Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 09.11.2018:
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40 Jahre Wiener Jugendzentren – Kinder- und Jugendarbeit mit Haltung

Der Verein Wiener Jugendzentren legt verstärkt Fokus auf gendersensible Jugendarbeit

Der Verein Wiener Jugendzentren feiert heuer sein 40-jähriges Bestehen. 1978 gegründet ist der Verein der größte professionelle Anbieter von Kinder- und Jugendarbeit in Wien. Mit 38 Standorten in 17 Wiener Bezirken verzeichnet der Verein jährlich über 640.000 Kontakte – in Jugendzentren und Jugendtreffs, über mobile Teams in Parks und auf öffentlichen Plätzen, in Beschäftigungsprojekten und bei zahlreichen Kreativangeboten.

„In keiner anderen Großstadt in Europa gibt es ein derart dichtes Netz an Angeboten für Kinder und Jugendliche wie in Wien. Mit seiner langen Geschichte und seiner tiefen Verankerung in der Stadt ist der Verein Wiener Jugendzentren ein Flaggschiff in der Wiener Kinder- und Jugendarbeit, der sich immer auch den gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechend weiterentwickelt hat. Ich bin stolz darauf, dass nach wie vor tausende Jugendliche die Freiräume, die die Jugendzentren bieten, nutzen“, betont Jugendstadtrat Jürgen Czernohorszky.

„Der Verein Wiener Jugendzentren ist für Jugendliche mehr als ein bloßer Aufenthaltsort. Hier werden ihre Bedürfnisse, ihre Interessen und ihre Wünsche gehört und ernst genommen. Jugendliche haben ein Recht auf einen anerkannten Platz in der Gesellschaft und darauf, dass ihre Stimme gehört wird. Da das oftmals nicht Realität ist, stehen die Jugendzentren als Bündnispartnerin und Sprachrohr an der Seite der jungen Menschen“, hebt die Gemeinderätin und stellvertretende Obfrau des Vereins, Marina Hanke, hervor.

Durchschnittlich werden pro Jahr rund 700 Kinder und Jugendliche pro Jugendeinrichtung betreut – ungefähr die Hälfte davon sind Stammgäste. 70 Prozent der Kontakte sind Teenager und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren. 60 Prozent werden durch die „Basis“ des Vereins erreicht, also über den offenen Betrieb in Jugendzentren sowie die aufsuchende Jugendarbeit im öffentlichen Raum (z.B. Streetwork und Parkbetreuung). Die restlichen 40 Prozent werden über spezifische Aktivitäten wie themenzentrierte Bildungsangebote, geschlechtssensible Aktionen oder jugendkulturelle Events erreicht.

Was die Jugendzentren leisten

„Wir bieten Jugendlichen einen geschützten Rahmen und stehen ihnen in schwierigen Phasen des Erwachsenwerdens zur Seite. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir gute und tragfähige Beziehungen zu ihnen aufbauen. Wir sind für die Jugendlichen da, stehen ihnen zur Seite, aber setzen uns auch kritisch mit ihrem Tun und ihren Äußerungen auseinander“, so Ilkim Erdost, Geschäftsführerin im Verein Wiener Jugendzentren. Die gezielte Stärkung von Jugendlichen erfolgt auf Grundlage von Grundwerten, die eine offene, freie, inklusive und demokratische Gesellschaft fördern. Die unmittelbare soziale Umgebung, der Stadtteil, die Familien, die Arbeits- und Lebensumstände der Jugendlichen werden dabei selbstverständlich in die pädagogische Arbeit miteinbezogen. „Daher geht es in der Jugendarbeit nie allein um die Arbeit mit den Einzelnen, sondern immer auch um die Gesellschaft und wie sich Jugendliche einbringen können“, so Erdost.

Jugendzentren und Jugendtreffs bieten Kindern und Jugendlichen einerseits betreute Räume mit ständiger Anwesenheit von Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter und andererseits Räume zur Selbstorganisation und Selbstentfaltung. Der Besuch der Jugendeinrichtungen ist freiwillig, es gibt keinen Konsumzwang. Spaß und gemeinsames Tun stehen im Vordergrund.

Die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter stehen als AnsprechpartnerInnen, ModeratorInnen und MitspielerInnen zur Verfügung. Sie unterstützen die Jugendlichen in ihrem Wunsch nach Mitbestimmung, in der Erweiterung ihrer Handlungsspielräume sowie dem Bedürfnis nach Orientierung. Sie garantieren einen geschützten Raum durch die Einhaltung der vereinbarten Regeln, vermitteln bei Konflikten und achten auf ein wertschätzendes und respektvolles Klima.

„Besonders Kinder und Jugendliche benötigen für die Entfaltung ihrer Potentiale Erfahrungen eines respektvollen Miteinanders und Räume, wo sie Vertrauen und Wertschätzung erfahren. Die Wiener Jugendzentren ermöglichen das, indem sie an den Bedürfnissen von Jugendlichen ansetzen und bei einer positiven Persönlichkeitsentwicklung unterstützen“, so Czernohorszky.

Jugendzentren legen Schwerpunkt auf gendersensible Jugendarbeit

Die laufende Weiterentwicklung der Qualität der Jugendarbeit sowie die Sensibilität für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, sind zwei wesentliche Eckpfeiler für den Verein Wiener Jugendzentren.

Nicht zuletzt deshalb setzen die Jugendzentren in Zusammenarbeit mit der Jugendabteilung der Stadt Wien einen Schwerpunkt auf gendersensible und genderkompetente Jugendarbeit. Ziel ist es, Mädchen und Burschen im Rahmen der Jugendarbeit dabei zu unterstützen, bestehende Rollenbilder zu hinterfragen und den Blick für vielfältige Lebensentwürfe und jugendliche Diversität zu öffnen. Gerade für Jugendliche können gesellschaftliche Anforderungen an Männlichkeit bzw. Weiblichkeit eine große Herausforderung darstellen. Vorherrschende Geschlechterverhältnisse wirken oft einschränkend oder werden als einengend erlebt. Zudem – das hat u.a. auch die Studie „Jugendliche in der offenen Jugendarbeit“ gezeigt – ist die gezielte Arbeit mit Gender ein wichtiger Faktor in der Präventionsarbeit.

In einem partizipativen und organisationsweiten Prozess hat der Verein Wiener Jugendzentren neue Leitlinien für genderkompetente Jugendarbeit entwickelt. Sie definieren Genderkompetenz als organisationsweite Haltung, die die Grundlage für die pädagogische Arbeit darstellt. Die Genderleitlinien bieten dabei praxistaugliche Handhabe und Methoden, um Räume und Anlässe zu schaffen, in denen über das eigene Geschlechterverständnis kritisch nachgedacht und offen gesprochen werden kann. Das gilt sowohl für die Arbeit mit Jugendlichen, als auch für die Auseinandersetzung in den pädagogischen Teams. Denn nur wer selbst kritisch reflektiert, kann auch zur kritischen Reflexion anderer beitragen.

Zusätzlich gibt es Weiterbildungsangebote für Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter in Zusammenarbeit mit dem Männergesundheitszentrum MEN und Workshops für Mädchen in Zusammenarbeit mit dem Frauengesundheitszentrum FEM.

„Gerade in der Phase des Erwachsenwerdens ist es wichtig, die Jugendlichen in einem vertrauensvollen Rahmen, den die Jugendzentren bieten, bei Selbstfindung und Identitätsbildung zu unterstützen. Konzepte aus der Burschen- und Mädchenarbeit können den Jugendlichen dabei helfen, ein positives Selbstbild zu entwickeln, das ohne Abwertung von Anderen auskommt. Die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter der Jugendzentren begegnen Jugendlichen dabei mit einer offenen Haltung und unterstützen sie, ihren eigenen Weg zu finden“, so Czernohorszky.

„Vorherrschende Geschlechterrollen machen das Erwachsenwerden für Mädchen und Buben immer noch unterschiedlich. Das beginnt bei der Frage, wer sich den Platz im Fußballkäfig nimmt, bestimmt aber auch weitere Punkte wie beispielsweise die Berufswahl. Als Verein Wiener Jugendzentren arbeiten wir mit differenzierten Angeboten gezielt daran, junge Frauen darin zu unterstützen, sich den Raum zu nehmen, der ihnen auch zusteht – im Park, im Jugendzentrum und in der Gesellschaft“, so Hanke.

Wie Gendersensibilität in der Praxis aussieht

Je nach Situation, Zielgruppe und Einrichtung werden Angebotsformen nach bestimmten Genderaspekten gestaltet. Mädchen bevorzugen beispielsweise oft konkretere und differenziertere Aktivitäten, weshalb es in vielen Jugendeinrichtungen spezifische Angebote für Mädchen gibt. Das kann ein spezieller Betrieb für Mädchen sein, ein Mädchenfußballteam, eine Ausgabe nur mit Mädchen in der vereinseigenen Fernsehsendung „CU television“ oder ein einrichtungsübergreifendes Mädchentanzfest, an dem jährlich bis zu 100 Mädchen teilnehmen.

Bei anderen Aktivitäten kann es wiederum Sinn machen, wenn Burschen unter sich sind. Ein Klassiker sind die so genannte Burschenteestunden – strukturierte Gesprächsrunden zu ausgewählten Themenbereichen. Eine gute Gelegenheit gemeinsam Frauen- und Männerklischees zu hinterfragen, über alternative Lebensentwürfe zu diskutieren, sich unterschiedliche Ansichten anzuhören oder den eigenen Standpunkt klarer zu formulieren.

Oft geht es auch um die Arrangements, wie Jugendeinrichtungen gestaltet sind. Rund um die Regenbogenparade wurden beispielsweise viele Jugendzentren mit einer Fotogalerie von prominenten LGBTIQ-Personen und Plakaten über sexuelle Orientierungen dekoriert, die zu vielen intensiven Gesprächen führten. Im Jugendtreff Arthaberbad sorgte beispielsweise ein Plakat, auf dem sich zwei Männer küssen, unter einigen Jugendlichen für Irritation. Und die JugendarbeiterInnen nutzen diese Irritation, um dahinterliegende Ängste oder Unsicherheiten aufzudecken und etwaige Abwertungen ein Stück weit aufzubrechen.

Gesellschaftspolitische Entwicklungen und deren Wirkungen auf die Lebensrealität jugendlicher Zielgruppen sind zentrale Themen in der Offenen Jugendarbeit. Genderthemen und Gleichstellungsfragen sind dabei von Beginn an zentral und werden es auch weiterhin sein. (Schluss)

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