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Ja, mein Name ist Walter Nettig, geboren 1935 in Wien. Die ersten Jahre noch im Krieg. Ähm. Kaum an eine funktionierende Schulausbildung ... Dann, auf Drängen meiner Mutter, das hab ich überhaupt nicht gern gehabt, war sie dafür,dass ich zu den Sängerknaben komme. Wir haben uns dort beworben. Zuerst hab ich es als Pech empfunden,dass ich aufgenommen worden bin. Das erste Jahr war nicht lustig,weil wir ja im Vollinternat waren. Erst viel später hab ich begriffen,was das für eine Chance war. Nach dem letzten Kriegsjahr noch drei weitere Jahre  bei den Wiener Sängerknaben. Mit Auslandsaktivitäten,mit Reisen durch ganz Europa. Zwei Tage vor der ersten Amerikareise  hatte ich Stimmbruch. Und ich wurde von einem Tag auf den anderen, ich würde sagen,salopp gesagt, "aussortiert". Das war eine schmerzliche ... .. äh ... .. Sache. Denn ich hab mich sehr gefreut. Und damals war ja eine Reise nach Amerika  wie heute eine Reise zum Mond. Also, das war die herbste Enttäuschung meines jungen Lebens. Dann hab ich ... Dann bin ich weitergegangen in die Mittelschule, bzw. ins Gymnasium in der Albertgasse. Habe mir nachher einen Beruf gesucht, es war ein Zufall, dass ich in die Fotobranche gekommen bin. Weil es gab nicht sehr viele Lehrstellen. Es gab z.B. eine ... Das war ein Betrieb,der nannte sich Sortierbetrieb. Kein Mensch weiß,was ein Sortierbetrieb ist, nicht? Ich hab's auch nicht gewusst, aber nachdem die sehr freundlich geschrieben haben, bin ich hingegangen. Das war ein Altwarenbetrieb, wo alte Fetzen, Flaschen usw.sortiert wurden, das hat mich doch nicht so interessiert. Und das zweite verfügbare Angebot  war von einer Fotofirma. Das war das erste Leica-Haus in Mitteleuropa, eigentlich. Und es haben sich 45 junge Damen und Herren angestellt, um dort aufgenommen zu werden. Und ich war halt vom Glück begünstigt. Ich wurde aufgenommen. Und von diesem Moment an  war ich der Fotografie und auch dem kaufmännischen Beruf verfallen. Ich habe dann aber beschlossen, ich muss unbedingt ins Ausland. Diese verpatzte Chance,nach Amerika zu fahren, hat mich nicht losgelassen. Und ich habe mich dann beworben, habe aber keine Einreisepapiere bekommen -  wegen der damals sehr strengen Regelungen  bezüglich Visum,Arbeitsgenehmigung etc. Daher bin ich in ein englischsprachiges Land gegangen, nämlich Australien. Ich war dort einige Jahre. Das war für mich ebenfalls eines der schönsten Erlebnisse, eines der schönsten Jahre überhaupt in meinem jungen Leben. Mein Chef war Wiener Jude,musste auswandern im Jahr '38. Er hat von der Fotografie keine Ahnung gehabt, ist aber dort, ich würde sagen,sehr erfolgreich geworden. War zu mir wie ein Vater, und hatte auch Pläne mit mir,dass ich bleibe, und dann eine, wie soll man sagen, sehr tragende Stütze für das Unternehmen sein sollte. Na, und dann kamen nach ein paar Jahren - ganz überraschend -  die Papiere von Amerika. Von den Vereinigten Staaten. Ich konnte eine Woche nicht schlafen, hab mich gefragt:  Was mach ich jetzt? Hab mich aber doch entschlossen,diese Möglichkeit anzunehmen. Ich bin dann in die USA ausgewandert. Und hatte ebenfalls schon eine ... .. Stelle in New York,die auf mich wartete. Es wurde bekannt, dass ich besonders im Bereich Film und Filmtechnik  eine gute Ausbildung hatte. Und, ja ... Die Firma kann ich ja nennen,die gibt's ja heute noch, Arnold & Richter, also ARRI,ist in München beheimatet. Und ich hatte auch dort eine Spezialausbildung. Und so ging ich nicht nach New York,sondern ich blieb in Kalifornien. Zuerst, um die Zeit bis zum Antritt meiner Tätigkeit zu überbrücken, und vor allem,um von ein paar Dollars zu leben, hab ich gearbeitet in einer Hamburger Hall. Das waren die Vorläufer von McDonald's. Und dort hab ich halt ... Nicht nur Teller gewaschen, das ist heute ein bereits strapazierter Begriff. Aber ich hab die Hamburger herausbraten müssen, und die Pommes frites machen, usw. Ja, also ich hab in diesen drei Monaten, wo ich dort gearbeitet hab,sicherlich zehn Kilo zugenommen. Von den Hamburgern und vor allem auch von Orange Juice. Ich hab das literweise getrunken. Und dann hab ich den Job angetreten,in Hollywood. Bei der Firma Birns & Sawyer. Ebenfalls ein sehr renommiertes Unternehmen. Wir waren Lieferanten für die Filmindustrie, vor allem. Dann für die damals schon aufkeimende Fotoindustrie. Und ich wurde auserkoren, die sogenannte Leihabteilung zu führen. Das heißt:  Wenn junge, talentierte Filmer,Regisseure, also alle Fachleute,die damit zu tun haben, eine Serie produzieren wollten oder einen Spielfilm, hatten sie ja nicht das Geld für die Ausrüstung. Dafür stand unsere Leihabteilung zur Verfügung. Und dort konnten sie sich die Geräte, die Sie auch heute mithaben, auch damals schon auf einem technisch sehr hohen Standard, ausleihen. Und ... .. das war mein erster Kontakt  mit später sehr berühmten Regisseuren. Sehr berühmten Kameraleuten vor allem. Und diese Tätigkeit hat mich fasziniert. Dann hab ich auch ... Mein Chef war ebenfalls Jude, er hat Jack Birns geheißen, in Wirklichkeit Birnstein,und war auch wie ein Vater zu mir. Er war ein ganz toller Mann. Er hat bemerkt,dass ich Hollywood-crazy war, d.h., alles was mit der Filmbranche zu tun hatte, hab ich aufgesogen. Und der hat gesagt:  "Ich war bei so vielen Premieren, möchtest du ab und zu in eine Premiere gehen?"  Sag ich: "Ja, na selbstverständlich!"  Er hat mir seine Einladungen gegeben, das war toll. Ich bin ganz vorne gesessen, hab die Stars aus der Nähe betrachten dürfen. Für mich als jungen Menschen etwas ganz Besonderes. Aber das Problem war, er sagte, ich muss mir einen Smoking anschaffen, "black tie" im Amerikanischen. Sag ich: "Da muss ich warten,bis ich mein erstes Gehalt krieg."  Sagt er: "Aber nein,ums Eck ist eine Putzerei, da hängen sehr viele Sachen,die nicht abgeholt werden."  Und so hab ich einen gebrauchten Smoking gekauft, um 20 Dollar. Und am nächsten Abend bin ich schon in die erste Premiere gegangen. War wunderbar, eine tolle Sache! Ich hab eine ganz kleine Wohnung gehabt, ein altes Auto. Und ein Leben wie ein junger Hund. Also keine Sorgen ... Ich würde sagen ... Ich denke oft an diese Zeiten zurück. Und ja, da war ich einige Jahre, meine Zukunft war vorgezeichnet. Ich hab auch Angebote von anderen Firmen gehabt, ich bin da aber eher ein treuer Mensch. Und mir hat die Firma Birns & Sawyer viel Glück gebracht. Und mich auch viel gelehrt. Und ich war dann auch für die Film ... .. äh ... .. für die Flugindustrie zuständig. Denn wir waren ... Die Firma Arnold & Richter hat natürlich ... Die war weltführend in den Innovationen bei Kameras. Und hat auch die erste Handheld-Kamera erfunden. Ohne diese Handheld-Kamera  hätte man z.B. den Film "Die Brücke am Kwai"  in dieser Qualität gar nicht filmen können. So, das war also ein faszinierendes Gebiet, und ich war ... Es sind die Wochen, die Monate,die Jahre verflogen. Dann kam ein Anruf aus Wien, ich hatte ja auch Kontakt mit meiner Familie, meine Mutter ist schwer erkrankt. Ich hab gesagt, ich war auch schon lang nicht in Österreich, und meine Mutter muss ich unbedingt sehen. Ich bin also nach Österreich gekommen, und wollte so drei bis vier Wochen,so hab ich das eingeplant, dort bleiben, und dann wieder zurück. Aus diesen vier Wochen sind dann viele Jahre geworden. Ich hab dann meine damalige Frau kennengelernt  und hab mich verliebt,und bin dortgeblieben. Das Thema, ich würd gar nicht sagen,das Problem, aber das Thema war, dass sie auch aus einem Betrieb stammte, ihre Eltern hatten ebenso einen fotografischen Betrieb. Das war eine Fügung. Und ihre Eltern wollten unbedingt,dass ich zu ihr in die Firma komme. Und das war eine der richtigen Entscheidungen, dass ich das nicht gemacht habe. Ja, dann hätt's geheißen, was immer ich erreicht hätte,oder geleistet hätte, na ja, das ist immerhin der Schwiegersohn vom Herrn Sowieso. Daher hab ich gesagt,wenn ich schon da bleib, mach ich mich selbstständig. Nur das Bargeld hat gefehlt,und das war damals im Jahr '58 so, dass, zum Unterschied von heute, es eine Regelung gab - beim Bundeswohnrecht -, dass es ein sogenanntes Key Money gibt. Bei guten Standorten mussten Sie einen Betrag hinlegen, dann haben Sie faktisch jeden Standort bekommen. Das hab ich mir nicht leisten können, in Wien waren die Preise derartig hoch. Jetzt bin ich nach Niederösterreich ausgewichen, nach Traiskirchen. Dort hab ich eine alte Wachstube gemietet, und hab mir ein Studio eingerichtet. Bin täglich hin und her gefahren. Also die Triester Straße. Weil die Überlegung war,in Traiskirchen ist die Semperit, da sind 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Darüber hinaus Weingegend, Weinbauern. Also eine relativ reiche Gemeinde,ja? Und es wurde damals installiert, das, sagen wir, Flüchtlingsheim. Und da hab ich mich gleich beworben, beim Innenministerium, für die Aufnahmen,die die Flüchtlinge gebraucht haben  für ihre weiteren Papiere etc. Und das war ein guter Griff. Da hab ich am Nachmittag im Gefängnis die Bilder gemacht, in der Nacht hab ich die Filme entwickelt, kopiert. Und am nächsten Nachmittag in der Herrengasse abgeliefert, und mein Geld kassiert. Und das war eine Cashcow, nicht? Und ... Auf die Idee bin ich heute noch stolz! Das hab ich dann einige Jahre gemacht. Nur, ich hab gewusst, ich werd nicht in Traiskirchen bleiben. So gut und wichtig es war,aber ich wollte unbedingt nach Wien. Und hier ein Geschäft eröffnen. Das hab ich dann gemacht. Ich hab meine Betriebe in Traiskirchen verkauft. Mein erstes Geschäft war in der Wallensteinstraße. Das gibt's heute noch,heute ist das ein Blumengeschäft. Vor mir war's ein Gemüsegeschäft. Ich hab das entsprechend umgebaut und Jahre danach, da waren wir schon vier oder fünf Jahre ein Spezialgeschäft, auch optisch erkennbar, sind noch ältere Damen gekommen und sagten:  "Ich find keine Erdäpfel,wo sind die?"  Und das war ein Zeichen,dass es halt auch Kunden gibt, die, ich würd sagen,von der Gewohnheit abhängig sind. War aber auch sehr nett. Ja, und dann hab ich immer wieder ... Zwischendurch war ich bei Messen in Amerika, und hab immer wieder gute Ideen mitgebracht. Eine Idee war z.B. die Einführung der Sofort-Passbilder mit Polaroid. Da hatte ich,das ist vielleicht auch ganz nett, eine Auseinandersetzung mit der Fotografen-Innung. Ich hab ihnen angeboten ... Ich hab zwar eine Ausbildung als Fotograf, aber keine Meisterprüfung gehabt. Und zu dem Zeitpunkt war ich nicht bereit, mich noch mal drei Jahre in irgendein Seminar zu setzen, um dort meine Zeit zu vergeuden. Denn das war ja für die automatischen Passbilder nicht notwendig. Also, ich hab ihnen Konzessionen gemacht, hab gesagt,ich zahle die volle Umlagengebühr. Lehrlingsausbildung! Obwohl der Lehrling bei mir mehr lernt als irgendwo anders, hab ich gesagt, okay,mit der Polaroidkamera, mit dem Ausschluss der Ausbildung von Lehrlingen. Also, ich bin ihnen entgegengekommen. Trotzdem haben sie gesagt,ich darf das nicht machen. Ich hab's natürlich trotzdem gemacht! Den dann stattfindenden Prozess hab ich gewonnen. So bin ich dann zur Kammer gekommen. Und ältere Semester erinnern sich heut noch, es hat noch nie einen Präsidenten gegeben, also der das höchste Amt in der Kammer erreicht hat, der einmal mit seiner Organisation in einem Prozessstreit gestanden ist. War aber gut, weil ich auch die Schwächen gesehen hab. Auch bei den Funktionären, bei uns. Aber auch bei Mitarbeitern in der Wirtschaftskammer. Es hat sich dann ergeben,dass ich zuerst Handelsobmann war, dann später Präsident. Hab ich nie damit gerechnet,ehrlich gestanden! Ich hab mich auch nie für solche Ämter beworben. Will nicht sagen,es ist mir in den Schoß gefallen, aber vielleicht grad ... Wie hab ich mich bezeichnet?Als konstruktiv kritischer Geist. Ich war nicht nur in der Lage,zu kritisieren, sondern hab Vorschläge gehabt. Das war der Anfang der zusätzlichen Arbeit. Dann die Tätigkeit in meiner Firma, die dann langsam auch gewachsen ist. Jetzt mach ich einen großen Sprung bis in die 70er Jahre. Dann hab ich gehabt: 27 Filialen. Ja? Das war damals enorm. Also das war ein Quantensprung. Ich war dann unter den Großen, das waren meine Kollegen Niedermeyer,Hartlauer, etc. Die natürlich in den Bundesländern wesentlich stärker waren, und heute noch 160,150 Filialen haben. Das wollt ich aber nicht,weil meine Weltanschauung ist, ich will mit einem Fuß immer am Boden bleiben. Ich wollte mich nie übernehmen. Das war auch gescheit so. Denn ich habe auch schon damals,durch meine Besuche im Ausland, durch das Studium ausländischer Fachzeitschriften erkannt, dass die Fotografie nicht stehenbleibt. Die digitale Fotografie war,ich würde sagen, vor der Einführung. Und viele sogenannte Fachleute haben gesagt:  "Nein,das wird sich nie durchsetzen."  Das Gleiche mit Schmalfilm. Die haben gesagt:  "Nein, Video hat keine Chance."  Ich hab mir gedacht, ich weiß nicht,man soll nie jemanden unterschätzen. Keinen Sportler, keinen ... Wie soll ich sagen?Keinen Konkurrenten. Vor allem keinen,der in der Branche tätig ist. Und so hab ich mich dann entschlossen, zu überlegen, ob ich unter Umständen nicht durch die Fülle der Arbeit, es kam ja dann die Politik dazu,ob ich mich nicht übernehme. Und eine Zeit lang war's so, dass ich einen 18-Stunden-Tag gehabt hab, und das hätte mich sicher umgebracht. Dann kam noch dazu, dass eine Tochter,die bei mir gearbeitet hat, und sehr engagiert und tüchtig war, mir aber abhanden kam durch meinen besten Freund, der sie geheiratet und nach Amerika mitgenommen hat. So, jetzt stand ich da. Ich hab dann lange überlegt,und hab gesagt:  "Nein,ich muss mich auf was konzentrieren."  Und hab dann mit Schweizer Freunden ein sehr gutes Angebot bekommen, und hab das Unternehmen verkauft. Es ist nur lustig,ich hab das vorher schon gesagt. Wie meine Mutter verstorben ist,wurde ich eingeladen, von einem Anwalt, der wissen wollte,wie mein Erbe ausschaut. Das hab ich mitgehabt,in einem kleinen Schachterl. Drinnen war der Ehering meiner Mutter, und noch ein anderes Ringerl. "Also das ist mein Erbe", sag ich. "Das gibt's nicht, die Eltern haben doch die Firma gegründet?"  Sag ich: "Nein, das war ich."  "Ja, aber wer hat dann das bezahlt?"  Ja, also die Kosten ... Sie war in einem Seniorenwohnheim. Äh, in Döbling. Da hab ich sie müssen mit Gewalt hinbringen, weil sie gesagt hat, es ist zu teuer. Sie hat sich genau erkundigt,was das kostet. Aber sie war dort dann glücklich,wenigstens die letzten Jahre. Und ... .. ich hab dann letztlich natürlich auch ihre ganzen Kosten bezahlt usw. Und da war eine nette Episode, dass mich ein Journalist angerufen hat, da war ich schon in den Fängen der Politik. Und er sagt:  "Sie sind ja jetzt schon bekannter, aber sagen Sie,finden Sie das richtig?"  "Ich hab Unterlagen über Sie, dass Sie eine Doppel-Parteimitgliedschaft haben."  Sag ich: "Bitte?"  Sagt er: "Ja! Sie zahlen den Beitrag, den vollen Beitrag bei der SPÖ Wien für eine Frau Maria Nettig."  "Ja, das ist meine Mutter", sag ich. "Und nachdem ich alles bezahle,auch die Miete, hab ich das auch übernommen."  Jetzt war der insofern traurig,weil er geglaubt hat, er hat eine gute Geschichte.Aber es war leicht zu erklären. Hintergrund ist auch,das darf ich vielleicht erwähnen, ich entstamme einem ursozialistischen Elternhaus. Mein Vater war von Beruf Kfz-Mechaniker, war Sozialdemokrat der ersten Stunde,meine Mutter auch. Und meine Großmutter, vor allem. Die Großmutter war einerseits Kirchengängerin, jeden Sonntag in die Kirche. Aber gleich danach hat sie sich ihre Arbeiterzeitung geholt, und hat mir vorgelesen,was es bei der SPÖ Neues gibt. Das war köstlich! Sie stammte aus der Steiermark,war dann 30 Jahre in Wien, meine Eltern haben sich um sie gekümmert  Sie hat nach 30 Jahren immer noch "stoasteirisch" geredet. Sie hat sich an den Wiener Dialekt nicht gewöhnen können. Das Verhältnis zu den Eltern war ein sehr gutes, aber ein sehr kurzes. Ich hab meine Mutter nicht sehr lang gehabt, nachdem ich ins Internat gekommen bin. Dann war ich im Ausland. Mein Vater war in der Zwischenzeit im Krieg, dann fünf Jahre in sibirischer Kriegsgefangenschaft. Und wie er nach Hause gekommen ist, haben wir uns hauptsächlich nur am Sonntag gesehen, wenn meine Mutter gekocht hat. Das war ein Fest! Meine Mutter war eine glänzende Köchin. Was sie nur nicht gemacht hat, sie hat nie eine Waage benützt oder irgendwas, das war alles aus dem Gefühl. Das haben die damaligen Frauen so ... intus gehabt. Ich hab dann geglaubt,ich mach ihr eine Freud, und hab ihr zu Weihnachten eine Küchenwaage gekauft. Die hat sie nie benützt. Sie hat nur ein Deckerl drübergelegt,damit sie nicht schmutzig wird. Daran erinner ich mich gern. Oder wenn ich sie im Seniorenwohnheim besucht hab:  "Burschi, ich mach mir solche Sorgen um dich, du arbeitest zu viel."  "Nein, Mama, mach dir keine Sorgen,ich bin gut beieinander."  Und ich geh raus, sag,ich komm in einer Woche wieder. Sagt sie: "Du, noch was!"  "Jetzt warst aber schon lang nicht mehr im Fernsehen, gell?"  Also das hat sie sehr genau beobachtet! Und hat mir zu verstehen gegeben, ich kann mich wieder mal wichtig machen. Ein ganz wichtiger Punkt in meiner Kindheit  war natürlich die Aufnahme bei den Wiener Sängerknaben. Damals war die Zeit nicht nur wirtschaftlich schlecht, sondern vor allem auch von der Stimmung her. Man hat das als Kind mitbekommen. Ich hab das noch in Erinnerung,es war alles grau in grau. Und es war dann trotz allem eine Chance, mit jungen Menschen, also mit Kindern noch,zusammen zu sein. Uns hat es nicht gestört, dass wir mit offenen Lastwägen zu Konzerten gefahren sind. Da gab's keinen Luxus in dem Sinn. Und auch die Tatsache, dass wir ... Es waren ja sowohl das Augartenpalais als auch Schönbrunn, wo wir gewohnt haben, ausgebombt. Das war ausgebombt, also hatten wir quasi ein Notquartier in der Wiener Hofburg. Damals waren die vier Besatzungsmächte im ersten Bezirk. Und bei uns in der Hofburg war die russische Besatzungsmacht. Die Russen waren zu uns sehr nett und freundlich. Man musste nur aufpassen,ab einer gewissen Abendzeit, wenn mehr getrunken wurde. Dann haben wir sowieso Ausgehverbot gehabt. Aber ansonsten waren sie wirklich nett  und waren auch praktisch denkend. Sie haben gewusst,dass wir am Samstag, so wir brav waren,ich war manchmal dabei ... Ich hatte Ausgehverbot,weil ich war einer der Rädelsführer, wenn irgendein Schabernack erfunden wurde. Und die haben genau gewusst,wir gehen nach Hause am Samstag, und haben jedem einen Sack gegeben,drin war Mehl, Zucker, Reis. Sie haben praktisch gedacht,das war unglaublich, nicht? Bei den Amerikanern haben wir gekriegt: Kaugummi, Schokolade. Aber es war auch eine schöne Zeit. Und ich kann mich erinnern, wir haben bei einer Weihnachtsfeier der Russen gesungen, in Klosterneuburg. Da war ein Riesenweihnachtsbaum. Mit so kleinen, gleichen Bildchen. "Was ist das?Das kann ja nicht der Jesus sein."  Dann bin ich näher hingegangen,das waren alles Stalin-Bilder! Am Christbaum! Oh Gott! Mir ist das damals schon etwas eigenartig vorgekommen. Gut! In dieser Hofburg war natürlich Platzmangel. Also das heißt, wir hatten für 120 Buben einen einzigen Schlafsaal. Man kann sich vorstellen, dass das, ich würde sagen,schon eine beschwerliche Sache war. Weil ein Chor ist z.B. um elf oder zwölf nach Haus gekommen, von einem Konzert,die anderen haben schon geschlafen. Also es war sicherlich keine Luxus-Lösung. Heute ... Ich freu mich darüber,muss ich ehrlich sagen, und ich ertappe mich auch,dass ich den Buben, wenn ich irgendwas eröffne,sage, zu meiner Zeit usw. ... Dann denk ich mir,das sag ich nicht mehr, weil die Buben verstehen mich nicht,das ist klar. Die haben das nicht erlebt. Wie wenn ich meiner Tochter gesagt hab, dass ich mein erstes Fahrrad zwei Jahre abbezahlt hab. Wie sie gekommen ist,als sie maturiert hat:  "Weißt, was der Herr Theuretzbacher seinem Sohn zum Geburtstag schenkt?"  Der war der Inhaber von Herlango. Nein, nicht zum Geburtstag,zur Matura. "Nein, das weiß ich nicht." Hab schon geahnt, was da kommt. "Na, was kriegt der Tommi?"  "Na, der kriegt einen Turboporsche."  Sag ich: "Du, der Herr Theuretzbacher ist ein Arschloch."  Den Ausdruck hat sie von mir noch nie gehört, sagt sie. "Schau, ich werd's dir erklären: Ich hab das Geld natürlich nicht  für einen Turboporsche,und wenn ich's hätte, würd ich dir das veranlagen usw."  "Damit du etwas Beständiges hast."  "Der Turboporsche kann unter Umständen dein Todesurteil sein."  Alle Wochen war das damals. Dass auf der Höhenstraße ein junger Mensch  mit einem Turboporsche verunglückt ist. Nicht selten ging das tödlich aus. "Also, kommt nicht in Frage,vergiss das!"  Dann hat sie einen drei Jahre alten,sich in gutem Zustand befindlichen  Ford Fiesta bekommen. Und den ist sie dann vier Jahre gefahren. "Ich komm ja heut mit meinem Ford."  Also, das war damals möglich. Heut ist es vielleicht ein bissl schwieriger, ich weiß nicht. Auf alle Fälle war die Zeit bei den Sängerknaben sehr prägend, wir haben die ersten Auslandsreisen gemacht. Schweden war die erste Station. Mit dem Autobus waren wir fünf Tage unterwegs. Kann man sich heute gar nicht vorstellen. Wunderschöne Konzerte! Ich hab lange geglaubt, nach uns, diese Qualität wird's nicht mehr geben. Also, wenn ich mir die Tonträger von damals anhöre, wir waren wirklich gut! Aber am Sonntag war ich anlässlich "Ein Jahr Tsunami" ... Anlässlich dessen hab ich eine Messe in der Hofburg veranstalten lassen. Der japanische Botschafter und Diplomaten waren dabei. Und da hab ich einen der Chöre, wir haben ja vier Chöre, gehört. Es war zum Niederknien! Es war zum Niederknien! Also, man muss auch ein bisschen Abstand gewinnen, um zu sehen, es geht weiter. Und die Buben heute sind um nichts schlechter, im Gegenteil! Vielleicht da und dort sogar besser. Im Laufe der Tätigkeit bei den Wiener Sängerknaben  haben wir zwar nicht viel Freizeit gehabt, aber man hat doch getrachtet,dass wir, besonders in den klassischen Ferien- zeiten im Sommer, ausspannen können. Und wir hatten damals ein Sommerheim in Hinterbichl, Osttirol. Das ist, Lienz, Prägraten,dann geht ein kleines Wegerl bis ... .. nach Hinterbichl. Es stehen nur zwei Häuser dort. Eines von den Sängerknaben und ein Bauernhaus. Und dort waren wir. Haben auch das Personal, nämlich das Unterrichtspersonal,unsere Lehrer, mitgehabt. Es waren Erzieher mit usw. Also, es war ein regelrechter Betrieb, keine reinen Ferien. Es ist ja heute nicht viel anders. Dadurch, dass wir doch ... .. durch die Reisen länger weg sind, und für den schulischen Bereich nicht diese Zeit haben  wie ein normaler Schüler, ist natürlich ein Nachholbedarf gegeben. Das wurde dann ein bissl nachgeholt in den Ferien. Also das heißt, die angebotene Freizeit war eigentlich nicht in dem Maße gegeben, wie es andere Kinder gehabt haben. Die Zeit des Übergangs von Krieg,Nachkriegszeit, war besonders für uns Kinder prägend. Weil wir haben da ... Eines Morgens sehen wir, dass die Lehrer weg waren und die Erzieher, das Küchenpersonal war weg. Geblieben ist uns eine stämmige, dicke Köchin. Die hat uns nicht verlassen. Und äh ... .. wir haben nicht begriffen,warum uns die verlassen haben. Später wurden wir aufgeklärt.Das waren Parteimitglieder. Sie haben Angst gehabt,dass sie sofort interniert werden. Es gab ja auch Gräuelgeschichten über, ich würde sagen,eigentlich alle Besatzungsmächte. Und die waren einfach weg! Die haben uns unserem Schicksal überlassen. Und wir waren wochenlang ohne Aufsicht. Wir sind raus, in die Felder. Und die Köchin hat uns eingeteilt. Wir mussten z.B.Brennnesseln einsammeln, und sie hat aus den Stauden Brennnesselspinat gemacht. Wir mussten zu Bauern gehen und dort Milch holen. So Riesenkannen usw. Und ohne diese tollen Frau  hätten wir wirklich Probleme bekommen. Wir wären nicht verhungert, aber ... Ich würde sagen,das war ein treuer Geist. Werd ich nie vergessen. Na ja, also das heißt,zuerst Sängerknaben, dann auswandern, Beruf, Erfolg. Retour nach Österreich. Und hier dann Tätigkeit in der Wirtschaftskammer. Wo ich es bis zum Präsidenten gebracht habe. Also, eine wunderschöne Aufgabe! Und vielleicht einen, ... .. wie soll ich sagen ... Eine Eigenschaft von mir,die ich noch nicht erzählt habe:  Ich war der Erste in meiner Branche,der weibliche Lehrlinge hatte. Und der letztlich auch Filialleiterinnen hatte. Das war unerhört! Ich kann mich gut an eine kleine Episode erinnern. In meiner Filiale Josefstadt war eine tüchtige Filialleiterin, die hat schon damals mehr von der Technik gewusst als ich. Und da kommt eine Dame rein,schaut sich um, und sagt zu meiner Filialleiterin: "Sagen Sie, ist da kein Mann?"  Da haben wir gesagt: Das darf doch nicht wahr sein! Also, okay. Das hat sich gegeben, muss ich sagen. Heute ist es durchaus akzeptiert, dass Damen mit technischen Dingen gut umgehen können. Und psychologisch die besseren Verkäuferinnen sind. Politik hat mich zwar immer interessiert, muss ich ganz offen sagen, aber nicht als ausführender Politiker, dazu hab ich die Zeit auch gar nicht gehabt. Trotz allem, vielleicht gerade weil ich mich nie angeboten hatte ... Ich wurde schon damals als Parteiobmann  der Wiener ÖVP mitgenannt. Äh. Das hab ich aus verständlichen Gründen nicht angenommen. Weil ich genau gewusst hab,das geht sich zeitlich nicht aus, und ich hielt mich nicht für einen guten Parteiobmann. Das ist eine Aufgabe, die ja doch nicht nur mit sehr,... wie soll man sagen, einem kritischen Talent verbunden ist. Und ich bin an und für sich eher, so seh ich mich zumindest, ein Konsens-Mensch. Es liegt mir nicht ... Ich muss sagen,ich hab viel mehr erreicht, wenn ich mein Temperament im Zaum halte, weil von Haus aus wär ich manchmal ein Häferl. Das hab ich mir dann abgewöhnt, weil ich draufgekommen bin,dass ich mit ... .. wie soll man ... Dass ich mit Überlegung  und einer gewissen Contenance viel mehr erreiche, und das war mir das Wichtigste. Im Geschäft wollte ich reüssieren. Und ich hab niemanden gehabt,der mich finanziert hätte. Wiewohl,das hab ich auch noch nicht erwähnt:  Es gab einen Zeitpunkt in meiner Karriere, wo Lieferanten zu mir gekommen sind, und gesagt haben,sie trauen mir zu, dass ich die Firma Herlango,die damals in Konkurs war, übernehme. Und über die Schuldenabdeckung können wir reden usw. Aber sie wissen,dass ich mein Wort halte. Ich wär mit einem Schlag der größte Fotohändler Mitteleuropas geworden. Die Deutschen haben nicht so ein Filialsystem wie wir. Für so ein kleines Land ... Mein Kollege Hartlauer hat z.B. 160 Filialen, nicht? Nur sind das ja keine reinen Fotogeschäfte mehr, sondern da sind Hörgeräte,da ist Computertechnik usw. Und ich hab mir das überlegt, weil das auch sehr prägend war für mich, hab zwei, drei Nächte nicht schlafen können, weil's ja doch verlockend ist. Ich hab's aber dann nicht gemacht. Ich hab mir auch ausgerechnet,wie lang ich da brauch, und dann bin ich wahrscheinlich schon pensionsreif. Ich hätt das dann nicht geschafft. Also, diesen Verlockungen hab ich immer wieder eine Absage erteilt. Dann Politik, ja. Es gab immer mehr Einladungen, mich als Kammerfunktionär zu betätigen. Vorträge zu halten,bei Diskussionen dabei zu sein. Und dann kam die ... Man musste ... Man musste, ja ... Natürlich, wenn man in der Wirtschaftskammer war, ist man entweder Mitglied  des sozialdemokratischen Freien Wirtschaftsverbandes  oder des ÖVP-nahen Wirtschaftsbundes. Es gibt jetzt auch eine Freiheitliche Riege, bzw. auch Grüne Funktionäre. Und äh ... Ja, nachdem meine meisten Freunde im Wirtschaftsbund waren, hab ich gesagt: "Okay, mach ich."  Und in dem Moment,wo ich beim Wirtschaftsbund war, stiegen die Anforderungen. Äh. Einige der Ideen,die ich verwirklicht habe, haben dann irgendwie Anklang gefunden. Und dann ging's eigentlich relativ rasch. Bis zum Obmann des Wiener Handels. Das war seinerzeit immerhin  neben dem Gewerbe die größte Interessensvertretung überhaupt. Und Wien war und ist rein zahlenmäßig die größte Wirtschaftskammer. Und wir sind ... Gerade, weil ich ja selber aus einem Kleinstbetrieb gekommen bin, da muss man ja sagen,80 Prozent der Wiener Unternehmungen  sind klein- und mittelständische Unternehmer. Die brauchen uns. Es ging aber wieder um den Obmann,den Parteiobmann. Und mein Vorgänger in der Wirtschaftskammer, Karl Dittrich, leider verstorben, hat mich angerufen: "Du wirst Parteiobmann!"  Sag ich: "Nein, ich werde nicht Parteiobmann."  Er hat versucht, Druck auszuüben. Ich hatte den Riesenvorteil,dass ich ... Ich mein, ich war kein Krösus,kein reicher Mensch. Aber ich hatte doch einen gewissen Rückhalt. Und ich war daher nicht erpressbar. Ich war auch nicht bereit,mich irgendwo zu fügen, wenn ich der Meinung war,das ist nicht mein Metier, das ist für meine Karriere nicht unbedingt sinnvoll. Und ich hab gesagt,Parteiobmann werd ich sicher nicht. Und dann hat der Busek gesagt: "Na, ich red mit dem Nettig."  Hat er gesagt: "Na, was ist?Wirst Parteiobmann?"  Sag ich: "Naa, ich hab's dem Karl schon gesagt, mach ich nicht."  Sagt er: "Gilt das für alle Zeiten?"  Sag ich: "Erhard, was weiß ich,was in 20 Jahren ist?"  So war der Erhard.Ist er heute noch. Er ruft den Dittrich an: "Du,ich hab schon einen Parteiobmann."  "Ah, geh! Wieso?" - "Na, der Nettig macht's."  "Was? Das darf nicht wahr sein!Mir hat er abgesagt!"  Ich erfahre das. Ich hab wirklich einen dicken Hals gekriegt. Sag ich: "Also, Moment!Wir treffen uns jetzt alle  beim Herrn Präsidenten im Zimmer."  Und ich seh schon wieder,wie der Busek grinst. Den hat das gar nicht berührt. Er wollte mich,wie man sagt, "hineinlassen". Ich sag: "Heast, wie kannst du das sagen?"  Sagt er: "Na ja, man wird's doch noch probieren dürfen."  So war das. Gut. Die Bekanntschaft und spätere Freundschaft  mit dem Herrn Bürgermeister Dr. Michael Häupl  fußt ja tatsächlich noch in meiner Zeit als Handelsobmann. Da war ich zuständig für den Wiener Handel. Und der Wiener Handel braucht die Zusammenarbeit mit der Stadt Wien. Ich hab das gleich erkannt, hab aber auch von diesem Moment an auch Kritik gespürt. Es hat mir nicht jeder ... Ich hatte damals schon ein bissl Einfluss. Und offen hat man's nicht gesagt,aber ich hab gespürt, dass einige gesagt haben: Muss er unbedingt mit den Roten koalieren? Ich hab mich aber nicht beirren lassen. Weil ich hab genau gewusst:  Ich kann für meine Klientel mehr erreichen, wenn ich den Weg der Zusammenarbeit gehe, als wenn ich dreimal in der Woche die Roten anfetz, nicht? Das ist vielleicht für manchen lustig, wenn er sagt: "Ja, der hat schon recht ..."  Und ich weiß genau, dass das der falsche Weg gewesen wär. So bin ich mit ihm eigentlich schon weit früher in Kontakt gekommen, und hab ihm aber auch gesagt, was ich an der Stadt Wien auszusetzen habe. Die Förderungen waren minimalst. Es war auch kein Konzept da. Kleinigkeiten,z.B. bei der Weihnachtsbeleuchtung  haben sie irgendwo drei Glühbirnen aufgehängt, und das als Weihnachtsbeleuchtung deklariert, nicht? Oder bei Straßenfesten.Oder Gemeinschaftswerbung. Das war alles nicht vorhanden. Und dann hab ich gesagt,machen wir ein Konzept, und schauen das einmal an. So begann das. Also die Wiener Einkaufsstraßen waren ein wesentlicher Berührungspunkt. Und es war ja schon damals so, dass die Nahversorgung nicht so funktioniert hat, wie sich das der Bürger zurecht wünscht. D.h., und das geht ja laufend weiter, wir haben in Wien eine Bevölkerung,die immer älter wird. Die zum Teil auch nicht mehr mobil ist. Und es gibt ganze Flecken,ich sag immer "weiße Flecken", wo es keine Nahversorgung gibt. Für die Menschen wird das immer schwieriger, also muss man was tun. Dass man dort Geschäfte ansiedelt, unter Umständen eine mobile Versorgung hat, etc. Und da war die Stadt Wien, vor allem der Herr Bürgermeister Dr. Häupl, wahnsinnig engagiert. Und auch bereit, hier mitzutun. Und wir haben das gemeinschaftlich gemacht. Also es war nicht ... Es war immer auf Augenhöhe, wissend, dass die Sozialdemokratie und die Rathausmacht da war. Er hat mich das aber weder direkt spüren lassen  noch hat er das bei einer Pressekonferenz, oder bei Veranstaltungen ... Er hat mich nicht,ich würde sagen, als zweitklassig behandelt. Und das war mir wichtig. Denn ich war ja Repräsentant einer nicht unwichtigen Klientel, und das hat sich sehr gut entwickelt. Und da muss ich auch sagen ... Einen Vorgänger vom Michael Häupl muss ich erwähnen, das ist der Bürgermeister Zilk. Der hat mich dazu eingeladen, mit ihm auf Auslandsreisen mitzufahren. Und das war natürlich höchst interessant, wir waren öfter in Asien. Und wenn, z.B. in Japan,bei einer Pressekonferenz  dann Fragen gekommen sind, die den wirtschaftlichen Bereich betroffen haben, hat der Altbürgermeister gesagt: "Also, meine Damen und Herren, nicht böse sein, wozu hab ich den Nettig mitgebracht?"  "Der weiß viel mehr als ich."  Das hab ich wieder klasse gefunden. Weil der Helmut ... Ich mein, der hat immer gewusst, er ist die Nummer Eins, das ist klar. Aber auch er war sehr wirtschaftsinteressiert. Und er hat dann ... Wir hatten herrliche Erlebnisse! Wir waren in Shanghai, und der Vize-Staatsminister hat eingeladen. Der kam damals noch im Mao-Look. Und das waren zwei Ehrentische. Zwei runde. Und ich hab schon gesehen,der Bürgermeister war ja manchmal, selten aber doch,schon in der Früh schlecht aufgelegt. Und ich hab das gespürt,atmosphärisch. Denk mir: Das wird ein lustiger Abend. Dann kommt der Minister, also der Staatspräsident,der war auch grantig. Ich hab gemerkt,der ist auch nicht gut aufgelegt. Also das wird nicht lang dauern. Es war angesetzt für 19 Uhr,Ende 20 Uhr 30. Nach Protokoll. Gut. Die Geschichte,die ich jetzt erzähl, ist belegt. Und zwar war von der "Kronen Zeitung" der Herr Kainerstorfer mit, der Fotograf. Und ein paar Journalisten. Sonst könnte man sagen,ich hab die Geschichte erfunden. Sie ist meiner Meinung nach so gut. Und der Herr Kainerstorfer hat damals für die "Krone Bunt", am Sonntag, die hat er eingeführt,gearbeitet. Und nach der Reise ist eine ganze Serie gekommen, über diesen Event, dieses Essen, und war dann jahrelang schon ein bissl kultig. Also wir sitzen dort,und ich saß neben dem Bürgermeister. Hin und her, sagt er: "Na,hoffentlich sind wir bald fertig."  Sag ich: "Herr Bürgermeister, das ist heute ein hochrangiges Treffen."  Und dann, ich weiß nicht,was es war, manchmal ... Ich könnt mir nachher wirklich selber eine runterhauen, weil ich sag, hab ich das notwendig? Ich sag zum Bürgermeister:  "Du, ich hab mitgehört,ich sprech ja ein bissl Chinesisch."  "Das hab ich gar nicht gewusst!"  Sag ich: "Ja, aber bitte, wir haben ja eine Dolmetscherin mit."  "Aber ich sag dir eins, die haben gesagt, du hast eine schöne Stimme, ob du nicht was singen willst?"  Der Zilk schaut mich an, sagt: "Bist du verrückt? Nach fünf Minuten sagt er zu mir: "Was glaubst denn, soll ich singen?"  "Herr Bürgermeister,mit deiner Bassbaritonstimme ..."  Alles belegt, keine Erfindung! "Mit deiner Bassbaritonstimme,ich könnt mir vorstellen, 'Am Brunnen vor dem Tore'!"  "Ach, Blödsinn!"  Nach zehn Minuten sagt er: "Ich glaub, ich kenn den Text."  Helmut steht auf,zieht sich sein Sakko aus, und singt 'Am Brunnen vor dem Tore'. Ich würde sagen, fehlerlos.Fehlerlos. Der hat meiner Meinung nach eine gute Stimme, und da versteh ich was davon. Stille. Oje! Ich kann gleich nach Wien fahren, das ist mein Abschied aus dem Rathaus. Auf einmal steht der Präsident auf,fängt zum Klatschen an, alle klatschen. Der Helmut sagt zu mir: "Siehst, meine Idee, war gut, gell?"  Es geht aber noch weiter. Der Herr stellvertretende Staatspräsident  zieht sich sein Mao-Jackerl aus,hängt's auf, und singt eine halbe Stunde lang  Lieder vom langen Marsch mit dem Mao Tsetung. Dann war die große Verbrüderung. Und Zeitzeugen dabei, bitte! Kainerstorfer, Fotograf. Und zwei Journalisten von der "Krone". Einer von der "Presse",glaub ich, und einer vom "Kurier". Also, es ist gut gegangen,es hatte aber noch ein Ende, weil dann war ich ja nicht mehr zum Halten:  "Herr Bürgermeister, die wissen ja,die Dagi ist ein großer Star."  "Kann nicht die Dagmar Koller was singen?"  "Die ist eine Künstlerin!Bist du total verrückt?"  Dann sagt er: "Was soll's denn singen?"  Ich: "Na ja, 'Im Prater blüh'n wieder die Bäume' oder so."  Dann hat er gleich angeschafft: "Dagi, sing ... "  Dann hat sie gesungen,wieder tosender Applaus. Da war's schon neun oder halb zehn,also weit über die Sperrstunde. Dann wurde ich bestraft,er hat gesagt:  "Der Walter war bei den Sängerknaben,jetzt singst du!"  Ich hab dann gesungen 'Mei Muatal war a Weanerin'. Also wir sind als Freunde geschieden,der Abend war gerettet. Aber das war ein Glück,hätte in die Hosen auch gehen können. Und wir hatten natürlich auch einen Zeitpunkt, wo wir in eine Koalition kamen mit den Sozialdemokraten. Wo ich auch eine kleine Rolle gespielt habe. Auch da gibt es Erinnerungen mit dem Bürgermeister Dr. Häupl. Der sich ganz genau erinnert, wie wir im Hotel Modul in einem kleinen Kammerl, ich hab's das Intrigantenkammerl genannt, gesessen sind. Also SPÖ Wien mit Häupl, Edlinger. ÖVP Wien mit Görg, Nettig. Na ja,das war einige Zeit etwas holprig. Den Dr. Görg hatte ich von Florida aus kontaktiert, ob er nicht Parteiobmann werden will. Zuerst hat er gesagt: "Nein, nein,ich mache nur Bundespolitik."  Nach drei Tagen hat er mich zurückgerufen, da waren wir noch per Sie: "Wissen Sie, ich hab mir das überlegt."  "Ich kann's ja mal probieren."  Und so sind wir zusammen gekommen. Aber er war ein stolzer Mann,und ein sehr geradliniger, nicht immer flexibel, das muss man in der Politik halt auch sein. Na, und dann gab's etliche Sitzungen im Modul, und er:  "Ja, aber alles ohne Medien und in Ruhe. Und keine Aussendungen."  Ich sag: "Von mir werden Sie nix hören oder lesen."  Na gut. Und dann spürt man ja,wenn etwas zu einem Siedepunkt kommt. Und das war wieder einmal so eine Sitzung, an einem Mittwoch, glaub ich. Und ich ... .. hab dann gesagt: "Herr Bürgermeister und Bernhard, bitte nicht böse sein,die Leute erwarten sich etwas."  "Also wir haben sie jetzt auf die Folter gespannt, sind weit gekommen, haben drei Viertel von dem Programm abgearbeitet, was soll's ..."  "Na ja, du redest leicht,mach halt du den Obmann."  "Nein, Obmann bist du."  Auf einmal kommt jemand von unten rauf, am späten Nachmittag:  "Die Herren von der Presse sind schon lang da."  Sag ich: "Welche Presseleute?"  "Na ja, es sind da 40 Leute,also Fernsehen, Zeitungen usw."  Sagt der Häupl: "Heast, was ist das?Wer hat das gemacht?"  Ich: "Das wart ihr, die Roten!Die haben die eingeladen."  Er: "Naa, wir haben nix gemacht!"  Na gut, es war dann der Druck da,dass der Häupl gesagt hat, na wenn das so ist, dann geben wir uns die Hand, wir machen das. So wurde das dann beschlossen. Und erst später hat er gefragt: "Warst du das, du Gauner?"  Sag ich: "Ja. Ich hab die alle verständigt."  Das hat aber dann die Runde gemacht,nicht? Ich hab so zehn der wichtigsten Journalisten, also die ich halt gekannt habe,angerufen. Hab gesagt: "Aber bitte sag's nicht weiter!"  Es waren aber dann ... Also vom ORF, bis zu ... Die meisten Zeitungen waren da. Und dann haben wir unten, ich hab ... Der Bürgermeister hat in seiner jovialen Art gesagt:  "Jetzt gießen wir uns einen hinter die Binde."  Ich erinner mich gut. Der Görg sagt: "Lang kann ich nicht bleiben."  Hat ein Achtel getrunken,ist gegangen. Ich: "Heast, Bernhard, wir haben da eine Jahrhundertchance. Bleib noch!"  Er ist nicht lang geblieben, nein. Wir waren doch etwas länger dort. Und diese Jahre der Koalition waren befruchtend, waren ganz wichtig. Es gab auch kaum wirkliche Differenzen. Das hat's nicht gegeben,dass wir unseren Koalitionspartner  in irgendeiner Form genervt haben, oder öffentlich alles infrage gestellt haben. Das hat mich auch,ich würde sagen, veranlasst, mich weiterhin in der Politik, in der zweiten Reihe der ÖVP,zu bewegen. Weil ... .. das ist menschlich verständlich, aber aus meiner Sicht nicht verständlich, wenn man heute eine gelungene Zusammenarbeit infrage stellt. Oder gar ablehnt,nur um in eine Opposition zu gehen, in der wir noch nie sehr erfolgreich waren. Das kann man verfolgen. Bitte, es gab eine Zeit mit Busek, aber der Erhard hat damals das Geschick gehabt, hochinteressante Leute um sich zu scharen. Wie Mauthe, etc. Da war es natürlich möglich,entsprechend zu punkten. Und auch ein Ergebnis einzufahren, das es nachher nicht mehr gegeben hat. Aber die Freundschaft zwischen zwei Männern, die das Beste wollen für die Stadt, und ab und zu, wie soll ich sagen,Spaß haben wollen, einen sehr soliden Spaß,das hat's schon gegeben. Und das gibt's auch noch,Gott sei Dank. Sonst würde mir das Ganze nicht mehr Freude machen. Nein, nein, das passt. Demnächst gibt's wieder eine Sache,die wir gemeinsam durchführen, nämlich die "Senior aktuell" in der Stadthalle. Da kommen doch ... Die Zielgruppe wird immer größer. Von älteren Menschen,die länger leben, die sich umschauen wollen,informieren wollen. Und ... Nach der Eröffnung machen wir dann einen kleinen Rundgang, und werden fotografiert usw. Und es war nicht einmal,dass ein Ehepaar zu uns gekommen ist, und gesagt hat: "Sagt, versteht ihr euch noch?"  Sag ich: "Ja, wir verstehen uns noch!"  Ja, das war herzlich, nicht? Das zeigt schon:  Genau genommen sind die Wienerinnen und Wiener ... Sie raunzen zwar gern und nörgeln gern, aber in Wahrheit ist ihnen die ... Wie soll man sagen? Der Streit ist ihnen zuwider. Ja? Also sie haben ... Meiner Meinung nach punktet man ... Es muss natürlich subtil und mit Können gemacht werden, und mit einer Leistung verbunden sein. Aber die, die ... Der Irrglaube, dass man mit,ich würde sagen, mit Angriffen ...Angriff ist manchmal notwendig. Aber dass man glaubt,dass man nur mit Kritik  und mit persönlichen Angriffen, und dem Heruntermachen des politischen Gegners etwas erreicht, das halt ich für ausgeschlossen. Es gibt viele Beispiele,wo das in die Hosen gegangen ist, und ich wäre für so eine Lösung, für so eine Strategie, nicht zu haben. Es ist die liebenswerteste Stadt,die ich kenn. Muss ich ehrlich sagen. Und wir können stolz sein auf diese Stadt. Und natürlich auch, jetzt mach ich wieder einen Sprung ganz zurück ... Ich kann mich gut erinnern, ich war immer, wo die Elisabeth Gürtler jetzt ihr Kaffeehaus hat, am Eck, Kärntner Straße, nicht? Das war in der Besatzungszeit ein englischer Leseraum. Da gab's amerikanische Zeitungen usw. Und da bin ich als Lehrling in der Mittagszeit hingegangen. Jeden Mittag war ich dort. Da hab ich gelesen,ich war erstaunt, Österreich ist nicht lebensfähig. Man hat uns so viel weggenommen. Die ganzen Maschinerien haben die Russen ab ... Österreich ist nicht lebensfähig. Ich hab gedacht,das darf doch nicht wahr sein! Und wie ich schon in Amerika war,hab ich gelesen, da gab's ja auch schon Wirtschaftsprognosen und Daten, und dieses Volk war in der Lage,sich nicht nur zu behaupten, sondern sich sogar sehr gut zu behaupten. Also das heißt, auch die Qualität dieser Menschen ist gut. Es gibt ja viele Beispiele,wo das nicht funktioniert hat. Und die hatten viel bessere Rahmenbedingungen  als wir nach dem Krieg. Also, man soll den Wiener,den Österreicher, auch so sehen, wie er wirklich ist. Jeder hat seinen Beitrag geleistet,dass wir heute so gut dastehen. Ich wünsche mir nur, dass die Politik nicht abgleitet, zukünftig. In ... .. eine Linie, die uns erstens einmal gar nicht passt, die nicht zu uns passt. Sondern ich möchte sehr wohl, dass Zusammenarbeit und Konsens bestehen -  bei aller Bereitschaft, sich entsprechend auch bei einer Wahl, ich würde sagen, zu duellieren. Aber das Ganze mit einem Weitblick,dass man die Basis, die man hat, die man sich schwer genug geschaffen hat, dass man die nicht zerstört. Das ist es eigentlich.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Walter Nettig (Unternehmer/Politiker)

Wir und Wien - Erinnerungen Der Paradeunternehmer und Wiener Stadtpolitiker Walter Nettig erinnert sich zurück an sein sozialdemokratisches Elternhaus, an seinen Vater, der fünf Jahre in sibirischer Kriegsgefangenschaft verbrachte, an seine Mutter, eine begnadete Köchin, die nie eine Waage benutzte, sondern die Zutaten " nach Gefühl" maß, an seine katholische Großmutter, die ihm jeden Sonntag nach der Kirche aus der Arbeiter-Zeitung vorlas, was es bei der SPÖ so Neues gab.

Länge: 55 Min. 04 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
Länge: 1 Min. 51 Sek. | © Stadt Wien - Magistratsabteilung 59
Enthüllung neue Pionierinnen

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Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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