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Gemeinderat, 10. Sitzung vom 23.1.2002, Wörtliches Protokoll  -  Seite 46 von 56

 

wir sehen, es bleibt uns nichts anders übrig, als diese Aufgabe zu übernehmen -, dass diese 15-Jährigen jedenfalls - und das wollen alle Wiener GRÜNEN - ausgebildet werden. Uns ist das sehr wichtig. Wenn es keine Lehrstellen gibt und wenn auch mit irgendwelchen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen keine aufzutreiben sind, dann muss man eine Lösung finden. Diese besteht aus Schule plus Werkstätten. Diese beiden Dinge können gemeinsam eine Lehrstelle wunderbar ersetzen und ebenfalls zu einem Abschluss für diese jungen Menschen führen. - Das ist das Erste, was ich sagen wollte.

 

Der zweite Punkt, der mir wesentlich ist und den Ihnen viele Schülerinnen und Schüler bestätigen werden, ist folgender. Es gibt viele Daten und Fakten, die Schüler auswendig zu lernen haben, und daran misst man auch den Erfolg der Schülerinnen und Schüler. Was hintangestellt bleibt, aber meiner Meinung nach sogar wichtiger ist, sind Basiskompetenzen - und ich komme nachher noch einmal darauf zurück -, Basiskompetenzen und Schlüsselqualifikationen.

 

Wir haben in der letzten Zeit aus der Wirtschaft sehr häufig den Vorwurf gehört: Wir können keine Lehrlinge aufnehmen, weil diese Lehrlinge nicht über die geringsten Kenntnisse verfügen; sie können nicht lesen, sie können nicht schreiben, sie können nicht rechnen, sie können nicht schätzen, sie können einfach nichts, nicht einmal reden können sie gescheit!

 

Zwar wissen wir alle, dass es von Seiten der Wirtschaft auch andere Gründe gibt, sich hinter dieser Schutzbehauptung zu verstecken, aber das darf uns nicht daran hindern, genauer hinzuschauen und nachzusehen, ob es nicht tatsächlich so ist, dass dieses österreichische Pflichtschulsystem auch 15-Jährige entlässt, die nicht gescheit lesen können - manche von ihnen sind nahezu Analphabeten -, die nicht gescheit rechnen können, die nicht gescheit reden können und die über all diese Basiskompetenzen und Kulturtechniken überhaupt nicht verfügen. Und es gibt sie! Das muss man dem Schulsystem ankreiden und da muss man eindeutig mit Änderungen ansetzen und etwas tun. Denn diese jungen Menschen haben ein Recht darauf, gut ausgebildet zu werden und etwas zu können, um in diesen Arbeitsmarkt überhaupt einmal hineinzukommen.

 

Ich möchte an einem kleinen Beispiel festmachen, was zum Beispiel mit manchen Schülerinnen und Schülern geschieht, die tatsächlich minder begabt sind und vor allem von zu Hause nicht gefördert werden. Sie kommen in die erste Klasse hinein, dort kommen sie nicht mit und erwerben Defizite. Dann sitzen sie in der zweiten Klasse, der Lehrer macht längst den Lehrplan der zweiten Klasse, aber sie wissen noch immer nicht, was Sache ist. Diese Schülerinnen und Schüler holt man nie mehr dort ab, wo sie stehen, und das ist ein Manko, das die Schule dringend beheben muss.

 

Ich möchte jetzt im zweiten Teil meiner Rede auf die PISA-Studie 2000 zu sprechen kommen. Da glaube ich, wir könnten viel daraus lernen und Erkenntnisse daraus ziehen, auch für das österreichische Schulsystem. Denn diese Studie macht etwas ganz Wesentliches: Sie prüft nicht Daten und Fakten und auswendig gelerntes Wissen ab, das nach wenigen Wochen ohnehin wieder weg ist, sondern diese Studie prüft Basiskompetenzen ab - Lesekompetenz, Rechenkompetenz oder auch naturwissenschaftliche Kompetenz - und zieht daraus ihre Schlüsse.

 

Jetzt ist in Österreich etwas meiner Meinung nach Schreckliches passiert. Während die Deutschen und die Schweizer, die viel schlechter als die Österreicher abgeschnitten haben, sich vor Verzweiflung winden und überlegen, was sie mit diesem schlechten Ergebnis tun sollen - auch die Schweizer sind verzweifelt -, denken sich die Österreicher, sie haben gut abgeschnitten, lehnen sich zurück und tun zunächst einmal gar nichts, außer zufrieden zu sein. Eine Journalistin hat das betitelt mit der Überschrift: "Piefkes abhängen reicht nicht". Was sie meint, ist: Wir müssen jetzt schauen, was die Ergebnisse dieser Studie für Österreich sind und was wir daraus lernen können, um unsere Jugendlichen besser auszubilden.

 

Die Frage, die die Leute immer wieder stellen - ein geflügeltes Wort -: Geht es Ihnen gut oder haben Sie Kinder in der AHS?, ist ja nicht ganz unberechtigt, und ich denke mir, es sollte diese Studie jetzt zum Anlass genommen werden, sich sehr genau mit dem Bildungssystem auseinander zu setzen und daran Reformen anzuknüpfen.

 

Weil ich daran so interessiert bin, möchte ich Ihnen auch sagen, dass das Ergebnis dieser PISA-Studie, das uns so zufrieden stellt und zurücklehnen lässt, natürlich ein für Österreich sehr geschöntes ist. Das Ergebnis ist so sicher nicht richtig, und zwar deswegen sicher nicht richtig, weil die Kompetenzen der 15-Jährigen abgetestet wurden, sich die schulisch schlechtesten 15-Jährigen aber gar nicht mehr im Schulsystem in Österreich finden. Das sind Schülerinnen und Schüler, die bereits während ihrer Hauptschulzeit einmal durchgefallen sind und bereits nach der 4. Hauptschulklasse ausgetreten sind. Das sind genau die, die dann auf der Straße stehen, und die waren nicht Teil dieser Studie. Das heißt, das Ergebnis stimmt so, wie es dargestellt wurde, für Österreich nicht.

 

Ich will Sie jetzt mit diesem Buch (Die Rednerin hält die PISA-Studie in die Höhe.) nicht langweilen, sondern nur darauf hinweisen, dass die Deutschen so erschrocken sind, dass sie blitzartig auch eine Studie herausgegeben haben, in der erstens beschrieben wird, was die Studie genau misst, wie man vorgegangen ist, wer oder was untersucht wurde und welche Schlüsse man daraus zu ziehen hat. Nun bin ich der Meinung, dass dasselbe selbstverständlich für Österreich auch geschehen sollte, und als Wiener Abgeordnete bin ich der Meinung: Wien muss sich darum kümmern, dass die Wiener Ergebnisse ausgearbeitet, veröffentlicht und selbstverständlich auch allen zur Verfügung gestellt werden.

 

Ich habe einen Antrag geschrieben, der allen Fraktionen zugegangen ist, worauf ich auch positive Rückmeldungen bekommen habe. Auf Vorschlag und Bitte der Sozialdemokratischen Fraktion haben wir uns darauf verstanden, dass der Antrag nicht sofort abgestimmt wird, sondern das dem Ausschuss zugewiesen wird. Mit

 

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