Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 19.06.1989:
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Wiener Festwochen-Bilanz 1989

=Wien, 19.6. (RK-KULTUR) Die Sonntag zu Ende gegangenen Wiener Festwochenschlossen in bemerkenswerter Weise an die Erfolge der letzten Jahre an: oWeiter verbesserte Auslastungszahlen (Theater an der Wien plus 10,9Prozent) o Gesteigertes Medieninteresse im Inland, im besonderen Maße auch im Ausland o Es gelang offensichtlich, einen so komplexen Schwerpunkt (Die moderne Seele und ihre Gesichter in Kunst und Wissenschaft) in denkbarverschiedenen Ausdrucksformen zu aktualisieren und zu diskutieren. Der große Impulsgeber dieser Festwochen war die im Laufe von vier Jahrenvorbereitete "Wunderblock"-Ausstellung im Messepalast (Sie ist noch bis 6.August geöffnet). Ihr Thema, "Eine Geschichte der modernen Seele",dominierte diverse Reihen von Theater- und Opernproduktionen, war Inhalteiner Film-Retrospektive ("Verbotene Leidenschaften. Die bedrohte Psycheals Filmsujet"), sorgte für ungewohnte Programmierungen beim Musikfest derKonzerthausgesellschaft und war Anstoß für zwei Symposien über "Philosophieund Psychoanalyse" sowie "Psychoanalyse und Musik". Die Vortragsreihe inder Wiener Universität, die gemeinsam mit der Freud-Gesellschaftorganisiert wurde, stieß auf großes Interesse und war von Anfang bis zumEnde von den Hörern belagert. Das Symposium "Psychoanalyse und Musik"findet am 23. und 24. Juni statt. Der "Wunderblock" selbst erstaunteFachwelt wie Öffentlichkeit durch die Vielfalt des gezeigten Materials unddie oft dramatisch inszenierten Gegenüberstellungen von Wissenschaft undKunst. Kaum eine europäische Zeitung und Zeitschrift von Bedeutung hatsich nicht intensiv mit dieser Ausstellung auseinandergesetzt. Auchbeim Publikum wurde und ist diese Ausstellung in Anbetracht ihres hohenAnspruches ein erfreulich großer Erfolg. In diesen Tagen wird bereits der50.000ste Besucher erwartet. Die Festwochen-Großausstellung hat auchdas Interesse der Verantwortlichen für die EXPO '92 in Sevilla geweckt.Erste Schritte zu einer eventuellen Einladung der "Wunderblock"-Ausstellungnach Sevilla wurden von spanischer Seite gesetzt. Auch andere Städte wieAmsterdam und Paris haben bereits ihr Interesse an dieser Geschichte dermodernen Seele bekundet. Als Antithese zum historisch orientierten"Wunderblock" wird der Besucher der Ausstellung "Wiener Diwan: SigmundFreud heute" im Museum des 20. Jahrhunderts mit Werken zeitgenössischerKünstler konfrontiert, die sich höchst aufschlußreich mit Sigmund Freud undseinen Erkenntnissen auseinandersetzen. An dieser Ausstellung nehmen eineVielzahl prominentester Künstler aus aller Welt, insbesondere aus den USAteil, die bei dieser Gelegenheit in Wien zum ersten Mal ausstellen.

Zwtl.: Thema Menschenrechte Auftakt der Wiener Festwochen 1989 wareine Revue, die vor 25.000 Zuschauern (trotz unsichere Wetterlage) daranerinnerte, daß vor 200 Jahren in Frankreich die Revolution ausbrach und dieMenschenrechte verkündet wurden. Eine Auswahl von Produktionen ausFrankreichs freier Theaterszene im Theater im Künstlerhaus ("FrankreichOff") und eine weitere, gemeinsam mit dem Wiener Institut Francais geplanteTheater-Serie im Französischen Kulturinstitut ermöglichten detailreicheAusblicke auf das postrevolutionäre Frankreich, 200 Jahre "danach". Daß dieGelegenheit dann doch nicht so genützt wurde, wie es sich der Veranstaltergewünscht hätte, liegt nicht zuletzt an dem Problem, daß Nebenschauplätzennicht immer eine erforderliche Aufmerksamkeit in den Medien zuteil wird. In Volker Brauns "Übergangsgesellschaft" wurde auf ungeschminkte Weisedeutlich, daß das Recht des Individuums auf Selbstverwirklichung imSchraubstock gesellschaftlicher Konventionen nicht umhin kann, sich Gehörzu verschaffen. Die Botschaft aus der DDR wurde vom Wiener Publikum sehraufmerksam gehört und genau verstanden. Bei den meistenFestwochen-Besuchern wird aber das Anti-Apartheid-Musical "Sarafina!" einentiefen Eindruck hinterlassen haben. Das Engagement der jungen Darstellerberühte alle, insbesondere den jüngeren Teil im Publikum. Hier wurde nie inZweifel gelassen, wer die historisch gerechte Sache vertritt.

Zwtl.: Musiktheater und Schauspiel Nach der Schubert-Wiederentdeckung"Fierrabras" konnten die Wiener Festwochen heuer erneut mit eineraußergewöhnlichen Musikproduktion aufwarten, die auch prompt heftigeDiskussionen zwischen Anhängern und Spöttern eines modernen,antikonformistischen Regietheaters in der Oper auslöste. Jedenfalls kanngesagt werden, daß die Wiener "Entführung" ein wichtiger und bleibenderBeitrag zum Thema "Mozart heute" auf allerhöchstem Niveau geworden ist.Ermöglicht wurde diese Produktion durch die Zusammenarbeit zwischen denWiener Festwochen, der Wiener Staatsoper und dem Theatre Royal de laMonnaie in Brüssel. Nur durch diese Form der Koproduktion kann ein solchesProjekt finanziell tragbar werden. Die Gastspiele von Schrekers "DieGezeichneten" und Hölszkys "Bremer Freiheit", die mit großem Jubelaufgenommen wurden (wenn auch das letztere vergleichsweise schlechterbesucht war als das erstere), setzten eine mittlerweile zur Traditiongewordene Praxis der Wiener Festwochen fort: Dem Publikum gelungeneBeispiele zu Unrecht vernachlässigter oder neuester Opernproduktionenvorzustellen. Der erwartete große Erfolg des Gastspieles des HamburgerSchauspielhauses mit Wedekinds "Lulu" in der Regie von Peter Zadek wurdeauch wirklich zum unvergeßlichen Triumph (insbesondere für Susanne Lotharals Lulu), der zweifellos bereits jetzt in die Theatergeschichteeingegangen ist. Da offen war, wie eine Präsentation des in Süd- undNordamerika vielgepriesenen Theaterwunders Gerald Thomas auf eineuropäisches, auf ein Wiener Publikum wirken würde, ist die Reaktion aufseine beiden Stücke für die Organisatoren so aufschlußreich wiezukunftsträchtig. Neben viel Lob, vor allem aus Wiener Theaterkreisen, hatdie ausländische Presse trotz kritischer Anmerkungen dem Phänomen GeraldThomas ungewöhnlich viel Platz eingeräumt. Einladungen aus Stuttgart undMünchen bestätigen dieses Interesse. Ungewöhnlich war auch die neukonzipierte Reihe "Big Motion", die die Serie von Highlights aus aller Weltmit einem geradezu apokalyptischen Spektakel aus Barcelona im Messegeländebeendete. (Schluß) red/gg nnnn

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