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Landtag, 5. Sitzung vom 24.06.2021, Wörtliches Protokoll  -  Seite 57 von 93

 

Zweiter Kritikpunkt: Ihr Vorschlag setzt auf Sanktionen statt Anreize und streicht den Beschäftigungsbonus plus ersatzlos. Dabei ist das Ziel dieses Instruments, langfristige Erwerbsintegration zu fördern, statt immer nur Kürzungen von Leistungen anzudrohen. Tausende Armutsbetroffene verlieren damit den Anspruch auf eine Einmalzahlung von 683 bis 911 EUR, wenn sie langfristig einen Job finden und behalten. Die Streichung wird mit einer niedrigen Inanspruchnahme argumentiert, und lassen Sie mich da kurz erklären, warum ich das im doppelten Sinn zynisch finde: Einerseits hat bereits 25 Monate nach dem Inkrafttreten dieser Regelung die Pandemie den österreichischen Arbeitsmarkt erschüttert. In den vergangenen 15 Monaten war der Zugang zum Arbeitsmarkt massiv eingeschränkt, das wissen wir alle. Der Einstieg in längere Beschäftigungsverhältnisse, 6 Monate bei 25-Jährigen und 1 Jahr bei Über-25-Jährigen, war massiv erschwert. Jetzt zu sagen, wir streichen diesen Bonus gerade zu jenem Zeitpunkt, wo wieder viele Menschen die Möglichkeit haben, in Beschäftigung zu kommen, und damit die Chance haben, sich diesen Beschäftigungsbonus plus überhaupt zu erarbeiten, ist eine Gemeinheit gegenüber den Betroffenen.

 

Andererseits, und das ist vielleicht noch viel wichtiger, wurde der Beschäftigungsbonus von der Behörde nie beworben, die Anspruchsberechtigten haben vielfach über den Anspruch gar nicht Bescheid gewusst, man könnte auch sagen, die Stadt hat die hohe „Non take up“-Rate einfach bewusst herbeigeführt. Und jetzt zu sagen, wir schaffen den Beschäftigungsbonus plus wieder ab, weil wir es in den vergangenen Jahren nicht geschafft haben, die Betroffenen über ihre Ansprüche zu informieren, ist unfassbar zynisch. Das ist einfach nur unfassbar zynisch. Das ist ja offensichtlich ein Versagen der öffentlichen Hand, über die Ansprüche zu informieren, und nicht ein Versagen der Betroffenen. Und das kann man nicht auf die Norm abwälzen, sondern das ist ein Versagen der Behörde in der Verbreitung dessen, welche Ansprüche bestehen würden.

 

Drittens: In Ihrem Initiativantrag ist auch eine massive Verschärfung bei der Sperre von Leistungen vorgesehen. Schon bisher gibt’s die Möglichkeit, die Mindestsicherung bei fortgesetzter fehlender Mitwirkung auf null zu kürzen. Auch das ist schon höchst fragwürdig, da die Mindestsicherung als Existenzsicherung ausgezahlt wird. Bisher hat ja die Kürzung von der Behörde sofort wieder aufgehoben werden können, wenn die Betroffenen mitgewirkt haben. Nach dem vorliegenden Initiativantrag ist das nicht mehr möglich, es muss zumindest für die Dauer von einem Monat gekürzt werden. Das heißt, selbst wenn Sie eine Verhaltensveränderung zeigen, wird den betroffenen Menschen jede Chance auf sofortige Hilfe genommen. Und das ist das, was wir als ideologiegetriebene Bestrafungsphantasien bezeichnen. So geht man nicht mit Menschen um, die Hilfe brauchen.

 

Viertens: Sehr geehrte Damen und Herren, Rot-Pink kassiert außerdem weiterhin Unterstützungsleistungen der Bundesregierung für die Betroffenen der Corona-Krise im Stadtbudget ein. Auch in diesem Gesetz wird nicht klargestellt, dass die erhöhte Notstandshilfe und der Weiterbildungsbonus nicht auf die Mindestsicherung angerechnet werden sollen. Und lassen Sie mich hier noch einmal auf die Aussagen des Soziallandesrates in der Fragestunde eingehen. Es gibt zwei rechtliche Auffassungen zur Anrechnung der erhöhten Notstandshilfe auf die Mindestsicherung, es ist mir unbegreiflich, warum man genau jene Auslegung wählt, die für die Betroffenen ungünstig ist. Die vom Soziallandesrat in der Anfragebeantwortung genannte schriftliche Rückmeldung des Sozialministeriums, dass die erhöhte Notstandshilfe anzurechnen wäre, ist dem Sozialministerium übrigens nicht bekannt. Es ist unredlich, wenn eine Partei auf Bundesebene ein erhöhtes Arbeitslosengeld fordert - eine Forderung, die ich teile - und dann bei erster Gelegenheit Unterstützungsleistungen für Arbeitslose, die so wenig haben, dass ihr Einkommen unter der Mindestsicherung liegt, einkassiert. Die erhöhte Notstandshilfe und der Weiterbildungsbonus sind nicht dazu gedacht, dass die Stadt damit ihr Budget auffettet. Das muss man dieser Stadtregierung offensichtlich ganz deutlich sagen, die rot-pinke Koalition muss sicherstellen, dass diese Unterstützung bei den Menschen ankommt. Sie können dazu unserem Antrag zustimmen.

 

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir einige Punkte des Initiativantrags positiv sehen. Zu nennen sind hier vor allem die Angleichungen auf bessere Regelungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes. Aber alles in allem ist diese Reform an Kaltschnäuzigkeit gegenüber Armutsgefährdenden und Armutsbetroffenen nicht mehr zu überbieten. Und besonders zynisch ist es, einen solchen Vorschlag mitten in den gröbsten wirtschaftlichen und sozialen Nachwirkungen einer Pandemie auf den Weg zu bringen, während das Leben für viele schon so prekär geworden ist.

 

Ein Hinweis noch: Die Regierungsfraktionen haben auch einen Beschlussantrag vorgelegt, in dem die Reform des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes verlangt wird. Wir werden diesem Antrag zustimmen. Wir lehnen das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz von Türkis-Blau in der jetzigen Form ab, haben wir immer schon getan, und Sozialminister Mückstein hat ja auch bereits angekündigt, dass er sich um eine Reform bemühen wird. Es bedarf aber schon einer gewissen Chuzpe, diesen Antrag zu stellen, wenn man gleichzeitig die Wiener Mindestsicherung per Initiativantrag massiv verschlechtert.

 

Die Sozialhilfe verhindert und bekämpft Armut, nicht die Armen. Ich teile dieses Reformziel, das der Antrag von Ihren Fraktionen formuliert, aber wie erklären Sie mir, dass Sie gleichzeitig mit einer massiven Verschärfung bei den Sperren von Leistungen die Armen bekämpfen? Die Sozialhilfe legt klar fest, unter welchen Status in Österreich niemand fallen darf. Auch dieses Reformziel, das der Antrag formuliert, teile ich, aber wie erklären Sie mir, dass Sie gleichzeitig planen, jungen Menschen die Leistungen unter das Existenzminimum zu kürzen, wenn Sie nicht ab dem ersten Tag ihrer Notlage in Jobtraining oder Ausbildung sind? Und last but not least, die Sozialhilfe stellt ein Sprungbrett in ein selbstbestimmtes und finanziell unabhängiges Leben dar.

 

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