3.6 Patricia Velencsics: Ältere Menschen mit Fluchterfahrung – Gruppenangebote des Caritas-Hauses Mira
Ältere Menschen mit Fluchterfahrung sind eine besonders vulnerable Gruppe. Sie sehen sich meist mit anderen Themen konfrontiert als jüngere Personen. Bei ihnen stehen weniger der Spracherwerb oder Arbeitssuche im Vordergrund, sondern die Themen Gesundheit, Verlust der Heimat und ihrer sozialen Netzwerke und die daraus resultierende Einsamkeit. Der Erwerb einer neuen Sprache ist für ältere Menschen ungleich schwieriger, für hochbetagte Personen praktisch unmöglich. Ältere Menschen sind darüber hinaus oft in ihrer Mobilität und Orientierung eingeschränkt – die neue Umgebung kennenzulernen ist für sie daher eine große Herausforderung. Überlegungen zur eigenen Gesundheits- und Pflegesituation stehen für viele ältere Menschen mit Fluchterfahrung im Fokus. Sich in einem neuen Gesundheitssystem mit anderen Abläufen, anderen Behandlungsmethoden und anderer Medikation zurechtzufinden, fällt vielen Betroffenen sehr schwer. Es braucht hier oft längere Zeit, bis eine Vertrauensbasis aufgebaut werden kann.
Um auf die konkreten Bedürfnisse dieser Altersgruppe eingehen zu können, ist es wichtig, spezifische Angebote für ältere Menschen mit Fluchterfahrung zu schaffen. Denn wir sehen: Angebote zum Austausch und Gespräch werden gerne angenommen und sind wichtig, um die psychische und physische Gesundheit der Menschen im Alter zu stärken.
Im Haus Mira der Caritas in Wien wurden 2024 dazu zwei neue Initiativen gestartet. Derzeit leben in dieser Grundversorgungseinrichtung 106 Personen. 26 davon sind über 60 Jahre alt, 20 Frauen und sechs Männer. Beide Projekte richten sich an die Altersgruppe 60+. Die Angebote werden derzeit exklusiv von Frauen genutzt. Männliche Betroffene ziehen tendenziell Einzelberatungen den Gruppenangeboten vor.
Ungezwungener Austausch beim „Tratschkaffee“
Gerade älteren Bewohner*innen fällt es oft schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Für manche ist es schon eine Herausforderung, das eigene Zimmer zu verlassen. Das Projekt „Tratschkaffee“ bietet diesen Klient*innen die Möglichkeit, ungezwungen miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Treffen finden einmal monatlich für zwei Stunden statt.
Um möglichst viele Frauen zu erreichen, wird das Angebot direkt im Haus beworben. Neben einem Aushang werden die Frauen auch direkt an ihrer Zimmertüre besucht und persönlich eingeladen. Diese direkte Einladung ist für die Motivation der Frauen, am Projekt teilzunehmen, sehr wichtig.
Bei den Treffen werden keine Inhalte vorgegeben, sondern die Gespräche nach den Interessen der Teilnehmer*innen geführt. Das gemeinsame Austauschen von Erinnerungen ist dabei besonders zentral – sie erzählen sich gegenseitig von dem Leben, das sie so plötzlich hinter sich lassen mussten. Gemeinsam hört man auch Musik und Lieder, die an diese Zeit erinnern.
Begleitung von Menschen im höheren Lebensalter: Gesprächsgruppen
Um noch stärker auf die mentalen Bedürfnisse der älteren Bewohner*innen eingehen zu können, finden seit 2024 auch psychologische Gesprächsgruppen für Personen ab 60 Jahren im Haus Mira statt.
Aufgrund der altersbedingt unterschiedlichen Ansprüche wurden zwei separate Gruppen eingerichtet: eine für die Altersgruppe 60-70 Jahre und eine für die Gruppe 70+. Pro Gruppe nehmen drei bis fünf Frauen teil, in beiden Gruppen wird mit Dolmetscher*innen gearbeitet.
In der „jüngeren“ Gruppe gibt es ein stärkeres Bedürfnis, über Gefühle, Ängste und Sorgen zu sprechen. Es geht hier stark um Themen wie Stressabbau, Schlafhygiene, aber auch um die Stärkung individueller Ressourcen. In der Gruppe 70+ liegt der Fokus auf konkreten Gesundheitsthemen der Teilnehmerinnen. Es werden dabei auch positive Bewältigungsstrategien erarbeitet, um die Menschen konkret in ihrem Wohlbefinden zu unterstützen.
Ein erstes Fazit der Projekte zeigt, dass die Angebote sehr gut angenommen werden, und bestätigt die Wichtigkeit, ältere Personen mit Fluchthintergrund konkret zu unterstützen. Dabei bleibt wesentlich zu berücksichtigen, dass auch in dieser Altersgruppe die Bedürfnisse und Sorgen variieren. Je konkreter man darauf eingehen kann, desto mehr profitieren Betroffene.
Patricia Velencsics absolvierte die Akademie für Soziale Arbeit und das Studium der Bildungswissenschaft an der Universität Wien. Sie ist seit 1996 bei der Caritas der Erzdiözese Wien tätig mit den Schwerpunkten Sozialberatung armutsgefährdeter Menschen, mobile soziale Arbeit mit Familien und Bildungsprojekte für Menschen mit Fluchterfahrung, dabei vor allem in Frauenprojekten. Sie arbeitet an verschiedenen Projektanträgen im Fachbereich Asyl und Integration mit, zuletzt für ein Projekt für geflüchtete Menschen, die 60 Jahre oder älter sind.