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Gemeinderat, 72. Sitzung vom 02.07.2020, Wörtliches Protokoll  -  Seite 26 von 40

 

Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Zur Geschäftsordnung hat sich Herr GR Blind gemeldet. Bitte, Herr Gemeinderat.

 

13.46.06

GR Armin Blind (FPÖ)|: Danke, Frau Vorsitzende! Werte Kollegen!

 

Ich habe mich deswegen zur Geschäftsordnung gemeldet, weil die Entgleisung vom Kollegen Ellensohn wirklich den Rahmen hier gesprengt hat. Wir haben heute schon viele problematische Wortmeldungen gehört, wir haben Wortmeldungen gehört, die in einem politischen Diskurs vielleicht in ein gewisses Eck gehören, aber die eine Meinung darstellen. Wir lassen uns aber vom Kollegen Ellensohn keine Feindbilder unterstellen. Meine Damen und Herren, das lassen wir nicht zu, das ist eine Ungeheuerlichkeit! Das hat nichts mehr mit einer Meinung zu tun, Herr Kollege, Sie bezichtigen uns hier einer Wertehaltung, die in einer demokratischen Landschaft in einem Land keinen Platz hat. Das lassen wir nicht zu, und wir bitten die Frau Vorsitzende, hier nicht beschwichtigend einzugreifen, sondern ihre Führungsverantwortung hier in diesem Gremium wahrzunehmen und Kollegen Ellensohn für diese Äußerung einen Ordnungsruf zu erteilen.

 

Vorsitzende GRin Gabriele Mörk: Darf ich Sie ersuchen, Herr Gemeinderat? - Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr GR Mag. Hobek.

 

13.47.20

GR Mag. Martin Hobek (FPÖ)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrtes Publikum daheim an den Bildschirmen!

 

Ich danke für das lebhafte Entree. Ich habe diesen Gedankengang von Kollegen Ellensohn als gar nicht unspannend empfunden, er hat nur leider die letzte Etappe vergessen, aber dazu komme ich dann noch. Also diese Thematik, zu der ich heute spreche, geht mir nahe. Ich bin schon seit den 90ern sehr oft in die Türkei gefahren. Ich bekenne mich dazu, dass ich die Türkei sehr mag, ich mag die türkische Kultur, ich habe sogar ein bisschen die Sprache gelernt, habe mich im Hinterland herumgetrieben, nicht nur in den Touristengebieten, und habe dann aber natürlich ein anderes Bild gewonnen, als ich von 2008 bis 2012 sehr, sehr oft in den kurdischen Gebieten unterwegs war. Ich kann auch nur sagen, dass ich das, was die Kurden bei Demonstrationen meistens fordern, grundsätzlich nur voll und ganz unterstützen und unterschreiben kann. Wie ich eben 2008 bis 2012 sehr oft im kurdischen Teil war, habe ich eben festgestellt, welche Situation, die wir uns alle miteinander eigentlich nicht vorstellen können, dort vorherrscht.

 

Auch wenn wir hier streiten - wir sind eigentlich alle auf einem Level und alle in derselben Stoßrichtung -, verglichen mit dem, was sich im türkischen Kurdistan tut: Es sind dort wahnsinnig viele Menschen in Haft, willkürlich in Haft, es gibt eigentlich keine kurdische Familie - ich kenne keine, auch keine, die hier in Wien lebt, die Verwandte in der Türkei haben -, in der es nicht zumindest einen Inhaftierten gibt, und es ist meistens völlig willkürlich und hanebüchen und hat meistens auch den Sinn, ein Spitzelsystem zu etablieren und auch auszubauen. Das bedeutet, ich gebe ein konkretes Beispiel - ich bin ja sehr viel unterwegs gewesen, habe mit sehr vielen Menschen gesprochen, habe sehr viele kennen gelernt -: Irgendein kleines kurdisches Dorf in den Bergen, Ali ruft seinen Nachbarn Hasan an und sagt: Hast du vielleicht um 2 Uhr kurz Zeit, auf einen Tee zu mir zu kommen? Es gibt Neuigkeiten? Hasan kommt rauf, um halb drei stürmen zwei Dutzend Uniformierte den Raum, nehmen die beiden Männer mit und beginnen, sie in der nächsten Polizeistation zu verhören. Was hast du mit 2 Uhr gemeint? Was hat du mit Tee gemeint? Sagt er: Na ja, dass der Hawara kommt. Ich formuliere das jetzt ein bisschen salopp. Was hast du mit ihm besprochen? - Ganz einfach: Ipek, meine älteste Tochter ist schwanger, ich werde Großvater. - Was meinst du damit?

 

Also als wären das irgendwelche Codes, etwas Gefährliches und Geheimes. Es geht dann für die Kurden so aus, dass diese beiden Männer zwei, drei Jahre in Haft wandern. Die zwei, drei Jahre in Haft sind aber nur so quasi Untersuchungshaft, wo einem nicht mitgeteilt wird, warum sie eingesperrt sind. Wenn man nachfragt, heißt es: Terroristen. Ja, das ist so der Überbegriff, auf den alles passt, und meistens wird dann an die Ehefrauen herangetreten, und da heißt es dann zum Beispiel - weil das Gefängnis ist meistens weit weg, an der Schwarzmeerküste, wo man nicht so einfach hinfährt -: Weißt eh, wenn dein Mann im Gefängnis drei warme Mahlzeiten pro Tag will und nicht vielleicht öfters befragt werden will - man weiß schon, wie die Befragung läuft -, dann wäre es vielleicht ganz gut, wenn ihr bei der Yasemine, eurer Nachbarin, bei der wir den Verdacht haben, dass sie mit irgendwelchen bewaffneten Gruppen in den Bergen kooperiert, uns da vielleicht irgendwelche Sachen geben könntet, die das belegen.

 

Das klingt jetzt alles völlig absurd und abenteuerlich, aber das ist kurdischer Alltag. So läuft das in vielen Dörfern, und das ist in den Großstädten nicht anders. Da kommt es zum Beispiel zu der Situation, dass drei Jugendliche in Diyarbakir ein Polizeiauto bewerfen, ich kommentiere das jetzt nicht, aber eine Stunde später riegeln hunderte Polizisten ein ganzes großes Stadtgebiet ab, alle Jugendlichen, die aufgegriffen werden, derer man habhaft wird, müssen die Hände herzeigen. Und jeder Jugendliche, der schmutzige Hände hat, kommt in Haft. Warum? - Weil der sicherlich Steine geworfen hat. Das heißt, der 17-Jährige, der seinem Vater im Hinterhof bei den Spenglerarbeiten hilft, der natürlich schmutzige Hände hat, ist dann genauso im Häfen wie der Fußballspielende - da sind ein paar Jugendliche, die Fußball spielen, der Tormann hat die A-Karte gezogen, weil der natürlich sehr oft Bälle abwehrt, sehr oft den Ball wieder abwirft ins Spiel zurück, und der geht dann, weil er schmutzige Hände hat, als 16-, 17-Jähriger in Haft, wie gesagt, meistens 2, 3 Jahre, ohne dass irgendeine Anklage kommt. Dann wird er, wenn sich die Familie wohlverhält, vielleicht zu fünf Jahren verurteilt und kommt dann wieder raus. So ist die tatsächliche Lage in Kurdistan.

 

Dass natürlich Kurden, die hier in Wien leben, dagegen protestieren wollen, ist nur zu unterstützen, und ich tue das vollinhaltlich. Wir haben auch noch andere Dinge

 

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