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Gemeinderat, 36. Sitzung vom 25.06.2008, Wörtliches Protokoll  -  Seite 46 von 108

 

diverse andere Architektinnen und Architekten auf die Idee kommen, ihre Arbeiten als künstlerische Leistung zu verkaufen und weniger als Ingenieur- oder Architekturleistung, und man das dann natürlich schwer zurückweisen kann, wenn schon einmal diese Sonderrolle geschaffen wurde.

 

Ich möchte Ihnen auch nicht vorenthalten, dass es ein Gutachten zu diesem Tagesordnungspunkt gibt, das wirklich kabarettreif ist. Es wird beispielsweise dieses Zugeständnis an Herrn StR Schicker, jetzt Verhandlungen aufnehmen zu können, mit Ian Holender verglichen, denn der kann sich ja auch eine Sängerin aussuchen, oder auch beispielsweise mit dem Herrn Khol, der könnte sich ja auch ein Bildnis für das Parlament aussuchen, direkt, ohne es öffentlich auszuschreiben. Ich meine, das ist schon sehr weit hergeholt, wenn man von einer Brücke spricht, die primär ein Verkehrsbauwerk ist.

 

Dementsprechend werden wir diesem Antrag nicht zustimmen. – Danke. (Beifall bei den GRÜNEN.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Dr Troch gelangt zu Wort. Ich bitte ihn zum Rednerpult.

 

GR Dr Harald Troch (Sozialdemokratische Fraktion des Wiener Landtages und Gemeinderates): Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Ich finde es natürlich spannend, dass wir diese Debatte nicht irgendwann und irgendwo führen, sondern im politischen Gremium Wiens und auch im Architekturjahr, im Wiener Architekturjahr 2008. Dieses Wiener Architekturjahr 2008 hat ja ganz spannend begonnen, nämlich mit einem Vortrag, und einige von Ihnen wissen es ja, denn einige Gesichter aus dieser Runde habe ich dort auch gesehen beim spannenden Vortrag von Santiago Calatrava Ende Jänner im Festsaal des Rathauses. Der Festsaal war gesteckt voll. Die Ordner sind gar nicht nachgekommen, Stühle aufzustellen für die Interessierten.

 

Nun, es geht ja heute auch um eben Santiago Calatrava, und man kann sagen, das ist eine faszinierende Persönlichkeit: Künstler, Architekt und Bauingenieur. Er findet die richtige Formsprache, eine elegante Formsprache, in der er etwas vermittelt, etwas aussagt. Er bereichert die Orte, wo er baut, in einer außerordentlichen Weise, und er interpretiert auch politische, soziale, historische Umstände, wie er jetzt vor Kurzem mit seiner Brücke in Jerusalem bewiesen hat. Eine Stadt, wo es um Verbindung geht, eine Stadt, wo es darum geht, Palästinenser und Israelis und die Stadtteile miteinander zu verbinden. Das ist ihm dort in phantastischer Weise gelungen. Übrigens kein Wettbewerb, sondern eine Direktvergabe des Bürgermeisters von Jerusalem. Nur zur Information.

 

Nun, bleiben wir bei den Fakten für’s Erste einmal. Es geht um den Auftrag an Santiago Calatrava zur Planung der Brücke Wienerbergsteg in Favoriten und um die Frage: Muss hier ausgeschrieben werden oder nicht? Es gibt hier allerdings den § 30 des Bundesvergabegesetzes 2006, der ganz klar definiert, wenn es um künstlerische Gesichtspunkte geht, die man einem Unternehmer, sprich, auch einem Künstler, zutraut und nur ihm zutraut, das auch umzusetzen, was der Auftraggeber wünscht, dann ist in diese Richtung hin zu agieren und auch der Auftrag so zu erteilen.

 

Ich erinnere hier an die Stadt Wien und einen Auftrag in den 80er Jahren, als es darum ging, auch neues ökologisches Umweltbewusstsein in der Stadtarchitektur zu manifestieren. Der damalige Auftrag der Stadt Wien erging an Friedensreich Hundertwasser, und ich sage, was wäre Wien heute ohne das, was Hundertwasser in Wien umgesetzt hat. Man kann natürlich unterschiedlicher Einschätzung sein über den architektonischen, über den künstlerischen Wert Hundertwassers, das ist aber nicht das Thema. Das Thema ist, dass auch Hundertwasser Wien mit seiner Sichtweise und seiner Interpretation stark bereichert hat.

 

Ein Beispiel, das die Kollegin Gretner fallengelassen hat, weil es wohl treffender ist, was das entsprechende Rechtsgutachten betrifft. Der Rechtsanwalt Dr Schwarz gibt ja auch das Beispiel der Auftragsvergabe des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten an Josef Mikl, den renommierten Maler Mikl, zur Ausgestaltung der wiederinstandgesetzten Redoutensäle nach dem Brand in der Hofburg. Ich glaube, das ist ein passendes Beispiel einfach von der Gestaltung her, und auch dieser Auftrag ist ohne öffentliche Vergabe erfolgt.

 

Ich möchte aber auf noch ein Beispiel hinweisen. Santiago Calatrava baut derzeit. Er baut in einer Stadt, die wohl die strengsten Denkmalschutzbestimmungen und auch Bebauungsbestimmungen Europas hat. Und er baut dort nicht irgendwo, er baut auf der bedeutendsten historischen Wasserstraße dieser Stadt – auch darauf hat Frau Gretner nicht hingewiesen, doch das ist nicht uninteressant –, das wird die vierte Brücke Venedigs am Canal Grande. Wir müssen uns vorstellen, der Canal Grande ist umsäumt von 1 500 Jahren Geschichte, von gotischen und Renaissance-Palästen, und dort soll Calatrava bewusst einen zeitgenössischen, einen architektonischen, einen künstlerischen, einen gestalterischen Akzent setzen, inmitten von 1 500 Jahren Geschichte höchst sensibel.

 

Ich darf Ihnen da auch ein kleines Geheimnis verraten, und dieses Geheimnis ist: Der Bürgermeister von Venedig hat ohne Wettbewerb, Frau Frank, diesen Auftrag genau an Calatrava vergeben, weil die Stadt Venedig der Meinung ist, er wird das optimal hinkriegen. Ich glaube, Venedig ist hier einen mutigen Schritt gegangen, den ich so manchem Wiener nicht zutrauen würde, in dieser klassischen Umgebung auch einen zeitgenössischen Akzent zu setzen.

 

Nun, die Wiener Geschichte ist ja voll von Widersprüchen, und auch Otto Wagner, Adolf Loos und viele andere modernistische Architekten sind ja auch mitunter angefeindet worden. Aber damals ist die Debatte in Wien wenigstens ästhetisch, funktional geführt worden und auch politisch geführt worden, heute verschanzt man sich hinter Paragraphen des Vergabegesetzes, und das finde ich feig und eigentlich auch nicht sehr politisch. Ich bedaure, dass es keine künstlerische und keine politische Debatte gibt, sondern eine hinter

 

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