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Landtag, 50. Sitzung vom 28.09.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 8 von 15

 

hier alles bezahlt haben, die gleichen Steuern und Abgabenleistungen.

 

Das ist nicht gerecht. Durch Ihre Vorhaben wird nichts gerechter, sondern, im Gegenteil, ungerechter. Und Sie haben dadurch so vielen Familien - und da schauen Sie sich einmal die Einzelfälle an - Kummer, Sorge, Existenzängste bereitet, denn die bekommen ihr Geld aus der Familienbeihilfe und aus diesem Familienbonus wahrscheinlich nicht mehr zurück, das ihnen zugestanden wäre. Da würde ich auch einmal über Einzelfälle und Einzelschicksale reden, die sind nämlich genauso wichtig.

 

Abschließend, das wünsche ich mir: Den Begriff Gerechtigkeit wirklich ernst zu nehmen. - Danke.

 

Präsident Ernst Woller: Als Nächste gelangt Frau Abg. Berner zu Wort. Bitte.

 

9.39.28

Abg. Mag. Ursula Berner, MA (GRÜNE)|: Sehr geehrte Damen und Herren an den Bildschirmen! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Vorsitzender!

 

Ich bin erstaunt über den Titel der heutigen Sondersitzung, der alleine klingt ja schon wie aus einer Propagandabroschüre der ÖVP-Abteilung für NLP herausgeholt. Oder war es doch die nunmehr zerstrittene und tiefgespaltene FPÖ mit ihrem Ex-Obmann und der THC-Fraktion, die solche Bilder gebrauchen, wie sie hier im Titel vorkommen? Wie auch immer. Den Menschen in Wien, die auf soziale Unterstützung und finanzielle Hilfe angewiesen sind, nutzt das genaugenommen nichts. Es ist nichts weiter als eben Propaganda, die ganze Sitzung heute. Ob das nun aus der Feder von rechts, rechts außen oder rechtsextrem stammt, ist irgendwie auch nicht mehr so wahnsinnig relevant.

 

Ich möchte stattdessen auf die Fakten zu sprechen kommen. Erstens, wir befinden uns auf Grund einer weltweiten Pandemie in schwierigen Zeiten. Viele Menschen können keine Arbeit finden, sind in Kurzarbeit oder haben ihre Arbeit verloren. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie treffen leider auch Wien, Niederösterreich und alle anderen Bundesländer ebenso wie alle weiteren Länder weltweit. Zweitens, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Menschen zusätzlich zu verunsichern, ihre Ängste um die Existenz weiter zu verstärken, oder nur noch schlimmer, die Existenz selbst durch scharfe Maßnahmen zu gefährden. So ein Vorgehen widerspricht nicht nur dem Hausverstand, sondern auch jeder Logik. Drittens, was wir brauchen, ist mehr Zusammenhalt, mehr Solidarität, mehr Gemeinsamkeit, denn nur gemeinsam wird es uns gelingen, mit den vielen Auswirkungen dieser Pandemie auf unsere Gesellschaft, auf unser Sozialsystem, auf unser aller Leben zurechtzukommen. Wenn wir nicht gemeinsam arbeiten, werden wir am Schluss alle verlieren.

 

Lassen Sie mich daher ein paar grundlegende Dinge zur Mindestsicherung klarstellen. Die Mindestsicherung wurde einst von den neun Bundesländern gemeinsam mit dem Bund erschaffen, um allen Menschen in der damaligen Sozialhilfe eine Krankenversicherung und ein Mindestmaß an sozialen und finanziellen Unterstützungen zugestehen zu können. Sie ist ein Meilenstein in der Absicherung. Ihr Ziel ist es, als letztes soziales Netz Menschen davor zu bewahren, die Wohnung zu verlieren, zu hungern oder elend auf unseren Straßen zu sitzen und um Unterstützung zu betteln. Die Mindestsicherung soll für alle Wienerinnen und Wiener und ihnen Gleichgestellte grundlegende Menschenrechte sicherstellen: das Recht auf Wohnen, auf Gesundheitsversorgung, auf Nahrung und auf Zugang zu Bildung.

 

Die Mindestsicherung ist als letztes soziales Netz ein Erfolgsprojekt. Aber wie so oft in der Geschichte kann eine positive Weiterentwicklung nicht immer linear stattfinden. Oft geht es einen Schritt nach vorne und zwei wieder zurück. Aus rein machttaktischem Kalkül, unter tatkräftiger Mitwirkung von Ihnen, der türkisen Partei, oder soll ich besser sagen, der türkisen Slim-fit-Buberlpartie, und zu Ungunsten der Bevölkerung soll das erfolgreiche Modell der Mindestsicherung nun mit der Sozialhilfe Neu zerstört werden. Ihr Vorschlag aus Türkis-Blau ist nicht ein Schritt zurück, sondern zwei Schritte, werte Kollegen und Kolleginnen. Die Mindestsicherungsregeln, die ein Jahrzehnt erfolgreich viele Menschen aus der Armut geholt haben, Menschen in die Krankenversicherung gebracht haben, Wohnungen vor Delogierung bewahrt haben, Menschen ohne Obdach versorgt haben, für regelmäßige Statistiken zur besseren Planung gesorgt haben, haben Sie mit Ihrer Gesetzesvorlage zur Sozialhilfe Neu mutwillig zerstört, aus ideologischen Gründen, mit Argumenten ohne wissenschaftliche Basis. Ohne Anlass und getragen von einer üblen Kampagne, oder besser gesagt, von übler Propaganda der Buberlpartie konnten die 15a B-VG-Vereinbarungen von Bund und Ländern nicht verlängert werden und ein beschämender Vorschlag eines „Sozialhilfe neu Gesetzes“ wurde einseitig seitens des Bundes und unter Ausschluss der betroffenen Gemeinden und Bundesländer übergestülpt. Die willfährigen Erfüllungsgehilfen in den türkis-blauen Landesregierungen in Oberösterreich und Niederösterreich hatten schnell reagiert. Sie haben damit Müttern mit behinderten Kindern das Geld zum Essen gekürzt, Familien die Ansprüche komplett abgeschlagen oder öffentlich sogar festgelegt, dass ein paar Hundert Euro doch wohl reichen würden, um Wohnen, Wohnbedarf, Essen, Kleidung, Medizin und mehr zu bezahlen, auch für mehrköpfige Familien.

 

So viel Zynismus tut weh. Das tut den Menschen, darunter viele Kinder, wirklich weh. Das tut aber auch uns als Gesellschaft weh, wenn sich ehemalige MinisterInnen vor die Kamera stellen und meinen, 43 EUR reichen doch, um ein Kind einen Monat lang zu versorgen. Waren Sie schon selbst im Supermarkt einmal einkaufen? Haben Sie vergessen, wie schnell Kinder wachsen und wie oft sie daher im Jahr neue Kleidung und neue Schuhe brauchen? Es wäre wirklich wünschenswert, wenn das auch der türkisen Buberlpartie weh tun würde. Aber diese Hoffnungen habe ich längst aufgegeben.

 

Wir hier in Wien, ich persönlich als Sozial- und Familiensprecherin, als Gemeinderätin und als Mutter, meine Kollegen als Väter, Großväter und Landtagsabgeordnete, aber auch meine Kolleginnen als Mütter, als Tanten und Kommunalpolitikerinnen können es sich keine Sekunde vorstellen, diese unmenschliche Kurz-Phantasien,

 

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