2.4 Merle Zahlingen-Al Maleki: Safer Space – feministische Beratung auf Augenhöhe - Frauenberatung des Diakonie Flüchtlingsdiensts
Die Frauenberatung des Diakonie Flüchtlingsdiensts ist eine Anlaufstelle für geflüchtete Frauen. Als feministische Beratungsstelle bieten wir niederschwellige Unterstützung und Beratung für unsere Klientinnen von Frau zu Frau. Diese reicht von sozialer, familienrechtlicher und sozialmedizinischer Beratung bis hin zu Erziehungs- und Gewaltschutzberatung. Existenzsichernde Themen wie Ansprüche auf Sozialleistungen, finanzielle Alltagsunterstützung, Aufenthaltsstatus, Kinderbetreuung, Wohnen und Kommunikation mit Behörden sind die zentralen Anliegen der Frauen in der Sozialberatung.
Wir arbeiten mit einem emanzipatorischen und lebensweltorientierten Ansatz: Wir holen Frauen dort ab, wo sie stehen, und unterstützen sie dabei, sich im österreichischen Sozialstaat zu orientieren und ihre Ansprüche durchzusetzen. Aus Erzählungen der Frauen wissen wir, dass ihre Erfahrungen in Österreich von patriarchalen Strukturen und Rassismen geprägt sind. Aus diesem Grund erscheint es uns essenziell, ihnen in der Beratung einen Safer Space zu bieten, wo sie mit all ihren Anliegen ernst genommen werden und wo auch frauenspezifische Themen (Gesundheit, Familienplanung, patriarchale Machtverhältnisse, Gender-based Violence u. v. m.) Raum finden und in ihren Muttersprachen auf Augenhöhe besprochen werden. Dieser Safer Space soll den Frauen auch die Möglichkeit geben, über ihre Marginalisierungserfahrungen zu sprechen, sich miteinander zu solidarisieren und keine Angst vor Diskriminierung in der Beratung zu haben. Für Alleinerziehende stellt es aufgrund ihrer Betreuungspflichten oftmals eine Hürde dar, Beratungsstellen aufzusuchen, weshalb sie ihre Kinder in die Beratungsstelle mitnehmen können.
Um die Autonomie der Frauen zu stärken, ermutigen wir sie dazu, selbstständig zu Behörden zu gehen und ihre Anliegen dort zu kommunizieren. Oft machen sie dabei jedoch erneute Rassismus- und andere Diskriminierungserfahrungen. Diese wiederholt negativen Erlebnisse im Kontakt mit Behörden führen bei vielen dazu, diesen abbrechen zu wollen, und somit zur Einschränkung ihrer Handlungsfähigkeit. Die beschämenden Momente entstehen insbesondere bei telefonischem Kontakt mit Behörden und sozialen Einrichtungen, die nicht primär mit Geflüchteten arbeiten. Obwohl Frauen bei uns ihre Anliegen in Beratungsgesprächen klar artikulieren können, werden beim Versuch, alleine anzurufen, bei ihnen meist unangenehme Erinnerungen an diskriminierende Erfahrungen wachgerufen. Das eben noch verständlich Erklärte kann dann nicht mehr gesagt werden. Diese Situation wiederholt sich leider viel zu oft, häufig auch noch nach jahrelangem Aufenthalt – meist, weil dem Gegenüber das empathische Verständnis für die Vulnerabilität der Frauen in diesen Situationen fehlt. Dadurch, und aufgrund mangelnder positiver Rückmeldungen, trauen sich geflüchtete Frauen als Konsequenz immer weniger zu.
Wenn es darum geht, sich im österreichischen Sozialsystem zurechtzufinden, spielen deshalb die jeweiligen Communitys der Frauen eine wichtige Rolle. Aus sozialarbeiterischer Sicht sind sie eine wichtige Ressource, in der Wissen weitergegeben und gegenseitige Unterstützung erfahren wird. Gleichzeitig können in Communitys aber auch Falschinformationen kursieren, die im Einzelfall zu negativen Konsequenzen führen können. Oft werden etwa Ansprüche aufgrund falscher Informationen nicht geltend gemacht, wodurch Frauen länger als notwendig in absoluter Armut leben müssen. Hier braucht es einen Weg, wie akkurate Informationen ihren Weg in die Communitys finden und von diesen angenommen werden können. Das kann insbesondere durch Vertrauensaufbau in einem sicheren, wertschätzenden Beratungsrahmen gelingen.
Auch Altersdiskriminierung ist für nach Österreich geflüchtete Frauen ein großes Thema. Ältere Frauen benötigen oft mehr Zeit, um sich an ein neues System zu gewöhnen. Die Behörden vermitteln ihnen jedoch häufig, sie könnten gar nicht mehr lernen. Aus unserer Sicht lässt sich das aber nicht bestätigen, v. a., wenn nicht auch noch besondere Vulnerabilitäten wie z. B. schwere Erkrankungen hinzukommen. Mit mehr Zeit und etwas intensiverer Unterstützung wie z. B. anfänglichen Begleitungen sind die meisten sehr wohl in der Lage, ihr Leben selbstständig zu meistern. Hier bräuchte es sensibilisiertes, geschultes Personal bei den Behörden und eine barrierefreie Bereitstellung von Informationen, um auch ältere geflüchtete Frauen teilhaben zu lassen.
Unsere praktische Erfahrung verdeutlicht, dass es nicht nur an Sprachbarrieren oder „Unwissenheit“ liegt, wenn der Kontakt zu Behörden und Institutionen nicht gelingt und somit der Zugang zu existenzsichernden Sozialleistungen erschwert wird. Wie so oft – und das ist das Traurige und Alarmierende zugleich – ist es auf patriarchale Machtverhältnisse, Rassismus, Klassismus und Sexismus zurückzuführen. In unserem Safer Space für geflüchtete Frauen wollen wir sie ermächtigen, trotz dieser Diskriminierungen ihren Weg zu finden. Zusammenfassend stellen wir fest, dass sich Frauen in einem Safer Space mehr zutrauen und insgesamt mehr – vor allem frauenspezifische – Themen angesprochen werden. Dies zeigt, wie wichtig eine „Safer Space“-Beratung ist und dass feministische Beratung in einem patriarchalen System unerlässlich ist.
Merle Zahlingen-Al Maleki hat in Kolumbien, Nicaragua und Deutschland gelebt. Sie studierte zunächst Romanistik an der Universität Wien und später Soziale Arbeit am FH Campus Wien. Sie bildete sich zu Gewaltprävention und Extremismus, Fremden- und Asylrecht sowie Sexualpädagogik fort. Ab November 2014 war sie persönliche Assistentin im Behindertenbereich und ab 2020 beim Verein Zentrum Aichholzgasse (VZA) und bei StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt im Kinder- und Jugendbereich tätig. Seit 2022 arbeitet sie in der Frauenberatungsstelle des Diakonie Flüchtlingsdiensts, beschäftigt sich viel mit Queer-Feminismus und gibt Workshops zu Sexualpädagogik.