2.2 Entstehungsgeschichte und Struktur der Wiener Sonnenstrom-Offensive
Bestandsanalyse und erste Schritte
Zentrales Ziel der Wiener Sonnenstrom-Offensive ist es, dass der PV-Ausbau in Wien zum überwiegenden Teil der 800 MWp auf der bestehenden und verbauten Infrastruktur, und hier insbesondere auf Gebäudeflächen, erfolgen soll. Dazu war es im ersten Schritt notwendig, das PV-Potenzial auf den Wiener Dachflächen zu ermitteln. Eine Dachflächenanalyse von ConPlusUltra FlexCo, die 2022 im Rahmen des neuen Solarpotenzialkatasters durchgeführt wurde, ergab eine nutzbare Gesamtdachfläche von 35,07 km2 im Stadtgebiet, von der über 80 Prozent eine sehr gute oder gute Sonneneinstrahlung aufweisen. Zieht man davon die notwendigen Abstände zu Dachkanten oder -fenstern sowie das Potenzial ab, das in Weltkulturerbe- und Schutzzonen liegt (aufwendigere Genehmigungserfordernisse), kann das theoretische PV-Potenzial auf den Dachflächen Wiens mit rund 1.500 MWp Leistung beziffert werden. Dieses grundsätzlich hohe Potenzial berücksichtigt jedoch keine gebäudespezifischen Faktoren wie Statik, Alter der Dachhaut oder den Zustand der elektrischen Hausanlagen, die die Errichtung von PV-Anlagen oft erschweren oder gar verunmöglichen. Gleichzeitig können die Rahmenbedingungen für die Errichtung von PV-Anlagen in einer historischen und dichtverbauten Stadt teilweise durchaus komplex sein. Fragen des Stadtbildes, der Blendung oder des Brandschutzes müssen in einer dichtverbauten Stadt häufiger berücksichtigt werden als in Einfamilienhaussiedlungen oder dem ländlichen Raum. Platz ist ein wertvolles Gut in einer Stadt und oftmals gibt es unterschiedliche Nutzungsanforderungen an die vorhandenen Flächen und Zielkonflikte, für die Lösungen gefunden werden müssen. Dabei sind sowohl die unterschiedlichen Widmungskategorien wie beispielsweise Bauland (Wohngebiete, Betriebsgebiete, gemischte Baugebiete) oder Grünland, die baurechtlichen Regelungen bezüglich Schutzzonen, Bausperren und Grünland-Schutzgebiet sowie die verschiedenen Gebäudetypen relevant.
In Wien gibt es circa 178.000 Gebäude (Wien in Zahlen 2025). Davon sind 160.000 Wohngebäude und rund 18.200 Gebäude sogenannte Nicht-Wohngebäude, von denen 10.965 Gebäude im Eigentum von Unternehmen sind (Statistik Austria 2023).
Betriebe, Bauträger sowie Hauseigentümer*innen sind die wichtigsten Zielgruppen für den PV-Ausbau in Wien, da sie bei Bauprojekten Entscheidungsträger*innen sind und dadurch PV-Projekte wenig interne Abstimmung benötigen. Wohnungseigentümer*innen haben zwar ein weitreichendes Mitspracherecht, brauchen jedoch für die Errichtung von PV-Anlagen laut Wohnungseigentumsgesetz (WEG) die Zustimmung aller oder fast aller Miteigentümer*innen der Eigentumsgemeinschaft, was Projekte oftmals verzögert oder verhindert. Der Anteil der Haus- und Wohnungseigentümer*innen macht in Wien lediglich 18 Prozent (Wien in Zahlen 2025) aus, während der überwältigende Teil der Wiener Bevölkerung in Mietverhältnissen wohnt.
Mieter*innen können in der Regel gemäß Mietrechtsgesetz (MRG) nur mit Zustimmung des*der Gebäudeeigentümer*in eine PV-Anlage errichten und sind daher nur eine untergeordnete Zielgruppe für die Aktivierung der Gebäudeflächen.
- Betriebe
- Haus- und Gebäudeeigentümer*innen
- Bauträger
- Vereine, Organisationen und Verbände
- Wohnungseigentümer*innen
- Hausverwaltungen sowie
- Mieter*innen
Die Handlungsfelder der Wiener Sonnenstrom-Offensive
Um die Handlungsfelder des Programms zu identifizieren, wurden im Vorfeld mit relevanten Stakeholder*innen intensive Gespräche geführt. Dabei wurden Unternehmen der PV-Branche, Interessenvertretungen, Betriebe und Bauträger eingeladen, ihre Bedürfnisse und Herausforderungen einzubringen. Dabei haben sich die umfangreichen Genehmigungs-erfordernisse aus der Wiener Bauordnung und dem Wiener Elektrizitätswirtschaftsgesetz 2005 (WElWG) als größte Hürden für den innerstädtischen PV-Ausbau herausgestellt.
Aus dem Feedback der Stakeholder*innen, dem Auftrag aus dem Regierungsprogramm sowie den Ergebnissen unterschiedlicher Bestandsanalysen wurden die unterschiedlichen Handlungsfelder der Wiener Sonnenstrom-Offensive definiert.
Vereinfachung von Genehmigungsverfahren: Durch Novellen der Wiener Bauordnung und des Wiener Elektrizitätswirtschaftsgesetzes (WElWG) sowie interne Prozessoptimierungen wird die Errichtung von PV-Anlagen in Wien einfacher und schneller.
Vorbildrolle der Stadt Wien: Der PV-Ausbau auf Flächen im Eigentum der Stadt Wien wird laufend vorangetrieben und gemonitort.
Weiterentwicklung der Wiener PV-Förderungen: Durch Bereitstellung eines Förderbudgets, Vereinfachung der Förderbedingungen und Entwicklung von zielgerichteten, urbanen Förderschienen wird das Instrument der Förderungen verstärkt.
Erhebung von Flächenpotenzialen: Durch Analysen von Flächenpotenzialen und Priorisierung von Ausbauflächen werden zielgerichtete Maßnahmen entwickelt.
Aufbau eines Monitorings: Der Programmfortschritt wird laufend gemonitort und in Form eines PV-Dashboards veröffentlicht und regelmäßig aktualisiert.
Innovation, Forschung und Qualitätssicherung: Der regelmäßige Austausch mit Forschungseinrichtungen sowie ein laufendes Innovations-Screening geben wichtige Impulse für die Weiterentwicklung des Programms und gewährleisten die regulatorische Überprüfung und Verankerung in der Stadt Wien.
Informations- und Öffentlichkeitsarbeitund Vernetzung: Eine umfassende Kommunikationsstrategie und die Umsetzung unterschiedlicher Instrumente, wie beispielsweise Homepage, Social Media, Informationsbroschüren oder Veranstaltungsformate, sprechen alle relevanten Zielgruppen an und stärken das Bewusstsein für Klimaschutz und Energiewende.
Aktivierung von Betrieben und Privatpersonen: Ein breites Netzwerk von Solarpartner*innen der Stadt Wien wird aufgebaut und Kooperationen mit wichtigen Stakeholder*innen aus Wirtschaft, PV-Branche und Zivilgesellschaft gepflegt.
Etablierung eines Beratungszentrums für Erneuerbare Energien: Die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle für alle Fragen rund um das Thema Photovoltaik unterstützt Private und Betriebe kostenlos und individuell bei der Planung und Errichtung ihrer PV-Projekte.
Programmstruktur
Der Startschuss der Wiener Sonnenstrom-Offensive war ein Beschluss der Fortschritts-koalition von SPÖ und NEOS im Rahmen der ersten Regierungsklausur im Jänner 2021. In weiterer Folge wurde auf Basis der oben beschriebenen Handlungsfelder im ersten Halbjahr 2021 gemeinsam mit der Magistratsdirektion – Bauten und Technik, Services Managementsysteme und IKT ein Programmstrukturplan erarbeitet, der in einem breit angelegten Programmstart mit allen relevanten Dienststellen diskutiert wurde. Die Ergebnisse mit genau definierten Zielen, Phasen und Arbeitspaketen wurden anschließend in einem Programmhandbuch zusammengefasst.
Die unterschiedlichen Handlungsfelder haben einerseits einen hohen stadtinternen Abstimmungs- und Koordinierungsbedarf und andererseits beinhalten sie operative Bereiche, die stark nach außen wirken. Daher wurde erstmals eine duale Programmleitung beauftragt, die beide Aspekte abdeckt. Durch diese duale Leitung bestehend aus der Magistratsdirektion – Bauten und Technik, Kompetenzzentrum Bahninfrastruktur, Regulative Bau, Ingenieurservices, Normen und der Abteilung Energieplanung konnten alle Handlungsfelder optimal abgedeckt werden. Die unterschiedlichen Handlungsfelder spiegeln sich auch in den politischen Auftraggeber*innen sowie in der Besetzung des Steuerungsteams wider:
Geschäftsgruppe Klima, Umwelt, Demokratie und Personal
Geschäftsgruppe Wohnen, Wohnbau, Stadterneuerung und Frauen
Geschäftsgruppe Stadtentwicklung, Mobilität und Wiener Stadtwerke
Ebenfalls im Steuerungsteam vertreten sind die Magistratsdirektion – Bauten und Technik, die Wiener Stadtwerke sowie die Bereichsleitung für Bildungsinfrastruktur als Vertreterin der flächenverwaltenden Dienststellen mit den meisten städtischen Potenzialflächen und PV-Projekten.
Als Programmauftraggeber*innen fungieren die Leitung des Kompetenzzentrums Bahninfrastruktur, Regulative Bau, Ingenieurservices, Normen der Magistratsdirektion – Bauten und Technik und die Leitung der Abteilung Energieplanung. Vervollständigt wird die Programmstruktur von einem fachlichen Beirat und einem circa 20-köpfigen Programmteam.
Programmteam
Das Programmteam der Wiener Sonnenstrom-Offensive deckt alle Handlungsfelder des Programms ab und setzt sich aus Vertreter*innen aller relevanten Magistratsabteilungen, Wiener Wohnen, den Wiener Stadtwerken sowie UIV zusammen. Dieses unterstützt das Programm im Auftrag der Abteilung Energieplanung in mehreren Handlungsfeldern strategisch und operativ, insbesondere in den Bereichen Beratungsservices, Energiegemeinschaften sowie Aktivierung von Privaten und Betrieben.
Das Programmteam ist für die Erreichung der Ziele aus dem Programmhandbuch verantwortlich, wobei jedes Mitglied eine koordinierende Rolle für ein Handlungsfeld innehat. Das Team trifft sich regelmäßig, um sich über den aktuellen Stand zu informieren, inhaltlich zu diskutieren und das Programm weiterzuentwickeln und voranzutreiben. Zwei Mal im Jahr führt das Programmteam gemeinsam ein Controlling durch.
Der fachliche Beirat als Verbindung zur Praxis
Der fachliche Beirat berät die Wiener Sonnenstrom-Offensive und ist das Verbindungsglied zu Forschung und Wissenschaft sowie zur PV-Branche. Er setzt sich aus Mitgliedern des Bundesverbands Photovoltaik Austria, der Österreichischen Technologieplattform Photovoltaik, der Technischen Universität Wien, der Universität für Bodenkultur Wien sowie der Fachhochschule Technikum Wien zusammen. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich.
Zwei Mal im Jahr berichten Programmauftraggeberinnen und Programmkoordination über die Fortschritte des Programms und wenden sich mit aktuellen Fragestellungen an den fachlichen Beirat, um dessen Einschätzungen und Empfehlungen einzuholen.
Gleichzeitig agiert er als eine Art Kontrollgruppe, die überprüft, ob die Maßnahmen der Wiener Sonnenstrom-Offensive in die richtige Richtung gehen. Obwohl die Empfehlungen des fachlichen Beirats nicht bindend sind, haben sie großes Gewicht und tragen wesentlich zur Weiterentwicklung der Wiener Sonnenstrom-Offensive bei.