Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 10.06.2015:
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65. Österreichischer Städtetag: Festrednerin Mazzucato – „Nur der Staat sichert wirtschaftlichen Fortschritt“

Bei der Eröffnung des 65. Städtetages in Wien sprach sich Festrednerin Mariana Mazzucato, Ökonomieprofessorin an der Universität Sussex für einen aktiven Staat aus. Mit ihrer These: "Nur der Staat sichert wirtschaftlichen Fortschritt" sorgte sie bereits international für Aufsehen.

Mazzucato, die seit Jahren über den Zusammenhang zwischen Innovation und Wachstum forscht, beweist: "In Europa war es schon immer der Staat, der lange Wachstumswellen ausgelöst hat. Vom Eisenbahnbau über die staatlichen Forschungsinstitutionen und Universitäten bis hin zur Elektrifizierung und zum Straßenbau", so Mazzucato. Auch heute noch würden Branchen wie Pharma, Nanotechnik und IT an der Nabelschnur des Staates hängen. Apples Welterfolg beispielsweise, gründe auf Technologien, die sämtlich durch die öffentliche Hand gefördert worden sind; innovative Medikamente, für die die Pharmaindustrie ihren Kunden gern hohe Entwicklungskosten in Rechnung stellt, würden fast ausnahmslos aus staatlicher Forschung stammen. Innovationen und nachhaltiges Wachstum, das derzeit alle fordern, würden kaum von der Börse kommen. Viel eher von einem Staat, der seine angestammte Rolle neu besetzt, sein einzigartiges Kapital nutzt und mit langem Atem Zukunftstechnologien wie den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreibt.

Politikern rät Mazzucato nicht dem Irrglauben zu verfallen, dass "die Märkte" alles optimal regeln werden, "wenn man sie nur in Ruhe lasse" sondern die vorhandenen Instrumente und Mittel am besten so einsetze, um neue Märkte zu schaffen und zu gestalten, um also Dinge möglich zu machen, die sonst nicht möglich wären. Es würde auch immer wichtiger sein, so die Ökonomin, die richtige Art von Wirtschaftswachstum anzustreben - nämlich intelligent, integrativ und nachhaltig. Im Vergleich zu Privatunternehmen, sei der Staat in der Lage und flexibel genug um in Technologien zu investieren, die einen Gewinn für das "Allgemeinwohl" abwerfen. Als Beispiel nennt Mazzucato, das Internet, das ursprünglich entwickelt wurde um in einem Atomkrieg die Kommunikation aufrechterhalten zu können - heute kommen wir alle in den Genuss, dieser mit Steuergeldern finanzierten Innovation.

Staat als Innovationsmotor?

"Der öffentliche Sektor ist von Natur aus nicht weniger innovativ als der private, aber man traut es ihm einfach nicht zu, aus eigenem Antrieb innovativ zu sein. Regierungen müssen sich besser verkaufen", so Mazzucato. Im öffentlichen Sektor müsse man über eine organisatorische Dynamik nachdenken, wenn man Innovation und Kreativität fördern will.

Der Staat hätte längst nicht nur die Aufgabe Rahmenbedingungen für den "revolutionären privaten Sektor" zu schaffen oder Marktversagen wieder in Ordnung zu bringen sondern müsse selbst aktiv werden und damit das über Jahre entstandene Bild zurechtrücken. Nur der Staat sei in der Lage langfristige Finanzierungen - gerade in der Grundlagenforschung - zu garantieren, da sich private Unternehmen aus unrentablen Projekten sehr schnell wieder zurückziehen. Und öffentliche Institutionen sollten, so Muazzucato, auch an erfolgreichen Projekten gewinnbeteiligt werden oder beispielsweise die Marktpreise mitbestimmen dürfen.

Für die Krise in der Eurozone würden sich daraus wichtige Konsequenzen ergeben: Die Bedingungen, die den schwächeren Ländern durch den Fiskalpakt auferlegt werden, sollten den öffentlichen Sektor nicht einfach beschneiden, sondern dafür sorgen, dass es für den Staat attraktiv wird, in Schlüsselbereiche wie Bildung, Forschung und Entwicklung sowie Innovation zu investieren. Und sie sollten dazu beitragen, dass der öffentliche Sektor von innen heraus dynamischer wird, strategischer agiert und mehr auf Leistung achtet.

Mazzucato sprach sich auch gegen den aktuellen Zeitgeist aus, öffentliche Dienstleistungen per se zu privatisieren, die Haushalte zusammenzustreichen und Angst anstatt Mut in der Politik walten zu lassen. "Wir sollten die Art und Weise überdenken, wie wir über den Staat sprechen - über seine Rolle in der Wirtschaft und die Tendenz, dass der Staat immer schlanker werden muss", so die Ökonomin.

Der 65. Österreichische Städtetag wird morgen Donnertag mit fünf Arbeitskreisen und einer Panel-Diskussion im Wiener Rathaus fortgesetzt.

Weitere Infos unter: www.staedtetag.at (Schluss)

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