Ihre aktuelle Position:
  1. wien.at
  2. Video

Mitschrift

Meine Eltern haben einanderim Jahr 1925 kennengelerntin einer Bahnfahrtnach Heiligengeist.In Heiligengeist war das Hausder Akademischen Gruppeder Naturfreunde.Die Herkunft meiner Elternwar sehr verschieden.Meine Mutter stammte auseiner bürgerlich-jüdischen Familie.Ihr Vater war Rechtsanwalt.Sie sah das Elend der Arbeiterund schrieb ihre Gedanken aufals Fünfzehnjährige.Da sagte ihre ältere Schwester:"Du bist Sozialdemokratin.""Geh dorthin, dort findest du,was du suchst."So kam meine Mutter in jungenJahren zur Sozialdemokratie,nicht ganz zur Freude ihrer Eltern.Sie war schwer sehbehindertund es holten sie immer Freunde abfür die Parteiveranstaltungen.Die kamen im Blauhemd.Mein Großvater hat immer gesagt:"Können sich die nichts Ordentlichesanziehen zum Abholen?"So war also der Stand meinermütterlichen Großeltern zur SPÖ.Meine Mutter hat sehr gebettelt,dass sie nicht erst mit 18,sondern schon mit 17der Partei beitreten durfte.Sie war eine überzeugte Natur-freundin und war auch bei denen.Und so hat sie bei der Reisein das Ferienlagermeinen Vater, der damals 19 war,kennengelerntund sich auf Anhiebin ihn verliebt.Es waren natürlich ...schon sehr verschiedene Milieus.Meine väterliche Großmutter war das,was man damals als Dienstmädchenbezeichnet hat und Köchin.Mein Großvater war Wagnerund sehr oft arbeitslos,weil er gewerkschaftlichorganisiert war.Mein Vater...Meine väterlichen Großeltern haben,obwohl sie arm warenund Arbeiter waren, durchschaut,dass der einzige Weg aus dem Elendheraus die Bildung ist.Sie haben alles gemacht,dass mein Vaterdas humanistische Gymnasiumbesuchen konnte und studieren.Er hat selbst natürlich auchdurch Arbeit dazu beigetragen.Wie gesagt,es waren sehr verschiedene Milieus.Mein Vater war sehrpro-jüdisch eingestellt,denn seine Mutter war tätigbei Juden, die sehr nett waren.Er durfte mit den Kindernder Herrschaft spielen.Das war ungewöhnlich,dass das Kind eines Dienstmädchensmit den Kindern der Herrschaftspielen kann,sodass für ihnAntisemitismus nicht vorkam.Es war viele, viele Jahre später,als eine jüdische Freundinmeine Mutter fragte:"War der Bruno nie Antisemitoder wurde er erst durch eure Ehezum Philosemiten?"Meine Mutter,die sehr lustig war, sagte:"Er ist trotz unserer Ehenie ein Antisemit geworden."Also,so standen meine Eltern zueinander.Sie haben dannim Jahr 1930 geheiratet.Meine Mutter hat schonfür möglich gehalten,dass ihre ElternSchwierigkeiten machen.Es wollten beide Gruppen nicht,dass ihre Kinderins andere Milieu heiraten.Aber meine Großelternwaren so von der Intelligenzund der Anständigkeitmeines Vaters hingerissen,dass sie dieser Ehe zustimmten.Die Ehe meiner Eltern war eine sehrglückliche und eine sehr lustige.Sie waren beide sehr humorvoll,sie waren beidegeistreich und witzig.Und sie haben an ihre Idealewirklich geglaubt und sie gelebt.Mein Vater ist nach dem Studiumnach Klagenfurtzur Arbeiterkammer gekommen.Meine Mutter ist ihm nachgefolgt.Sie war in Kärntennicht sehr glücklich.Es war, sie hat gesagt...Sie hat einmal zu mir gesagt:"Ich wollte nicht nurunter Juden leben,aber es ist grauenhaft,in einer Stadt ohne Juden zu leben.""Das habe ich dortin Klagenfurt erlebt."Dort wurde sie mehr mit demAntisemitismus konfrontiert.Mein Vater war Bibliothekar undBildungssekretär der Arbeiterkammer,hat das sekundäre Bildungswesenin der Zeit der Arbeitslosigkeitmit der Kammer aufgebaut.Am 12. Februar 1934wurde er verhaftet.Bei meiner Mutterwurde die Wohnung durchsucht.Die Polizei hat nicht genauhingeschaut.Sie hat sogar irrtümlichdie Lade geöffnet,wo die Munition desKärntner Schutzbundes drinnen war.Sie ist dann auf die Polizeiund wollte meinem Vater mitteilen,dass er nichts gestehen soll.Aber sie durfte nicht mit ihm reden.So ist sie wie eine Irre durchdie Gänge gelaufen und hat geschrien:"Ich muss mit meinem Mann reden,ich bin so eine gute Hausfrau.""Heute hab ich allesin Butter gekocht, alles!"Mein Vater wusste, dass meine Mutterkeine gute Hausfrau ist.Damit war auch klar,dass das eine Botschaft an ihn war.Mein Vater ist wieder freigekommen,weil man ihm nicht vielnachweisen konnte.Er hat seine Arbeit verloren.Sein Vorgesetzter kam dannzu meiner Mutter.Er hat gesagt: "Sind Sie doch nichtso dumm und arbeiten dagegen,dass Ihr Mann übertrittzur christlich-sozialen Partei.""Er könnte seinen Posten behaltenund wir könnten ihn brauchen."Meine Mutter hat ihm geantwortet:"Mein Mann hat mich noch nie gefragt,was er politisch tun soll.""Dort ist die Türund Sie verschwinden jetzt!"Womit das Kapitel Arbeiterkammerabgeschlossen war.Auf der anderen Seitemuss ich sagen,war dieser Kammeramts-Direktorso anständig,ihm ein ausgezeichnetes Zeugniszu geben.Später wurde nochmeine Mutter verhaftet,weil sie Flugzettel verteilt hat.Das waren drei Monate Haft.Sie hat nicht verraten,wer ihr die Flugzettel gegeben hat.Das war ein Familienvater.Sie wollte nicht, dass der sitzt.Sie hat gesagt, sie hat kein Kind,für sie ist es weniger schlimmals für einen Familienvater.Man sagte zu ihr: "Sie müssen dieFlugzettel ja von jemandem haben."Sie hat gesagt:"Plötzlich steckten so viele Zettelin meinem Postkasten, da dachte ich,das sollen auch andere sehenund hab sie verteilt."Sie sind dann nach Wien zurück.Mein Vater hat eine Anstellungals Lehrer gefunden,seinem eigentlich erlernten Beruf,und hatte das bis '38 inne.Im März '38 hat man meinem Vaterund einem Freund dort gesagt:"Wir wissen,dass Sie Sozialisten sind.""Sie können bleiben, setzen Sie nurdas Wort 'national' voran.""Und lassen Sie sich scheiden."Mein Vater sagte:"Danke, ich habe zwei Hände.""Ich kann arbeiten.Ich lasse mich nicht scheiden."Das war die Lebensrettungmeiner Mutter.Hätte er sich scheiden lassen,hätte es für sie nurdie Vernichtung gegeben.Mein Vater war zu jenem Zeitpunktschon fertig mit seinemzweiten Studium, dem Jus-Studium,und hat nicht angesuchtum die Zulassung zur Promotion.Denn erstens hätte er dort einen Eidauf Hitler schwören müssen,und zweitens durfte meine Mutterdie Uni als Jüdin nicht betreten.Sie hatte so viel Anteilan seinem Studium,dass er wünschte,dass sie dabei ist.Und das "Tausendjährige Reich"würde enden.Er war immer in dem festen Glauben:Es gibt ein Danach.Er wollte zwar,um meine Mutter abzusichern,mit ihr ins Ausland gehen.Er war schon in Italien,um eine Arbeit und das vorzubereiten.Die Schwester meiner Mutterlebte schon in Italien.Aber meine Mutter hat nicht erwartet,dass es so schlimm wird,und hat ihn wieder zurückgeholt.Sie haben dann teils verstecktim Untergrund in Wien gelebt,anfangs noch offen, denn die Mutterwar privilegiert durch ihre Ehe.Er hat bei einem Rechtsanwalt,der auch mit einer Jüdinverheiratet war,als Kanzleigehilfe gearbeitet.Sie haben mit den Freundenim Widerstand immer Kontakt gehabtund sie getroffen.Das war eben auch Adolf Schärf,den man geschichtlichimmer schlecht dargestellt hat.Nur das stimmt nicht.Als ein vernünftiger Menschkonnte er nicht niederschreiben,was er vom Regime hält.Mein Vater sagte mir immer,man schreibt sich nichts auf.Was man im Hirn hat, kann einemdie Polizei nicht beweisen.Es war klar,dass Schärf nur Banalitätenin sein Tagebuch geschrieben hat.Jüdinnen und Judenwurden sehr rasch gekennzeichnet.Mein Vater war immerein bisschen vorausdenkendund hat sich sofort ein Duplikatdes Trauscheins beschafft.Denn auf den Original-Trauscheinkam immer die Stampiglie drauf.Die Juden mussten sich meldenund dann gab's eine Stampiglie:Der oder die Betroffenehat angezeigt,dass er den Namen Sarah bzw. Israelangenommen hat.Die Frauen mussten sich Sarah,die Männer Israel nennen.Das war auf jedem Dokument.Hat mein Vater was gebraucht,nahm er das Duplikat.Ist was kontrolliert worden,nahm er das Original.Also, er hat immer gesagt,ein bissel muss man vorausdenken,was sein kann.Und das war alsoeine sehr weise ... Entscheidung.Mein Vater hat mir auch gesagt,illegale Treffen darf man niemalsin einer Wohnung oder in einemKaffeehaus machen, da fällt man auf.Entweder in der freien Naturoder mitten unterm Feind.Wir hatten unsere Treffenim Justizpalast,denn keiner hat damit gerechnet,dass wir die Unverschämtheit haben,unter denen alles auszutauschen.Wir gingen über Akten gebeugtund haben einander alles erzählt.Mir sagte ein Freund,man tauschte Zettel ausüber Bücher dort in der Bibliothek.Das hat dann auchMolden einmal beschrieben,dass der Botschafter Lemberger,der im Exil war,der abgesprungen warin der Uniform eines SS-Mannes,ihnen gesagt hat,wo die Alliierten sind.Und ihnen einen genauen Berichtgegeben hat.Der war auch dort in der Uniformeines SS-Mannes im Justizpalast.Ich glaube, der war auchbei der amerikanischen Armee.Also, so hat man sich auch getroffenund geholfen.Und es gab wie gesagt,das muss man sagen, auch Nazis,die dann nicht mehreinverstanden warenund ihr Leben riskiertund gelassen hätten,hätten sie sich offen abgewandt,die auch geholfen haben.Das mag auch dazu geführt haben,dass man nachher,für viele unverständlich,Nazis geholfen hat.Aber einer, der mir in einerbedrängten Situation hilft,dem bin ich dann auch dankbar.Mich hat einmal ein Passant in einemWahlkampf angesprochen und gesagt:"Ihren Papa habe ich gut gekannt."Das haben mir viele Leute gesagt."Wissen Sie, ich war ein Lehrbubund mein Chef war ein Greißlerim vierten Bezirkin der Belvedere-Gasse."Ich dachte: Komisch,was hat der Papa dort gemacht?Der war ein großer Naziund hatte zwei Kantinenund für die hatte er30 Prozent Schwund.Und da hat er gesagt:"Ihre Mutter war doch Halbjüdin."Ich sage:"Nein, meine Mutter war Jüdin.""Sie hat kaum Lebensmittelauf Marken gehabt.""Und von den 30 Prozent Schwundhat er Ihrem Papa die Lebensmittelverkauft, die Ihnen gefehlt haben."Ich bin sicher, nach dem Krieg hatmein Vater auch diesem Mann geholfen.Denn er hat ihm auch geholfenin einer schrecklichen Situation.Das waren halt die Dinge,wo man half.Oder mein Vaterhatte einen Kartenfreund.Mein Vater hat gern nächtelangin Kaffeehäusern Karten gespieltmit seinen überwiegendjüdischen Freunden.Einen hat die Gestapo gesucht.Er sagte zu meiner Mutter:"Einen Freund verfolgt die Gestapo,kann ich den bringen?"Hat sie gesagt:"Es sind die meinen.""Wenn du das Risiko eingehst,tue ich alles, um sie zu retten."Der hat dann einige Wochenbei meinen Eltern gewohntund hat dann noch versucht,rauszukommen.Er hat im 18. Bezirk gewohnt,meine Eltern im 12.Und der in der Auswanderungsstellewar ein dankbarer Patient von ihmund hat ihm auch geholfen,dass er noch auf diese Listeder Auswanderung gekommen ist.So hat er überlebt.Der wird sich gut an ihn erinnern.Auch wenn er sonst mies war,ihm hat er in derbedrängten Situation geholfen.Und dieser Freund meiner Elternkam dann jedes Jahrvon Long Island nach St. Jakob,um mit ihnen Urlaub zu verbringen.Weil er so froh war,dass er sich diese Wochen bei ihnenverstecken konnte und so überlebte.Also, das Leben war voll Tragik,aber es gab auch immer irgendwomenschliche Hilfe.Meine Mutter durfte Wien nieverlassen. Aber sie hat es gemacht.Sie musste als Frau eines Arierskeinen Stern tragen,aber auf den Dokumenten sah man,dass sie Jüdin war.Sie musste den Namen Sarah annehmen.Sie waren bei einer Bäuerinmit einigen Freunden.Und eines Tages hat sie bemerkt,dass die Bäuerin ihr immer Obstoder Kekse in das Zimmer gibt.Sie fragte die Frau:"Warum tun Sie das?""Weil Sie mir so leidtun.""Warum?"-"Weil Sie eine Jüdin sind."Es hat eine Frau aus der Gruppe,die sie danach gefragt hat, gesagt:"Bei mir ist alles in Ordnung,aber schauen Siebei der Frau Pittermann."Da sagte meine Mutter:"Gut, jetzt muss ich weg.""Ich kann sie nicht gefährden.""Wenn Sie nichts wüssten,könnten Sie anders aussagen.“Die wollte, dass meine Mutter bleibtund hätte alles für sie getan.Diese einfache christliche Bäuerinhatte noch nie in ihrem Lebeneine Jüdin gesehen.Und trotzdem war sie bereit,etwas für eineunbekannte Frau zu tunaus ihrem christlichenVerständnis heraus.Also, auch diese Jahre ...sind dann irgendwie vorbeigegangen.Meine Eltern wohnten zum Schlussversteckt in Niederösterreich.Dann war der Krieg vorbei.Mein Vater erzählte einem Freund:"Mizzi hat gesagt: jetzt oder nie.""Wir haben uns für jetztentschieden." Das "jetzt" war ich.Meine Mutter war nach 16 Jahren Ehemit 38 Jahrentrotz großergesundheitlicher Gefährdung bereit,ein Kind zu bekommen.Und ... wie gesagt:Ich hätte an ihrem Hochzeitstagkommen sollen, am 16.,ich kam früher, am 3. Februar.Am 12. Februar war die Promotionmeines Vaters angesetzt,auf die er so lange gewartet hat,bis das Hitler-Reich vorüber ist.Und dann war meine Mutterauch nicht dabei,weil der Arzt esnicht gestattet hat.Aber es war für ihn doch so schön,und sie war dabei.Weil ein Kind da ist,hat sie die zweite Promotionnicht miterlebt.Außerdem musste er keinen Eidauf den Führer schwören.Und dann kam für meine Muttereine Frage.Meine Eltern haben über Religionsehr wenig gesprochen.Aber mein Vater sagte danngegen Ende der Schwangerschaft:"Religion ist ein StückKulturgeschichte,und wir erziehen das Kindnicht religiös,aber das Kindsoll Religion erfahren."Und meine Mutter hat dasnicht zusammengebracht...Freunde haben sich so gefreut,dass sie schwanger ist,dass sie gesagt haben:"Wir werden bei dem Kind Taufpaten."Und meine Mutter hat nie gesagt:"Ich habe keine Taufein Erwägung gezogen."Und dann wollte sie nicht,nachdem sie denen das Lebenverdankte, sagen:"Euren Glauben möchte ichaber nicht für mein Kind."Dann hat sie gesagt:"Ich bin aber noch zu schwach,um in die Kirche zu gehen.Es ist so kalt.""Ihr lasst das Kind taufenund kommt dann zu mir nach Hause."Sie wollte meinem Vater nicht sagen:"Ich will das nicht sehen."Am nächsten Tag kam mein Vaterund sagtet:"Mitzerl, wir haben eine Haustaufe."Da konnte meine Mutter nicht sagen,ich wollte es nicht sehen,denn sie wollte ihn nicht verletzen.Und sie hat halt ...diese Taufe zwiespältigein bissel daheim vorbereitet.Und dann hat mich ihre engsteJugendfreundin am Arm gehabt,und als der Pfarrer über mirdas Kreuz gemacht hat,hab ich im hohen Bogen erbrochen.Da hat sie gesagt:"Das hat mich sehr befriedigt.""Das war ein Zeichen.Ein Judenkind tauft man nicht."Dann hatte meine Mutter,als ich zwölf Jahre war, Krebs.Sie war sehr verzweifelt,denn es gab keine Familie,außer meinem Vater.Mein Vater war auf dem Höhepunktder Karriere.Sie hat sich Sorgen gemacht, wassein wird, wenn sie nicht mehr ist.Sie hat wieder mit demlieben Gott gehandelt, und gesagt,wenn sie meine Matura noch erlebt,tritt sie wiederder Kultusgemeinde bei.Nicht, weil sie gläubig ist,aber um ein Zeichen zu setzen.Sie hat meine Matura erlebtund hat meinem Vater gesagt:"Ich habe gelobt, wiederder Kultusgemeinde beizutreten.""Du bist am Höhepunktdeiner Karriere,wirst selber immerwieder antisemitisch beschimpft.""Kannst du damit leben, dass ichwieder in die Kultusgemeinde gehe?"Da hat er gesagt: "Ich wusste immer,dass ich eine Jüdin geheiratet hab.""Das steht dir völlig frei,ich habe nichts dagegen.""Was ich dich bitte, ist,dass das Kind nicht beitritt.""Ich will nicht,dass es das Schicksal erleidet,vor dem ich dich bewahren konnte.""Sie kann alles tun,sich zugehörig fühlen,nur sie soll auf keiner Liste sein,von der herunterman sie deportieren kann."Das war meiner Mutter plausibel,und sie hat auch mir das Versprechenabgenommen, mich daran zu halten.Und sie ist dann später so weitgegangen, dass sie gesagt hat:"Gib deinen Kindernkeine jüdischen Namen.""Sie sollen nicht darunter leiden,dass ich ihre Großmutter war."Sie äußerte auch den Wunsch,ich soll sie nicht taufen lassen,aber ich solle ihr Leben sichern.Ich erinnere mich,als ihre Schwester sie fragte,"Welchen Mann wünschst du dirfür die Liesel?", sagte sie:"Dem Herzen nach einen Juden,dem Verstand nach einen Arier."Diese Angst ... war eben:Es kann wiederkommen.Keiner, der die Zeit erlebt hat,hält es für ausgeschlossen.Ich glaube, das,was uns davor bewahrt, ist die EU.Aber ansonsten:In einer zivilisierten Zeit,es war ja nichtdas finstere Mittelalter,das war vor 70 Jahren...Bei einem aufgeklärten, gebildeten,technisch versierten Volk,dass man Menscheneinfach genommen hat,nur aufgrund dessen,dass sie Juden waren oder Romaund Sinti, und sie vernichtet hatund ihre Vernichtung gewollt hat.Mich stört es auch immer,wenn man Antisemitismusmit der jetzigenFremdenfeindlichkeit gleichsetzt.Es war anders. Es war durchdie katholische Kirche produziert.Die Juden waren die Christenmörder.Dann ging es stärkervon der Akademikerschicht aus.Also, es war nicht völlig identmit dem, was heute ist.Es hat Parallelen, aber identin der Hinsicht war es nicht.Heute sehen die Menschenkaum mehr Juden hier,und sie sind auch nochAntisemiten.Das ist das Schreckliche,dass es sich nicht ändert.Ich will Kritik an Israel nichtgleichsetzen dem Antisemitismus.Man kann durchaus Israelkritisch gegenüberstehen.Aber die Art, wie argumentiert wird,die ist antisemitisch.Ich werde ganz böse,wenn man mir sagt:"Wie kann ein Volk,das so gelitten hat,mit einem anderen so umgehen?"Hab ich gesagt: "Deswegen.""Träumer, Fantasten, Weltverbessererwurden gleich umgebracht.""Überlebt haben nur die,die stark am Körper,sehr stark am Geistund sehr hart waren.""Die anderen konnten dasnicht überleben.""Eure genetische Selektionund das Wissen,dass die ganze Welt zugeschaut hatbis auf ganz wenige,macht das,dass man sich geschworen hat,sich nie wieder umbringen zu lassen."Man muss nicht alles richtig heißen,was Israel macht.Aber man muss schon sehen: Es istdie einzig gewählte Demokratie.Auch wenn ich Netanjahu nicht mag.Er ist gewählt.Ich hab auch Schüssel nicht gewollt,aber gewählt war er trotzdem.Koalitionen kann man bilden,ob's mir passt oder nicht.Das ist das Spiel der Demokratie.Aber alle anderenhaben korrupte Regime, Diktaturen,und achten auch nicht Menschenleben.Niemand achtet so Menschenlebenwie die jüdische Religion.Da ist das menschliche Lebendas Wichtigste.Wenn wir denken,wie die Araber begonnen haben,zu entführen und zu morden,so in den 60er-, 70er-Jahren.Wenn die Israelis zurückgeschlagenhaben, haben sie immer versucht,nicht breit hineinzuballern,was für sie sicher gewesen wäre,sondern sich die Attentäterherauszufischen.Und sie sind in die Häuser gegangen,um sie herauszuholen.Die Frage ist: Darf ohneGerichtsverfahren ein Mord geschehen?Sie sind ja ununterbrochenterrorisiert worden.Aber die Achtung vor dem Lebenist in dieser Religion wesentlichgrößer als in allen Religionen.Man hat ja noch innerhalb Israelskritisiert, ob es richtig war,Eichmann zum Tode zu verurteilen.Also, man geht schonviel kritischer mit Dingen um,als es je bei anderen der Fall ist.Daher tut es mir oft weh,wie man über Israelabfällig ... spricht,und dass es durchaus nochantisemitische Klischeesüberall sehr stark gibt.Es ist mit in der Sprache drinnen.Das fällt niemandem oder wenigen auf,wenn etwas Antisemitisches ist.Das kann sehr nett in Komplimenteverpackt sein.Mir hat ein Vorgesetzter gesagt:"Sie sind so sympathisch,dass man nicht glaubt,dass Sie eine Jüdin sind."Er glaubte wirklich,er macht mir ein Kompliment.Der Nächste hat mich gefragt nachdem Papa, und ich hab gesagt:"Das Größte am Papa war nicht,dass er Parteivorsitzender,Internationale-Präsidentoder Vizekanzler geworden ist,sondern dass erzu meiner Mutter gestanden ist."Ein anderer sagte: "Es macht mirnichts aus, dass du Jüdin bist."Da habe ich gewusst,es macht ihm etwas aus.Denn wenn es ihm nichts ausmacht,braucht er es nicht zu sagen.Ich bin nicht ein anderer Mensch,ob man es weiß oder nicht.Ich werde immer derselbe Mensch sein.Es unterscheidet unsgenetisch nichts.Ob sympathisch oder unsympathisch,das hat nichts damit zu tun.Mein Vater hat nach dem Kriegzuerst ein bisschen geplant,die Anwaltsprüfung zu machenund war schon bei Rosenzweigin der Kanzlei eingeschrieben.Dann kam die Aufgabe an ihn heran,bei der Errichtungder Arbeiterkammer mitzuhelfenoder die Arbeiterkammer als Kammer-amtsdirektor wieder zu errichten.Ich habe auch noch Kuverts von ihm:"Bruno Pittermann,Ebendorferstraße 7."Dann wurde er Sekretär des damaligenMinisters für Soziale Verwaltungoder Staatssekretär,das war damals Johann Böhm.Später wurde er abgelöstvon Karl Meissl.Und weiter wurde er dannin der ersten Wahl nach dem Krieg,also im November 1945,in den Nationalrat gewählt.Er hat sich dann vollder Politik gewidmet,hat in der Arbeiterkammerauf sein Gehalt verzichtet.Er hat gesagt, er hat schon genug,mehr braucht er nicht.Bei seiner Bitte um Entbindungvon dieser Aufgabe im Jahr 1948nach dem Tod von Paul Speiser,wo ergeschäftsführender Klub-Obmann wurde,hat Hillegeist dasden anderen mitgeteilt,dass er diese Arbeitunentgeltlich durchgeführt hat.Und da hat einer gemeint, da solltenwir ihm ein Ehrengeschenk geben.Aber auch das hat Bruno Pittermannsich verbeten.Und von Staribacher erfuhr ich,dass mein Vater Kollektiv-Verträgeselber geschrieben hatfür die Lohnschlächter.Er meinte: "Die interessieren keinen,also schreib ich sie selbst."In meinem Geburtsschein stand drin:"Erster Sekretärdes Arbeiterkammertages".So hieß damalsder Kammeramtsdirektor.Der Papa kam bald als Delegierterzur Beratenden Versammlungdes Europarates.Das war aber nur Beobachterstatus,weil die Alliierten nochin Österreich waren.Meine Eltern haben sie nieals Besatzer,sondern als Befreier empfunden.Wiewohl mein Vater dann ...sehr gekämpft hatfür Erleichterungen,und dass Österreich wiederein eigenständiger Staat wird,was wir dann ab 1955 geworden sind.1957 wurde nach dem Tod von KörnerSchärf zum Bundespräsidentengewählt.Und im Parteivorstandentschied man sich,dass mein Vaterihm nachfolgen sollte.Mein Vater, der den Parlamentarismusso geliebt hat,wollte Klub-Obmannund Parteivorsitzender sein.Adolf Schärf hat gesagt:"DieseFunktion ist nicht zu trennen.""Wenn die Partei ruft,dann hat man anzunehmen.""Das gilt auch für dich."So wurde mein Vater Vizekanzlerund Parteiobmann.Im Jahr '59, nach einer Wahl,die für die SPÖ gut ausging,bekam er dann noch das RessortVerstaatlichte Industrie dazu.Er war sehr stolz,wenn man den Arbeiternimmer mehr bieten konnte,gute Gehälter,und wenn ein Betriebnach sozialdemokratischenGesichtspunkten führen konnte.Nämlich die arbeitenden Menschenmit einem gerechten Lohnfür ihre Arbeit teilhaben zu lassen.Die nächsten Wahlenwaren dann weniger erfolgreich.Es begann ein Dirty Campaigninggegen ihn,das auch durchaus antisemitisch war.Man hat meine Eltern beschuldigt,sie besitzen Löwa, Billa,Luxusvillen.Es hat alles nicht gestimmt.Aber wirft man Dreck nach jemandem:Es bleibt immer picken.Es gab Leute, die meinen Vaternicht fanden in seiner Wohnung,weil sie die Luxusvillagesucht haben, die es nicht gab.Mein Vater wurde '64zum Präsidenten der SozialistischenInternationale gewählt.Eine Funktion,die er sehr gerne innehatte.Er war dann nach dem Ausscheidenaus der Regierung '66,weil die Bedingungendurch die ÖVP unannehmbar waren,wieder beim Europarat.Und er hat sich da eingesetzt fürMenschenrechte, gegen Antisemitismusund für die Möglichkeit der Ausreiseder Sowjetjuden,sowie für die FreiheitGriechenlands,das von Obristen geführt wurde.Mein Vater hat immer gesagt,Bildung ist wichtig.Ich konnte ihm auch Freude machenmit guten Noten und hab's getan.Ich wollte auch im Studium zeigen,dass ich keine Protektion brauch.So hab ich immer viel gelerntund es ist mir gelungen,alle Prüfungen mit Auszeichnungabzulegen.Ich wurde sub auspiciis promoviert.Es soll keiner sagen,sie ist durchgekommen,weil sie die Tochter ist.Sie waren alle sehr nettan der medizinischen Fakultät,weil sie sahen, ich lebe von mirund nicht vom Namen des Vaters.Wir hatten einen rechtlustigen Pedell am Dekanat,der auch gemerkt hat,dass ich mich anstellezum Immatrikulieren vier Stunden.Und nicht, dass der Vater anruftund ich geh beim Hintertürl rein.Aber das war für mich undenkbarund hat dazu geführt,dass ich mich mit den Kollegen,die ich im Studium kennenlernte,sehr gut verstanden hab -auch über Parteigrenzen hinweg.Denn es zählte die Leistungund ob man kollegial zueinander warund wie man zu den Patienten stand.Da haben sich auch vieleFreundschaften gebildet.Es kam, wie es kommen musste:Ich bin schon frühder Sozialdemokratie beigetreten.Ich hab bei Wahlen geholfen.Ich war in den Jugendorganisationen:Sozialistische Mittelschüler,Sozialistische Studenten.Dann ging ich zum BSAund hab auch andere geworben.Da sagte der Obmann derSozialistischen Ärzte, Ermar Junker:"Du gehörst zu uns in den Vorstand.Komm doch."Ich ließ mich breitschlagenund war die zweite Frau im Vorstand.Da waren Frauennoch eher ungewöhnlich.Dann hat er zu mir gesagt:"Nächstes Jahrsind die Ärztekammerwahlenund wir wollen dich kandidieren."Und es ist mir wirklich gelungen,auf Anhieb ein Mandat zu erzielen.Ich war dannin der Sektion Turnusärzteund hab in dieser Hinsichtmeine ersten politischenErfahrungen gesammelt.So kam ich in Meidlingin die Bezirksvertretung.Im Spital kam ich dannauch zur Gewerkschaft.Ich war dann Landesvorsitzendemeiner Fachgruppe in der GPA.Ich war im BSAund in der Ärztekammer.Und dann ist es immerein bisschen mehr und mehr geworden.Es kam dann der Michi Neumannals Kammerpräsident,der ein Studienfreund war,und ich sagte:"Die selbstständigen Ärztinnenhaben keine Möglichkeit,in den Mutterschutz zu gehen.""Die können nur im WochenbettKrankenstand nehmen.""Davor und danach müssen sie in derOrdination sein oder Urlaub nehmen.""Das möchte ich ändern."So wurde das Frauenreferatin der Ärztekammer geschaffen.Wir haben es erreicht,dass die Ärztinnenden Mutterschutz nehmen durften,bezahlt haben sienichts dafür bekommen.Aber es war schon ein Vorteil,dass sie nicht auf Urlauboder Krankenstanddie Ordination führen mussten.Das war Mitte der 80er Jahre.'86 hat man mich zum ersten Malvon meinem Bezirkfür den Nationalrat kandidiert.Man wollte sehr gerne,dass ich in den Nationalrat komme.'90 wäre dann die Chance gewesen.Allerdings ging dann mein Vorgänger,Prof. Stacher, in Pension.Mir war mein Berufimmer am wichtigsten.Und man sagte mir von Seiten desDienstgebers und der Gewerkschaft,dass ich das Primariat nur erhalte,wenn ich auf mein Mandat verzichte.Ich habe das nicht ganz verstanden,denn bei Stacherwar man ja einverstanden,und es hatten genug Gewerkschafts-funktionäre viele Funktionen.Warum eine Frau und Ärztin dasnicht durfte, war mir nicht klar.Ich habe dann auch gesagt,ich verzichte.Im Jahr '94 trat man an mich heran:"Die Chancen für die Wahlsind derart schlechtund du kannst uns in Meidlingaufgrund deiner ReputationStimmen bringen.Wir ersuchen dich, zu kandidieren."Ich sagte, man hat es mir von Seitender Krankenkassa verboten,und ich hab auch eingewilligt.Worauf entschieden wurde,dass Sepp Rieder mit dem Obmann derWiener Gebietskrankenkasse redet.Obmann Brunner hat zugestimmt,dass ich kandidiere.Der Poldi Gratz kam dann drauf,dass ich gesagt habe:"Annehmen kann ich nicht,auch wenn ich einen noch sovehementen Wahlkampf führe."Er sagte: "Unmöglich,auch wenn du hineingewählt wirst,du machst dich kaputt.Das muss besprochen werden."Es wurde dann von Seiten von Benya,Steyrer und Staribachermit Nürnberger gesprochen.Und Nürnberger hat entschieden,wenn ich gewählt werde,dann legt mir die Kasseda nichts in den Weg.Und das hatte ich auchBrunner gesagt,und so kam ich Ende '94in den Nationalrat.Ich habe es aber in der Kasseimmer spüren müssen und können,dass man es nie gebilligt hat,dass ich in die gesetzgebendeKörperschaft und in die Politik kam.Manche Kassenfunktionärehaben in Meidling kandidiertfür den Gemeinderat.Und weil sie nicht bereit waren,im Bezirk etwas zu tun,haben sie nie ein Mandat erhalten.Das hat meine Situationnoch ordentlich verschlimmert.Das Parlamenthat mich sehr interessiert.Ich sah mich in meiner Kinderzeit,wie ich über die Stiegengelaufen bin.Ich habe das Parlament so geliebt,denn auf den Lampen waren Engerln,die Treppengeländer waren Engerln,und ich saß gern auf der Stiegeund schaute die hübschen Engerln an.Deswegen hab ich sehr gerneden Papa besucht,um diese Engerln zu sehen,die es dort überall gibt.Ich würde allen raten,sich das anzuschauen.Vor allem die alten Luster,die leider zum Teil ersetzt wurden,sind wunderschön.Der Poldi Gratz sagte,sie liebten mich so als Kind,wenn ich ins Parlament kam.Nur ich konnte den Papa bewegen,früher aufzuhören.Sie sind dann nach Hause gekommen,wenn ich gesagt hab:"Papa, jetzt gehen wir endlich."So kehrte ich zurück und traf nocheinige Mitarbeiter meines Vaters.Es war eine sehr schöne,sehr interessante,nette Zeit im Parlament.Kostelka warein großartiger Klub-Obmann.Und es war mit den Abgeordnetender Bundesländerund der Wienerauch ein sehr gutes Verhältnis.Wir sehen einanderauch heute noch öfter.Wir haben manchmal mitden Regierungsmitgliedern gestritten,weil wir nicht mit ihneneinverstanden waren, und fanden,wir haben auch einige Rechte.Kostelka war sehr bemüht und sagte,wenn uns etwasein großes Anliegen istund wir nicht zustimmen können,sollen wir mit ihm reden.Wir durften dann manchmal,wenn die Mehrheit nichtgefährdet war, nicht zustimmen.Dagegen stimmenwar schon etwas anderes.Ein einziges Malhat er es mir zugestanden.Da ging es umdie facharztfreien Nachtdienstein den wichtigen Fächernin den Landspitälern.Das war für mich eine derartigeQualitätsverschlechterung,dass ich dagegen stimmen musste.In ganz seltenen Fällen ...hatte man die Möglichkeit.Ich bin aber durchauseine Verfechterin des Klubzwangs.Denn eine Partei muss auch wissen,wie eine Abstimmung ausgeht.Vor allem eine Regierungspartei.Eine Verlässlichkeit mitden Abgeordneten muss gegeben sein.Und daher muss man das vorheralles absprechen können.Also, es war schön.Ich konnte meinen Beruf ausüben,ich konnte im Parlamenteiniges mitgestalten.Es war eine interessante Zeit.Ich war öfter öffentlich gefragt,weil die Minister sich nichtso gerne festlegen ließen.Und daher wurde statt der Ministerinöfter ich in Fernsehsendungengeschickt.Vor allem als esum die sogenannteAbtreibungspille des RU 4-68 ging,und ich mich ja dafürstark gemacht hab.An sich war es immerder Wunsch der SPÖ,dass man offen zumSchwangerschaftsabbruch steht.Andererseits hat man ein bisschenden Krieg mit der Kirche gefürchtet.Ich hab nie vertreten, dasssolche Dinge jede Frau haben muss.Aber dass es den Frauenfreistehen muss,einen Schwangerschaftsabbruchdurchführen lassen zu können.Ich war auch nicht dafür,dass es für jede kostenlos ist,weil ich gefürchtet habe,dass Druck der Männerauf die Frauen zu groß ist,wenn das noch kostenlos ist.Dann würde keiner mehr verhüten.Und Kinder kämen auch nur dann,wenn es die Männer wollenund nicht, wenn es die Frauen wollen.Diese eingeschränkte Möglichkeit hatuns Frauen auch Freiheit gegeben.Und für meine Person hab ich eseigentlich immer abgelehnt.Ich hab mich nicht einmal,als mein drittes Kind spät kam,untersuchen lassenauf genetische Schäden,weil ich eigentlich Angstvor den Konsequenzen gehabt habund es selber nicht wollte.Aber was ich selbst für michnicht will, heißt nicht,dass ich einem anderen vorschreibe,wie er sein Leben gestaltet.Das werfe ichder katholischen Kirche vor.Sie kann ihren Gläubigen sagen:"Das dürfen Sie nicht tun."Aber sie kann sich mit ihrer Ansichtnicht ins Staatsrecht einmischen.Ich bin keine Katholikin,ich muss nicht erfüllen,was die katholische Kirche sagt.Also, dadurch war ich dann schonin der Öffentlichkeit bekannter.So ereilte mich dannim Dezember 2000 ein Anruf.Ich hab vorher nie was davon gehört.Eine Kollegin hat mal gesagt:"Du sollst Stadträtin werden."Hab ich gesagt: "Blödsinn.""Ich hab immer gesagt: Regierungsamterst knapp vor der Pensionierung.""Ich will meinen Beruf,solange es geht, ausüben."Und am 7. Dezember 2000 rief michSepp Rieder an und hat mir gesagt,man wünscht,dass ich Stadträtin werde,und ich habe es anzunehmen.Ich hab gesagt: "Jetzt,wo die Zeiten schlechter werden,wo ich in dem Ressortnichts verbessern kann."Hat er gesagt:"Du bekommst immer, was du möchtest."Kaum war ich angelobt,hat er zu mir gesagt:"Der Kohl hat gesagt, die Wahrheitist die Tochter der Zeit,und du kriegst nichts.Du musst sparen."Das war nicht ganz angenehm.Er hat mir auch weiternicht viel geholfen.Nach dem Sepprief mich der Bürgermeister an.Ich sagte ihm:"Du weißt,dass meine Lebensplanung anders ist,dass mein Traumberuf Medizin ist,und ich glücklich bin im Parlament.""Ich bin die einzigejüdische Abgeordneteund ich bin Vorsitzendeder österreichisch-israelischenFreundschaftsgesellschaft."Da sagte er: "Dann bist du daseinzig jüdische Regierungsmitglied."Habe ich gesagt: "Ich mach es nur,weil Schärf meinem Vater gesagt hat,man hat dem Ruf der Parteizu folgen."Ihm war es egal, warum ich es mache,Hauptsache, ich mache es.Ich sagte: "Du willst mich,weil ich eine Frau bin."Hat er gesagt: "Auch."Und so kam ich ...in die Stadtregierungund musste innerhalb einer Wochemein Leben total umkrempeln.Es waren Feiertage und Wochenendeund die Beschlüsse der Gremienwaren am Montag.Am Donnerstag wurde ichschon angelobtund musste in dieser Zeitmeine Vertretung und alles regeln.Also es war für michschon ein Horror,in welcher Geschwindigkeitsich mein Leben verändert hat.Und ich hab natürlichauch gefürchtet...Vor allem,weil mein Vater keine gute Beziehungmit der "Kronen Zeitung" hatte,und ich wusste,dass ich dort verabscheut werde,war mir ein bissel bange.Ich hab das vorher auchdem Bürgermeister gesagt.Sagt er:"Wir werden schon auf dich schauen."Hab ich gesagt: "Ich wär schon froh,wenn sie mich ignorieren."Es ist aber leiderdoch eingetroffen.Ja, ich kam in das Ressort,es ist dasgrößte Ressort der Stadt Wien,ein sehr spannendes,sehr tolles Ressort.Aber es gab natürlichviele Baustellen.Es waren viele Häuser noch nichtdem modernen Standard angepasst.Es gab auch moderne, tolle Häuserwie das Allgemeine Krankenhausund das SMZ-Ost.Es wurde in einzelnenAbteilungen gearbeitet.Es gab ein paarsehr schöne Altersheime,aber es gab auch entsetzliche.Nur die Menschen waren daund mussten betreut werden.Das war nicht einfach.Über allem schwebte der Sparauftrag.Besonders der Herr Finanzdirektorhat das dann immer sehr ausgelebt,sodass ich die Zeitnicht sehr einfach gefunden habe.Und wir hatten aber sehr tolle,wirklich tolle Mitarbeiter,die sich bemüht haben,auch unter widrigen, ...also nicht widrigen,aber unter schwierigen Verhältnissen,das Beste für die Menschenzu leisten.Und ich muss sagen:Österreich hat eines der bestenund sicherstenGesundheitssysteme der Welt.Wien ist davonnoch einmal die Spitze.Wahrscheinlich haben wir sogardas beste, das zugänglichste,mit dem höchsten Anteilan Spitzenmedizin,kostenlos für alle, die es brauchen.Insofern... Obwohl es immer nochVerbesserungen geben kann,die Welt steht still,wenn wir nichts mehr verbessern.Wir werden ein Leben langüber Generationenund in die Ewigkeit hineinimmer verbessern müssen.Aber wir können trotzdem stolz seinauf all das, was wir haben.Es war auch das Funksystemder Wiener Rettung nicht mehr gut.Dann hat man gesagt,alle gemeinsam in Österreich,oder zumindest in Ostösterreich,werden ein Blaulichtnetz bilden.Das heißt:Rettung, Feuerwehr, ... Polizeisollen alle ... unter einem Schirm,unter einem Firmenkonsortium sein.Es war ein bestimmtesdafür auserwählt.Knapp, bevor es so weit war,erfuhr ich, das findet nicht statt.Die ÖVP will das nicht.Ich glaube, damals gehört zu haben,dass die ÖVP Niederösterreiches nicht will.Das war nicht sehr angenehm.Das System hat nicht mehrgut funktioniert.Heute hört man,dass da manches im Spiel war,warum das aufgegeben wurde.Aber davon hatte ich damalsnatürlich keine Ahnung.Und ... wie gesagt:Es war eine herausfordernde Zeit,eine interessante Zeitin der Stadtregierung.Es hat mir vor allem auchder Bürgermeister sehr imponiert.Auch wenn man glaubt,er ist nicht informiert:Er ist bestens informiertund er kennt sich eigentlich aus.Nachdem wie er mit den Stadträtenund mir geredet hat,weiß er in jedem Ressort sofort,worum es geht.Für michist er ein 'Blitzgneißer'.Auch wenn er einen manchmal mithalb geschlossenen Augen anschaut,ist ein heller und sehr wacherVerstand dahinter.Vor etlichen Jahrenist es mir noch aufgefallen,wenn die Ärztekammersitzungum elf geendet hat,war die Stadt dunkel,man war allein auf der Straße.Wenn man jetzt um zwei Uhr frühdurch Wien fährt,pulsiert das Leben.Wien ist eine lebendige,junge, offene Stadt geworden.Wir haben tolle Bauten, schöneWohnungen und einen tollen Standard.Und wir dürfen...Die Donauinsel ist ein Traum.Und wir dürfen eines nichtvergessen: Das ist das rote Wien!Wäre diese Stadtnicht so viele Jahresozialdemokratisch regiert worden,hätten wir nicht das,was wir haben.Wenn ich mich erinner an dieErzählungen von den Gemeindebauten,die von '34 bis '38errichtet wurden.Das waren wenige,aber die hatten ein Gang-Klo,weil die damalige Regierunggefunden hat,für die Proletensind Gang-Klos gut genug.Abgesehen davon,dass sehr wenig gebaut wurde.Die Begründer des roten Wienswaren Karl Seitz,vor allem mit den Judenin der Stadtregierung.Das waren Tandler, Breitner,das war auch Dannebergmit den Verfassungsgesetzen.Und wie gesagt,die haben dafür gesorgt,dass Breitner... Dass die Steuernso eingehoben wurden,damals konnte die Stadt nochdarüber verfügen,dass die Reichenabgeben mussten für die Armen.Ich hab gelesen,für Rothschilds Steuernfür seine vier Palaiskonnten 15.000 Gemeindewohnungenerrichtet werden.So weit ist diese Denkweise nicht,dass man den Reichen nimmtund den Armen gibt.Es haben mich viele gefragt,es ist in der Sozialdemokratienicht mehr so wie früher.Es wandelt sich alles.Für mich gibt es keine Alternativezur Sozialdemokratie,denn sie istder einzige Garant dafür,dass das Leben möglichst gerecht ist.Sie können vielleichtin dieser Welt der Vielfaltund der Abhängigkeit von außennicht mehr so viel durchsetzen,wie es früher nach dem Krieggeschehen ist.Die Lage war aucheine viel schlechtere,man musste sehr viel verändern.Heute ist ein relativer Wohlstand,der leider schon im Schwinden ist,auch das muss man sagen.Die Kluft zwischen Arm und Reichwird größer.Ich habe damalsauf eine soziale EU gesetzt.Es ist leider keine soziale EU,sondern die EU der Bankenund Konzerne geworden.Aber was ich durch die EU erhoffe:Dass uns Kriege in Europaerspart bleiben.Daher bin ich nach wie vorfür die EU,denn der Frieden ist wichtig.Aber den Frieden kann man nicht nurdurch eine Vereinigung sichern,sondern auch durchsoziale Gerechtigkeit.Nichts empört Menschen mehrals Ungerechtigkeit.Meine persönliche Beziehung zu Wien:In keiner anderen Stadt der Weltmöchte ich leben.Es gibt für mich keine Stadt,die an Wien heranreicht.Das mag auchmeine Bequemlichkeit sein.Ich wohne zwarim dritten Stock ohne Aufzug.Aber ich hoffe auf ein Gesetzfür Aufzüge,sodass ich auchals Alte drin wohnen kann.Meine Eltern haben nicht bedacht,dass das Gehen mühseliger wird.Ich wohne sehr schönin der Nähe von Schönbrunn.Ich bin mit dem Autosofort in der Südausfahrt,sofort in der Westausfahrt,und ich habe ein funktionierendesöffentliches Verkehrssystem.Ich brauche in Wientage- bis wochenlang kein Auto.Ich habe zwei Buslinien, da bin ichsofort bei der U6, bei der U4.Man kann alles haben, man hatein tolles kulturelles Angebot.Es ist eine Stadt,in der man sich frei bewegen kann,in der es wenig Kriminalität gibt.Die schön und sauber ist. Es gibtkeine Stadt, die so sauber ist.Es gibtkeine öffentlichen Verkehrsmittel,die so sauber sind wie in Wien.Es gehen da wirklichdie Putztrupps durch am Vormittag.Ich fahr jetzt auch manchmalvormittags.Es wird auf alles geachtet, auchdass die Stationen in Ordnung sind.Also, es ist eine sichere Stadt,es ist eine pulsierende Stadt,es ist eine lebendige Stadt.Sie hat wohl auch weltweit das besteGesundheits- und Sozialsystem.Es werden die Menschenaufgefangen.Und wenn jetzt die ÖVP sagt,in Niederösterreich wirdviel weniger ausgezahlt als in Wien,muss ich sagen, die Problemfälleschicken sie ja nach Wien.Denn die Süchtigen,die sehr arme Menschen sind,sind ja nicht alleselbst gemachte Wiener,sondern kommen natürlichvon draußen nach Wien hinein.Wer muss sie auffangen? Wien.Wir haben das beste System,um alte Menschen zu versorgen.Es ist sehr gut und... sehr wirksam.Man kümmert sichum die Obdachlosen.Also, es ist eine Stadt,in der man durchaussehr individuell sein kann,und in der man trotzdem gemeinsam und nicht einsam ist.

Archiv-Video vom 11.08.2014:
Bitte beachten Sie, dass die Inhalte (Termine, Kontaktmöglichkeiten,...) möglicherweise nicht mehr aktuell sind.

Elisabeth Pittermann (Politikerin)

Wir und Wien-Erinnerungen Ihr ganzes Leben war Elisabeth Pittermann eine engagierte Streiterin: gegen den Antisemitismus, gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen den Abbau medizinischer Standards und für Frauenrechte. Dabei blieb die Tochter des langjährigen Vizekanzlers und SPÖ-Vorsitzenden Bruno Pittermann dem Vorbild ihres Vaters treu. Sie war eine Frau der leisen Töne: Argumente sollten überzeugen, nicht Polemik oder Lautstärke.

Länge: 50 Min. 11 Sek.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

Aktuelle Videos

Wiener Märkte digital

Wiener Märkte digital

Wiens Märkte werden digital: Standler*innen können nun Marktplätze bequem via PC, Handy oder Tablet buchen – das natürlich rund um die Uhr. Der Marktplatz kann dann am gebuchten Markttag sofort bezogen werden. Auch Anträge können im One-Stop-Shop der Stadt Wien unter www.mein.wien.gv.at für zum Beispiel fixe Zuweisungen, Schanigärten oder marktbehördliche Bewilligungen online gestellt werden. Ein weiteres Service: der Status der Anträge ist auf der Übersichtsseite abrufbar.
Länge: 1 Min. 51 Sek. | © Stadt Wien - Magistratsabteilung 59
Enthüllung neue Pionierinnen

Enthüllung neue Pionierinnen

Zum Frauentag holt die Stadt Wien zwei neue „große Töchter“ vor den Vorhang: Im Arkadenhof des Rathauses werden für Ingeborg Bachmann und Luise Fleck zwei Gedenktafeln in der Pionierinnengalerie enthüllt. Die Galerie stellt außergewöhnliche Frauen der Stadt, ihr Engagement, ihr Handeln und ihre Leben in den Mittelpunkt. Ingeborg Bachmann war eine heimische Schriftstellerin, die als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts gilt. In ihren Werken widmete sich die Klagenfurterin Themen wie die Rolle der Frau in der männlich geprägten Gesellschaft oder den Konsequenzen und dem Leid von Kriegen. Sie verstarb 1973 in Rom, seit 1977 wird jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Luise Fleck war die erste österreichische und weltweit zweite Frau, die als Filmregisseurin und Produzentin Erfolg hatte. Sie führte bei mehr als 100 Filmen Regie und schrieb auch 20 Drehbücher. Besondere Bekanntheit erlangte sie in der Zeit während der Wende von Stumm- zu Tonfilmen. Sie starb 1950 in Wien. Die nun 30 Porträts der großen Töchter der Stadt können noch bis 31. März im Arkadenhof des Wiener Rathauses besichtigt werden.
Länge: 2 Min. 47 Sek. | © Stadt Wien / KOM

wien.at TV Kanäle