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Mitschrift

Ich bin geboren 1922 am 13. Februar, das heißt, ich werd jetzt 89 Jahre im Februar. Und bin geboren in Wien. Mein Vater war ein aus Temeswar kommender Rechtsanwalt, der dann Würstelmann wurde in Wien. Meine Mutter lernte ihn auch in Temeswar kennen, weil dort ihre Verwandten lebten, aber die ist in Wien geboren. Meine Großeltern: Leopold und Laura Gartner. Mein Großvater hatte einen Holzplatz auf der Eichenstraße 1a, der unter Hitler arisiert wurde. Die Großeltern wurden nach Treblinka gebracht und umgebracht, vergast. Meine Mutter war ein Motor. Wenn die nicht dagewesen wäre ... Sie mussten ja dann nach Shanghai emigrieren, weil's der letzte Ort auf der Welt war, wo man überhaupt hinkonnte ohne ein Visum. Dort hat meine Mutter mit Apfelstrudel backen und anderen Dingen meinen Vater durchgebracht. Mein Vater war untauglich. Was sollte man in Shanghai mit einem Rechtsanwalt, noch dazu einem Rechtsanwalt, der ... Ich hab da draußen hängen ein Patent, wo er "summa cum laude" sein Rechtsanwalt ... Wo? In Temeswar. Und Temeswar war Ungarn. Dann ist der Krieg ausgebrochen und mein Vater war ein Meldereiter und hat einen Schuss beim Ohr vorbeibekommen und hat nicht mehr gut gehört. Da ist es schwer als Strafverteidiger. Dazu war er in Wien. Und Temeswar war ja ungarisches Recht. Aber es war nicht mehr ungarisches Recht, sondern rumänisches. Denn es ist in der Zwischenzeit Timisoara geworden und dort hat mein Vater gar keine Möglichkeit gehabt als ... Er war also ein junger kommender Rechtsanwalt und aus war's nach dem Krieg. Und geendet hat's dann in Shanghai, wo er an Tuberkulose gestorben ist. Ja, also meine erste Theater- erfahrung war einfach entsetzlich. Ich saß da an der Ecke und in einer Vorstellung, wo die Josefine Baker tanzte. Die hat sich jeden Abend einen Herren auf die Bühne geholt, der mit ihr tanzen sollte. Dazu hat sie so den Finger auf den Kopf gelegt. Und an diesem Abend hatte sie den entsetzlichen Einfall, mich auf den Arm zu nehmen und auf die Bühne hinauf ... Das müssen sie sich vorstellen: Eine Schwarze mit nacktem Busen nimmt mich mit sechs Jahren auf die Bühne und macht immer so mit meinem Finger. Ich wusste nicht, was die von mir will. Ich hab entsetzlich geweint und die Leute haben gelacht. Also, nach dem hätte ich nie wieder eine Bühne betreten sollen. Also ich bin ins RG 5 in der Rainergasse gegangen, habe es gehasst mit Ausnahme von Deutsch und Naturgeschichte, wo die Professoren so waren, dass man sie geliebt hat. Die anderen mochte man nicht. Der Deutschprofessor, ein Theater-Wahnsinniger, hat an mir einen Narren gefressen gehabt, weil, ich war auch so ein Theater-Wahnsinniger. Durch ihn aber befeuert. Und er ließ mich also spielen, ließ mich den Knieriem spielen im "Lumpazivagabundus", den ich auch inszeniert hab. Da hab ich das erstes Extempore meines Lebens von mir gegeben. Und zwar: Während ich also als Knieriem auf der Bühne stand, wurde es plötzlich dunkel im Saal, irgendein Kurzschluss. An das konnt' ich mich nicht erinnern, aber er, dass ich gesagt hab in die Dunkelheit hinein: "Schad', dass das Stück nicht von Goethe ist, sonst könnt' ich sagen: 'Mehr Licht'!" Das war das erste Extempore meines Lebens. Und dann hab ich also so einen Narren am Theater gefressen, dass ich gesagt hab: "Ich muss Schauspieler werden." Das durft' ich um Himmels Willen meinen Eltern nicht sagen. Meine Eltern waren sehr nett und lieb und haben mich sehr anständig und liebevoll erzogen. Aber Schauspieler, das war also undenkbar. Da ich also mit zwölf den Knieriem gespielt hatte und bei den Tanten und Onkeln sehr großen Erfolg hatte, beschloss ich, Schauspieler zu werden. Ging von zu Hause durch, etwas, was meine Eltern für unmöglich gehalten hätten. Die wollten unbedingt, ich soll Arzt werden. Aber ich sagte: "Ich werd' Schauspieler", studierte mir ein den Wahnsinns-Monolog des König Lear, was vielleicht mit 13 Jahren ein bisschen ... verfehlt war. Dazu muss man noch wissen, dass ich nicht wirklich kostümiert war für die Rolle. Ich hatte also eine Lederhose, die mir eigentlich viel zu groß war. Das war damals üblich: Man hat Lederhosen, die man jahrelang gebraucht hat, - Geld hatte man auch keins - hat man sie größer gekauft, weil die Kinder hineingewachsen sind. Ich war dick, hatte die Lederhose bis daher und hatte vorbereitet, den Lear zu sprechen: "Ja, jeder Zoll ein König." "Blick' ich so starr, sieh, bebt der Untertan." "Dem schenk' ich's Leben. Was war sein Vergehen?" "Eh'bruch! Tod um Eh'bruch? Nein!" "Zaunkönig tut's, die kleine goldne Fliege." "Vor meinen Augen buhlt sie." "Nur bis zum Gürtel geht der Götter Recht." "Was drunter ist, ist des Teufels." Das hab ich nicht verstanden, was mit dem Gürtel gemeint war. Es war nicht der Hernalser Gürtel, das wusste ich schon. Aber ich hatte ja auch keinen Gürtel, sondern Hosenträger, so mit Aufschrift da. Das hab ich aber eingesehen, dass ich nicht richtig für diese Rolle bin. Und als ich dann aufgerufen wurde vorzusprechen, dem ... Komitee da, das beurteilte, ob ich als Schauspieler in Frage käme, hab ich also nicht den König Lear gesagt, sondern aus dem Hut lustige Geschichten erzählt. Die fanden das auch lustig, lachten sehr. Dann hat der Chef der Kommission, Kurt von Lessen hieß er, ein ziemlicher Nazi nachher, der hat dann gesagt, wie alt ich denn sei. Und ich sagte: "13." Da sagt er: "Na ja, das ist noch ein bissl zu jung.“ Ich soll wieder kommen, wenn ich 16 bin. Da war aber dann der Hitler da und da ging's nicht mehr. So hat meine Karriere als Schauspieler frühzeitig ein Ende gefunden. Ich hab aber trotzdem mir gedacht: "Ich bleib' dabei." Das war ja früher eine sehr bürgerliche Familie. Wir hatten also ein ... 'Empire'-Arbeitszimmer. Und das hat nie jemand verwendet. Einmal im Jahr sind die Hirschmanns zu Besuch gekommen, und da hat man das aufgemacht und da saßen wir im 'Empire'-Zimmer. Aber eigentlich sind wir dort nie gewesen. Und ich bin manchmal, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren, hineingeschlichen an den Empire-Schreibtisch, hab meine Schulaufgaben dort gemacht. Also, es war so ein bissl eine bürgerliche ... Aber in Wirklichkeit hatten wir kein Geld mehr. Das Geschäft ist ... wie gesagt: Mein Vater hat sehr viel hergeschenkt und wir sind eigentlich ziemlich armselig gewesen. Und als dann der Hitler kam, war's überhaupt aus. Da musste alles verkauft werden. In der Phorusgasse war so eine Ausspeisung, wo man dann gegessen hat, weil man nix mehr, eigentlich nix mehr gehabt hat. Das war ziemlich ... ziemlich armselig dann. Na ja, ich hatte einen Karte für das Burgtheater. Ich glaub', es war "Sappho", wenn ich nicht irre. Und mein Vater sagte: "Da kannst du nicht hingehen. Wir sind Juden." Wieso kann ich nicht ins Theater gehen? Das war mir völlig unbegreiflich. Erst langsam hab ich begonnen ... Weil, ich lebte ja in einer ganz anderen Welt. Das war nicht nur das Burgtheater. Ich war ein Rilke-Leser z.B., saß im Schwarzenbergpark und las Rilke. Und da stand auf der Bank am Schwarzenbergplatz eines Tages: "Nur für Arier." Und da bin ich dann halt draufgekommen, dass jetzt die Zeit abgelaufen war, um da zu sein. Z.B. bin ich auf der Praterstraße, glaub ich, gegangen und da ist ein Lastauto vorbeigekommen. Das war damals eine Aktion von Göring: Alteisen sammeln für Kanonen, oder was weiß ich was. Und da haben die Leute so alte Eisenbetten vor die Tür gestellt und alte Säbel und so. Da kam ein Lastwagen vorbei mit einem SA-Mann mit Revolver. Der hat alle, die kein Hakenkreuz getragen haben, raufgeholt. Und die wurden dann zum Nordwest-Bahnhof geführt und dort ... also schrecklich verdroschen. Na ja, und ich bin auch auf so einen Lastwagen raufgeholt worden. Da hab ich dann schon bemerkt, dass die Welt nicht nur aus Rilke und Goethe besteht. Da gab's damals, heute ist die nicht mehr, eine sehr lange Mauer. Da haben's uns hingeführt und wir wurden also dazu verpflichtet, jetzt dieses alte Eisen abzuladen. Und zwar wurden wir in drei ... Also, es wurden alle, die kein Hakenkreuz trugen, die wurden erkannt und da raufgenommen. Wir wurden jetzt in drei Gruppen geteilt. Die eine stand links, die andere rechts vom Wagen. Die dritte oben hat das Eisen runtergeschmissen nach links. Die von links haben's nach rechts getragen, die von rechts haben's wieder auf den Wagen hinauf. So hat sich die SA sehr unterhalten. Bis einem die Geduld gerissen ist und der eine gewischt hat. Darauf haben die den also rausgeholt und haben, die haben so Mützen gehabt mit so harten Schildern, so gehaut, das hab ich mein Leben nie wieder gesehen. Ein einziger blauer Fleck. Dann haben's gesagt: "Renn!" Und der ist also, um zu entkommen, die Mauer zum Ausgang hingelaufen. Dann haben sie ihn zurückgeholt und haben ihn wieder gedroschen. Dann haben's wieder gesagt: Renn!“ Und immer wieder ist er gelaufen, um wenigstens in der Zeit nicht verdroschen zu werden. Und das waren halt so die Scherze, die man damals hatte. Wir wurden ja, also ich glaub, April war's oder so des Jahres, nach dem Einmarsch ... Hitlers, wurden wir ja aus der Schule gejagt, aus dem RG 5. Und die Kollegen, Schulkollegen, wurden aufgestellt, wir gingen durch ein Spalier durch, und soweit ich mich erinnere, hat mich einer ... angespuckt. Aber ... ob ich das dann wirklich, ob das nur meine Fantasie war ... Nur, ich glaub, es war nicht meine Fantasie. Denn viel später haben wir dann so Treffen gehabt der Maturanten meiner Klasse. Ich bin ja nie bis zur Matura gekommen, nur bis zur Sechsten. Aber ich wurde da eingeladen, weil ich war in der Klasse. Da setzte sich einer neben mich, ich sage nur, er hieß Schmalzbauer, und sagt: "Gell, du bist noch sehr böse auf mich." Ich hab gesagt: "Nein, wieso?" Ich hatte keine Ahnung, warum ich bös' sein soll. "Ah, du weißt schon ..." Hab ich gesagt: "Nein, ich weiß es nicht. Bitte sag's mir." "Ich versprech dir, ich bin nicht böse." "Ich möcht' nur wissen, warum!" - "Du weißt schon." Ich glaub, der war's, der gespuckt hat. Aber seelisch angespuckt wurde man auf jeden Fall. Mein Vater war schwerhörig vom Krieg. Und wir hatten eine große Eisentür bei unserer Wohnung und eigentlich hätte er nicht aufmachen müssen, als es läutete. Da war nämlich die SA draußen. Er hat's aber nicht gehört. Und er war gerade dabei, sich ein Glaserl Wasser zu holen, die Wasserleitung war am Gang damals, und lief direkt der SA in die Arme, wurde verhaftet und ins Konzentrationslager gebracht nach Dachau. Meine Mutter lief ihm nach, um etwas ... ob sie ihm helfen könnte. Ich war allein zu Hause, hab das letzte Geld, das wir hatten ... Ich hab damals Maschinenstricken gelernt, am 10. November war das. Und ich war damals, das war vis-à-vis der Rossauer Kaserne, hatten wir so ein ebenerdiges Lokal und da hörte man schon, also, die Synagogen wurden angezündet und man hörte was. Und das war damals ein schrecklicher Tag. Und die SA hat auch ... Später ist sie in dieses Lokal gestürmt, aber ich war noch vorher weg und bin von der Rossauer Lände bis zum 4. Bezirk zu Fuß gegangen. Jeder, der kein Hakenkreuz trug, war verloren. Man konnte weder in die Straßenbahn einsteigen, da kam rechts und links die SA und hat alle, die kein Hakenkreuz getragen haben ... Fürs Taxi hatte ich sowieso kein Geld. Bin also zu Fuß mit aufgeschlagenem Mantelkragen, dass man nicht sieht, dass ich kein Hakenkreuz habe, von der Rossauer Lände bis in den 4. Bezirk gegangen. Und da hatten sie gerade meinen Vater geschnappt und meine Mutter war nachgelaufen. Ich hab so Nähpolster gehabt und da hab ich unser letztes Geld eingenäht und bin über die Straße zu meiner Großmutter. Dort wollte ich mich verstecken bei ihr. Und da ging ein SA-Trupp hinter mir drein. Ich sah's im Schaufenster, wie die immer näher und näher kamen. Ich bin weder gelaufen, um nicht aufzufallen, noch langsam gegangen. Da blieben die stehen, wurden aufgehalten von unserem Blockwart. Der hatte Kinder und ich hab mit denen früher, vorm Hitler, immer Kasperle-Theater gespielt und war sehr gut mit den Kindern. So, und der hat sie aufgehalten. Das hab ich gesehen, und ich war gerettet. Ich war bei meinen Großeltern, war versteckt. Ich war für den Moment gerettet. So, und dann ist diese Razzia-Welle vorbeigegangen und wir waren zu Hause in unserer Wohnung. Später sind wir dann aus der Wohnung rausgeschmissen worden. Dann kam der Blockwart und sagte: "Wissen Sie, dass ich Ihnen damals geholfen hab?" Und meine Mutter ganz gerührt, bedankte sich tausend Mal, dass er die SA abgehalten hat. Der hat denen erzählt, ich sei Ausländer und sie sollen mich in Ruhe lassen. Und er sagt: "Mein Gott, Sie haben da eine Schreibmaschine stehen." "Wenn man Briefe schreiben könnt, was man da Menschen helfen könnte." Meine Mutter hat ihm die Schreibmaschine geschenkt und sie hat ihm auch das Silberzeug in der Vitrine geschenkt und alles, was wir hatten, geschenkt. Und der hat uns mit der Träne im Knopfloch, mit der Menschlichkeit hat der uns die Wohnung ausgeräumt. Also ... das waren so ... das war eine eigene Art von wienerischer ... Brutalität. Aber das gehört auch zu meinen Glücksmomenten. Ich war nie in Versuchung, "Heil Hitler" zu schreien. Und darüber bin ich eigentlich froh. Ich weiß nicht, ob ich es nicht getan hätte, wenn ich's hätte dürfen. Es war in England so: Man konnte Kinder aus Hitler-Deutschland rausholen, wenn man sich verpflichtet hat, sie zu sich zu nehmen, zu ernähren und der Regierung 60 Pfund Kaution zu erlegen, dass, wenn einem was passiert, das Kind nicht der Regierung zur Last fällt, dass man auf dieses Geld zurückgreifen kann. Und der Mann, der für mich garantiert hat und der mir ermöglicht hat, rauszukommen, das war ein Gauner. Der hat nämlich Folgendes gemacht: Der hat ... Darum bin ich heute manchmal immer noch skeptisch über Patenschaften. Also, der war sozusagen mein Pate, aber der hat Folgendes gemacht: Der hat seinerseits eine Annonce in die Zeitung gegeben, er würde einen Buben aus Österreich, also, aus Hitler-Deutschland rausholen, zu sich nehmen, ernähren, wenn der andere die 60 Pfund zahlt. Und diese 60 Pfund hat er aber nicht nur einmal kassiert, sondern viele Male. Wie oft wird man ... hab ich nie erfahren, aber etliche Male. Er hat's einmal eingezahlt, gut, das war viel Geld, 60 Pfund, und hat sich den Rest behalten. Jetzt war ich also ... bin ich rausgekommen, hatte das Glück rauszukommen durch einen Gauner. Aber dann wurde ich an eine Schule gegeben, wo wir kaum was zu essen gehabt haben. Das waren so Dickens-Verhältnisse an der Schule. Die ist dann eingegangen und dann war ich überhaupt auf der Straße. Aber zum Glück ... bin ich doch rausgekommen durch den. Na ja, also ich hab mich dann auch verliebt in eine ... 15 Jahre ältere Frau, die Lehrerin in der Nähe war. Die hat mir dann weitergeholfen. Dann gab's einen Quäker, die Familie Sewell, ihr Name sei in Ehren genannt, die haben uns ... Wir waren drei Buben, die von dem rausgeholt worden waren, die haben uns immer eingeladen zum Essen am Sonntag. Und weil wir uns dann so vollgefressen haben, haben sie uns dann weitere Sonntage eingeladen. An Wochentagen haben sie gearbeitet, da war das Haus an sich zu. Da haben sie unter die Türmatte den Schlüssel gelegt, damit wir kommen können und die Speisekammer leeren. Wir haben gesagt: "Das können wir nicht annehmen." Haben sie gesagt: "Gott hat uns das Haus gegeben." "Was könnten wir Besseres damit anfangen." Und dann hab' ich halt durch meine ... .. geliebte Dame ... Das war ganz platonisch, da hätte ich nie gewagt, mich an die heranzu ... Ich hab gedacht, so was will überhaupt eine Frau gar nicht, und schon gar nicht so eine herrliche wie die. Und sie hat mir dann einen Job verschafft als Fütterer von Hühnern auf einer großen Hühnerfarm. Und so ist das dann irgendwie weitergegangen. Ich hab dann hunderterlei Berufe gehabt. Ich bin an einem Zaun vorbeigegangen, sehr hungrig, da stand, dass Whitby, das ist ein kleiner Ort im Norden Englands, ein Fischerort, und der sucht ... das Stadtorchester sucht einen Bratscher. Eine Viola hatte ich noch nie in der Hand und das ist nun etwas ... Aber ich hab mich gemeldet, weil, zweieinhalb Shilling für die Probe und fünf Shilling für's Konzert, das war sehr verlockend. Der Dirigent war der Musikalienhändler von Whitby. Der hat mir sofort eine Viola geliehen, weil ich gesagt hab: "Ich hab keine, komme aus Wien und bin Bratscher." Der war beglückt. Der hat die Philharmoniker vor sich gesehen und hat geglaubt, jetzt kommt ein wunderbarer Bratscher und hat mir das also gegeben. So, alles ging gut bis zur ersten Probe. Und da muss man immer ... weil der Violinschlüssel gilt nicht, sondern ein anderer Schlüssel. Da muss man eine Oktave runter und zwei Töne hinauf. Also, zwei Töne hinauf und dann sind die Griffe viel größer. Ich bin dagesessen und habe so ... Es war grauenhaft, was ich von mir für Töne gegeben hab. "Sie sind Bratscher?" - "Geige spiel' ich viel besser." Hat er mich in die zweiten Geigen gesetzt und schon war alles geritzt. Das war so ein fürchterliches Orchester, dass ich überhaupt nicht mehr aufgefallen bin. Und habe mich so irgendwie eine Weile ... doch was essen können. Dann hab ich mich vorbereitet auf Nationalökonomie auf der Londoner Universität. Da hab ich eine Scholarship bekommen und da wurde ich eingesperrt, interniert. Und konnte also leider das nicht ausnützen. Da haben wir aber ... Weil wir in Oxford interniert wurden, waren da viele Intellektuelle, Professoren. Und wir haben auf der Isle of Man eine Lageruniversität gehabt, wo wir, dort ist ein angenehmes Klima gewesen, auf dem Rasen saßen und über alle möglichen intellektuellen Themen ... Abgesehen davon, dass wir dort eine Theatergruppe hatten, wo ich Schauspieler war. Weil ich noch ein sehr mädchenhaftes Gesicht hatte, hab ich Mädchen ... Ich war Daja in "Nathan, der Weise", und solche Rollen hab ich gespielt. Ich musste mich immer vor den Homosexuellen etwas in Acht nehmen. Und ... außerdem war ich dort in der Flickschusterei. Und das war eines der schönsten Erlebnisse eigentlich: Wenn man am Abend nach Hause gegangen ist und diese miesen Treter hatten dann so eine schöne, neue Sohle drauf. Und das hab ich gemacht. Das war ein ... richtiges schönes Gefühl, wenn man da am Abend ging als Flickschuster. Wenn man dazu als Schauspieler wirken konnte, hat man diese fast zwei Jahre, die ich in der Internierung verbrachte, eigentlich ... Man hat Verständnis gehabt, dass die Engländer sich gefürchtet haben, dass der Hitler da rüberkommt. Wir sind also plötzlich alle eingesperrt worden in Oxford, nicht? Neben mir stand zum Beispiel einer aus der Familie Cassirer, dieser bekannten Publizisten-Familie Cassirer, Bruno Cassirer. Der war ein Ägyptologe, war ein völlig weltfremder Bursche, hatte also nur mitgenommen so ein Buch, das war eine ägyptische Sprachlehre. Und da hat er mir, wir haben uns angefreundet, gezeigt: "Schau, ist sie nicht süß?" Das war die Kleopatra. Das war also ... Er hat sich für Ägypten, für die ägyptische Sprache interessiert. Er hatte nur ein Hemd mitgenommen, das wurde halt bald dreckig. Ich war ja auch völlig weltfremd, aber nicht ganz so wie er. Wir haben dann ... wir sind dann in ein Lager gekommen. Wo hätten wir die Hemden gewaschen? Da gab's eine Tonne und einen Stock. Da hat man das hineingetan und Seife. Und hat dann mit dem Stock so lange, bis das halbwegs sauber war. Und der war derweil im Zelt, das war im zweiten Lager, im Zelt gesessen ohne Hemd, bis ich das gewaschen hatte, getrocknet hatte, und dann hab ich's ihm gegeben. Und dort wurde ich langsam etwas weniger weltfremd. Das erste Lager, Worth Mill, da hat man uns einfach hingebracht. Das war eine uralte Fabrik, wo rostige ... rostige Räder noch oben waren, ein Riesen-Betonboden, wo 1200 Menschen auf dem Boden schliefen mit einer Decke, die auch noch verlaust war, wie sich gezeigt hat. Das Erste, was wir bekamen, war ein Blechnapf und ein Blechlöffel. Und das Erste, was wir bekamen, war ein Abendessen, das war ein Hering. Und am nächsten Tag bekamen wir ein süßes Porridge in den selben Napf hinein. Aber auswaschen konnte man den nicht richtig, es gab einen Wasserhahn für 1200 Leute. Da stellten sich alle an. Man konnte nicht richtig waschen. Schmeckte wunderbar: Hering mit Porridge. Also, das ist ein eigener Genuss gewesen. Aber das hat sich dann ... Dann sind wir ins nächste Lager gekommen. Das war ein ursprüngliches Militärlager, wo Militärzelte waren. Eigentlich für vier Personen. Dort haben wir zu acht gewohnt. Mein Nachbar, der Cassirer, hat eine Bierkiste sich ... organisiert gehabt. Und da stand drauf die ägyptische Sprachlehre. Wir waren wie Tortenstücke in diesen Zelten drin. Er war neben mir, und wenn er sich in der Nacht umgedreht hat, fiel mir die ägyptische Sprachlehre, die 20 Kilo wog, auf den Schädel. Na ja, da im Lager hab ich also getroffen einerseits Jesuiten, mit denen ich diskutiert habe, andererseits Kommunisten. Da war ein Mann, ein Kommunist, der stand ... Ich ging im Lager herum, das war in dem zweiten Lager mit den Zelten, der stand auf einem Stein und rezitierte das Gedicht von Heine: Wir weben, wir weben.“ Also, ein sehr sozialkritisches, ein revolutionäres Gedicht von Heine sprach der auf einem Stein stehend ins Nichts, also in das Lager hinein. Der Sinn war, dass jetzt Leute erkennen sollen, dass hier einer ist, der ein Revolutionär ist. Und die haben den dann angesprochen und so hat sich eigentlich eine Gemeinschaft von Kommunisten um den geschart. In dem letzten Lager war dann ... Außerdem: Die Theatergruppe wurde geleitet auch wieder von einem Kommunisten. So bin ich wieder mit denen in Kontakt gekommen. Das hat mich dann überzeugt für lange Zeit. Dachte ich. Wünschen täte ich es noch immer: Eine Gesellschaft die mehr Gleichheit, die mehr Demokratie auch auf wirtschaftlichem Gebiet hat, die nicht so von Gier besessen ist wie unsere. Ich finde diese Gesellschaft, in der wir leben, abscheulich und hätte gerne eine andere. Nur leider: Es hat nicht funktioniert. Wir haben auch auf Englisch Theater gespielt, obwohl das manchmal ein seltsames Englisch war. In einem Stück hat ein Freund gesagt: (mit Akzent:) "I wave my sword constantly." Was also nicht direkt perfektes Englisch war. Ein anderer, ich weiß nicht mehr, wie er hieß, der ging in ein Geschäft, um einen Wecker zu kaufen und gesagt hat: "Please, I want a watch, that makes in the morning grrrrr." Also, das Englisch war nicht immer ganz perfekt, aber wir haben uns doch irgendwie durchgesetzt. Na ja, das war völlig ... Es sagen viele Leute: "Wie konnten Sie zurück nach Wien, wo Sie so behandelt wurden?“ Das war kein Problem. Das war für uns ganz klar: Wir machen aus diesem Land ein demokratisches, ein wunderbares Land, ein soziales Land, ein kommunistisches Land. Das war damals die ... Ich dachte wirklich, wir könnten eine Gesellschaft der Gleichen auf demokratische Weise schaffen. Also, das war gar kein Problem. Das war die schönste Zeit des Lebens: Ein Aufbruch in eine wertvolle Welt, die wir schaffen würden. Bis sich dann gezeigt hat, wir können es doch nicht. Wir haben ja ... In der Favoriten- straße 52 haben wir gewohnt und mussten in kürzester Zeit verschwinden. Sind dann zu meinen Großeltern, haben alle in der Wohnung der Großeltern gewohnt. Also, wir mussten aus unserer Wohnung weg. Als wir zurückkamen, ich war verheiratet, hatten wir ja kein Quartier. Bin ich also ... Das Haus stand. Viele andere waren zerbombt, aber das Haus stand. Und dort war ein Schneider-Ehepaar mit drei Kindern, die jetzt in unserer Wohnung gewohnt hatten. Na ja, was sollt' ich denn machen? Es kann ja nicht der Jude jetzt kommen und die Familie rausschmeißen. Ich wusste ja nicht, wie die da reingekommen sind. Die müssen ja keine Nazis gewesen sein. Es sind vielleicht Bombenopfer gewesen oder irgendwelche harmlosen Leute. Ich kann ja nicht jetzt kommen und die rausschmeißen. Das war ja entgegen unserer Auffassung. Auch als Kommunisten war das nicht unsere ... Na ja, haben wir halt weiter in der Pfeilgasse, da war so ein Jugendheim, auf Matratzen geschlafen. Also, wir waren überzeugte Kommunisten und unser Ziel war, Leute, Arbeiter vor allem, Unterprivilegierte ins Theater zu bringen, die sich nie über die Marmortreppen des Burgtheaters getraut hatten. Das Wesentliche war, dass wir eine echte Kultur für Unterprivilegierte angestrebt haben und es zum Teil auch gelungen ist. Schwierig, weil Arbeiter waren ja nicht gewohnt, ins Theater zu gehen. Wir haben aufgezogen eine ganz neue Art des Ansprechens des Publikums. Wir sind also nicht in die Fabriken gegangen, weil, in den Fabriken wollte ja nachher kein Arbeiter bleiben. Sondern in die Wirtshäuser. Damals gab's noch kein Fernsehen. Wo ist der Arbeiter hingegangen? Ins Wirtshaus. Dort haben wir Abende gehabt, literarische Abende. Wir haben jedes Stück in der Skala einen Monat gespielt. Und wir sind dorthin gegangen und haben zuerst einmal, das erste Mal ein buntes Programm gemacht. Das bestand aus Szenen und Liedern aus Theaterstücken. Also, Raimund, Nestroy, eine Szene von Gogol und so. Lustige, interessierende Szenen. Dann haben wir den Leuten gesagt: "Wir kommen nächsten Monat wieder." Wir haben einen Monat lang ein Stück gespielt. Und dann kamen wir jetzt aber mit dem Autor, dessen Stück wir im Theater gespielt haben. Wenn's Brecht war, kamen wir mit einem Brecht-Abend. Wenn's ein Nestroy war, kamen wir mit einem Nestroy-Abend. Und dann aber spielten wir. Der Zweck war, dass die Leute kommen und sich unterhalten dabei. Dann haben wir gesagt: "Schaut, wir kommen ohne Kostüme. Ist doch viel schöner im Theater.“ Und wir haben da ein Abonnement gehabt, das war zu Kinopreisen. Die Gagen waren entsprechend schlecht, die wir hatten. Na, Kinopreise. Und das Abonnement bestand aus einem ... Block mit Karten. Und man bezahlte die erste Karte. Und wenn’s einem nicht gefiel, hat man die zweite nicht mehr genommen. Ich bin ja in Pension gegangen im Burgtheater, hab aber dann noch einmal bei George Tabori gespielt die "Letzte Nacht im September". Und das ist ... wie gesagt, ich bin ja Stanislawskianer. Das heißt, ich versuche, mich in eine Rolle so hineinzuleben, dass die Gedanken des Autors meine Gedanken sind und seine Gefühle meine Gefühle sind. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr ganz aktuell. Der Tabori hat das Stück gespielt. Und da hab ich einen Mann gespielt, der weiß, dass er am Abend eine Giftpille nehmen wird und weg sein wird. Und ich hab das ... Nach Stanislawski hab ich mir vorgestellt, wie mir das wär', wenn ich am Abend eine Giftpille nehme und dann nicht mehr da bin. Hab also gewissermaßen 'tragisch' ... gespielt. Andererseits: Der Tabori hat aber so einen flapsigen Dialog gehabt. Das wär mir viel leichter gefallen, so bla, bla, bla ... Nicht daran zu denken, dass ich am Abend ... Und warum hat denn der Tabori das geschrieben? Der hat mit dem Stück seine Angst vor dem Tod weggewitzelt. Und das hätt' ich ... Da war ich schlecht in der Rolle. Na gut, das hängt völlig vom Regisseur ab, nicht? Das ist herrlich mit dem Strehler zu arbeiten gewesen. Oder dann gibt's auch welche, die sind Sadisten und so. Der Strehler übrigens zu seiner eigenen Frau auch. Der hat mit seiner Frau ... ganz schlecht gearbeitet, mit den anderen wundervoll. Na, schlecht nicht, aber hat immer den Ton vorgemacht. Und die hat ... Die Johanna hat ihn also so geliebt, dass sie ihm alles nachgemacht hat. Das hätte er bei anderen nicht gemacht. Ja, aber es gibt die verrücktesten Regisseure, und die können auch sehr gut sein, die Verrückten. Es gibt schwierige: Kortner war, weiß Gott, nicht einfach. Und trotzdem konnte man von ihm enorm profitieren. Dann gab's liebevolle, die sind seltener. Mein Großvater hatte einen Holzplatz auf der Eichenstraße 1a in Wien. Der wurde arisiert. Dafür wurde so ein Zwangsverkauf-Geld bezahlt, das auf das Konto meiner Großeltern ging. Nur leider war's ein Sperrkonto. Das heißt, sie konnten es gar nicht anrühren. Meine Großeltern selber wurden dann über Theresienstadt nach Treblinka gebracht und dort umgebracht, vergast. Meine Mutter kam aus Shanghai im Jahr '47 zurück und hat dann bei der Kreditanstalt angefragt, was ist mit ihren Eltern passiert, was ist mit dem Konto passiert, und hat einen Brief bekommen. Und da steht drin, dass von dem Geld nix mehr da ist. Es wurde zum Teil als Sühne-Abgabe, so hieß das damals, eingezogen. Und der Rest ... .. an das Gestapo-Konto für Juden-Umsiedlung geschickt. Das heißt, dass meine Großeltern für das Gas, mit dem sie erstickt wurden, noch bezahlt haben. Meine Mutter hat also weiter ... hat diesen Brief bekommen. Am Ende des Briefes steht als Pointe: "Bitte 35 Schilling für die Kosten der Nachforschung einzuschicken." Meine Mutter hat weiter damit nichts machen können. Ich hab dann mich sehr geärgert drüber und hab an die CA geschrieben, an die Rechtsabteilung. Also, es kam eine monatelange Diskussion auf, wo ich klargemacht hab, dass ich von dem Geld was haben will. Aber nicht für mich und nicht für einen Rechtsanwalt, sondern für Menschen, die heute in einer ähnlichen Situation sind wie wir damals. Mich haben meine Eltern allein ins Ausland schicken müssen, als Kind ins Nichts, wo man nicht gewusst hat, wie es weitergeht. Und heute schicken Eltern ... oder kommen die Kinder selber aus Afghanistan und aus Iran und aus dem Irak und aus Bosnien und überall, Jugendliche ohne Eltern hierher nach Österreich, die irgendwo untergebracht werden müssen. Und davon ... Dann nach langen Diskussionen hab ich doch etwas von dem Geld bekommen. Und damit konnten wir in Hirtenberg ein Heim, ein Haus, das da war, aber in einem desolaten Zustand, das von der evangelischen Diakonie betreut wird, herrichten mit diesem Anfangskapital. Und dort leben jetzt 47 Jugendliche, die aus verschiedenen ... Es kommen immer wieder verschiedene, weil sie dürfen nur dort sein, bis sie 18 sind. Dann ... es müssen ja immer Jugendliche sein. Und die leben jetzt dort. Und das ist ein einigermaßen gutes Gefühl, wenn man das so sagen darf, dass eine jüdische Großmutter, die vor Jahrzehnten umgebracht wurde, heute sorgt für Moslem-Kinder, für Hindus, für Christen und für Buddhisten. '81 hat die verstaatlichte, österreichische verstaatlichte Industrie, Steyr-Daimler-Puch, hat geliefert Panzer an alle möglichen fürchterlichen Regimes, u.a. ans argentinische, an die argentinische Junta, die besonders fürchterlich war. Die ihre Oppositionellen zum Teil zusammengebunden hat, aus Hubschraubern ins Meer geworfen hat, und also unendlich viele Menschen misshandelt und getötet hat. Und da hab ich jemanden, übrigens von Amnesty International, der kannte jemanden bei Steyr-Daimler-Puch. Hab ich gesagt: "Du, wir müssen was machen, dass das nicht so geht." Und der hat mir gesagt: "Heute zu Mittag gehen 56 Panzer nach Argentinien." Da hab ich mich in mein Auto gesetzt und bin zu Steyr-Daimler-Puch. Ich wusste gar nicht, wo das ist. Dann hab ich Schienen gesehen und dachte, aha, da werden die sicherlich rauskommen, und hab's Auto quer gestellt. Dann kam meine Frau, die glaubte, ich bin verrückt geworden. Ich versuche, mich 56 Panzern entgegenzustellen. Und das war eine lustige Geschichte, muss ich jetzt doch erzählen: Es kam dann ein Staatspolizist, 1,90 m groß, ein solcher Kerl, der aber unheimlich höflich war und immer gesagt hat: "Herr Burgschauspieler", die Haken zusammengeklappt hat, "Würden Sie bitte wegfahren?" - "Nein, ich fahre nicht." "Aber Sie stehen auf fremden Grund." - "Ich weiß." "Aber das ist doch ein Vergehen.“ "Ja, aber ich steh da, weil es Mord ist, wenn die da nach Argentinien fahren.“ Also, er war sehr höflich und da wollt' ich nicht weniger höflich sein. Meine Frau war gerade mit unserem Pudel angekommen. Und ich sagte: Darf ich vorstellen, meine Frau und meine Tochter.“ Und zeigte auf den Pudel. Jetzt steht in meinen Staatspolizeiakten: "Er hat versucht, mit Frau und Tochter die Panzer aufzuhalten." Also, es zeugt von der Intelligenz dieses Staatspolizisten. Es war kein weibliches Wesen, außer dem Pudel, in der Nähe. So, und dann hat meine Frau so alle möglichen Leute angerufen: "Kommt's her. Wollen wir das verhindern." Wir haben es vier Stunden lang verhindert, dass die Panzer rausgehen, aber dann ist es doch gelungen. Ich stand so auf den Schienen, kam mir vor wie Burt Lancester in einem Heldenfilm. Naa, ich hab schon gewusst, ich bin ein Komiker, dem das eigentlich nicht richtig liegt. Am Abend musste ich ein schweres Couplet singen im Burgtheater. Während ich so dastand, hab ich das Couplet repetiert im Kopf. Die meiste Angst hatte ich vorm Hängenbleiben. Ans Überfahren hab ich eh nicht 'glaubt. Alles, was ich außer der Pension verdiene, geb ich für die Dritte Welt und Flüchtlinge. Das ist aber über den Entwicklungshilfe-Klub. Das ist ein Verein, der das alles überprüft, der keine Almosen verteilt, sondern nur Menschen hilft, die dort ... Sagen wir, dort gibt's Menschen, die arbeiten für die ... .. befreien ... In Indien ist die Kinderarbeit verboten, aber viele Kinder arbeiten in der Teppichindustrie. Jetzt konzentrieren wir uns auf den Steinbruch, was noch schlimmer ist, wo Kinder aufwachsen und eine sehr kurze Lebenserwartung haben. Das sind alles überprüfte Projekte, wo immer jemand hinfährt auf eigene Kosten. Die Spenden werden zu 100 % dorthin geschickt, wo sie hingehören. Die werden nicht verbraten für Administration oder für Dienstautos oder für so was. Und ... das ist eine sinnvolle Sache. Ich bin auch hingefahren, hab mir die Projekte angeschaut. Manche unterstütz' ich nicht mehr, weil sie nicht so gut sind. Aber andere unterstütz' ich. Aber es wird alles überprüft und nicht Menschen abhängig gemacht von Almosen. Das war ja das Tollste, was wir gehabt haben. Da haben wir erhöhte Preise gehabt bei der Netrebko. "Manon" hat der Operndirektor uns ermöglicht. Und da konnten wir in einer Vorstellung 600 Straßenkinder in Brasilien, in Indien und in Äthiopien ein Jahr lang erhalten von einer Vorstellung. Da bin ich vor den Vorhang gegangen und hab gesagt: "Also, ist das nicht wunderbar dieser Applaus." "Die Manon ist jetzt gerade auf der Landstraße gestorben, aber Sie applaudieren und da steht sie vor uns, quicklebendig und verbeugt sich." "Nur da gibt's Tausende von Kindern, die werden auch auf der Straße sterben." "Denen applaudiert niemand und niemand hilft ihnen, außer Sie." "Sie haben heute höhere Preise bezahlt und wenn Sie noch was in diese Büchsen werfen, dann können die Kinder ..." Und da haben die Leute gespendet und von dem einen Abend haben wir 600 Kinder ein Jahr lang versorgen können. Das macht sich recht gut. "Geiz ist geil" und ich ... Was sagt immer der Lauda, wenn er sich das halbe Schnitzel einpacken lässt: "Ich habe nichts zu verschenken." Und wir haben eigentlich eine Menge zu verschenken, wenn man das vergleicht, wie manche Menschen leben. Es stört mich an der jetzigen Gesellschaft, dass eine Milliarde Menschen hungern. Und dass das ... Wenn man das gesehen hat, wenn man weiß, wie Menschen leben, das ist ja nicht zu fassen. Man lebt hier in einer Traumwelt. Seitdem ich das gesehen habe, weiß ich, dass ich noch in den paar Jahren, die mir bleiben, eine Funktion habe, für einige Menschen das Leben zu ändern und zu zeigen ... in welche Richtung es gehen müsste, damit diese Menschen nicht verhungern. Weil, eine Milliarde Menschen hungert heute. Und da ich mein Leben nicht vertun will für etwas Sinnloses, ich will nicht auf Demonstrationen gehen, die nix bringen, mach ich das, was ich für sinnvoll halte. Ich tu' das Leben einiger Menschen verändern. (lachend:) Ich liebe Wien, ich find's schön. Ich find's schön. Ich mag das Theater. Ich mag die Theaterliebe der Leute. Also, Nestroy war für mich immer Heimat. Es war eigentlich völlig klar: Ich bin ... in Wien zu Hause. Warum soll man dieses Land den Nazis übergeben? Man muss ein besseres Land daraus machen. In einem anderen Land ... Was tu ich da? Und in England konnte man keinen Nestroy spielen, auch nicht in Australien oder Kanada. Ich will mir ja nicht selber auf die Schulter klopfen. Dankbar kann ich ja sein, weil ich das ganze ... dieses grässliche Hitler-Zeug überlebt habe. Heute geht's mir ... Meine Kindheit hat ja nicht so besonders gut ausgeschaut und meine Jugend schon gar nicht. Aber jetzt hab ich eine Pension vom Burgtheater, hab eine schöne Wohnung, eine liebe Frau und einen entzückenden Hund, oder entzückende Frau und lieben Hund, je nachdem. Was kann ich eigentlich mehr wollen? Ich hab keine Sorgen. Ich weiß, dass ich auch morgen zu essen habe und dass sehr viele Menschen morgen nichts zu essen haben. Und da darf ich mich doch als einen Glückspilz betrachten.

Archiv-Video vom 12.08.2014:
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Otto Tausig (Schauspieler)

Wir und Wien - Erinnerungen Der Schauspieler, Regisseur und Autor erinnert sich an seine Kindheit in Wien, seine ersten Schritte auf der Theaterbühne und das Aufkeimen des Nationalsozialismus. Otto Tausig erzählt über die "Späße" der Nazis, die nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland zur Realität für viele Juden wurden. Dank seiner Mutter gelang Tausig zwar schon 1938 die Flucht nach Großbritannien, wo Hunger sein ständiger Begleiter war. Speziell durch das Leben im Flüchtlingslager lernte Tausig damals andere Weltbilder, fremde Religionen und demokratisch-soziale Ideologien kennen, die sein weiteres Tun und Handeln maßgeblich prägten.

Länge: 48 Min. 05 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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Wiener Märkte digital

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Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
Länge: 1 Min. 51 Sek. | © Stadt Wien - Magistratsabteilung 59
Enthüllung neue Pionierinnen

Enthüllung neue Pionierinnen

Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

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