nuklear? Der Röntgenologe hat den Scanner unten." "Das ist aus dem Jahr '50, was Sie da mir erzählen, das gibt es nicht. Wir müssen was tun, sonst komme ich nicht, weil ich habe dort eine wunderbare Station mir eingerichtet, also ohne dem geht es nicht.“ So hab ich unter großem Druck in Eile noch einen halben Stock dazugekriegt, wo ich eine Nuklearmedizin nach letztem Stand einrichten konnte. So waren wir wirklich dort eine Klinik, wo man, wenn man aus dem Ausland gekommen ist, auch optisch schon den Eindruck gehabt hat, das ist aber etwas Modernes. Da sind jetzt dann, Sie wissen ja das, alle möglichen gekommen. Der Kreisky war dann auch mein Patient. Für viereinhalb Jahre war ich sein "Leibarzt", wie es in den Zeitungen immer geheißen hat. Und ... Ich will jetzt nicht die Leute alle aufzählen, aber es sind wirklich sehr viele, ganz prominente Leute gekommen. Vor allem aus den arabischen Ländern. Zum Beispiel von Katar der Sultan, Al-Thani heißt er. Seine Familie, er hat viele Töchter gehabt, hübsche Prinzessinnen übrigens, die alle zu mir geschickt wurden. Wenn irgendetwas war, war ich der Arzt für die Al-Thani-Familie, die ja sehr groß war. Diese Herrscherfamilien haben bis 100, 150 Angehörige. Das war natürlich fürs Spital ein großer Gewinn, weil die haben ja alle gut gezahlt. Nicht mich, weil ich musste ja alles über die Verrechnung machen, aber das Spital hat viel profitiert dabei. Na gut, so war es halt. Dann ist es ja schon gelaufen. Ich könnte jetzt lustige, interessante Einzelheiten erzählen, aber, ich glaube, das würde zu weit führen. Als ich dann nach dreijähriger Verlängerung endlich doch meinen Abschied nehmen musste als Klinikchef, das war 1988, habe ich mich ja darauf vorbereitet: Was tue ich jetzt im sogenannten Ruhestand? Wegen meiner Person habe ich mir da keine Sorgen gemacht, weil ich habe zwei Dinge vorgehabt. Nummer eins: Ich habe ja mein Leben lang immer parallel, auch während meiner ganzen klinischen Zeit, immer musiziert. Allein am Flügel oder, noch lieber, Kammermusik. Das setze ich fort. Ich habe jetzt sogar mehr Zeit. Das befriedigt mich und füllt mich ganz aus. Aber es ist nicht etwas, was ganz ausfüllt. Wenn Sie immer geistig tätig waren, und zwar auch so ... Ich habe ja doch bis zum Schluss immer noch wissenschaftliche Arbeiten publiziert, dann ist das kein ganz vollständiger Ersatz. Da habe ich mir gedacht, da muss man etwas beginnen, man muss Bücher schreiben. Aber nicht medizinische Bücher, aber Bücher aus der Sicht des Arztes. Meine Reihe heißt ja zum Beispiel: "Diktatoren im Spiegel der Medizin". "Napoleon, Hitler, Stalin" war zum Beispiel eines der ersten Bücher. Oder "Musik und Medizin", das sind diese vier Bände, die in Folge auch in Amerika, in Japan übersetzt worden sind. Auch in Russland sind sie jetzt in Vorbereitung. Also, mit einem Wort, das sind Dinge, die interessieren. Aber nicht in dem Sinne, dass der Arzt jetzt recht gescheit Krankheiten beschreibt, die diese Komponisten, Dichter, Philosophen, Maler oder Politiker, die ich da in verschiedenen Büchern behandelt hab ... Ich hab ja 17 Bände, glaub ich, bis jetzt geschrieben. Was den Laien interessiert ist bei solchen großen bedeutenden Menschen: Wie kann es sein, dass aus einem unschuldigen ... Da können's den Hitler hernehmen, durch alle Bücher geht immer sein Bild als Baby, wie er abgebildet ist, ich glaub, mit neun Monaten, pausbäckig, ein unschuldiges Baby. Wie kann ein so unschuldiges Wesen im Laufe der Jahre zu einem Unhold, Unhold ist jetzt milde ausgedrückt, zu einem schrecklichen Mensch werden, der in der Weltgeschichte als einer der Fürchterlichsten beschrieben sein wird für alle Zeit. Wie kommt das dazu? Ende 1987 bin ich dann eingeladen worden, mit Leuten vom Fernsehen am Küniglberg zu sprechen, ob ich eine Sendung führen könnte über ein medizinisches Thema, das für die Laien interessant, aber nicht zu fachspezifisch verlaufen soll. Da haben wir den Titel "Diagnose" gewählt. Ich wollte nicht eine akademische Vorlesung als Einzelmann sprechen, der alles weiß, der alles kann. Ich wollte es so machen, dass ich als Moderator, der die Themen anschneidet und die Zwischenthemen auch vorbringt, mit einigen Spezialisten auf den Gebieten, die in dieser Sendung eben gerade behandelt werden, durchführen. Das ist, glaube ich, ganz gut gelungen. Ich kann das diesbezüglich nur in einem Satz sagen. Ich kenne außer Hamburg keine Stadt, in der ich so mit offenen Armen aufgenommen wurde, als Alpenländler, als Salzburger, wie in Wien. Wenn man bedenkt - ich kenne das als Salzburger - wenn man bedenkt, wie schwer es einem Wiener fällt, der beruflich in Salzburg oder gar in Innsbruck tätig sein muss. Wie lange das dauert, bis er überhaupt akzeptiert wird. Wo die Gattin, in einem Fall ... Schon acht Jahre war ihr Mann als Arzt dort tätig, in der gleichen Trafik immer ihre Zigaretten geholt hat und weil sie einmal das Geld zu Hause liegen lassen hat von der Trafikantin wieder nach Hause geschickt wurde und ihr nicht einmal diese Zigaretten ausgehändigt wurden. Wenn man solche Dinge kennt, dann ist es umso verwunderlicher und erfreulicher, dass, wenn ein Alpenländler, oder wahrscheinlich überhaupt, wenn ein Ausländer in Wien sein Zelt aufschlagen will, dass er hier, also ich hab jedenfalls diese Erfahrung gemacht, einer unglaublich entgegenkommenden Art begegnet. Das war von Anfang an für mich eine wirklich freudige Überraschung. Ich habe das aber schon ein bisschen geahnt, weil ich in Wien schon zweimal famuliert hab während des Studiums. Da habe ich ja die Wiener Art und alles schon gekannt. Trotz alledem bin ich in Wien in jeder Hinsicht, nicht nur jetzt in der Klinik oder beim Musizieren oder ich weiß nicht ... Alles, in Gesellschaft und so, man wird in Wien relativ schnell und auf angenehme Weise integriert. Auch wenn man selber ein bisschen mittut, natürlich.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Anton Neumayr (Internist)

Wir und Wien - Erinnerungen Anton Neumayr wurde im Dezember 1920 in Hallein geboren und lernte schon mit vier Jahren Klavier spielen. Dank seiner großen Begabung absolvierte er im Alter von 18 Jahren die Meisterklasse am Mozarteum zugleich mit der Matura. Aufgrund der politischen Umstände war es ihm 1938 nicht möglich, die Musikerlaufbahn weiter zu verfolgen, und so studierte er Medizin. 1945 begann Neumayr als Arzt an der 2. Medizinischen Universitätsklinik zu arbeiten, wo er als Dozent und Professor bis 1964 tätig war. Bereits in den 50er Jahren war er Gründungsmitglied der Leberforschungsgesellschaft EASL. 1963 hielt er, einer Einladung von Hans Popper folgend, als erster Europäer in Chicago die SEARL Lecture ab.

Länge: 55 Min. 23 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
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Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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