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Na ja ich bin in Wien geboren, wo die Wiener in der Regel auf die Welt kommen – im Rudolfinerhaus, am 21. August 1923. Der Tag ist insoweit lustig weil das jener Tag ist, an dem Prinz Eugen viele Jahre vorher Belgrad erobert hat, was im Lied von Prinz Eugen, ja vorkommt – am 21. August soeben. Und ich bin dann in Wien aufgewachsen. Meine Eltern: Meine Mutter war Lehrerin und mein Vater war zu der Zeit schon Beamter der Stadt Wien. Und ich bin aufgewachsen im Jacquinviertel, also im 3. Bezirk, bin aber sehr viel in Hietzing gewesen. Mein Vater war Hietzinger – Schönbrunn – weil mein Großvater zu dieser Zeit noch im Direktionsgebäude des Schönbrunner Tiergartens gewohnt hat, auch meine Großmutter. Natürlich wusste ich das nicht im Jahr 1923. Aber ich erinnere mich eigentlich recht genau an das Jahr 1925, an eine Jause vor dem Gebäude, vor dem Direktionsgebäude. Rechts war eine Wiese und auf dieser Wiese waren immer die Schönbrunner Jausen meines Großvaters und meiner Großmutter. Jetzt ist dort keine Wiese, sondern jetzt ist dort der Durchgang zum neuen Schimpansen-Haus. Also die Wiese ist weggefallen. Und dort erinnere ich mich, also da waren immer so Familienjausen mit einer Tante aus der Penzinger Straße, die dann 101 Jahre alt wurde. Und ich erinnere mich, dass ich dort am Schoß vom Großvater gesessen bin und Großvater war durch 40 Jahre Direktor des Schönbrunner Tiergartens. Er war eine ziemlich legendäre Persönlichkeit – und das hab ich damals natürlich so nicht realisiert, aber er hat in der Zeit, wo Kaiser Franz Joseph in Schönbrunn gewohnt hat eigentlich täglich mit dem Kaiser im Pavillon gefrühstückt. Erstes Frühstück: Er hat ihn beim eisernen Gittertor dort abgeholt und nachher sind die beiden Herrn in den Pavillon gegangen und haben dort allein gefrühstückt. Und dann hat mein Großvater den Kaiser in die Maxingstraße zu dem bewussten »Schratt-Türl« gebracht und der Kaiser ist dann schräg vis-à-vis zum zweiten Frühstück zur Katharina Schratt gegangen. Dieses Türl hat’s sehr lange gegeben und der Schlüssel hat noch sehr lange gesperrt – jetzt ist das alles anders. Aber ich erinnere mich dann als – viel, viel später, also vor 50 Jahren noch – dass der Schlüssel gesperrt hat. Und also da saß ich bei dieser Jause am Schoß vom Großvater und hab’ in irgendeinem Zusammenhang gesagt: „der Kaiser“. Und das war für den Großvater im Jahr 1925 sichtlich immer noch nicht korrekt und er hat mir so eine leichte Ohrfeige gegeben und hat gesagt: „Man sagt ‚Seine Majestät’!“ Das erinnere ich mich eigentlich noch ziemlich genau, obwohl ich da knapp drei Jahre alt war.
Er ist dann leider ein Jahr später gestorben.

Na ja und dann ging das Leben halt ganz normal weiter, ich kam in die Volksschule, in die Strohgasse im 3. Bezirk. Ich war gemeinsam dort mit einem jungen Kameraden – oder Schulfreund –  der glücklicherweise immer noch lebt. Es ist der Gustl Oser, er ist der legendäre Besitzer von »Braun« am Graben gewesen. Das Geschäft ist ja verkauft und lebt derzeit noch in Florida. Und ja, nach der Volksschule bin ich dann ins Theresianum gekommen als Schüler und war mit einer sehr illustren Gesellschaft dort. Schüler, einer meiner Mitschüler in meiner Bank war der Prinz Georg Fürstenberg, der Onkel von der Ira und selbst ein Strobler. Und wenn ich heutzutage eben in Strobl meinen Zweitwohnsitz habe, hat das schon ein bisschen damit zu tun weil über ihn bin ich dann einmal nach Strobl gekommen.

 Na ja, und da waren wir fünf Jahre – glückliche Jahre – im Theresianum. Und dann kam dieses unglückselige Jahr 1938 und da erinnere ich mich eigentlich noch ganz genau, dass ich am 12. März, wenn wir in die Schule gekommen sind, wurden wir alle auf einen Lastwagen hinaufgeschupft – die ganze Klasse – mit dem Auftrag, wir werden durch Wien fahren und durch Rufen werben für die Volksabstimmung für Kurt Schuschnigg, die am Sonntag, den 15. hätte stattfinden sollen, glaub’ ich.

 Und wir sind also dort bis Mittag durch Wien gefahren und haben gerufen: „Schuschnigg, Schuschnigg!“ –  und so. Und dann wurden wir Mittags nicht im Theresianum abgesetzt, sondern in der Jacquingasse – also wir haben gewohnt in dem Haus zwischen Jacquingasse und Fasangasse, in der Mohsgasse. Und dort sind wir alle – der Gustl Oser war auch mit, der hat ein paar Schritte weiter unten in einem Palais gewohnt. Und er wurde dann, glaub’ ich, noch am selben, zwei Stunden später, von den Eltern nach Aspern zum Flugfeld gebracht und sie sind nach Prag geflogen weil die Eltern sichtlich bereits wussten, dass da irgendwas passiert. Und ich bin halt nach Hause und am Nachmittag hat dann Schuschnigg abgedankt und am nächsten Tag in der Früh bin ich ordnungsgemäß wieder als Schüler ins Theresianum gegangen.

 Und zu meiner Verblüffung waren einige Professoren bereits mit der Hakenkreuz-Schleife und andere durften gar nicht mehr ins Haus. Also, so war das über Nacht. Und dann sind wir halt noch, eben April und Mai, dort als Schüler geblieben und dann haben wir erfahren, dass wir alle weg müssen. Wir sind dann mehr oder minder zwangsversetzt worden in die Stubenbastei weil ja das Theresianum nationalpolitische Erziehungsanstalt wurde, wo wir sichtlich alle nicht bleiben sollten und auch nicht bleiben wollten, wenn es auf unsere Eltern angekommen ist. Also wir sind dann alle in die Stubenbastei oder fast alle – zwei, drei sind ins akademische Gymnasium versetzt worden – aber ich kam mit allen anderen da in eine C-Trakt in die 6. Klasse, in ein eigenes Zimmer mit einem... Offenkundig wollte man also die aus dem Theresianum kommenden, unter Anführungszeichen ein bissl aussätzigen Schüler ein bissl unter Kontrolle halten. Na, und dann haben wir in der Stubenbastei maturiert, im Jahr 1941. Und davor war dann auch noch die Musterung und ich hatte das große Glück, dass ich nicht voll tauglich wurde, was auch also einem glücklichen Umstand zuzuschreiben ist. Ich hatte immer Probleme ein bissl mit meinen Füßen – mit meinen Senkfüßen und so – und hatte im Theresianum schon ein Zeugnis von einem orthopädischen Arzt, Dr. Gottsmann, dass ich also vom Turnunterricht zu befreien wäre. Ich war auch kein spontaner Turner, also ich wollt’ auch nicht Fußball spielen. Also kurzum: Ich hab’ zwar den Park vom Theresianum sehr genossen, aber eher zum herum gehen und ein bissl laufen und so, aber nicht also für Gymnastik.
Und nun kam’s zur Musterung und die war da irgendwo im 3. Bezirk, hinter dem Rudolfinerspital und wir waren dort alle angestellt und es gab, glaub’ ich, zwei, drei Zimmer. Und in jedem Zimmer saß ein anderer Musterungsarzt. Und ich hatte also mitgenommen dieses Attest, dass ich nicht turnen soll, was lächerlich ist, wenn es um Musterung und damals zwar noch nicht vorgesehen Krieg – oder doch schon Krieg... Ja, natürlich 1940 war die Musterung. Aber ich hab’ das mitgenommen und hab’ mir gedacht, vielleicht hilft das ein bissl was. Und die Tür geht auf und war sitzt dort als Musterungsarzt? Mein Orthopäde Dr. Gottsmann, der inzwischen sich also herausgestellt hat als ein, glaub’ ich der mir erschien, als nicht ganz unholder Mensch. Aber jedenfalls er saß dort und war mit einem langjährigen Patienten konfrontiert – und seinem eigenen Zeugnis. Und daher war diese Musterung – wär’ ich ins Nebenzimmer gekommen, weiß ich nicht wie das ausgegangen wär’. Aber so geht die Tür auf und dort sitzt er. Und daher war ich also in wenigen Sekunden, möchte’ ich fast sagen, wieder entlassen und nur »wehrdienstfähig Heimat« hat das geheißen, »Gefahr H2« oder so ähnlich.

Nun also, wir haben maturiert und jetzt konnte man bereits bei der – es war damals, glaub’ ich, nicht mehr zwei Semester im Gymnasium, sondern schon Trimester. Das heißt, nach dem zweiten Trimester, also schon im März hat man Matura gemacht. Und die hab’ ich also, ich glaub’, mit bis auf im Turnen ebenso mit einem Zweier, sonst mit Einsern – also ich hab’ sie gut bestanden und man konnte sofort inskribieren. Und immer einem Instinkt folgend, hab’ ich Medizin inskribiert bei der Universität, obwohl ich gar keine Intention hatte Mediziner zu werden. Aber alle haben mir gesagt, dass ist nicht schlecht weil vielleicht... Also kurzum: Ich hab’ Medizin inskribiert und dann kam der Einberufungsbefehl und wir wurden eingezogen nach St. Pölten, nach Spratzern. Und ich bin, also dort in Spratzern, als Rekrut gewesen und Dank dieses Attestes durfte ich also Halbschuhe tragen. Und aus Angst, dass ich bei der Vereidigung diese paar Stunden dort nicht stehen kann, hat mir mein Kompaniechef gesagt, ich soll doch in der Baracke bleiben, das fallt gar nicht auf. Und auf diese Weise bin ich überhaupt nicht vereidigt worden, obwohl ich offiziell natürlich vereidigt worden bin. Aber während die draußen geschworen haben, bin ich in der Baracke gesessen und er hat gesagt: „Ich will nicht, dass jemand aus der Reihe umkippt und so und eine Krampf bekommt. Also bleib’ in der...“ Also, ich bin in der Baracke geblieben. Und dann also waren wir angelobte Rekruten und weil ich eben nicht voll tauglich war – die anderen sind dann alle irgendwo hin versetzt worden und kamen an die Front und so – wurde ich gleich in St. Pölten ins Reservelazarett verlegt oder versetzt als Anamnesenschreiber, mit der Begründung, ich habe ja Medizin studiert – obwohl ich erst ein kurzes Semester eigentlich gar nix studiert hab’ weil das ja viel zu kurz war. Also ich wurde dort Anamnesenschreiber und bin dort eine Zeit lang geblieben. Und dann hatte ich wieder Glück und wurde nach Wien versetzt in die Wehrmachtkommandatur. Da hat schon ein bisschen geholfen, dass mein Papa damals – es gab noch kein Kulturamt – aber doch ein bissl mit kulturellen Angelegenheiten beim Magistrat befasst war, schon vor 1938. Und das, weil er schon zu alt war, um einrücken zu müssen – also dort geblieben ist als Beamter. Es hat sich dann später herausgestellt, dass er also sowieso mit dem Vermerk »politisch unzuverlässig« versehen war im Personalakt – aber jedenfalls, er war da.

 Und da hatte er schon also Kontakte, unter anderem auch mit dem ehemaligen Direktor des Kunsthistorischen Museums, dem Dr. Beninger. Und der Dr. Beninger wurde als Hauptmann Leiter der Wehrmachtkommandatur von Wien, in der Maria-Theresien-Straße. Und mein Papa hat sichtlich ihn gefragt, ob er nicht was tun könnte  - und so wurde ich versetzt von St. Pölten in die Wehrmachtkommandatur nach Wien. Und bin dort also, eben war ich im Büro und hab’ dort also meinen Dienst versehen. Und dann wurden wir alle versetzt in die Wehrmachtsbetreuungsabteilung in der Roßauer Kaserne. Und ich war eingeteilt zum Dienst in einer Baracke am Westbahnhof, um die ganzen Urlaubsscheine und Dienstreiseausweise von den durchreisenden Soldaten zu sichten, zu stempeln, ihnen Quartier zuzuweisen, Lebensmittelkarten und Ähnliches. Und wie es das Schicksal so wollte, war derjenige der mit Helm und Wehrmachtsstreife versehen vor meinem Fenster – ich saß in so einer Baracke hinter einem Glasfenster, so mit dem Schuber wo man gestempelt hat. Und der, der davor stand und diese Soldaten in Schach zu halten hatte, war ein Oskar Bschließhammer. Und Oskar Bschließhammer war niemand anderer als der Oskar Werner. Also wir haben dort gemeinsam Dienst versehen und das ging eine Zeit so... Und dann - ich kürz’ das jetzt ab weil es ja nicht so interessant ist – aber dann hat man immer wieder Glück gehabt: Dann bekam ich glücklicherweise Gelbsucht und wurde eingewiesen in das Wehrmachtslazarett nach Lainz und hatte wiederum Glück, dass ich dort einen Chefarzt in diesem Pavillon hatte, diesen wunderbaren Primarius Dr. Schneiderbauer, der, wie sich nachher herausgestellt hat, Nahverhältnis zur Widerstandsbewegung hatte und meine Gelbsucht dazu benützt hat, mich mit Papieren auszustatten, die mir ermöglicht haben, im November 1944 ganz legal in der Heeresentlassungsstelle in der Semperstraße aus dem Militär entlassen zu werden und abrüsten zu dürfen – ohne, außer bis nach St. Pölten als Soldat, Wien verlassen zu haben.
Die Kehrseite der Medaille war natürlich, dass man in Wien die ganze schwere Zeit dann miterlebt hat, mit den täglichen Fliegeralarmen. Und das war ja, weiß Gott, keine leichte Zeit.

Nach dem Kriegsende bin ich am erstmöglichen Tag zum Burgtheater gegangen, dass ich am Karfreitag zum letzten Mal verlassen hatte. Und da war noch Krieg und da war die Schlacht um Wien, die so genannte »G’rade vor der Tür« und die Russen waren schon, also in Deutsch-Altenburg oder irgendwo und das Burgtheater war völlig intakt, bis auf die Bombe – ich komm dann noch auf den 12. März zu sprechen weil das war ein ganz besonderer Tag natürlich. Und ich kam dann zum Burgtheater... Und war im Burgtheater am Karfreitag und das war – bis auf diesen Bombentreffer da am rückwärtigen Teil in der Gegend, wo heute die Kantine ist – völlig in Ordnung. Und wie ich dann am Mittwoch nach Ostern, glaub’ ich, oder Donnerstag zum ersten Mal wieder zum Burgtheater kam, waren die Russen schon in Wien und das Haus war ausgebrannt. Also das war natürlich ein Schock... Aber ich komm’ jetzt zurück, wenn Sie erlauben, zum 12. März.

Einen Tag, den ich in meiner Erinnerung bis jetzt also übersprungen habe, aber den ich natürlich niemals vergessen kann und auch heutzutage noch nicht vergesse weil ich mich jedes Mal am 12. März bemühe ein bisschen in – wenigstens im Gedanken, auch geografisch – nachzuvollziehen. Und Sie werden gleich verstehen, was ich also meine: Der 12. März 1945 war für Wien ein schrecklicher Tag. Es war jener Tag, an dem eigentlich jene gravierenden Schäden in Wien durch Fliegerangriffe passiert sind, die Wien zu einem halben Trümmerhaufen gemacht haben, vor allem die inneren Bezirke. Es soll, wie sich herausgestellt hat angeblich nachher, durch einen Fehler in der Steuerung – es gab wahrscheinlich noch nicht so gute Computer wie es sie heute gibt: Es wurden die Bomben um wenige Sekunden später ausgelöst als sie hätten ausgelöst werden sollen. Sie waren alle bestimmt für die Fabriken in Floridsdorf und für die Donaubrücken über die große Donau, also Reichsbrücke usw. Und die Bomben sind dort nicht gefallen, sondern haben alle erst begonnen beim Donaukanal zu fallen und fielen damit Großteils auf den 1. Bezirk und bis über den Heinrichshof. Und dann waren diese Bomben alle weg und das Geschwader ist abgeflogen und das Malheur war eben im 1. Bezirk. Und ich hab’ mich da immer versucht ein bisschen kundig zu machen: Diese Geschwader sind ja in einer unglaublichen, geradezu beklemmenden Prozession geflogen. Ich erinnere mich, wie ich die Gelbsucht hatte und in Lainz war, sind die Leute bei Fliegeralarm dort in den Keller gegangen und ich bin auf’s Dach hinauf gegangen – aberwitzig, wenn man halt zu dieser Zeit und jung war. Und da flogen ja diese Flugzeuge in großem Bogen so über den Wienerwald, um von hinten nach Wien herein zu fliegen, wie ich früher gesagt hab’ –  und eben die Bomben abzuwerfen im Tullnerfeld und in Moosbierbaum, wo eine Fabrik war und in Floridsdorf usw.. Und wenn man also dort oben – ich war einmal oder zweimal oben auf dem Dach von diesem Pavillon – und ich vergesse das auch jetzt nicht... Weil ich gerad’ darüber erzähle: Lange bevor überhaupt von einem Flugzeug die Rede war, begann das Zwerchfell zu vibrieren weil die in einer Frequenz Wellen, Brummwellen also, erzeugt haben – bevor man sie hören konnte, hat das Bauchfell merkwürdigerweise schon irgendwie... Und dann kam dieses grauenvolle Brummen (brummt) und dann erst sah man oben die Geschwader – natürlich weit weg und in der Sonne glänzend. Und hie und da sah man irgend so einen hilflosen deutschen Jagdflieger, der dort herumgeflogen ist, ob er einen abschießen kann – was ihm eh kaum gelungen ist. Also und die flogen wirklich so, als wären sie mit dem Lineal gezeichnet, in Dreier oder Fünfer – so wie Wildenten fliegen. Also unglaublich – beklemmend, kann ich nur sagen. Na kurzum: Und so ein Geschwader ist also über Tulln hereingekommen über Floridsdorf und hat die Bomben nicht ausgelöst im Stammersdorf, sondern hat die Bomben ausgelöst ober der großen Donau. Und daher flogen sie ab Ringturm über den 1. Bezirk bis zum Heinrichshof herunter. Und wenn Sie heute durch die Stadt gehen, wo man sich ja an das alles gar nicht mehr – ich beachte es eigentlich immer noch – können Sie beinahe mit dem Lineal jene Flugroute nachvollziehen, wenn Sie jene Häuser anschauen, die sichtlich nachher gebaut wurden: Ringturm, neben Maria-am-Gestade, da ist der Morzinhof dort, statt dem Hotel Metropol am Morzinplatz, dieser riesige Bau, wo die Gedenkstätte für die, für’s Hotel Metropol drinnen ist. Manche Häuser sehen Sie nicht mehr neu, weil sie restauriert wurden, wie zum Beispiel der Verfassungsgerichtshof, da war auch eine Bombe. Und dann geht das weiter bis zum Palais Palffy zum Philippshof, Albertina, Oper, Heinrichshof – also Sie können diese... Auch in der Kärnterstraße: Dort wo Beton ist, war Bombe. Und wenn Sie das mit dem Lineal, sehen Sie exakt die Linie.

Wir sind, Gott sei Dank, nach dem Krieg: Ich kam zum Burgtheater und dort stand vor dem Bühnentürl ein Häuflein Treuer: der Raoul Aslan, ich glaub’, der Erhard Buschbeck, dann der Oberrequisiteur Kostial und so ein paar Leute. Und wir standen vor dem ausgebrannten, vor der Ruine des Burgtheaters. Und Aslan meinte also, wir müssen aber trotzdem schauen, dass das irgendwie in Gang kommt und ich glaub’, ein oder zwei Tage später, wo wir wieder uns dort versammelt hatten, hatte er inzwischen den Auftrag vom schon amtierenden kommunistischen Staatssekretär, Ernst Fischer, der ein wunderbarer Kulturmensch war, zu versuchen, dass das Burgtheater wieder den Spielbetrieb irgendwo aufnehmen kann. Und so sind wir mit Aslan losgezogen und die Josefstadt... Sind wir nicht gegangen weil aus irgendeinem Grund – und das hängt sicher noch mit Max Reinhardt zusammen – meinte Aslan also: Burgtheater in der Josefstadt – das ist nix. Und wir kamen beim Volkstheater vorbei und entdeckten also die Vorderseite war auch bombardiert – also das ist auch nix. Und wir kamen bis zum »Theater an der Wien« und das »Theater an der Wien« war zwar heil, aber es war der Zuschauerraum fast bis zum zweiten Rang vollgeräumt mit irgendwelchen Möbeln und Sachen – also man hatte nicht den Eindruck, dass man dort in Kürze Theater spielen kann. Und also wir gingen weiter und auf dem Weg durch die – wie heißt die Gasse – also Himmelpfortgasse kamen wir vorbei an der Bühnentür vom Ronacher. Und der Aslan sagte plötzlich: „Hier war doch auch immer ein Theater. Und das war doch irgendwann einmal sogar ein Theater, das der ehemalige Burgtheaterdirektor Laube geführt hat.“ Er war sehr gebildet, der Aslan. Und natürlich war dort dann ein Theater, dass der Laube geführt hatte. Und wir machten die Tür auf – sie war nicht versperrt – und wir gingen weiter und der Ronacher stand da und war leer und alles intakt und Staub und so – aber völlig... Worauf der Aslan dort gesagt hat: „Hier wird das Burgtheater spielen.“ Und so kam es dann auch, dass das Burgtheater am 30. April mit der einzigen vorhandenen Dekoration, die in einem Depot bei der Rochusbrücke, dort war das früher – oder bei der Schlachthausbrücke war über der Brücke am Donaukanal ein Kulissendepot – und dort war die Dekoration von der »Sappho«. Und es war auch inzwischen festgestellt von Aslan, dass die Besetzung im Prinzip da ist – allerdings gab es keinen Phaon, weil der Phaon – Fred Liewehr – war im Zuge der Ereignisse am Attersee verschlagen. Er war damals also dorthin aus, wohl aus Angst und so vor den Russen – wie viele andere, wie der Kammersänger Max Lorenz und die Käthe Dorsch, also die waren alle dorthin gezogen, weil die Käthe Dorsch hatte in Schörfling eine Villa oder eine Bleibe. Und also die war wie ein Magnet und die sind da alle dort hin. Kurzum: Wir hatten alles in der Besetzung – den Hans Siebert und Lotte Tobisch übrigens war ein Blumenmädchen. Das war ihr erster Kontakt mit dem Burgtheater.
 
Und die Hilde Hawranek und die Julia Janssen und der Herr Siebert also. Und die Frau Kallina. Also wir hatten eine Besetzung – und die Maria Eis natürlich als Sappho. Das war das Wichtigste. Phaon fehlte, aber Aslan wusste... Ja, der hatte zu der Zeit ja einen Schützling und Freund, das war der Tonio Riedl, und so kam es also am 30. April zu dieser ersten Aufführung im Ronacher.
Und am 29. habe ich mit dem Burgtheater – also durch Luftschutzkeller und Dings schon lose verbunden – quasi die Einladung von Aslan/Buschbeck angenommen und habe dort also meinen ersten Vertrag, wie das heißt, das Direktonsvolontär – die haben das genannt, glaub’ ich, »Disponent des Burgtheaters« stand in meinem ersten Ausweis – meinen ersten Theatervertrag angetreten, was also unwiderlegbarerweise dazu führt, dass ich heute, wo ich zu Ihnen spreche, eigentlich schon mehr als 66 Jahre ohne Unterbrechung mit dem Theater verbunden bin. Bin aber beruhigt weil mein Großvater hatte 67 Jahre gemacht – er war der älteste Staatsdiener weil er als Schiffsjunge in Polen eingerückt war mit 14 Jahren und im Jahr 1919 erst in Pension gegangenen ist und daher, glaube ich, 67 aktive Dienstjahre hatte. Und es heißt, er war der letzte Hofrat, den der Obersthofmeister eingereicht und die Republik ernannt hat – weil er gerade im Übergang war, im Jahr 1918/19. Und er war überhaupt also, ja eine unbeschreibliche Persönlichkeit. Er war bei den beiden berühmten Weltumsegelungen mit der Fregatte Novara 1857/1859 und dann anschließend mit der Fregatte Donau dabei. Und er war, wie das geheißen hat Stückquatiermeister – das heißt also, Kommandant einer Kanone auf dem Flaggschiff von Admiral Tegetthoff bei der Seeschlacht von Lissa. Also es war ein unglaubliches Leben von meinem Großpapa. Und dadurch auch meine innige Beziehung natürlich zu Schönbrunn – ich komm’ dann noch ein bissl drauf zu sprechen.

Sehr bald hat man mir dann im Burgtheater anvertraut so zu sagen die Organisation, das Kommando über die ersten Gastspiele nach dem Krieg. Das war ja nicht so einfach – ich hab’ schon erwähnt den Hauptmann Levitas. Dieser Hauptmann Levitas, der ein wirklicher Kulturmensch war, hat für diesen Zweck, weil wir die Gastspiele ja – von dem ich jetzt einmal gedanklich spreche – war das eine in Bregenz; so zu sagen der erste Versuch aus dem völlig zernierten Ostteil von Österreich mit einem Burgtheater-Gastspiel im äußersten Westen zu artikulieren: „Wir sind noch ein Land – wieder.“ Und das zweite war die erste Teilnahme des Burgtheaters bei den damaligen versuchten Festspielen in Graz, im Renaissance-Hof, im Landhaus-Hof zu spielen.
In Bregenz war das... Und immer musste man durch die Russen-Zone und daher brauchte man immer Sonderbewilligungen, dass das überhaupt möglich ist – in diesen Identitätsausweisen und so. Ich weiß nicht, sieben Stempel und... Also Levitas hat da immer geholfen, auch mit einem Generalpapier, das an der Demarkationslinie nix passiert ist und so weiter...

Und ich erinnere mich also an Bregenz: Da haben wir einen eigenen Waggon auf der Westbahn reserviert bekommen, aber dieser Waggon hatte nicht ein Glasfenster, sondern nur Holzscheiben. Daher hatte man entweder stockdunkel im Waggon oder eiskalt vom Fahrwind. Und ich hab’ mit Kreide an die Türen außen geschrieben »Sonderwagen Burgtheater«. Und da saß also die Rosa Albach-Retty, die die Herzogin von Marlborough... Und der Raoul Aslan und die Hilde Mikulicz, die die Königin Anna war und so... Also wir saßen dort alle und fuhren 18 Stunden von Wien nach Bregenz – man muss sich das einmal vorstellen. Und die saßen alle geduldig und in diesen Waggons mit Holzfenstern.
Und wir spielten dort also »Das Glas Wasser« mit dieser unfassbaren Besetzung Rosa Albach-Retty/Aslan als Marlborough und Bolingbroke. Das kann nie besser gespielt werden, diese Szene zwischen den beiden. Und ich weiß noch, es waren so zu sagen die ersten Bregenzer Festspiele, die wir da veranstaltet haben – ich glaub, 1946 war das.

Na ja, und dann – inzwischen hab’ ich natürlich von meinem Papa eigentlich den Wunsch bekommen, ich muss doch ans Studium denken – und so hab’ ich dann also schon 1945 gleich wieder begonnen zu studieren. Zunächst einmal weil er Jurist war, hab’ ich Jus inskribiert. Das hat mir nicht behagt weil mir einfach nicht behagt hat, was ihm offenkundig völlige Genugtuung bereitet hat meinem Papa; das wenn ich gesagt habe: „Du, aber das ist so.“ Hat er gesagt: „Du, das steht im Paragraph so und so und das muss man...“ Also mir hat das nicht gepasst und darum hab’ ich dann sehr bald, nach ein oder zwei Semestern, umgestellt auf Theaterwissenschaft. Und damals war ja noch jene glückselige Zeit weil es ja durch den Krieg überhaupt keinen Nachwuchs gegeben hat, dass man universitär geleistete Semester wechselweise angerechnet hat. Also mein Medizin-Semester oder Trimester und meine zwei Jus-Semester wurden mir im philosophischen Studium Theaterwissenschaft schon als geleistetes Semester angerechnet. Und wenn man emsig genug war im Studium und genug Prüfungen abgelegt hat und Zeugnisse hatte, konnte man also, wie ich, schon nach drei Jahren »Doktor der Philosophie« werden, weil man das eben so genannte Wissen nachweisen konnte und die erforderliche Grundstudienzeit durch die Anrechnung der anderen Semester auch nachweisen konnte.

Also im Jahr 1948 hab’ ich dann promoviert zum »Doktor der Theaterwissenschaft« und dann war die Frage: „Was soll ich weiter tun?“ Und damals war man im praktischen Theater noch ein bissl animos gegenüber Theaterwissenschaftlern und Aslan hat mir im Prinzip bedeutet, dass... „Entweder Du machst den Doktor oder Du bleibst im Burgtheater – aber beides zusammen geht nicht.“ Also hab’ ich den Doktor gemacht und bin aus dem Burgtheater 1948 ausgeschieden. Und da ich in meinem ganzen Leben das Glück hatte mich niemals um irgendeine Sache bewerben zu müssen, hat sich im Jahr 1948 bei mir Helene Thimig gemeldet, die inzwischen aus Amerika zurückgekommen war und das Reinhardt-Seminar übernehmen sollte und sich wegen ihres verstorbenen Gatten, Max Reinhardt, natürlich dieser Aufgabe gern unterziehen wollte, aber im Prinzip das Gefühl hatte, dass sie das nicht kann – wohl künstlerisch, aber organisatorisch ganz bestimmt nicht. Und sie hat den legendären Ernst Häussermann, den sie wiederum kannte weil er der letzte Mitarbeiter von Max Reinhardt in der Emigration in Hollywood war, gefragt, ob er nicht irgendwie einen Rat wüsste. Und Häussermann, der damals bereits als Filmtheater- und Musikoffizier am Rückweg nach Wien war, hat ihr meinen Namen genannt, den er wiederum gekannt hat weil ich im Krieg mit seinen Eltern, die ja im Burgtheater waren – sein Vater war ein sehr, sehr prominenter Schauspieler und der beste Striese im »Raub der Sabinerinnen«, den dieses Jahrhundert überhaupt gesehen hatte weil er auch noch ein Schwäbischer war. Also er war wirklich unerreichbar komisch. Und ich hatte schon im Krieg mit dem Ehepaar Häussermann in der Zeit, wo wir dort im Luftschutzkeller immer wieder uns getroffen haben, einen engen Kontakt und habe dann nach dem Krieg – das führt jetzt zu weit – also die erste Verbindung zwischen den überlebenden Eltern und dem überlebt habenden Sohn in Amerika über einen Kontakt in Prag hergestellt und so erfuhr Häussermann in Hollywood, dass die Eltern leben und die Eltern hier, dass Häussermann den Krieg dort überlebt hatte. Und durch diese Situation kam Häussermann dann auf meinen Namen und hat der Thimig gesagt: „Schauen Sie sich doch einmal diesen Herrn Dr. Kraus an, vielleicht ist das was.“ Und so kam ich zur Frau Thimig, die damals am Schmerlingplatz gewohnt hat, in einer Wohnung die vorher der interimistische Burgtheaterdirektor Ulrich Petrak bewohnt hatte und der die inzwischen geräumt hatte. Also kurzum: Da war die Thimig und ich kam dort hin und wir waren uns in kürzester Zeit – offenkundig ich ihr sympathisch. Sie hat gesagt: „Mach ma das!“ Und so kam ich also quasi unmittelbar nach der Promotion ins Reinhardt-Seminar und war dort stellvertretender Leiter. Und weil ich ein junger Theaterwissenschaftlicher war, bekam ich auch sofort einen Lehrauftrag für Theaterwissenschaft und Theatergeschichte und habe also dort von 1948 bis 1951 diese Funktionen ausgeübt und habe auch unterrichtet. Und weil es jener Wunderjahrgang durch Schicksalsfügung war, von dem heute noch alle sprechen: mit den Schülern Otto Schenk, Annemarie Düringer, Johanna Matz, Lotte Ledl, Ingrid Burkhard, Helmut Matiasek, Rudolf Melichar, Heinrich Schweiger, Franz Messner – also es war ein absoluter Wunderjahrgang, wie er sicherlich in der Form nie mehr davor war.  Es waren immer wieder Jahrgänge, wo dann Große, wie die Holzmeister oder Heltau oder Weck – die waren dann immer ein, zwei in einem Jahrgang. Aber dass alle in dem Jahrgang so zu sagen letztlich dann so prominent wurden – Traute Wassler – das war... Leider sind ein Großteil davon gestorben – tragisch Hohloch und wie sie alle heißen... Kurzum: Wir haben dort also einige Aufführungen – Premieren – gemacht, die wirklich also unglaublich waren. Das eine war »Der Diener zweier Herrn« mit dem Heinrich Schweiger und dem Franz Messner als Truffaldino – um nur die zu nennen. Schweiger war damals so dünn wie eine Nadel und beweglich. Und diese legendäre Aufführung von »Der Diener zweier Herren« ist dann mit der Konzession der österreichischen Länderbühne von Otto Ander auch schon auf Tournee gegangen weil ich war da schon infiziert mit Gastspielen; also haben wir die im Sommer dann gezeigt in Bad Aussee oder in Gastein oder...

Nun, ich bin dann vom Reinhardt-Seminar – da hat’s dann geheißen, also es muss der Herr Dr. Niederführ, der im Krieg dort Direktor war, wieder ins Seminar zurück als Leiter. Ich will mich dazu nicht äußern. Kurzum: Es war dann die Frage, ob ich in die »Akademie für Musik und Darstellende Kunst« in einer anderen Funktion in die Stadt übersiedeln sollte – aber bevor überhaupt diese Dinge ausgedacht waren, läutete bei mir das Telefon. Und am Telefon war wer? Ernst Häussermann. Ernst Häussermann war zu dieser Zeit der inzwischen legendäre Filmtheater- und Musikoffizier der amerikanischen Besatzungsmacht und residierte in einem Büro in der Schmidgasse, in einem ehemaligen Palais und er fragte mich, ob ich nicht als Assistent oder Mitarbeiter eintreten würde bei den Amerikanern. Und daraufhin sagte ich ihm: Ja an sich sehr gerne. Ich muss sowieso hier im Seminar überlegen weil da will ich nicht bleiben.“ Und so sagt er: „Wunderbar!“ Sag ich: „Ja, aber es ist nur ein Problem. Ich hab’ ja nur so ein bissl Englisch gelernt.“ Mit einer Englischlehrerin, wie man das halt früher... Ich hatte eine französische Nurse in der Zwischenkriegszeit und hab’ daher auch ein bissl Französisch gesprochen und Englisch halt – wie man es so lernt; und auch in der Schule... Hat er gesagt: „Aha, na ja, das werden wir gleich probieren: How do you do“, hat er im Telefon gesagt. Und ich hab’ gesagt: „Very fine, Sir.“ Sagt er: „Na also, Sie sprechen ja fließend Englisch. Die Sache ist erledigt.“ Und so kam ich in die amerikanische Botschaft und war also »personal assistant« vom »film-, theatre- and music officer« Ernst Häussermann. Und da war ich eineinhalb Jahre und dann hieß es: „Ernst Häussermann, wollen Sie in »Theater in der Josefstadt« als Direktor zu Ernst Stoß – weil wir brauchen dort eine Neuregelung?“ Und Ernst Häussermann als letzter Mitarbeiter von Max Reinhardt in das Theater von Max Reinhardt – also es war kein Halt für ihn; er will in die »Josefstadt« und er verließ die Amerikaner. Und die Konsequenz daraus war, dass ich unter dem bombastischen Titel »cultural activities director« dann bei den Amerikanern verblieb in der Kulturabteilung und in der Kulturabteilung zuständig war, unter andrem für das amerikanische Wandertheater, wo wir durch ganz Österreich gefahren sind und für das amerikanische Theater in Wien, das wir im Festsaal des Lehrerhausvereins in der Josefsgasse etabliert haben. Dort haben wir die Bühne gebaut, neu Konstruktion usw. Und das ist jenes Theater, wo heute das »English Theatre« immer noch spielt – also das ist zu meiner Zeit dort als amerikanische Theater etabliert worden und wird heute noch als Theater benützt.

Und da blieb ich bis zum Jahr 1956/57 und dann wurde die Abteilung Kultur „abolished“ also aufgelöst weil ja nach dem Staatsvertrag usw. das alles in der Form nicht mehr notwendig war. Und in irgendeiner Funktion dort zu verbleiben, wollte ich auch nicht.

Und so stellte sich die Frage: „Was soll ich tun?“ Und in der Zwischenzeit gab es aber die ungarische Revolution und man hat in Baden bei Wien ein ungarisches Flüchtlingsorchester gegründet gehabt, die »Philharmonie Hungarica«, die ja sehr berühmt werden sollte und die von der Rockefeller Foundation subventioniert wurde in Amerika unter anderem. Und es kümmerte sich ein Herr Nabokov, der in Paris saß, in Europa um das Schicksal dieser Ungarn-Flüchtlinge. Antal Doráti, der berühmte Dirigent war so zu sagen der Mentor und Yehudi Menuhin hat sich dafür sehr eingesetzt – und die brauchten einen Direktor weil das ja drunter und drüber gegangen ist in Baden. Und die haben bei den Amerikanern angefragt, ob die unter Umständen vielleicht raten können. Und zu dieser Zeit war der Chef der Rockefeller Foundation in Amerika der Dean Rusk, der ehemalige Außenminister von Amerika. Und er hat offenkundig bei der »United Information Agency« in Washington angefragt, ob die mit ihren Kontakten in Wien auf irgendeinen Namen kommen könnten, der empfohlen werden könnte. Und auf diesem Umweg anscheinend hat man in New York meinen Namen über Washington erfahren als ehemaligen »cultural acitivities director«. Und dem hat man dem Antal Doráti in Millwaukee gesagt und der hat dann, wie er in Amsterdam eine Oper dirigiert hat, bei mir in Wien angerufen: Ich soll doch nach Amsterdam kommen; er hätte eine Frage an mich. Und so kam ich als Direktor zur »Philharmonie Hungarica« und bin bei ihr geblieben, dann also im Vorstand noch viele, viele Jahre, obwohl ich dann also  –ja, wiederum durch eine Laune des Schicksals – als Chefdisponent an die Deutsche Oper am Rhein gekommen bin, zum Generalintendant Hermann Juch, der vorher an der Wiener Staatsoper Sekretär war und den ich eigentlich gut kannte und der mir im Café Eiles, bei einem unserer Wiener Gespräche, das Angebot gemacht hat, Nachfolger vom Karlheinz Haberland, der dann Direktor in Salzburg wurde und Vizedirektor in der Volksoper, nach Düsseldorf/Duisburg zu kommen. Und so hat sich das halt immer – Eins ins Andere – gefügt. Und kaum war ich in Düsseldorf etabliert – und das ging, toi-toi-toi, alles ganz gut und war sicher interessant und ich konnte die inzwischen die in Marl in Nordrhein-Westfalen angesiedelte »Philharmonie Hungarica« indirekt weiter betreuen, weil das so nah war... Kaum war ich da in Düsseldorf etabliert, läutete wieder das Telefon, aber nicht bei mir, sondern bei Hermann Juch, bei seinem Schulkollegen, wo Ernst Häussermann ja inzwischen Burgtheaterdirektor geworden war, 1959, angerufen und ihm gesagt: „Ich brauche unbedingt den Heinrich Kraus! Kannst Du ihn mir aus dem Vertrag entlassen, dass er zurück ans Burgtheater kommt?“ Und so bin ich dann 1961 aus Düsseldorf vorzeitig ausscheidend, mit wohlwollenden Grüßen von Hermann Juch, zurückgekommen an mein geliebtes Burgtheater und bin in dem Burgtheater, indem ich eben schon von 1945 bis 1948 gewesen bin, in der ersten Nachkriegszeit, geblieben – zunächst als wieder künstlerischer und administrativer Referent des Direktors und dann wurde ich Leiter der Verwaltung, dann wurde ich Verwaltungsdirektor und dann wurde ich Vizedirektor. Und während ich dort noch Vizedirektor war, läutete im Jahr 1976 wieder das Telefon bei mir – inzwischen war Häussermann, der 1969 oder 1968 aus dem Burgtheater ausgeschieden war, »Josefstadt«-Direktor geworden, zusammen mit Franz Stoß, der immer in der »Josefstadt« geblieben ist... Und im Jahr 1976 läutete dann das Telefon im Burgtheater und am Telefon war mein inzwischen wirklicher Freund Ernst Häussermann und sagt: „Du lieber Freund, der Stoß hat mir gerade mitgeteilt, er will aufhören als Geschäftsführer. Ich brauch’ einen zweiten Direktor hier, laut Statut der »Josefstadt«. Möchtest Du vom Burgtheater in die »Josefstadt« zu mir kommen als Nachfolger von Franz Stoß?“ Hab’ ich gesagt: „Ja, aber lieber Ernst, denk an mein Alter.“ Alle anderen denken im Jahr 1976 als Jahrgang 1923 eventuell schon: Jetzt macht man noch ein paar Jahre im Burgtheater – was ich ja gemacht hätte – und dann ist man 60 und dann geht man... Also kurzum... Häussermann sagt: „Nein, überleg Dir das!“ Also kurzum: Ich habe hin und her überlegt und habe mich dann, nachdem eine Möglichkeit gefunden war, dass ich also mit Wahrung aller Rechte aus dem Burgtheater nach so langen Dienstjahren hier und als Vizedirektor mit einem eigenen Regierungsbeschluss vom Bruno Kreisky, hier ausscheiden konnte – hab ich mich entschlossen im Jahr 1977 noch einmal ein Theaterleben zu beginnen, in der Meinung: „Na gut, das wird jetzt zehn Jahre...“ Und jetzt bin ich schon seit 1977 – wieder 34 Jahre – mit der »Josefstadt« verbunden, nur damit man weiß, wie diese Zeit von 66 Jahren vergangen ist.

Ich hab’ dann noch zusätzliche Aufgaben bekommen weil Franz Stoß ist nicht nur in der  »Josefstadt«  ausgeschieden, er war auch Präsident von der Raimund- und Nestroy-Gesellschaft. Er hat mir auch diese Ämter übertragen – inzwischen haben wir für beide Vereine über 100 Bücher herausgebracht, was gar nicht so leicht war, sie immer zu finanzieren. Darunter wirkliche Jahrhundertausgabe der historisch-kritischen Gesamtausgabe für Nestroys Werke – die hat 55 Bände und ist 2,20 m lang. Und jetzt kommt eine ebensolche, nicht so lange weil er nicht so viel hinterlassen hat, für Raimund – wir arbeiten gerade und in einem Jahr kommt das erste Band, der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Raimund-Gesellschaft. Und es ist gelungen Bad Ischl, jene Stadt mit der Nestroy in seinen letzten Lebensjahren so glücklich verbunden war – er hat dort auch eine Villa gehabt – zur Nestroy-Stadt, zur dritten in Österreich zu machen. In Wien ist er geboren, in Graz ist er gestorben und seine letzten glücklichen Lebensjahre – und er ist dort auch auf der Bühne gestanden. In dem Theater, das nur fünf Jahre jünger als die »Josefstadt« ist im Übrigen – als Willibald und als Schnoferl... Kurzum: Ischl ist inzwischen zur Nestroy-Stadt geworden, vergibt den Nestroy-Ring, den die Stadt Wien nicht mehr vergibt weil »Der Nestroy« vergeben wird, es hat eine Nestroy-Schule, hat ein Nestroy-Denkmal, es hat ein Nestroy-Stüberl, es hat einen Nestroy-Rostbraten... Also kurzum: Ischl ist wirklich zur Nestroy-Stadt geworden.

 Und so vertreib’ ich halt mir die Zeit. Und wenn Sie mich fragen, vielleicht jetzt abschließend – ich hab’ ja jetzt ein bissl lang geplaudert und sicher nicht alles gesagt, was ich noch erzählen hätte können oder sollen oder wollen – ich glaube... Es macht mir noch immer unbändigen Spaß und wenn irgendein Problem auftaucht im Theater, ist das nicht so, dass ich sag’: Warum tust Du Dir das an?“ Sondern ich sage mir: „Das muss man lösen!“ Also ich hab’ immer noch unbändigen Spaß und ich habe eben eine nicht löschende oder nicht erloschene Liebe zum Theater und ich glaube, dass das Älterwerden, das zwangsläufig eintritt, die Liebe zum Theater nicht verhindert. Aber ich könnte mir vorstellen, dass vielleicht die Liebe zum Theater das Älterwerden verhindert.

Und wir sitzen hier in einem Zimmer, in dem auch Ernst Häussermann als Direktor gesessen ist. Und ich bin hier in diesem Zimmer neben ihm gesessen vor vielen Jahren – da kam er missmutig ins Büro und wollte eigentlich aufhören Direktor zu sein weil ihn irgendetwas geärgert hat. Ich weiß’ nicht, hat der Curd Jürgens einen Termin abgesagt, den er ihm zugesagt hat... Kurzum: Er kam in der Früh miselsüchtig und sagt: „Eigentlich will ich nicht. Warum tu’ ich mir das an? Ich mach’ das schon so lang und so. Ich bleib’ Gesellschafter, aber ich will nicht mehr Direktor sein.“ In dem Moment hat hier das Telefon geläutet, in diesem Zimmer und am anderen Ende war Herbert von Karajan – sein wirklicher Freund. Und er war damals ja auch im Direktorium der Salzburger Festspiele und er hat ihn sofort überfallen und hat gesagt: „Herbert, ich hör’ auf!“ Und der Karajan hat gesagt: „Was?“ „Ja, ich mag’ nimma mehr und warum soll ich mich herumärgern?“ Und darauf hat der Krajan auf der anderen Seite gesagt: „Ernst, Du darfst nicht aufhören. Wir brauchen Dich alle noch, wir hier in Salzburg und die Dich in Wien. Aber ich habe einen Grundsatz: Du darfst niemals anfangen aufzuhören und darfst niemals aufhören anzufangen. Und wenn Du Dir das zum Grundsatz machst, bleibst Du weiter.“ Und ich saß hier und hörte das mit und habe mir unbescheidenerweise gedacht: „Dieser Karajan’sche Satz ist eigentlich ein ganz gutes Elixier.“ Nicht ahnend, dass ich 25 Jahre später – oder 20 Jahre später – in diesem Zimmer dieses Interview geben werde.

Aber ich versuche mich daran zu halten und wenn das Schicksal, dass mir ein Leben lang huldvoll gegenüber war, noch ein bissl huldvoll mir gegenüber bleibt, dann bin ich sehr dankbar. An mir soll’s nicht liegen: Ich versuche unbeirrt so weiter zu machen.

Archiv-Video vom 11.08.2014:
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Heinrich Kraus (Kulturmanager)

Wir und Wien - Erinnerungen Die beruflichen Stationen führten Heinrich Kraus unter anderem an das Burgtheater, die Kulturabteilung der amerikanischen Botschaft in Wien und an das Theater an der Josefstadt. Prof. Dr. Kraus ist nicht nur Präsident der Theaterdirektoren i. R., sondern auch seit über zwanzig Jahren Präsident der Internationalen Nestroy-Gesellschaft und der Raimund-Gesellschaft. Zudem hat er zahlreiche Auszeichnungen der Stadt Wien und der Republik Österreich erhalten.

Länge: 1 Stu. 0 Min.
Produktionsdatum: 2013
Copyright: Stadt Wien

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