Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 04.12.2013:
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Traditionsreiche Auszeichnung bildet Wiens Kreativität ab (2)

Die Laudatio zu den 12 Ausgezeichneten von Dr. Bernhard Denscher, Leiter der Wiener Kulturabteilung.

Sehr geehrte Ehrengäste! Sehr geehrte Damen und Herren!

"Man ist in Europa vor nichts mehr bange als vor dem totalen Bankrott, dem, wie es scheint, ganz Europa entgegengeht, und vergisst darüber die weit gefährlichere, wie es scheint unvermeidliche Pleite in geistiger Hinsicht, die vor der Tür steht."

Was hier so bedrückend aktuell klingt, stammt aus dem Jahr 1836 und ist eine treffende Analyse des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, der angesichts einer damals drohenden Wirtschaftskrise die grundlegende Bedeutung der geistigen Werte betonte.

Es ist erfreulich, dass wir heute im Namen der Stadt Wien einen Personenkreis ehren dürfen, der bei aller spannenden Unterschiedlichkeit der Tätigkeiten eines ganz sicher gemeinsam hat, nämlich durch sein bisheriges Schaffen starke Impulse gegen eine "geistige Pleite" - wie das Kierkegaard nennt - gegeben zu haben und, wie wir alle hoffen, weiterhin geben wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, begleiten Sie mich bitte zu einem naturgemäß straffen aber - wie ich doch hoffe - aussagekräftigen Überblick über die beeindruckenden Leistungen unserer Ehrengäste. Der Weg führt dabei streng alphabetisch von der Architektur bis zu den Wissenschaften.

Welch hervorragende Qualität der Wohnbau in Wien haben kann, beweisen Arbeiten von Mag. Werner Neuwirth. Zu nennen sind da etwa die Wohnhausanlage Donaufelder Straße oder die Anlage "generationen: wohnen am mühlgrund", die Werner Neuwirth gemeinsam mit den renommierten Architekten Adolf Krischanitz und Hermann Czech geplant hat. Beide Bauten verbinden in beeindruckender Weise eine hohe ästhetische und städtebauliche Qualität mit einer gelungenen Funktionalität. Eine weitere Bereicherung unserer Stadt ist das Projekt "Interkulturelles Wohnen" am ehemaligen Nordbahnhof, wofür dessen Mastermind Werner Neuwirth der Idee alle Ehre machte und ein Züricher und ein Londoner Architekturbüro zur Mitarbeit einlud. Das Konzept ging auf: in der Anlage wohnen mittlerweile Bewohnerinnen und Bewohner aus 20 verschiedenen Herkunftsländern. Neben dem Wohnbau hat Werner Neuwirth noch eine ganze Reihe verschiedenster Aufgaben in uneitler und stets der Sache verpflichteten Weise geschaffen. Das Spektrum reicht dabei von der Fachhochschule in Steyr bis zu dem gemeinsam mit Adolf Krischanitz entworfenen Museum Tauernbahn in Schwarzach im Pongau.

Von der Architektur zur Bildenden Kunst ist es nicht weit: Dies trifft besonders auf das Schaffen von Frau Magistra Dorothee Golz zu, die sich unter anderem intensiv mit Projekten im öffentlichen Raum beschäftigt. Ihre Techniken und Aufgabenstellungen sind darüber hinaus überaus vielfältig und umfassen nahezu das gesamte Spektrum künstlerischer Ausdrucksformen. Inhaltlich dominiert im Werk der documenta-Teilnehmerin Golz die Auslotung der Spannungsfelder "Wahrheit" und "Wahrnehmung". Ich denke, Sie haben für authentische Recherchen in diesem Bereich mit Wien ein ideales Terrain gefunden; hat doch bekanntlich schon Ludwig Wittgenstein bezüglich des - wie er es nannte - "guten Österreichischen" festgestellt: "seine Wahrheit ist nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit". Besonders in den neueren Arbeiten von Dorothee Golz findet man ein raffiniertes Spiel mit der Wahrnehmung von Kunst, insbesondere von klassischen Werken der Malerei. Aus Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring" wird da etwa bei Golz eine junge selbstbewusste Frau in Jeans und Ballerinas - eine Arbeit, die mittlerweile sehr oft publiziert wurde. Dass die sogenannte Wirklichkeit ein Konstrukt unserer Wahrnehmung ist, dieser Aspekt ist auch eine Konstante im Werk von Universitätsprofessor Frantisek Lesák.

Und auch hier bietet die Kunstgeschichte ein reichhaltiges Gebiet für Recherche, Analyse und künstlerische Produktion. Vom Motiv des Heuhaufens bei Monet bis zu den penibel herausgearbeiteten Elementen eines Bildes von Gustave Courbet reicht dabei das Spektrum. Frantisek Lesák, der über 20 Jahre lang Universitätsprofessor für Plastisches Gestalten und Modellbau an der Fakultät für Architektur und Raumplanung der Technischen Universität Wien war, widmete sich nicht nur Fragen der Raumgestaltung, sondern auch der Verbalisierung von Raum: "Texttreue" und "Raumdeutsch" heißen demgemäß auch große Arbeiten von ihm. Angesichts der letztgenannten Arbeit, einer monumentalen Rauminstallation im Wiener Künstlerhaus, zitierte Franz Schuh den Karl Kraus`schen Aphorismus, der allgemein gut zum Werk von Frantisek Lesák passt: "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück."

"Der künstlerische Ansatz von Matta Wagnest beruht auf Modellen der Wahrnehmung, die medienüber- und durchschreitend auf Veränderungen von Identitätsverhältnissen in räumlichen Situationen eingehen" - dieser Satz von Walter Seidl charakterisiert nicht nur das Werk von Magistra Matta Wagnest, sondern zeigt auch, wie feinsinnig unsere Jury für Bildende Kunst die heurigen PreisträgerInnen aufeinander abgestimmt hat. "Das Politische", "Das Zeitliche", "Das Textliche", "Das Prozesshafte", "Das Musikalische", "Das Räumliche" und "Das Gestische" sind wesentliche Aspekte in der Arbeit von Matta Wagnest, die auch dokumentieren, dass das Überschreiten von Grenzen für die Künstlerin eine wichtige Aufgabenstellung darstellt. Dies zeigte und zeigt sich in der Malerei, in Installationen, in Kunstprojekten im öffentlichen Raum aber auch in musikalischen Produktionen wie etwa "Matta sings Cole Porter" - einem ursprünglich für den "steirischen herbst" entwickelten Projekt, an dem Sie sicher noch weiter arbeiten. Eine Kassette mit der CD und einigen Siebdrucken dazu ist erschienen.

Im Werk von Univ. Prof. Herwig Zens finden sich ebenfalls starke Bezüge zur Geschichte der Kunst. Schon seine Diplomarbeit an der Akademie der Bildenden Künste war den "Pinturas Negras" von Francisco de Goya gewidmet. Die Auseinandersetzung mit dem Werk des spanischen Malers sollte in der Folge lebensbegleitend sein. Das künstlerische Oeuvre von Herwig Zens umfasst nicht nur Gemälde und bildnerische Gestaltungen von Räumen, sondern mit über 1000 Blättern auch ein gewaltiges grafisches Werk - eine Besonderheit dabei ist sein Tagebuch in Form von Radierungen, das mittlerweile eine Dimension von über 40 Metern angenommen hat. Ich nehme an, der heutige Tag wird auch darin vermerkt werden. Herwig Zens hat sich nicht nur als Künstler, sondern auch als Kunsterzieher, als Professor für Lehramtsausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien und als Buchautor intensiv mit der Geschichte der Kunst beschäftigt. Mit dem enormen Fachwissen von Prof. Zens war stets die bemerkenswerte pädagogische Gabe verbunden, die eigene Begeisterung für Kunst auch anderen Menschen nahzubringen. "Einsame Klasse", "Frühling in der Via Condotti", "Trennungen", "Grado. Süsse Nacht", "Helden der Kunst, Helden der Liebe" und "Grundlsee" sind nur einige der Titel von Romanen, die der heurige Preisträger für Literatur, Gustav Ernst, verfasst hat. Darüber hinaus ist Gustav Ernst ein bedeutender Autor von Theaterstücken, Hörspielen sowie Film- und Fernsehdrehbüchern.

Auch Gustav Ernst ist ein Künstler, der gerne etwas weitergibt von dem, was er sich selbst im Metier der Kunst erarbeitet hat - sowohl was die KollegInnenschaft als auch das Publikum betrifft. So war Gustav Ernst von 1969 bis 1996 Herausgeber und Redakteur der Literaturzeitschrift "Wespennest", und er ist seit 1997 gemeinsam mit Karin Fleischanderl Herausgeber der Zeitschrift "Kolik". Er ist Mitbegründer des "Drehbuchforums Wien", Leiter von Literatur- und Drehbuch-Workshops, und lehrt am Institut für Sprachkunst der Universität für angewandte Kunst. 2005 gründete Gustav Ernst die erfolgreiche Akademie für Literatur in Leonding.

Mit dem Preis für Musik wird Magistra Gabriele Proy ausgezeichnet, die als Pionierin im Bereich der Soundscape Komposition zu den renommiertesten Komponistinnen Österreichs zählt. "Mein Ansatz in der Musik", sagt Gabriele Proy, "ist wirklich die Hörkunst: Es geht mir als Komponistin darum, dass die Zuhörerin, der Zuhörer ein intensives Hörerlebnis hat, und ich möchte auch mit zeitgenössischer Komposition Menschen berühren." Ein Anliegen, das - wie die internationalen Erfolge und die zahlreichen Auszeichnungen zeigen - von Gabriele Proy in gewünschter Weise verwirklicht werden konnte und kann. Neben vielen internationalen Gastvorträgen lehrte die Komponistin an der Donau-Universität in Krems und an der Universität Wien und ist seit 1999 Gastdozentin für Klangkomposition und Sounddesign an der ARD-ZDF-Medienakademie Nürnberg. Seit 2011 lehrt Gabriele Proy darüber hinaus am "Vienna Institute for the International Education of Students".

Um die vielfältigen und facettenreichen Aktivitäten von Erich Klein zu umschreiben, gibt es ein gutes Wort, nämlich "Publizist" - ein Wort, das sich aus dem lateinischen "publicare", zu Deutsch "veröffentlichen" ableitet. Und Erich Klein ist jemand, dessen Tätigkeit im besten Sinne der Bedeutung dieses Wortes entspricht. Erich Klein, der heute den Preis der Stadt Wien für Publizistik erhält, veröffentlicht in renommierten Zeitschriften, wie dem "Falter" oder dem "Wespennest", er liefert Beiträge für die Ö 1-Sendungen Diagonal, Ex libris und Kontext, er schreibt Bücher und er gibt Publikationen heraus, er kuratiert und moderiert Literaturveranstaltungen, etwa für den Kunstverein Alte Schmiede und für die Ausstellungshalle MUSA der Kulturabteilung der Stadt Wien. Erich Klein übersetzt nicht nur aus dem Russischen, sondern er publiziert eben auch viel über russische Literatur und ist dabei ein engagierter Vermittler der reichen und spannenden Kulturen der postsowjetischen Länder. Heute Abend haben wir die Möglichkeit bei einer Lesung von Erich Klein und Gustav Ernst im Rahmen unserer Reihe "Literatur im MUSA" mehr über die Arbeit der beiden Preisträger zu erfahren.

Sehr viel mit Vermittlung hat auch unser nächster Ehrengast zu tun: Den Preis für Volksbildung erhält Frau Univ. Prof. Maria Teschler-Nicola, die in ihrer Arbeit beweist, wie gut sich hervorragende wissenschaftliche Arbeit mit einem breiten Informationsangebot verbinden lassen. Als studierte und lehrende Humanbiologin sowie als langjährige Mitarbeiterin des Naturhistorischen Museums in Wien konnte Maria Teschler-Nicola sowohl die wissenschaftlichen wie auch die volksbildnerischen Aspekte ihrer Arbeit in gelungener Weise verbinden. Maria Teschler-Nicola verfasste neben zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten auch Lehr- und Schulbücher zum Thema Biologie, kuratierte wichtige Ausstellungen, hielt zahlreiche universitäre Lehrveranstaltungen und Vorträge und absolvierte bisher nicht weniger als 400 Sonder- und Spezialführungen zu den im Naturhistorischen Museum und in anderen musealen Einrichtungen realisierten Ausstellungen. In einem überaus verdienstvollen Forschungsprojekt konnte gemeinsam mit Prof. Stuhlpfarrer dem wichtigen Fragenkomplex der Anthropologie zur Zeit des Nationalsozialismus nachgegangen werden.

Den Preis für Geistes-, Kultur-, Sozial,- und Rechtswissenschaften erhält in diesem Jahr Herr Univ. Prof. Herbert Hausmaninger. Die Arbeitsschwerpunkte von Prof. Hausmaninger sind römisches Privatrecht, Methodenfragen der klassischen römischen Jurisprudenz, der Einfluss des römischen Rechts auf europäische Privatrechtskodifikationen, internationale Rechtsvergleichung aber auch russisches Recht. Zu letztgenanntem Forschungsschwerpunkt ist anzumerken, dass Prof. Hausmaninger nicht nur studierter Jurist, sondern auch akademisch geprüfter Übersetzer für Englisch und Russisch ist. Herbert Hausmaninger hat einige weithin geachtete Standardwerke verfasst, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. So ist seine wahrscheinlich erfolgreichste Publikation, das "Casebook des römischen Sachenrechts" nicht nur mittlerweile in elfter Auflage erschienen, wurde nicht nur auf Englisch herausgebracht, sondern es ist davon auch eine chinesische Übersetzung in Vorbereitung. Prof. Hausmaninger hat als langjähriger Ordinarius der Universität Wien Generationen von Juristinnen und Juristen als ein geachteter und beliebter Lehrer geprägt.

Univ.Prof. Oswald Wagner erhält den Preis der Stadt Wien für Medizinische Wissenschaften. Prof. Wagner ist Ordinarius für Medizinische und Chemische Laboratoriumsdiagnostik an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien sowie Vorstand des Klinischen Instituts für Medizinische und Chemische Laboratoriumsdiagnostik im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Nach dem Studium der Medizin an der Universität Wien erhielt Oswald Wagner bereits mit 31 Jahren die Venia docendi. Nach engagierter Lehre, Forschung und praktischer Arbeit als Leiter des Akutlabors des Klinischen Instituts für Medizinische und Chemische Laboratoriumsdiagnostik am AKH in Wien fanden seine Leistungen auch internationale Anerkennung. Oswald Wagner war von 1997 bis 1998 Ordinarius für Klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik und Vorstand des Instituts für Klinische Chemie und Pathobiochemie an der Universität Leipzig, bis er dann im Jahr 1998 an die Universität Wien berufen wurde.

Last but not least: Der Preis der Stadt Wien für Natur- und Technische Wissenschaften geht an Univ. Prof. Markus Arndt für seine überragenden Leistungen im Bereich der Quantennanophysik. Prof. Arndt ist derzeit Dekan der Fakultät für Physik der Universität Wien und Leiter der Forschungsgruppe Quantennanophysik. Sie, sehr geehrter Herr Professor, haben einmal in einem Interview gesagt, dass Auszeichnungen die "Kreditkarten der Wissenschaft" seien. Auch wenn der Preis der Stadt Wien die höchste Auszeichnung ist, die von der Stadt für wissenschaftliche Leistungen vergeben wird, muss man zugeben, dass Sie diesbezüglich wesentlich "dickere Kreditkarten" gewöhnt sind. 2008 erhielt Prof. Arndt den mit 1,5 Millionen Euro für Forschungszwecke dotierten Wittgenstein-Preis, 2012 den renommierten ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates, der wiederum 2,3 Millionen Euro für Forschungen erbrachte. Diese Auszeichnungen zeigen wohl eindrucksvoll, welch hohen Stellenwert die Arbeit von Prof. Arndt und seiner Forschungsgruppe hat und welch hohes Ansehen diese Tätigkeit unserer Stadt einbringt.

Abschließend sei Ihnen allen zu den verdienten Auszeichnungen gratuliert. Bei jeder Ehrung bekommt der Ehrende vom Geehrten bekanntlich wieder ein großes symbolisches Stück zurück. Für diesen Gewinn an Renommee durch die Annahme ihrer Ehrungen danke ich namens der Stadt Wien ganz herzlich.

Danke!

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