Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 23.09.2021:
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7. Wiener Landtag (6)

Dringlicher Antrag

Von der ÖVP wurde ein Dringlicher Antrag betreffend „Abschaffung des Wiener Valorisierungsgesetzes“ gestellt.

LAbg. Mag. Manfred Juraczka (ÖVP) begründete den Dringlichen Antrag damit, dass die Corona-Pandemie viele Opfer gefordert habe; nicht nur die Todesopfer und die gesundheitlichen Folgen der Krankheit, sondern auch wirtschaftliche Opfer. In Wien gebe es „sehr, sehr wenige Diskussionen“ über das Meistern der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie – „es wird Business as usual betrieben“. Das Wiener Valorisierungsgesetz sei pikant, „weil der Rechnungshof festgestellt hat, dass die Stadt damit ein Körberlgeld macht“, sagte Juraczka. Die am 1. Jänner 2022 schlagend werdende Valorisierung in Wien mache 50 Millionen Euro aus, „für mich alles andere als Peanuts“. Für eine durchschnittliche Familie mit drei Personen in einer 75qm-Gemeindewohnung seien in den letzten zehn Jahren Mehrkosten entstanden, die deutlich über der Inflationsrate von rund 19 Prozent liegen würden: „Sogar das Sterben ist in dieser Stadt unwahrscheinlich teuer, wenn man auf die Gräbermieten am Zentralhof blickt.“ In zehn Jahren habe sich das verfügbare Einkommen der Wienerinnen und Wiener nur um etwa sieben Prozent erhöht, im Burgenland sei im Vergleich hingegen die Kaufkraft um 21 Prozent gestiegen. Dass die NEOS diesen Weg „ganz locker“ mitgehen würden, hätte Juraczka nicht erwartet. Gerecht sei nach seinem Empfinden nicht die Verteilung des Einkommens durch die Stadt, sondern dass den Menschen das Geld in der Tasche bleibe „und sie ihr Geld nach eigenem Ermessen ausgeben können“. Juraczka brachte den Dringlichen Antrag zur Abschaffung des Wiener Valorisierungsgesetzes ein.

LAbg. Dr. Markus Wölbitsch-Milan, MIM (ÖVP) sagte, es gehe im Antrag tatsächlich um eine dringliche Materie: nämlich um die Wirtschaft und das Wachstum; darum Unternehmen zu unterstützen und Arbeitsplätze zu sichern. Wien gehe aber den Weg, Haushalte ab 2022 mit 50 Millionen Euro zusätzlich zu belastet. Die Gebühren in Wien seien in der letzten Dekade viel stärker gestiegen als die Inflationsrate von 19,8 Prozent – „erzählen Sie also nicht das Märchen von der Abgeltung der Inflationsrate“, sagte Wölbitsch-Milan in Richtung Regierung. Mit diesem „Körberlgeld“ würden andere Bereiche der Stadt quersubventioniert. Wölbitsch-Milan vermutete nach der Lektüre eines Interviews mit Öffi-Stadtrat Peter Hanke (SPÖ), dass ab September 2022 auch im Bereich des öffentlichen Verkehrs mit Gebührenerhöhungen zu rechnen sei. „Fast überheblich“ sei auch die Annahme, dass die 50 Millionen Euro „Peanuts“ seien. Auf Bundesebene hingegen seien seit elf Jahren die Gebühren nicht erhöht worden – „dank der ÖVP-Regierungsbeteiligung“. Das Wiener Valorisierungsgesetz sei schon vom Konstrukt her „eigentlich zutiefst antidemokratisch, weil man sich immer auf den ‚Automatismus‘ des Gesetzes herausredet“, sagte Wölbitsch-Milan. Das Gesetz sei aber kein Automatismus, sondern Menschen-gemacht beziehungsweise SPÖ-geschaffen und könne deshalb im Stadtparlament revidiert werden. „Das Wiener Valorisierungsgesetz ist nicht im Sinne der Bevölkerung, antidemokratisch und gehört abgeschafft“, bat Wölbitsch-Milan um Unterstützung.

LAbg. Maximilian Krauss, MA (FPÖ) nannte es „mutig von der ÖVP“ im Wiener Landtag über Steuern und Gebühren zu reden – „nach dem Missmanagement, das der Wiener Parteiobmann und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) während der Coronakrise erbrachte hat“. Es gebe auch in der rot-pinken Koalition keine Politik und keine Entlastungen für die Menschen, obwohl die NEOS dies in der Opposition stets gefordert hätten: „Diese Art der Politik ist geschmacklos“. Vor allem bei Autofahrern würde die Belastungen immer höher steigen, für diese wären im Gegenteil Entlastungen angebracht. „Besonders tragisch“ sei die Rolle der NEOS in dieser Debatte, noch im Mai 2020 hätte die Pinken die Abschaffung des Valorisierungsgesetzes gefordert und sogar von einer Senkung von 15 Prozent bei Gebühren gesprochen. „Irgendwo in der Koalition sollten Sie sich einmal durchsetzen, nirgends gibt es eine pinke Handschrift“, sagte Krauss in Richtung NEOS.

LAbg. Markus Ornig, MBA (NEOS) stellte ein Geständnis an den Beginn: nicht alles, was in einer Oppositionsrolle gefordert worden sei, könne in der Juniorrolle in der Regierung durchgebracht werden – „ich glaube, das ist jedem schon einmal passiert“. Die Valorisierung würde eine Erhöhung für eine dreiköpfige Wiener Familie von etwa 2,45 Euro, für Singles von 1,70 Euro pro Monat bringen. Dies sei ein tragbarer Betrag, „weil im Gegenzug in der Stadt in der Daseinsvorsorge sehr gute Leistungen stehen“. In drei Tagen sei es zwei Jahre her, dass im Bundes-Wahlkampf von der ÖVP versprochen wurde, die kalte Steuerprogression abzuschaffen. Geschehen sei dazu nichts, außer der Ankündigung der „Prüfung der Grenzbeträge“. Auch in ÖVP regierten Bundesländern wie in Niederösterreich oder in der Steiermark würden Valorisierungen der Gebühren durchgeführt werden – „jeder in diesem Raum kann über Valorisierungen diskutieren, aber Sie ganz sicher nicht“, sage Ornig in Richtung der Wiener ÖVP. „Deshalb ist diese ‚Dringliche‘ für mich eine Farce.“

LAbg. Dipl.-Ing. Martin Margulies (Grüne) blickte auf die zentralen Einnahmenquellen Wiens: der Finanzausgleich mit dem Bund, die eigenen Steuern, „ein wenig“ aus eigene Leistungen, die Gebühren und Darlehensaufnahmen würden im Wesentlichen zu den Einnahmen beitragen. Selbst wenn die Gebühren verdoppelten werden würden, betrügen die dadurch lukrierten Zusatzeinnahmen etwa 400 Millionen Euro, rechnete Margulies vor. Im Vergleich dazu, würde die von der ÖVP vor kurzem verlangte Senkung der Betreuungsquote in Schulen von 22 auf 18 Schüler pro Lehrperson 400 Millionen pro Jahr kosten, 300 Millionen fürs Personal, 100 Millionen Euro für Infrastrukturkosten. Die Aufgaben der öffentlichen Hand seien auch wegen Corona ­in den letzten Jahren nicht kleiner, sondern größer geworden; es sei also von der ÖVP „populistisch“, zu verlangen, „dass alle in dieser Stadt, die einer Arbeit nachgehen, mehr verdienen – das ist die Quadratur des Kreises“. Niemand würde Gebühren einheben, um die Bürger*innen zu „schröpfen“, sondern um damit die Aufgaben der öffentlichen Hand bestmöglich zu erledigen. Die Vorschläge der ÖVP würden den finanziellen Rückhalt der öffentlichen Körperschaften „zerstören, und wo wären wir dann. Denn nicht die Privaten haben uns durch die Krise geführt, sondern die öffentliche Hand“. Auch der Vergleich der Steigerung bei Wohnungspreisen zwischen privaten Anbieter*innen und der öffentlichen Hand gehe eindeutig zu Gunsten der öffentlichen Körperschaften aus.

LAbg. Prof. Rudolf Kaske (SPÖ) sagte, die ÖVP habe in den letzten Tag versucht, „reißerisch“ das Thema Valorisierung in den Medien zu inszenieren. Die Volkspartei könne bei ihren Forderungen leicht generös sein, „es ist ja nicht Ihr Geld, sondern das der Bevölkerung“. Die Sozialdemokratie sei gegen das Sparen am falschen Platz, „diesen Weg, wie in vielen anderen Städten und Ländern, will Wien nicht gehen“. Denn die eingehobenen Gebühren würden städtische Unternehmen befähigen, in die Zukunft „sinnvoll zu investieren“. Mit dem Beschluss des Valorisierungsgesetzes 2007 sei eine Anpassung der Gebühren ermöglicht worden, wenn der festgelegte Schwellenwert beim Verbraucherpreisindex von mindestens 3 Prozent überschritten werde. Durch diese „maßvollen Anpassungen“ durch das Valorisierungsgesetz werde eine vergleichsweise „sprunghafte und beträchtliche Abgabenerhöhung“ vermieden, sagte Kaske. „Dieses in Wien etablierte System wurde auch vom Verfassungsgerichtshof anerkannt. Die Stadt Wien setzt alles daran, die hohe Qualität der kommunalen Dienstleistungen zu bewahren und zu steigern; eine Aufhebung der Valorisierung würde dieses Ziel gefährden“, sagte Kaske. (Forts.) nic

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