Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 19.08.1998:
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Ein Gesundheitsförderungsplan für Wien

Wien, (OTS) Die Arbeiten für den "Wiener Gesundheitsförderungsplan" laufen auf Hochtouren. Damit folgt die Bundeshauptstadt entsprechend dem Arbeitsübereinkommen der Wiener Stadtregierung - als eine der ersten Städte Europas einem Konzept der WHO, das die "Verbesserung des Gesundheitszustandes und die Reduktion ...

Wien, (OTS) Die Arbeiten für den "Wiener Gesundheitsförderungsplan" laufen auf Hochtouren. Damit folgt die Bundeshauptstadt entsprechend dem Arbeitsübereinkommen der Wiener Stadtregierung - als eine der ersten Städte Europas einem Konzept der WHO, das die "Verbesserung des Gesundheitszustandes und die Reduktion gesundheitlicher Ungleichheiten" zum Inhalt hat. Im Rahmen eines Mediengespräches am Mittwoch präsentierten die Präsidentin des Wiener Landtages, Maria Hampel-Fuchs, und Gesundheitsstadtrat Dr. Sepp Rieder die "Grundlagen für einen Gesundheitsförderungsplan in Wien" sowie eine Ausblick auf einen internationalen Kongreß "Gesundheit planen für die Stadt", der am 8. und 9. Oktober 1998 im Wiener Rathaus stattfinden wird.

Gesundheitsförderung beschäftigt sich generell mit der Entwicklung eines gesundheitsbewußten Denkens und Handelns und geht weit über klassische Formen der Gesundheitsvorsorge hinaus. In Wien wurden 1996 laut einer Studie des Österreichischen Bundesinstitutes für Gesundheitswesen (ÖBIG) 311,6 Millionen Schilling für Prävention und Gesundheitsförderung ausgegeben.

Präsidentin Hampel-Fuchs: "Das Ergebnis moderner Medizin ist, daß immer mehr Menschen älter werden und länger leben. Es geht nicht nur darum, dem Leben Jahre hinzuzufügen, sondern den Jahren L e b e n . Das Motto für die Zukunft und den Wiener Gesundheitsförderungsplan lautet daher: Gesund alt werden, gesund sterben."

Hampel-Fuchs weiter: "Der Hamburger Trendforscher und Soziologe Matthias Horx hat erst vor kurzem drei Faktoren zum Megatrend Gesundheit erarbeitet: Zunehmende Körperbetonung und narzistische Selbstzuwendung; eine junge Frauengeneration, die nicht mehr für Männer kochen will und immer flexiblere Arbeitszeiten. Dies zeigt, daß auch gesellschaftliche Veränderungen ebenfalls als Grundlage für einen Wiener Gesundheitsförderungsplan dienen müssen. Der Plan wird die aktive Mitarbeit der Bürger im überschaubaren Grätzel vorsehen."

Rieder: "Die Umsetzung des Wiener Gesundheitsförderungsplanes ist ein mittel- bis langfristiges Projekt. Anders als etwa bei der Inbetriebnahme eines medizinischen Hochleistungsgerätes sind die positiven Auswirkungen erst einige Zeit später bemerkbar. Die Erfolge bereits laufender einschlägiger Projekte machen uns aber zuversichtlich, daß Wien in der Gesundheitsförderung in naher Zukunft eine ebensolche Spitzenposition einnehmen wird wie heute schon im Bereich der kurativen Medizin."****

Die Grundlagen

Die "Grundlagen für einen Gesundheitsförderungsplan in Wien" definieren die Ausgangspunkte und Voraussetzungen für einen solchen Plan, der 1999 vom Wiener Gemeinderat beschlossen werden soll. Folgende Prinzipien werden den Gesundheitsförderungsplan für Wien kennzeichnen:

1) Gezielte Aktionen statt Gießkannenprinzip

Gesundheitsförderung ist nicht beliebig. Im Mittelpunkt von Gesundheitsförderung stehen mittelfristige, ständig evaluierbare und kontrollierbare Programme mit genau formulierten Zielen auf wissenschaftlicher Basis.

2) Zusammenarbeit statt Einzelkämpfermentalität

Allein in Wien gibt es derzeit schon mehr als achtzig öffentliche und private Gesundheitsförderungsinitiativen jeglicher Art. Im Rahmen des Gesundheitsförderungsplanes soll die Zusammenarbeit und die Vernetzung dieser Initiativen weiter gefördert und die Rolle der Stadt Wien als Motor für dieses Engagement weiter verstärkt werden. Ein besonders erfolgreiches Beispiel für diese "Katalysatorfunktion" ist unter anderem der mit fast 200.000 Schilling dotierte "Gesundheitspreis der Stadt Wien", der seit 1996 jährlich vergeben wird.

3) Bewußtsein statt Ignoranz

Gesundheitsförderndes Verhalten kann nicht "von oben" verordnet werden. Nicht nur das Aufzeigen von Folgen eines ungesunden Lebensstils, sondern das Betonen der angenehmen Seiten des Lebens durch gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung etc. stehen im Mittelpunkt. Gesundes Leben hat nichts mit Lustfeindlichkeit zu tun, der "erhobene Zeigefinger" hat in der Gesundheitsförderung nicht zu suchen.

4) Innovation statt "ausgetretener Pfade"

Der Wiener Gesundheitsförderungsplan ist nicht als starres, unumstößliches Konzept gedacht, sondern wird genügend Freiraum für innovative und unkonventionelle Methoden und Maßnahmen beinhalten. Gesundheitsförderung geht weit über die traditionelle Gesundheitsvorsorge hinaus.

5) Motivation statt Feindbilder

Gesundheitsförderung hat nichts mit dem Beschwören von Feindbildern zu tun. Feindbilder bewirken nur eine Verweigerungshaltung und stehen jeglicher positiven Motivation entgegen. Gesundheitsförderung soll einen Anstoß geben, über eigene Verhaltensweisen nachzudenken und diese gegebenenfalls zu verändern. Im Vordergrund müssen die positiven Auswirkungen einer solchen Verhaltensänderung stehen, nicht das Abstempeln zu "Gesundheits- Bösewichten".

Erfolgreiche Gesundheitsförderungsprojekte

Schon jetzt gibt es eine Reihe gesundheitsfördernder Projekte, die als Vorbild für künftige Vorhaben dienen.

Zu den Erfolgreichsten zählen:

  • Das Wiener Diabetesprogramm

Seit drei Jahren betreibt die Stadt Wien gemeinsam mit der Ärztekammer ein Netzwerk zur Diabetes-Schulung von niedergelassenen praktischen Ärzten. Bereits 120 Allgemeinmediziner wurden im Rahmen des Programmes auf den Umgang mit und die Behandlung von Diabetes- Patienten geschult. Damit nahm bereits jeder 7. praktische Arzt in Wien an dem Programm teil. Jetzt wurde das Wiener Diabetesprogramm auch auf Internisten ausgedehnt, von denen 20 dieses Angebot schon in Anspruch genommen haben.

  • Sicher gehen über 60

Stürze im Haushalt zählen zu den größten Gefahrenquellen für ältere Menschen. Seit 1996 existiert, getragen von der Stadt Wien und dem Institut "Sicher leben", die Servicestelle "Sicher gehen über 60". In zwei Jahren konnten im Rahmen von 34 Veranstaltungen mehr als 1000 Seniorinnen und Senioren angesprochen werden. Weitere Schulungen erfolgten für rund 700 Heimhelferinnen und andere "Multiplikatoren". Erst vor kurzem wurde die Angebotspalette von "Sicher gehen über 60" um das Programm "Sicherheitsspürnasen bei Oma & Co" erweitert, in dessen Rahmen Kinder im Schulunterricht auf mögliche Gefahrenquellen in den Wohnungen ihrer Großeltern aufmerksam gemacht werden.

  • Netzwerk Gesunde Schule

Zwölf Schulen nehmen derzeit am "Wiener Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen" teil. Neben klassischen Gesundheitsthemen wie "Gesunde Bewegung", "Gute Sitzhaltung", "Gesunde Ernährung" etc. werden an den teilnehmenden Schulen auch Streßabbau- und Mentaltrainings, Konzentrations und Entspannungsübungen sowie Theaterprojekte und Theaterworkshops durchgeführt. Die Initiative wurde 1992 im Rahmen des WHO- Projektes: "Wien Gesunde Stadt" gegründet und ist Teil des "Europäischen Netzwerks Gesundheitsfördernder Schulen", einem Gemeinschaftsprojekt des WHO Regionalbüros für Europa, der Kommission der Europäischen Gemeinschaft sowie des Europarates.

Gesundheitsrisiken erkennen

Grundlage für einen Gesundheitsförderungsplan ist die genaue Kenntnis des Gesundheitszustandes der Bevölkerung. Für Wien existieren hier bereits zahlreiche einschlägige Publikationen.

Zusammenfassend stellt sich für die Bundeshauptstadt folgendes Bild dar:

  • Alkohol

Im Osten Österreichs sind durch Alkohol verursachte Krankheiten wesentlich häufiger als in Westösterreich. Die Sterblichkeitsrate an Leberzirrhose liegt im Bundesschnitt für Männer bei 41/100.000 und für Frauen bei 16/100.000. Wien liegt bei den Frauen mit 21/100.000 über dem, bei Männern mit 36,2 unter dem nationalen Durchschnitt.

13,5 Prozent der Wiener Bevölkerung trinken fast täglich Alkohol, 22,5 Prozent der Männer und 6,1 Prozent der Frauen. Ein- bis zweimal in der Woche nehmen 18,8 Prozent der Wienerinnen und Wiener Alkohol zu sich. Der tägliche Alkoholkonsum ist am höchsten bei der Altersgruppe der 46 bis 60jährigen (17,8 Prozent).

  • Bewegung

50 Prozent der Bevölkerung im mittleren und höheren Alter betreiben überhaupt keinen Sport. Weitere 10 bis 15 Prozent bewegen sich nur ungenügend. Dies, obwohl, wie Untersuchungen zeigen, z.B. bei Männern die Lebenserwartung durch körperliche Betätigung um zwei Jahre erhöht werden kann und körperlich inaktive Menschen 2mal häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln als sportliche. In Wien üben 44,8 Prozent der Bevölkerung körperliche Aktivitäten aus Gründen der Gesundheit aus. Die Bewohner der Bundeshauptstadt sind somit im Durchschnitt etwas sportlicher als Bewohner anderer Bundesländer.

  • Ernährung

Generell beruhen ernährungsbezogene Krankheiten auf einem Grundschema: Zu hohe Energiezufuhr, zu viel gesättigte Fettsäuren, zu viel Cholesterin, zu viel Salz, zu hohe Zufuhr an niedermolekularen und zu geringe Zufuhr an hochmolekularen Kohlenhydraten.

In Wien erweisen sich besonders die Männer als "Fleischtiger". Fleisch und Fleischwaren werden von Männern nicht nur in deutlich größeren Mengen, sondern auch fast täglich verzehrt. Außerdem essen Männer mehr Schweinefleisch und Wurstwaren, während die übrigen Fleischsorten von Frauen und Männern in ähnlichen Mengen konsumiert werden.

Wie der "1. Wiener Seniorengesundheitsbericht" belegt, ist bei den Wiener Senioren eine unzureichende Versorgung mit den Vitaminen B6 und D feststellbar. Weiters auf der "Mangelliste": Folsäure, Vitamin CF und ß-Carotin, Kalium, Calcium sowie in Einzelfällen Selen und Kupfer.

  • Übergewicht
     7 Prozent aller Krankheitskosten gehen auf Fettleibigkeit

(Adipositas) zurück. Zur Definition des Übergewichtes wird der Body- Mass-Index (BMI = kg/m2) herangezogen. Werte zwischen 18 und 24,9 gelten als normalgewichtig, Werte von 25 bis 29,9 als übergewichtig und Werte über 30 als fettleibig.

In Österreich sind somit 42,8 Prozent der Männer übergewichtig und 8,9 Prozent fettleibig. Der Anteil an übergewichtigen Frauen liegt bei 23 Prozent und der der fettleibigen bei 13,3 Prozent.

Für Wien gibt es epidemiologische Daten aus dem Mikrozensus 1991. Jedoch wurde hier die Definition des Übergewichtes anders gewählt, nämlich ab einem BMI von 27. Nach dieser Definition gibt es in Wien 8,7 Prozent fettleibige und 14,5 Prozent übergewichtige Menschen. Der im Vergleich zum übrigen Österreich geringere Anteil an übergewichtigen Wiener ergibt sich demnach aus der "großzügigeren" Definition.

Den höchsten Anteil an Fettleibigen findet man in der Altersgruppe der 55 bis 64jährigen. Je niedriger der soziale Status, desto höher das Vorkommen von Fettleibigkeit.

  • Rauchen

Rauchen ist verantwortlich für rund 30 Prozent aller Krebstodesfälle, 80 bis 90 Prozent der Lungenkrebserkrankungen, 75 Prozent der Todesfälle durch chronic obstructive pulmonary disease und für 30 bis 40 Prozent der Todesfälle durch koronare Herzerkrankungen.

In Wien gibt es einen Anteil von 32,4 Prozent regelmäßigen Rauchern (39.2 % Männer und 26,9 % Frauen), 11,8 Prozent Gelegenheitsrauchern (12,1 % Männer und 11,7 % Frauen) und 55,7 Prozent Nichtrauchern (48,8 % Männer und 61,5 % Frauen).

  • Streß

In Wien geben insgesamt 35,1 Prozent der Bevölkerung an, unter beruflichem und/oder privatem Streß zu stehen, Männer häufiger als Frauen (41,2 % vs. 29,9 %). Starker Zeitdruck ist die häufigste Streßsituation (20,6 %), gefolgt von Konflikten am Arbeitsplatz (8,2 %), "Haushalt, Kinder, Beruf" (6,6 %), "schwerer körperlicher Arbeit" (5,3 %) und "pflegebedürftige Kinder, Beruf" (1,4 %).

Die ungesunde Reaktion auf Streß ist wiederum geschlechtsspezifisch. Männer neigen dazu, auf Streß mit verstärktem Alkoholkonsum zu reagieren, während Frauen vermehrt zur Zigarette greifen.

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck

Mehr als die Hälfte aller Todesfälle in Wien ist auf Herz- Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen. Ein wesentlicher Risikofaktor dabei ist Bluthochdruck (Hypertonie). In Wien leben zwischen 400.000 und 500.000 Hypertoniker, aber nur die Hälfte davon weiß von ihrer Krankheit. Wiederum nur zwei Drittel davon werden behandelt und nur 10 Prozent der Behandelten weisen durch die Therapie einen normalen Blutdruck auf.

Jährlich werden in Wien rund 12.000 Menschen Opfer eines Schlaganfalls, 18.000 erkranken an einer Herz-Kreislauf- Erkrankung. 2.090 Menschen sterben jährlich an einem Schlaganfall, 6.200 an Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Neben dem menschlichen Leid werden die Folgekosten von Hypertonieerkrankungen mit rund 5,5 Milliarden Schilling beziffert.

Kongreß: "Gesundheit planen für die Stadt" im Wiener Rathaus

Am 8. und 9. Oktober findet ein vom WHO-Projekt: "Wien Gesunde Stadt" organisierter Kongreß "Gesundheit planen für die Stadt" statt. Im Rahmen des Kongresses werden internationale Strategien, Konzepte und Erfahrungen mit Gesundheitsförderungsprojekten erörtert und präsentiert.

Anmeldungen und Presseakkreditierungen an: IBG-Österreich, Seidengasse 33-35/9, 1070 Wien, Tel. 0043-1-524 37 51 Fax. DW 22, e- mail: ibg(a)work.or.at, Rückfragen an: Dr. Irene Kloimüller. (Schluß) nk/

(RK vom 19.08.1998)